Beurteilungen der älteren Geschichte.

Samuel. Der Elohist

[353] In ähnlicher Weise ist auch die Überlieferung über die Vergangenheit immer wieder umgestaltet worden mit der Tendenz, an Stelle der politischen Faktoren die religiösen als maßgebend zu erweisen. Hierher gehört die Umwandlung des Samuel, des Wahrsagers, der in den volkstümlichen Erzählungen über Saul diesem das Königtum verkündete, zur beherrschenden Gestalt seiner Zeit, der dann ihn verwerfen muß, weil er den 'Amaleqiterkönig Agag und das erbeutete Vieh nicht vor Jahwe geopfert hat – dadurch wird religiös motiviert, daß Sauls Königtum keinen Bestand gehabt hat – und sich trauernd von ihm zurückzieht; vergeblich beschwört Saul in der letzten Not des Philisterkrieges durch die Hexe von 'Endor den Geist des Toten, um durch ihn Rettung zu erhalten785. Diese Erzählungen sind Einlagen in das ältere Geschichtswerk, das dadurch vielfach gänzlich zerstört worden ist; gleichartig ist z.B. die Umwandlung Gideons in einen Knaben, dem Jahwe erscheint und den er zum Krieg gegen die Midianiter entsendet. Daß in derselben Weise das Werk des Jahwisten immer wieder überarbeitet und erweitert worden ist, wurde schon erwähnt, und ebenso, daß ihm ein zweites Werk ephraimitischen Ursprungs, das des Elohisten, zur Seite getreten ist, das durchweg von ihm abhängig ist, aber es vielfach variiert und durch weitere Erzählungen ergänzt. Dabei tritt die Fortentwicklung der religiösen Anschauungen deutlich hervor; der Verfasser empfindet Skrupel und korrigiert, wo nach den alten Erzählungen Jahwe ganz parteiisch auftritt und ebensowenig wie seine Helden vor Betrug zurückscheut. Sein[353] Werk ist viel theologischer gefärbt, aber eben darum auch viel weniger poetisch. Seine Anschauung vom Wesen der Gottheit gelangt am deutlichsten in der berühmten Antwort zum Ausdruck, die Jahwe dem Moses gibt, als dieser ihn, den er bisher nur als Gott (Elohîm) kennt, bei seiner Entsendung zur Befreiung des Volkes nach seinem Eigennamen fragt: »Ich bin der ich bin; so sollst du den Israeliten sagen: Bin (Ehje) hat mich zu euch gesandt« – aus Ehje, so ist die Meinung, sei dann Jahwe geworden. Zugrunde liegt der überall verbreitete Glaube an die Zauberkraft des streng geheim gehaltenen Namens der Gottheit, den dann z.B. die magischen Texte der Ägypter durch sinnlose Zusammenstellungen von Buchstaben zu ergründen suchen; dem von ihm aus der Masse der Völker zu seinem Dienst auserwählten Volke Israel offenbart jetzt der bis dahin anonyme Gott diesen Namen durch Moses786. Zugleich aber, und darin gelangt die gewaltige Vertiefung der religiösen Anschauung zum Ausdruck, wird der Sinn dieses Namens umgewandelt: die universelle, die Geschicke der Welt beherrschende Gottheit, die Israel in seinen Ahnen berufen hat und ihm jetzt durch Moses seinen Willen offenbart, ist zwar eine scharf individuelle Persönlichkeit, aber ihr Wesen kann nicht, wie das eines Menschen, in einem Eigennamen erfaßt werden, sondern das einzige, was von ihr ausgesagt werden kann, ist das, worauf es aller Religion allein ankommt, ihre Existenz: »ich bin«.

Dieser Gott fordert, wie er das am Gottesberg aus gesprochen hat, unbedingte Befolgung seiner Gebote; jede menschliche Rücksicht, jede kluge Erwägung der Politik hat sich dem unterzuordnen, und jeden ungehorsam wird er bestrafen, wie sich das am Schicksal Sauls gezeigt hat. »Hat Jahwe Gefallen an Brandopfern und Schlachtopfern wie am Gehorsam gegen seine Stimme?« hält Samuel diesem entgegen, als er das Vieh der 'Amaleqiter verschont hat; »Gehorsam ist besser als Opfer, Aufmerken besser als Fett von Widdern. Denn Widerspenstigkeit [354] ist (gleich) Sünde des Wahrsagens, Auflehnung Greuel der Teraphîm; weil du Jahwes Wort verworfen hast, wird er dich verwerfen als König«. Für die von der religiösen Bewegung Ergriffenen sind diese Gebote enthalten in den Satzungen, die im Bundesbuch zusammengefaßt sind: ethisch die Befolgung des richtigen Rechts und das sittliche Verhalten gegen die Volksgenossen im Gegensatz zu dem allgemein herrschenden Eigennutz und der Gewalttätigkeit und Erpressung, kultisch in der in der Praxis freilich ganz unausführbaren Forderung der Beseitigung der Gottesbilder, die ja doch nichts anderes sind als lokale Dämonone, Ba'ale, die man dem reinen Gotte zur Seite stellt.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/2, S. 353-355.
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