Die Philisterkämpfe. Entstehung des Königtums. Saul

[239] Noch ein weiteres Volk hat auf die Geschicke Palaestinas eingewirkt, eben das, nach dem dieses benannt ist, die Philister. Bei der großen Völkerwanderung zu Anfang des 12. Jahrhunderts sind sie, als das wichtigste Kontingent der Seevölker, an die syrischen Küsten gekommen, und die Siege Ramses' III. haben nicht verhindern können, daß sie sich der Städte der Šephela, der fruchtbaren und seit alters dicht besiedelten Küstenebene im Süden, bemächtigten. Hier haben sie sich organisiert als eine Konföderation von fünf Fürstentümern542, [239] an der Küste Gaza, Askalon und Ašdod, näher dem Gebirge Gat und 'Aqqaron. Nördlich von ihnen, in D'ôr, haben ihre Genossen, die Zakkari, sich festgesetzt, wie der Bericht Wenamons lehrt (o. S. 13); sonst haben wir über diese keine Kunde. Die Philister haben aus Kreta, wie die Griechen auf Cypern, die jungmykenische Kultur nebst ihrer Keramik mitgebracht, und der Kretername ist bei ihnen dauernd lebendig geblieben543. Sie können immer nur eine dünne kriegerische Oberschicht gewesen sein, unter der die kana'anaeische Masse den Hauptteil der Bevölkerung bildete. So haben die Philister, wie ihre Eigennamen lehren, bald deren Sprache angenommen, und ebenso verehren sie semitische Götter, so den wahrscheinlich seit alters hier heimischen Dagon und die Astarte, für die dann der aramaeische Name Atargatis aufkommt544. Die Beschneidung dagegen haben sie nicht angenommen.

Vom Küstengebiet aus sind die Philister dann gegen das Binnenland vorgedrungen, und zwar, soweit unsere Kunde reicht, nicht sowohl gegen das schwache und wenig lockende Juda545, als vielmehr gegen das Kernland Israels. Wir erfahren von zwei schweren Niederlagen, in denen der israelitische Heerbann bei Ebenha'ezer den Philistern erlag; auch die Lade Jahwes, die man für den zweiten Kampf aus Šilo herbeiholte, brachte keine Hilfe, sondern fiel den Feinden in die Hände546.

Alles weitere ist in unserer ganz elend redigierten Überlieferung [240] weggeschnitten und durch eine ausführliche Erzählung von dem Unfug ersetzt, den die Lade überall anrichtet, wohin sie kommt, so daß die Philister sie aus einer Stadt in die andere bringen und schließlich mit einem Sühnegeschenk auf israelitisches Gebiet zurückschicken, wo sie es aber auch nicht viel anders treibt. Geschichtlich ist daraus nichts zu entnehmen; wir wissen nur, daß die Lade oder was man dafür ausgab, bis auf Davids Zeit so gut wie unbeachtet in Qirjat Je'arîm westlich von Jerusalem gestanden hat547. Dagegen liegt der Tempel von Šilo seitdem in Trümmern548; seine Priesterschaft, soweit sie die Katastrophe überstanden hat549, ist zersprengt; in Gib'a in Benjamin sitzt ein Statthalter der Philister550, ihre Herrschaft wird sich weithin über das Gebirge Ephraim und vielleicht auch über die Ebene Jezre'-el und auf der andern Seite über Juda ausgedehnt haben. Eine Sage erzählt, sie hätten den Hebraeern, ähnlich wie König Porsena den Römern, das Schmiedehandwerk verboten, so daß es bei ihnen keine Waffen gab und die Bauern in die Philisterstädte hinabgehen mußten, um dort ihre Pflugscharen und Äxte schärfen zu lassen551.

Wir werden diese Aufrichtung der Philisterherrschaft über Palaestina mit der der Tyrsener, ihrer Genossen unter den Seevölkern, über Mittelitalien vergleichen dürfen, und leicht hätte sie von ähnlicher Dauer sein können wie diese. So weit wir sehn können, mag sie etwa zwei Generationen lang bestanden haben, [241] rund 1075-1010 v. Chr. Ihr entscheidender Sieg würde also rund ein Jahrhundert nach ihrer Festsetzung in den Küstenstädten fallen552.

