Die Gestalt Jahwes. Eindringen der religiösen Anschauungen der Südstämme

[291] Dieser Glaube, daß Jahwe der Gestalter und Herr des Menschenschicksals ist, beherrscht die gesamten Anschauungen des Volks. Er steht zu Israel wie Kamoš zu Moab, Melqart zu Tyros, Astarte zu Sidon639. Daher findet sich gelegentlich die Anschauung, daß, wenn man seinen Machtbereich verläßt, man auch die Verbindung mit ihm verliert und anderen Göttern dienstbar wird640. Aber daneben stehn dann immer wieder die Erzählungen, daß er auch im Auslande seine Macht erweist; ein Sieg der Feinde, z.B. der Philister, der Aramaeer, ist nicht etwa ein Sieg ihrer Götter über Jahwe – das wäre ein ganz unmöglicher Gedanke –, sondern Jahwe selbst hat ihn herbeigeführt, weil er auf sein Volk zürnt, ebenso wie er Dürre und Hungersnot verhängt. Das muß man hinnehmen; trotzdem bleibt er der Gott, der, so launisch er gelegentlich sein kann, dennoch für sein Volk wirkt, ihm als Ganzem wie jedem Einzelnen Segen und Gedeihen, Sieg über die Feinde und als höchste Gabe das Königtum gewährt hat.

Die Gegenleistung ist der Kultus mit seinen Opfern, Festen und Wallfahrten. Seine Gestaltung und die in ihm verkörperten [291] Anschauungen sind bis in alle Einzelheiten identisch mit denen der früher geschilderten kana'anaeisch-phoenikischen Religion und aus dieser übernommen so gut wie die zahlreichen alten Kultstätten, die dann ständig weiter durch neue vermehrt werden. An jedem Ort, wo man einen Altar errichtet, vor allem »auf jedem hohen Hügel und unter jedem grünen Baum«, manifestiert sich die göttliche Macht; oft genug ist Jahwe selbst hier dem Begründer des Kultus erschienen641. Schon erwähnt ist, daß er, ganz wie bei den Phoenikern, im gewöhnlichen Leben einfach »die göttliche Macht« ha-elohîm genannt wird und in Personennamen nicht selten auch »der Ba'al«, d.i. das Numen der Kultstätte, so in den Namen der Söhne Sauls und Davids Išba'al, Meriba'al, Ba'aljada' und in dem Jeruba'als. Mit dem Wachsen des Wohlstands und dem Königtum wächst auch die Ausstattung des Kultus. Schon früher war in Šilo ein größeres Heiligtum mit ansehnlicher Priesterschaft entstanden und ähnlich in Benjamin zu Gilgal mit seinen Kultsteinen und Schnitzbildern, zu Gibe'on, in Dan und sonst; in seiner Stadt 'Ophra hatte Gide'on ein aus Gold gegossenes Kultbild aufgestellt. Dann hat Salomo den großen Tempel von Jerusalem erbaut, in dem Jahwe auf der hierfür überführten Lade thront. In derselben Weise hat jetzt Jerobe'am die Heiligtümer von Bet-el und Dan zu Reichstempeln für Israel erhoben, deren Priester er anstellt wie die Könige von Juda die Jerusalems; in ihnen stehn die goldenen Stiere, die vielleicht ursprünglich nicht sowohl sein Bild sind, als vielmehr die Tiere, auf deren Rücken er einherschreitet wie Hadad und die gleichartigen Gottheiten (o. S. 155).

Aber die Gestalt Jahwes hat noch eine andere Seite. Er ist der Gott, der in weiter Ferne auf dem Feuerberge des Sinai haust, einsam und geheimnisvoll, unnahbar in seiner Majestät. Von hier aus hat er sein Volk nach Kana'an geführt und ihm den Sieg verliehn, und im Kampf mag er ihm zu Hilfe ziehn [292] in Sturm und Gewitter an der Spitze des Himmelsheers wie im Deborakampf. Immer wird er als ein unheimlicher Feuergott gedacht642; Feuer geht von ihm aus und frißt die Menschen, wenn ihn der Grimm erfaßt (Num. 11, 1, vgl. v. 33); er geht um bei Nacht, nach Blut verlangend, wie beim Passachopfer und in den Sagen von seinen Kämpfen mit Jakob und Moses; bei Nacht schließt er mit Abraham den Vertrag »als rauchender Ofen und feurige Fackel« (Gen. 15); als Feuersäule hat er bei Nacht die Ägypter ins Meer gestürzt, in einer solchen, die bei Tage als Wolke erscheint, ist er dem Volk beim Auszug vorangezogen; bei Qadeš in der Wüste wohnt er in dem Erdfeuer am Dornbusch. Schaden geht von ihm aus; wer ihm begegnet, fürchtet zu sterben, nach einer Erzählung darf selbst Moses nur seinen Rücken sehn, aber nicht sein Antlitz, da das unweigerlich den Tod bringen würde643.

