Das Reich Urarṭu. Der Niedergang Assyriens

[418] Unter Salmanassar IV. (782-772) treten an ihre Stelle in den Jahren 781-778. 776. 774 Züge nach Urarṭu. Dieser Name, im AT. Araraṭ (Αραρατ) vokalisiert, bei den Griechen Ἀλαρόδιοι, ist uns früher schon wiederholt als ein Bezirk der Nairiländer begegnet918. Dann hat Salmanassar III. den König Arame von Urarṭu bekriegt und seine Stadt Arzaskun erobert. Im Jahre 831 bekämpft dann sein Feldherr den Šeduri von Urarṣu. Diesen Gegner kennen wir aus seinen Denkmälern als Šarduri919, Sohn des Lutipri, König von Nairi; er ist der Erbauer einer Burg am Felsen von Wan, am Ostufer des Sees, auf deren Steinblöcke[418] er dreimal seine Inschrift gesetzt hat. Er schreibt assyrisch und hat die renommistischen Titel und Beiworte der assyrischen Großkönige sich selbst beigelegt: »der große und mächtige König, der König der Volksmenge (sar kissati), der König der nicht seinesgleichen hat, der den Widerstand nicht fürchtet, der die Unbotmäßigen unterwirft, der König der Könige, von denen allen ich Tribut empfangen habe«. Diese Phrasen geben denen seines assyrischen Gegners an Ruhmredigkeit nichts nach; aber sie zeigen, wie die Angriffe der Assyrer unter einem kräftigen Herrscher zur Entstehung einer größeren, widerstandsfähigen Macht geführt haben. Als diesen Reichsgründer werden wir Sardur betrachten dürfen; ob sein Vater Lutipri ihm schon vorangegangen ist und in welchen Beziehungen er zu Arame gestanden haben mag, darüber fehlen alle Zeugnisse.

Den Mittelpunkt seines Reichs bildet der Burgfelsen der Stadt Tuspâ (bei den Assyrern Ṭuruspâ geschrieben, griechisch Θωσπία, jetzt als Landschaftsname Tosp), des heutigen Wan. Von diesem Gebiet mag ursprünglich der Name Urarṭu ausgegangen sein; in den einheimischen Inschriften freilich kommt er nie vor, sondern die Könige nennen ihr Reich Biaina920. Daß aber Urarṭu auch Volksname ist oder geworden ist, zeigt der Name der Alarodier in der ostarmenischen Satrapie des Perserreichs921. Ihre Sprache ist uns durch die zahlreichen Inschriften ihrer Könige einigermaßen bekannt geworden922. Als ihr Hauptgott[419] erscheint durchweg Chaldi, »der Herr«, als dessen Krieger Könige und Volk gelten. Dieser Name klingt an an den des Volks der Chalder923 in den pontischen Gebirgen, und so ist die Annahme vielfach vertreten, dies sei auch der eigentliche Name des in Urarṭu herrschenden Volks gewesen, so daß wie in Assur das Volk und sein Gott den gleichen Namen geführt hätten. Ein gesicherter Nachweis aus den Inschriften ist jedoch bisher nicht gewonnen, so daß hier Zurückhaltung geboten erscheint. – Neben Chaldi steht der Gewittergott, dessen Name Têisba924 den Zusammenhang mit dem charrisch-chetitischen Kulturkreis erkennen läßt. Dazu tritt als dritter der Sonnengott. Mit Sardurs Sohn Ispuini beginnen die Inschriften in einheimischer Sprache, für deren Schreibung, wie früher beim Chetitischen, außer den gewöhnlichsten Ideogrammen fast nur die einfachsten Silbenzeichen der assyrischen Keilschrift verwendet werden. Ispuini und sein alsbald zum Mitregenten erhobener Sohn Menua haben ihr Reich nach allen Richtungen erweitert. Vor allem haben sie im Gebirgsland hinter Arbela die Stadt Muṣaṣir925 besetzt, hier dem Chaldi einen Tempel und ein großes Opferfest gestiftet und auf der Höhe des Kelišinpasses, über den der Weg zum Urmiasee hinabführt, eine Gedächtnisstele mit urarṭaeischer und assyrischer Inschrift errichtet926. Das war [420] der Gegenstoß gegen den Vorstoß, den Dâjan-assur im Jahre 828, eben in dem Jahre, in dem der Aufstand gegen Salmanassar III. ausbrach, gegen Muṣaṣir unternommen hatte927. Dann hat unter Samsiadad V. im Jahre 821 sein General Mutarriṣ-assur auf dem Feldzug gegen Nairi, auf dem er, offenbar im Euphratgebiet, gegen das Schwarze Meer vordrang, nach dem Bericht des Königs auch dem Ispuini (hier Uspina geschrieben), 200 Ortschaften ausgeplündert und zerstört (o. S. 413). Indessen der Kern des Reichs Urarṭu ist davon offenbar nicht berührt worden, und auch Adadnirari III. ist bei seinem Feldzug gegen die Stämme im Osten, auf dem er seine Oberhoheit bis zum Kaspischen Meer ausdehnte, trotz seines Rühmens, ganz Nairi unterworfen zu haben, dem Reich Urarṭu offenbar aus dem Wege gegangen. Vielmehr hat eben in dieser Zeit Menua zunächst als Mitregent, dann als Nachfolger seines Vaters dies Reich wesentlich erweitert. Inschriften von ihm sind in großer Zahl erhalten nicht nur in Wan und in der Umgebung des Sees, sondern auch bei Melazgerd, Muš, Palu am Arsanias, weiter im Nordosten am Südufer des Araxes auf der Felswand, mit der die Vorhöhen des Ararat an den Fluß treten. Seine Inschriften berichten mehrfach von Kriegen mit den Mannaeern, dem auch von Salmanassar III. und seinen Nachfolgern schon bekämpften Volksstamm, dessen Mittelpunkt in der fruchtbaren Ebene im Süden des Urmiasees liegt; und hier haben sich auch auf dem Felsen Taštepe Reste einer Inschrift des Menua erhalten928. Andere Texte erwähnen Siege über den König von Melidja [421] (Melitene) und über die Chetiter sowie über das Land Alzi (o. S. 363); man erkennt, daß er hier ganz wie die Assyrerkönige, so zuletzt Adadnirari III. 805-802, seine Macht vom Arsanias aus über das Gebiet am Euphratknie nach Kleinasien und Nordsyrien auszudehnen suchte. Eben in die Zeit Adadniraris III. werden diese Erfolge fallen, der Zug Adadniraris nach dem Orontesgebiet im Jahre 796 wird die Sicherung der dortigen Vasallenstaaten gegen sein Vordringen bezweckt haben. Seine Erfolge gaben Menua die Mittel, die Hauptstadt Wan weiter auszubauen und vor allem durch eine große Wasserleitung, die noch jetzt als Semiramiskanal in vollem Betriebe ist929, ihre Wasserversorgung zu sichern, zu der das salzige Wasser des Sees unbrauchbar ist. Dazu kommen mehrere Burgen und Paläste im Lande; eine große Inschrift in Wan setzte die Zahl der Opfertiere fest (meist ein Rind, zwei Schafe), die für jeden aus der fast unabsehbaren Reihe der Götter geliefert werden sollen, die im Gefolge des Chaldi das Pantheon des Volkes und seiner Städte bilden.

Menuas Sohn Argisti I. hat das Werk seines Vaters fortgesetzt; er hat, wie mehrere in diesen Gebieten erhaltene Inschriften bezeugen, die fruchtbare Landschaft am Araxes und das angrenzende Gebirgsland um den See von Eriwan (Gôktšasee) bis zum Kur hin dem Reich einverleibt. Aus seinen am Felsen von Wan eingegrabenen Annalen erfahren wir von seinen Kämpfen gegen die Mannaeer, die Assyrer und die Chetiter sowie Melidja. Gegen ihn waren offenbar die zahlreichen Züge Salmanassars IV. nach Urarṭu gerichtet, die schwerlich viel Erfolg gehabt haben. Dann ist er in den Jahren 775 sowie 774. 773 noch einmal wieder »nach dem Zederngebirge, nach Damaskus, nach Chazrik« gezogen und wird dadurch die Oberhoheit über Syrien vorübergehend wiederhergestellt haben.

Salmanassar IV. hat diesen Feldzug nicht überlebt. Sein Nachfolger Assurdân III. wird, falls er sein Sohn war, noch in ganz jungen Jahren gestanden haben; die eigentliche Leitung [422] der Regierung und der Politik des Reichs hat offenbar in dieser ganzen Zeit, von Salmanassar IV. bis zur Katastrophe von 745, in den Händen des Feldmarschalls Samsilu gelegen930. Unter Assurdân III. vermerkt die Eponymenchronik ein paar Feldzüge in den Landschaften im Südosten931 sowie 766 gegen die Meder und 765 wieder gegen Chazrik, bei dem, wie so oft, eine Pest ausbricht. In den Jahren 768 und 764 bleibt er »im Lande«. Im nächsten Jahr932 kommt es dann zu einem Aufstand in Assur, der sich weiter über Arrapcha im Osten und Guzana in Mesopotamien verbreitet und erst nach fünf Jahren 758 unterdrückt wird. Darauf bleibt der König ein paar Jahre im Lande; erst 755 und 754 zieht er wieder nach Nordsyrien gegen Chazrik und Arpad. Auf diesem Feldzug scheint er gestorben zu sein933; sein Nachfolger Assurnirari V. (754-745) war nach einer Angabe in einer Inschrift des Königs Sardur II. ein Sohn des Adadnirari III.934, also sein Großoheim. Auch er ist fast seine ganze Regierung hindurch ruhig »im Lande« geblieben; nur zu den Jahren 749 und 748 wird ein Zug nach Namri (in den östlichen Gebirgen am Diâla) erwahnt.

Diese Angaben lassen den vollen Verfall des assyrischen Königshauses deutlich erkennen. Der kriegerische Geist der Vorfahren war gewichen, ruhmreiche Taten waren nicht mehr aufzuweisen; es ist doch nicht nur Zufall, daß von den letzten [423] drei Königen der Dynastie weder Inschriften noch Bauten erhalten sind. Da mag es Mißregiment und Günstlingswirtschaft mit Haremsintrigen genug gegeben haben; und dazu kamen, wie immer in solchen Fällen, die Rivalitäten ehrgeiziger und skrupelloser Offiziere und Beamten, aus denen die langjährigen Aufstände wie früher gegen Salmanassar III. so dann unter Assurdân III. das Reich erschütterten und verheerten.

So begreift es sich, daß Argistis Sohn Sardur II. die Kriege seines Vaters erfolgreich weiter fortführen konnte935. Als seinen assyrischen Gegner nennt er den Assurnirari V.; dazu kommen auch bei ihm Siege über die Mannaeer. Daß er die Herrschaft über das Araxesgebiet behauptete, zeigen mehrere hier erhaltene Inschriften. Vor allem bedeutsam ist aber, daß er wie Melidja so auch den König Kustaspi von Kummuch zur Unterwerfung und reicher Tributzahlung gezwungen hat936. Das hatte zur Folge, daß auch die benachbarten Dynasten die Beziehungen zu Assyrien abbrachen und zu Sardur übertraten, so vor allem Mati'ilu von Bet-Agûši, der kurz vorher noch dem Assurnirari Treue geschworen hatte937. So scheint das Reich Urarṭu im Begriff, die Könige von Assur aus ihrer Vormachtstellung zu verdrängen. Es hätte vielleicht ein wirklicher Kulturstaat werden können, denn den energischen Herrschern hat es offenbar auch an Intelligenz nicht gefehlt; eine Anlage wie der große Kanalbau des Menua bei Wan zeigt weiten Blick und hervorragendes technisches Geschick. Im übrigen gehn sie natürlich ganz nach assyrischem Muster vor: ein Gau nach dem andern wird verheert, [424] die Burgen zerstört, die Ortschaften verbrannt und dafür Zwingburgen angelegt, gewaltige Massen der Bevölkerung, soweit sie nicht niedergemetzelt sind, werden fortgeführt; dazu kommt die übliche Beute an Vieh und Metall. Die Metallarbeit ist in dem Lande, dessen Berge reiche Ausbeute an Kupfer und Eisen liefern, stark entwickelt; dem entsprechen die Weihgeschenke und Statuen aus Kupferguß, wie sie z.B. in Muṣaṣir für Chaldi aufgestellt wurden (o. S. 420, 4, eine Statue des Argisti). Die Königsinschriften über Kriege, Bauten und Götterfeste folgen durchweg dem assyrischen Vorbilde, ebenso wie die Titulaturen der Könige und ihre Stellung zum Nationalgott Chaldi von dort entlehnt sind, nur sind sie, soweit wir urteilen können, noch monotoner und geistloser als jene; das Reich steht eben, in derselben Weise wie so manche der syrischen Kleinstaaten, noch in den Anfangsstadien seiner kulturellen Gestaltung.

Diese Entwicklung ist jäh unterbrochen worden, als das Mißregiment in Assyrien zu einem neuen Aufstand in Kalach führte, der offenbar von der über die kraftlose äußere Politik entrüsteten Militärpartei ausgegangen ist. Am 13. Ijar (April) 745 hat der siegreiche Führer der Empörung den Thron bestiegen und den ruhmreichen Namen Tiglatpileser angenommen, der zugleich das Programm der neuen Regierung ankündigte.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/2, S. 418-425.
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