Die Befreiung vom Philisterjoch und die Gründung eines israelitischen Königtums ist vom Stamme Benjamin ausgegangen. Darüber hat es einmal eine gute Überlieferung gegeben; aber die Reste, die von ihr erhalten sind, sind nicht nur durch Überarbeitung und breit aufgeführte populäre Legenden entstellt, wie in der Geschichte Gideons, sondern in noch weit ärgerer Weise als dort tendenziös immer weiter verfälscht und schließlich mit vollem Bewußtsein in ihr Gegenteil umgewandelt, so daß sich von dem wirklichen Hergang nur noch ein paar Episoden erkennen lassen. Reicheres Material haben wir nur für das Emporkommen Davids und Sauls Untergang; für seine eigenen Taten dagegen sind geschichtlich verwertbar lediglich die Erzählung vom Kampf Sauls und Jonatans, Sam. I 13, 2-6. v. 15 b bis 18. 14, 1-46, und ein paar Notizen über den Krieg gegen die Ammoniter in cap. 11 und gegen die 'Amaleqiter in cap. 15. In diesen Berichten ist Saul ein vornehmer Mann aus dem Clan Bekr553, dem sein erwachsener Sohn zur Seite steht,[242] und er handelt durchaus aus eigenem Antriebe. Die populäre Erzählung c. 9 macht ihn dann zu einem Jungen aus dem kleinsten Geschlecht seines kleinen Stammes, den sein Vater aussendet, verlaufene Eselinnen zu suchen; auf den Rat eines Knechts wendet er sich an einen in der Nähe sitzenden »Gottesmann« oder »Seher«, um von ihm gegen Bezahlung ein Orakel zu erhalten, dieser aber, von Jahwe inspiriert, salbt den ahnungslosen Jüngling zum König – wenn irgend etwas, ein echtes Volksmärchen ohne geschichtlichen Gehalt. Diese Gestalt des Wahrsagers Samuel ist dann verwendet worden, um auch die übrigen großen Veränderungen dieser Epoche zu verkünden und dadurch als von Jahwe gewollt darzustellen, einerseits den Untergang des Hauses 'Elis – dem dient Samuels Jugendgeschichte c. 1-3, in der er nach Šilo versetzt und zum Priester und Diener bei der Lade gemacht wird –, andrerseits den Untergang Sauls und seines Hauses und das Emporkommen Davids. Daher mußte Saul eine Verschuldung zugeschoben werden, die seine Verwerfung durch Jahwe begründet und die Samuel ihm verkündet. Damit verbinden sich weiter ständig fortschreitend die modernen theokratischen Ideen und zum Teil auch die auf Hosea zurückgehende Verwerfung des Königtums überhaupt, der allerdings die immer mehr steigende Verherrlichung Davids gegenübersteht. Derart sind, noch mit wirklicher religiöser und auch nationaler Empfindung, die auch literarisch hochstehenden Erzählungen von der Opferung Agags c. 15554 und der Hexe von 'Endor c. 28, die der letzten Zeit des israelitischen Reichs angehören werden (vgl. u. S. 353). Dann aber werden diese Erfindungen immer armseliger und schablonenhafter (so die Salbung Davids zum König durch Samuel c. 16, 1-13), bis Samuel zum Regenten (»Richter«) gemacht wird, [243] unter dem Jahwe die Philister schlägt (c. 7) und der dann von dem betörten Volk gezwungen wird, ihm einen König zu setzen, dessen Mißregiment eingehend geschildert wird (c. 8. 10, 17ff. 12). Durch die Verknüpfung aller dieser Bestandteile ist ein Zerrbild entstanden, das, wenn es auch nur irgendwie geschichtlich wäre, die israelitische Geschichte dieser Zeit zum abschreckendsten Beispiel von Priestertrug und perfider Intrige machen würde.

Das Signal zur Erhebung gegen die Philister gab Sauls Sohn Jonatan, der in Gib'a, auf der Höhe des Gebirgskamms, dem Ort, in dem Sauls Erbgut lag, ihren Vogt erschlug. Als dann das Aufgebot der Philister einrückte, trat ihm der Heerbann Benjamins, angeblich 600 Mann, unter Saul an dem Tal von Mikmaš entgegen; Jonatan erklomm mit seinem Waffenträger die Felswand und überfiel den Vorposten; als dann Saul angriff, wurden die Philister geschlagen555. »Da fielen auch die Hebraeer, die bisher zu den Philistern gehalten hatten und mit ihnen ins Feldlager hinaufgezogen waren, zu den Israeliten Sauls ab«, das ganze Gebirgsland machte sich frei.

