Juda und Edom

[236] Während im Hauptteil Palaestinas die Israeliten sich ausbreiteten, sind weiter im Süden die Judaeer mit ihren Verwandten und die Edomiter vorgedrungen.

Der Stamm Juda sitzt auf dem Rücken des gleichnamigen Gebirges auf einer Strecke von etwa 25-30 Kilometern, südlich von der Jebusiterstadt Jerusalem, die das Vordringen nach Norden sperrt, bis in die Nähe von Hebron. In die Täler im Westen, nach der Ebene zu, hat er sich in älterer Zeit nicht weit ausdehnen können; die Abdachung im Osten aber, bis zum[236] Toten Meer, ist die trostlose Einöde der »Wüste Juda«. So ist er auf ein kleines Gebiet beschränkt, dessen Mittelpunkt die Stadt Betlehem bildet. Der Segen Jakobs schildert ihn als einen Löwen, der durch Raub groß geworden ist; jetzt – in der Zeit Davids und Salomos – hat er sich gekauert und liegt da im Vollgenuß des Segens. Von prinzipieller Feindseligkeit gegen die Kana'anaeer findet sich nichts; vielmehr zeugt Juda die Ahnen der Clans von kana'anaeischen Weibern534; wohl aber hat sich der Beduinenstamm durch seine Raubzüge im Lande eingenistet und den Schutz über die Bauern ausgeübt, bis er mit ihnen verschmilzt und selbst zum Bauernvolk wird.

Weiter südlich sitzen die Zweige des edomitischen Stammes Qenaz: zunächst der Clan Kaleb in dem fruchtbaren Tal von Hebron, unter dem Kamm, mit einem angesehenen Heiligtum beim Gottesbaum Mamre', an das die Sagen von Abram und Saraj anknüpfen; dann schon im Negeb, wo das Gebirge sich senkt und auflockert und die verstreuten Brunnen den Hauptbesitz und das Streitobjekt der viehzüchtenden Stämme bilden535, der Clan 'Otni'el, und weiter östlich Jerachm'el. Dazu kommen in den Oasen und Weideplätzen tief im Süden die Stämme Šim'on und Lewi, die als ältere Brüder Judas gelten, aber in einer Katastrophe – vielleicht durch die 'Amaleqiter536 – früh zersprengt und verschollen sind; und dazwischen nach dem Toten Meere zu, bei 'Arad, der Stamm Qain, der als ein Zweig der 'Amaleqiter, der wilden Beduinen der Wüste, gilt.

In der Folgezeit haben diese kleinen Gruppen sich unter der Führung Judas zusammengeschlossen und sind schließlich in dieses aufgegangen. Weit früher hat sich Edom konsolidiert. In dem Spruch Gen. 27, 39 werden die Wohnsitze Edoms im Gegensatz zum Fruchtlande Jakobs als trostlose Einöde geschildert;[237] in Wirklichkeit enthält indessen das Gebirge Se'îr, östlich von der tiefen Einsenkung der 'Araba, außer Jagd- und Weidegründen manche fruchtbare Bezirke mit Quellen und Waldungen537. Wie sich hier, in den Randgebieten der Wüste, unter den Nabataeern und Römern in erstaunlichem Maße eine städtische Kultur entwickelt hat, so werden auch in der alten Zeit schon mehrfach Städte erwähnt wie Boṣra, Taiman, Sela', d.i. Petra538. Die Sage, die Edom und Israel (oder vielmehr in Wirklichkeit Juda) in den Gestalten des 'Esau und Jakob verkörpert, betrachtet mit Recht jenen als den älteren und kräftigeren, dem aber der gewandtere und vor keinem Trug zurückscheuende jüngere Bruder schließlich den Rang abläuft. Wie Israel zerfällt auch Edom in Tausendschaften, deren in genealogischer Ordnung zwölf aufgezählt werden; aber anders als dort ist das gesamte Volk durch ein Königtum zusammengehalten. Eine Liste von acht Königen ist uns erhalten, »die im Lande Edom regiert haben, ehe es bei den Israeliten einen König gab«. Für jeden wird ein anderer Heimatsort angegeben, keiner ist der Sohn des Vorgängers; so mag die Herrschaft zwischen den Geschlechtshäuptern gewechselt haben. Der letzte König ist Hadad II., der dem Angriff Davids erlag; wenn die Liste einigermaßen zuverlässig ist, würde das Königtum in Edom also bis ins 12. Jahrhundert hinaufragen. Von dem vierten König, Hadad I., wird angegeben – die einzige Notiz dieser Art in der Liste –, er habe Midian im Gebiet von Moab geschlagen; das mag in die Zeit Gide'ons und der midianitischen Raubzüge gehören, die ja auch Edom heimgesucht haben müssen, und führt auf die Zeit um 1075 v. Chr.539.

[238] Daß eine solche Liste überhaupt existiert und daß sie, mit weiteren Angaben über Edom und die Choriter, von den israelitischen Schriftstellern übernommen worden ist540, bestätigt das Bestehn einer alten Kultur in Edom und das Interesse, das sie erregt hat; in manchem mag das edomitische Königtum den arabischen Fürstentümern in den Grenzgebieten des römischen und des Sassanidenreichs nicht unähnlich gewesen sein. Für die populäre Anschauung galt, wie die Wüstenstämme überhaupt, so vor allem Edom als Sitz praktischer, in prägnanten Worten geprägter Lebenserfahrung; schon früh waren Sprüche in Umlauf, die man seinen »Weisen« in den Mund legte541.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/2, S. 236-239.
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