Mit dieser Unberechenbarkeit seines Wesens644, mit dem Grimm, der ihn bei jeder Widersetzlichkeit erfaßt, wird es in den Sagenerzählungen begründet, daß er seinen Sitz nicht unter dem Volke genommen hat, sondern seinen Willen in der Regel durch einen Boten (mal'ak) übersendet, der seine Befehle und Orakel verkündet (s.o. S. 229). Denn die beiden Anschauungen, daß Jahwe an allen Kultstätten des Landes wohnt und daß sein eigentlicher Sitz auf dem Sinai ist, laufen fortwährend durcheinander. Im volkstümlichen Glauben freilich ist die erstere durchaus vorherrschend und hat schließlich die andere vollständig verdrängt; dadurch erklärt es sich, daß der »Bote« niemals, wozu an sich die Möglichkeit vorgelegen hätte, zu einer [293] selbständigen Persönlichkeit etwa in der Art des Gottesworts des Christentums geworden ist.

Indessen dieser Gott vom Sinai ist im Grunde doch ein sehr anderer als der Elohîm, den man an den zahlreichen Kultstätten Kana'ans in landesüblicher Weise verehrt. Er ist entstanden bei dem nomadisierenden Beduinenstamm der Wüste und eng verwachsen mit den hier herrschenden Anschauungen und Ordnungen. Streng wacht er über diese, über die Befolgung der schlichten Rechtssätze und Sittengebote, die den Stamm zusammenhalten; alle Kultur dagegen mit ihren die Einheitlichkeit und Gleichheit der Stammgenossen zersetzenden Wirkungen ist ihm fremd und feindlich. Mit der strengen Unterordnung unter seine Gebote fordert er die Anerkennung seiner Einzigart; alle Wirkungen gehn von ihm aus, er ist es und kein anderer, wie das vom ältesten Zeugnis, dem Deboraliede, ab alle Dichtungen aussprechen, der Israel den Sieg verleiht und seine Feinde vernichtet. Untergeordnete göttliche Mächte mögen als seine Gehilfen neben ihm stehn, wie die Beamten neben dem König; aber einen gleichstehenden Gott neben sich, wie ihn die Religionen der Kulturvölker kennen, duldet er nicht, er ist, wie es eine offenbar schon recht alte Formulierung besagt645, »ein eifersüchtiger Gott«.

Diese Anschauungen haben neben den durch die seßhafte Kultur geschaffenen Formen immer im Bewußtsein fortgelebt. Zu neuer, gesteigerter Bedeutung gelangten sie unter der Wirkung der wirtschaftlichen und politischen Notlage. Diese ließ sich nur dadurch erklären, daß Jahwe auf sein Volk zürnte. Bei den Massen führte das, wie immer, zu einer Steigerung des Kultus, der Opfer, Feste und Wallfahrten; in den Personennamen treten von der Zeit Achabs an die alten profanen Namen hinter den religiösen, die ein Bekenntnis zu Jahwe aussprechen, immer mehr zurück; eifrig wurden die Orakel eingeholt, und ständig wuchs, im Gegensatz zu der Geringschätzung, mit der der anständige Mann auf diese Verzückten und Verrückten herabblickte, [294] das Ansehn der Prophetenscharen; am Hofe von Israel sollten sich, nach den Erzählungen aus dieser Zeit, nicht weniger als 400 zusammengefunden haben, die der König bei jedem Unternehmen um Rat fragt. Tiefer empfindende Naturen suchten die Schuld des Grolls der Gottheit in Israel selbst: es hatte die Lebensformen und Anschauungen verlassen, unter denen es den Segen Jahwes genossen hatte; mit der modernen Kultur ist das Verderben gekommen. Rückkehr zu den schlichten Sitten der Vorzeit, zu den Formen, unter denen die Ahnen lebten, ist die Forderung, die hier im Namen Jahwes gestellt wird.

Die Empfindung für die zersetzende, die Grundlagen ihrer Kraft und ihrer Erfolge untergrabende Wirkung der seßhaften Kultur tritt bei den Beduinenstämmen, die erobernd in ein Kulturland eingedrungen sind, häufig hervor. Ganz lebendig ist sie bei den Arabern der Zeit Mohammeds und der ersten Kalifen. Von den Nabataeern, die sich zu Beginn der Perserzeit im alten Edomiterlande, dem petraeischen Arabien, festgesetzt haben, berichtet Hieronymos von Kardia im Jahre 312 als Augenzeuge646: »sie leben unter freiem Himmel; ihr Gesetz gebietet, weder Korn zu säen noch eine fruchttragende Pflanze zu pflanzen noch Wein zu trinken noch ein Haus zu bauen; wer dagegen handelt, wird mit dem Tode bestraft.« Nahezu wörtlich das gleiche hören wir ein halbes Jahrtausend früher von dem qainitischen Geschlecht der bnê Rekab; sie befolgen die Gebote ihres »Vaters« Jonadab ben Rekab, »keinen Wein zu trinken, kein Haus zu bauen, keine Saat zu säen, keinen Weinberg zu pflanzen noch zu besitzen; sondern in Zelten sollt ihr wohnen euer Leben lang, auf daß ihr lange lebt auf dem Erdboden, auf dem ihr Beisassen seid«647. Dieser Jonadab ist eine geschichtliche Persönlichkeit; er hat mitgewirkt bei der religiösen Revolution, in der Jehu 841 die Dynastie 'Omris stürzte. Das zeigt zugleich, daß [295] er versucht hat, in Israel zu wirken648. Bei Jeremia erscheint er als die geschichtlich bedeutsamste Gestalt der Genossenschaft, als Urheber ihrer Gebote; in Wirklichkeit sind sie natürlich weit älter und nichts als die Festhaltung der Lebensweise, die der Stamm Qain, ein Zweig der 'Amaleqiter, in der Wüste geführt hatte.

Die Anschauung, daß der Wein der alten Sitte fremd ist und sich mit dem echten Jahwe nicht verträgt, hat sich auch sonst in Israel erhalten: Leute, die sich als »Geweihte« (nazîr) dem Jahwe ganz zu eigen geben oder ihm schon als Knaben geschenkt sind, dürfen nie einen Tropfen Wein oder sonst einen Rauschtrunk über die Lippen bringen – ein Gebot, das dann Mohammed allen Gläubigen auferlegt hat –, und ebensowenig darf ein Schermesser an ihr Haupthaar kommen – gleichfalls die Festhaltung der altsemitischen Beduinensitte649. Für die Masse des Volks dagegen ist der Wein eine der großen Segensgaben Jahwes, wie der Acker und alle Kulturgüter.

Wie stark die Traditionen der Halbnomaden des äußersten Südens auf die Anschauungen des Gesamtvolks eingewirkt haben, zeigt die Gestalt, in der die Sagen über die Vorväter des Volks auf uns gekommen sind. Nur dadurch erklärt es sich, daß zwei im äußersten Süden heimische Sagengestalten, die an sich mit Israel garnichts zu tun haben, zu Ahnherrn des Volks geworden sind, Jiṣchâq (Isaak), das Numen (dod) der Oase von Be'eršeba'650, [296] und Abraham (nebst Saraj), der in Chebron am Gottesbaum Mamre' sitzt. Neben Isaak steht als sein älterer Bruder der Beduinenstamm Jišma'-el, an ihn selbst wird weiter der Heros Jakob angeschlossen, den die Israeliten von den Kana'anaeern übernommen und sich angeeignet haben (o. S. 178). Mit ihm verbunden ist sein feindlicher Bruder 'Esau, der Usôos der Phoeniker; jetzt werden die beiden zu Vertretern Israels und Edoms – in den Erzählungen nehmen sie auch die Namen der beiden Völker an –, und Jakob gelingt es, den ältern Bruder um sein Erstgeburtsrecht zu betrügen. Darin tritt der maßgebende Einfluß Judas auf die Sagengestaltung deutlich hervor; denn in Wirklichkeit ist es nicht Israel, sondern Juda, der Edom den Rang abläuft und es knechtet.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/2, S. 291-297.
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