Dieser Sieg hat zur Folge gehabt, daß Saul nicht nur von seinen Stammesgenossen in ihrem Heiligtum in Gilgal zum König eingesetzt, sondern in ganz Israel, jedenfalls weit über die Josephstämme hinaus, anerkannt wurde; man bedurfte eben überall eines Zusammenschlusses gegen die sich immer wiederholenden Angriffe der Philister. Allerdings soll er nach der Anordnung [244] der Ereignisse im Samuelbuch schon früher König geworden sein, als die Stadt Jabêš in Gil'ad von dem Ammoniterkönig Nachaš belagert und mit Ausstechung des rechten Auges bedroht ist und Saul ein Heer von ganz Israel aufbringt und die Stadt befreit. Indessen diese Erzählung ist in allen Einzelheiten völlig sagenhaft, und die Anordnung beruht nur darauf, daß sie eingefügt ist in die Samuelgeschichten556; sachlich ist es ganz undenkbar, daß Saul in kürzester Frist ein israelitisches Heer gegen die Ammoniter aufbringen kann, ehe er sich im Kampf gegen die nächsten Feinde, die Philister, bewährt hat. In Wirklichkeit wird die Abwehr der Ammoniter, die ihm die Anhänglichkeit des Ostjordanlandes sichert, auf den Sieg über die Philister gefolgt sein.

Im übrigen ist der Krieg gegen die Philister die Hauptaufgabe der Regierung Sauls geblieben; denn natürlich haben diese immer wieder versucht, die verlorene Stellung wiederzugewinnen. Das hat offenbar dazu geführt, daß auch Juda sich an Israel anschloß und auch von hier die kriegerische Jugend in Sauls Heer strömte557. Hier hat Saul noch eine weitere Aufgabe erfüllt, die Abwehr der 'Amaleqiter, der Beduinen, die das Land von Süden her überschwemmten; er hat sie geschlagen und weit in die Wüste hinein verfolgt; was lebend in seine Hände fiel, wurde, als dem Bannfluch verfallen, abgeschlachtet, der gefangene Häuptling Agag beim Siegesfest in Gilgal »vor Jahwe in Stücke gehauen«558.

[245] Wie weit es Saul möglich gewesen ist, sein Machtgebiet zu einem wirklichen Reich auszubauen, läßt sich nicht erkennen. Der Sitz seiner Regierung blieb sein Heimatsdorf Gib'a, seine Hauptgehilfen waren seine nächsten Verwandten, sein Sohn Jonatan, sein Vetter Abner; aber er nahm auch jeden andern, der sich brauchbar für Krieg und Geschäfte erwies. Nach den Erzählungen, soweit sie überhaupt verwendbar sind559, scheint er eine energische Persönlichkeit von zäher Willenskraft gewesen zu sein, die aber in Eigensinn und Jähzorn entarten und dann eine schwermütige Stimmung erzeugen konnte, im übrigen beherrscht von einer starken religiösen Stimmung, so daß er die kultischen Formen und die Orakelworte peinlich befolgte, sehr im Gegensatz zu dem Zerrbild, das die Spätern aus ihm gemacht haben. Dahin gehört auch, daß er »im Eifer für die Israeliten und Jahwe« gegen die Kana'anaeer von Gibe'on, Schutzbefohlene Israels (o. S. 219), gewalttätig vorgegangen ist (Sam. II 21, 2).

Für die Geschichte seines Volks ist er jedenfalls von größter Bedeutung gewesen. Durch ihn und sein Reich ist die Zusammenfassung der israelitischen Stämme, die das Deboralied postuliert, wirklich geschaffen und dauerhaft begründet, einschließlich der Nordstämme, so wenig wir über diese etwas erfahren; und darüber hinaus hat sich auch Juda nebst den kleinen Stämmen im Süden an Israel anzugliedern begonnen. Manche Zeugnisse, so das Klagelied über seinen und seines Sohnes Tod, zeigen, daß man empfand, was man Saul verdankte, und lassen eine warme Anhänglichkeit an ihn erkennen.

Dagegen hat sich ein schwerer Konflikt entwickelt zwischen dem König und einem Manne, der ihm zunächst besonders nahe gestanden hatte, dem Judaeer David. Nach der glaubwürdigsten [246] Überlieferung ist dieser in jungen Jahren in Sauls Dienste getreten, um ihn durch Harfenspiel zu beruhigen, wenn ein böser Geist über ihn kam. Aber auch in den Kriegen gegen die Philister zeichnete er sich aus, und so gewann er alsbald eine Vertrauensstellung. Zu Jonatan trat er in ein nahes Verhältnis, Saul selbst vermählte ihn mit seiner Tochter Mikal560. Dann aber schlug das Verhältnis um; Saul wurde von tiefem Mißtrauen gegen seinen Schwiegersohn erfüllt und suchte ihn aus dem Wege zu räumen, ja er warf einmal den Speer nach ihm. David, von Jonatan gewarnt, entfloh. Wie weit Sauls Argwohn begründet war, können wir nicht beurteilen; er glaubte jedenfalls an die Absicht, ihn zu beseitigen, und hat die Nachkommen 'Elis, die sich in Nob angesiedelt hatten, angeblich 85 Mann, als Mitschuldige umbringen lassen. David flüchtete nach Juda und sammelte eine Schar von Abenteurern um sich; seine Familie brachte er nach Moab in Sicherheit, er selbst trieb sich in den halbjudaeischen Gebieten im Süden als Bandit umher. Dem Versuch Sauls, ihn abzufangen, konnte er sich entziehn – er soll dabei die Möglichkeit gehabt haben, Saul zu erschlagen, es aber abgelehnt haben, die Hand an den Gesalbten Jahwes zu legen –; aber auf die Dauer konnte er sich nicht halten, da die Sympathien der Bevölkerung durchaus auf seiten des Königs standen. So blieb ihm nichts übrig, als mit seinen Mannen, 600 Mann, zu den Philistern überzutreten. Hier fand er beim König Akîš von Gat freundliche Aufnahme, und dieser überwies ihm den Ort Siqlag im äußersten Süden zum Wohnsitz.

[247] Jetzt entschlossen sich die Philister zu einem entscheidenden Angriff gegen das neuerstandene Reich. Alle Fürsten mit ihren Kontingenten wurden aufgeboten, das Heer rückte bis in die Ebene Jezre'-el vor, offenbar auf der Küstenstrecke und durch den Paß von Megiddo. Wie es zu erklären ist, daß man sie so weit kommen ließ, läßt sich nicht erkennen; wir erfahren nur, daß Saul im Osten der Ebene am Berge Gilbo'a, ihren Angriff erwartete561, oberhalb der Senke, die nach der kana'anaeischen Stadt Betše'an hinabführt, in der sie auf Unterstützung rechnen konnten. In der Schlacht erlagen die Israeliten; auch Sauls Söhne, Jonatan und seine Brüder, wurden erschlagen, Saul selbst gab sich, als er alles verloren sah, den Tod. Seine und seiner Söhne Leichen haben die Sieger an der Mauer von Betše'an aufgehängt; aber die Bewohner von Jabêš, dankbar für die Rettung, die er ihnen gebracht hatte, haben sie bei Nacht entführt und bestattet. Die Trauer um den ehemals so siegreichen König und seinen Heldensohn hat in einem Klageliede ergreifenden Ausdruck gefunden562.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/2, S. 239-248.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Philotas. Ein Trauerspiel

Philotas. Ein Trauerspiel

Der junge Königssohn Philotas gerät während seines ersten militärischen Einsatzes in Gefangenschaft und befürchtet, dass er als Geisel seinen Vater erpressbar machen wird und der Krieg damit verloren wäre. Als er erfährt, dass umgekehrt auch Polytimet, der Sohn des feindlichen Königs Aridäus, gefangen genommen wurde, nimmt Philotas sich das Leben, um einen Austausch zu verhindern und seinem Vater den Kriegsgewinn zu ermöglichen. Lessing veröffentlichte das Trauerspiel um den unreifen Helden 1759 anonym.

32 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon