Wiedererstarken Assyriens. Assurnaṣirpal II.

[396] Nach einer Unterbrechung von anderthalb Jahrhunderten setzen die geschichtlichen Berichte der Assyrerkönige wieder ein mit einer nur in Bruchstücken erhaltenen Inschrift Assurdâns II. (932-912), des Sohnes Tiglatpilesers II886. Seine Kriegszüge richteten sich, wie üblich, gegen die das Land verheerenden Gebirgsstämme im Osten und gegen die Aramaeer im Nordwesten. Auch Kudmuch wurde wieder einmal unterworfen, sein König in seinem Palaste gefangen und ihm in Arbela die Haut [396] abgezogen, ein Vasallenfürst an seine Stelle gesetzt. Weiter rühmt er, er habe der im Lande herrschenden Hungersnot und Verödung ein Ende gemacht, die ausgewanderten Einwohner zurückgeführt, Getreidemagazine angelegt, den Bestand an Streitrossen gemehrt – man sieht, wie sehr das Reich inzwischen heruntergekommen war. Dazu kommen, wie üblich, die Zahlen der auf seinen Jagden erlegten Löwen (120), Wildstiere (1600) und Elefanten (56) und ein Bericht über den Neubau seines Palastes in Assur.

Sein Sohn Adadnirari II. (911-890) hat das Werk des Vaters fortgesetzt887. Zu Anfang hat er unter den Qumanaeern (o. S. 379) wieder einmal ein großes Blutbad angerichtet und mehrere Gebirgskantone, darunter Kudmuch, zur Provinz gemacht, ebenso in vier Feldzügen die Grenzbezirke der Nairilande (Armenien) mit Einschluß von Alzi am Euphratknie. In den Jahren 895 und 894 hat er diese Feldzüge wiederholt und dabei die Stadt Kumme und ihren Gott Hadad gegen die Angriffe der Bergstämme geschirmt.

Dazwischen hat er den Krieg gegen Babylonien erfolgreich wieder aufgenommen. König Šamašmudammiq wurde am Berge Jalman (Gebel Chamrîn), und nach seinem Tode sein Nachfolger Nabušumukin I. geschlagen. Er mußte so ziemlich das ganze Gebiet östlich vom Tigris bis nach Dêr (Dûr-ilu) hinunter, einschließlich der Berglandschaften Lubdu, Lachiru, Arrapcha im Bereich des 'Aḍêm und Diâla dem Sieger überlassen und den Friedensvertrag durch ein Ehebündnis bekräftigen888.

Nachdem so das Tigrisgebiet im ganzen Umkreis bis ans babylonische Tiefland hinab unterworfen war und auch der Statthalter des Euphrattals von Šuach seine Tributzahlung [397] wieder geleistet hatte889, hat er die Unterwerfung der Aramaeer des Ṭûr 'Abdîn (Kašijar, Masios), des Gebirgslandes im Süden der Ebene am oberen Tigris890, systematisch in Angriff genommen. In den sechs Jahren 901-896 ist er Jahr für Jahr gegen sie gezogen und hat in mühseligem Kleinkrieg die Dynasten, die als Temanaeer bezeichnet werden, der Reihe nach bezwungen; ihre festen Städte, so Gidara oder Ratammat (o. S. 392) wurden zum Teil nach regelrechter Belagerung und Einschließung durch einen tief im Felsboden ausgehobenen Graben erstürmt. Schließlich ist dadurch auch sein Hauptgegner Nuradad in Nisibis bezwungen worden. Adadnirari hat ihn und seine Leute ganz gegen die sonstige assyrische Art milde behandelt und sie in assyrischen Ortschaften, so in Ninive, angesiedelt.

In diesen Kämpfen ist die Unterwerfung des Ṭûr 'Abdîn im wesentlichen vollendet worden, wenn auch die folgenden Könige hier noch immer wieder eingreifen mußten. Der Eindruck auf die Kleinstaaten zeigt sich darin, daß im Jahre 899 der Dynast von Bet-Adin (o. S. 370. 392, 3) ihm zwei seltene Fische als Naturwunder zusandte. Im Jahre 894 hat er die Organisation der Provinz voll durchgeführt und ist dann am Chaboras von seiner Quelle bis zur Mündung in den Euphrat hinabgezogen. Von diesem Zug891 hat er eine ganz ausführliche Darstellung mit Aufzählung aller Nachtquartiere gegeben. Widerstand hat er nirgends gefunden, vielmehr wurde ihm überall Tribut gezahlt, so von Abišalam, Sohn des (d.h. aus dem Geschlecht) Bachiani von Guzân (Tell Chalâf), von Amel-adad von Qatni (bei 'Arabân), von Bar-atar892 aus dem Stamm Chadippê mit der Stadt Sûru [398] am Chaboras sowie anderen Dynasten an der Chaborasmündung, schließlich von Chindâni weiter abwärts am Euphrat. Damit war die Verbindung mit der Provinz Šuach hergestellt.

Einige Jahre später, im Jahre 884, hat sein Sohn Tugultininurta II. (889-884) denselben Zug in umgekehrter Richtung ausgeführt893. Er zog von Assur aus durch die Wüste, zum Teil am Fluß Tartar, dem Wadi der mesopotamischen Steppe, das noch jetzt denselben Namen trägt, entlang, ohne Widerstand zu finden, bis an die Grenze Babyloniens bei Dûr-Kurigalzu (Akkerkuf) und von da nach Sippara am Euphrat; beide Städte müssen also zu dem von Nabušumukin an Assyrien abgetretenen Gebiet gehört haben. Von hier aus ist er dann den Euphrat und den Chaboras bis nach Nisibis hinaufgezogen und hat überall die Tribute eingeheimst. – Sonst enthalten die Reste seiner Annalen noch einige Angaben über Feldzüge gegen die Gebirgslande in Nairi und im Osten und dazu, wie die seines Vaters, die üblichen Berichte über Jagden und Bauten.

Auf Tugultininurta II. folgt sein Sohn Assurnaṣirpal II. (883-859). Er ist der grausigste aller assyrischen Herrscher und wohl die fürchterlichste Gestalt, von der die Weltgeschichte überhaupt Kunde bewahrt. Alle Assyrerkönige haben ihre Herrschaft durch Ströme von Blut begründet und geben ihrer Freude am ununterbrochenen Gemetzel und am Niederbrennen der eroberten Ortschaften noch weit kräftigeren Ausdruck als z.B. die Pharaonen; aber in raffinierter Grausamkeit kommt Assurnaṣirpal doch kein anderer gleich. Das bloße Niedermetzeln der Besiegten und die Errichtung von Pfeilern und Pyramiden aus ihren Köpfen, wie bei den Mongolen, ist das wenigste; seine Freude ist, sie zu pfählen, lebend einzumauern, ihnen die Augen auszustechen, Hände, Finger, Nasen und Ohren abzuschneiden, sie und vor allem ihre Knaben und Mädchen zu verbrennen; ganz besonders aber, nicht nur den besiegten Häuptlingen, sondern auch Scharen ihrer Leute ganz methodisch die Haut abzuziehen und sie dann auf den Mauern ihrer eigenen oder der [399] assyrischen Städte auszubreiten – in den Reliefs seines Palastes in Kalach wird das alles eingehend dargestellt. Dem entspricht es, daß der Gott, dem er vor allem zugetan war, der schreckliche Ninurta ist, der stürmische, erbarmungslose Jäger und Krieger; ihm hat er seine große Annaleninschrift gewidmet.

Auf diese Weise hat er in den ersten sechs Jahren seiner Regierung (883-878), über die er einen ausführlichen Bericht gibt, die alten Kriegsschauplätze in den Gebirgen des Ostens und Nordens, im Kašijargebirge und in Mesopotamien Jahr für Jahr verwüstend und massakrierend heimgesucht, die Tribute erhoben, im Jahre 883 einen Aufstand in Sûru in Bet-Chadippê (o. S. 398f.), wo sich ein Eindringling aus Bet-'Edin (o. S. 370) zum König gemacht hatte894, grausam bestraft. Im Jahre 882 wurde ein Aufstand im Kašijar, wo die von Salmanassar I. hier angesiedelten Assyrer sich unter ihrem Statthalter empört hatten, niedergeworfen und die Stadt Tušchan am oberen Tigris zerstört und als königliche Festung neu aufgebaut. In den Jahren 881 und 880 wurde im Anschluß an das schon früher unterworfene Gebirgsland Kirruri am oberen Zab das Land Zamua vom unteren Zab bis zum 'Aḍêm gründlich verwüstet und unterworfen. Im Jahre 882 bequemte sich der bis dahin halb unabhängige Statthalter von Šuach am Euphrat, seinen Tribut und seine Söhne persönlich nach Ninive zu überbringen. Im Jahre 878 wurde ein Versuch des Königs Nabubaliddin von Babel (885-852), in einem anderen Sûru am Euphrat Fuß zu fassen, zurückgewiesen; die Stadt Sippara jedoch hat Assurnaṣirpal ihm überlassen müssen895.

In diesen sechs Jahren hat er, wenn seinen Angaben nur einigermaßen zu trauen ist, mindestens etwa 25000 Menschen [400] umgebracht und viele Hunderte von Ortschaften niedergebrannt und von Grund aus zerstört896. Durch diese Kriegführung ist aber das so lange erstrebte Ziel, mit Ausnahme von Bet-'Edin die gesamten Landschaften vom Euphrat bis zu den Randgebirgen jenseits des Tigris und bis zur babylonischen Grenze zu einem einheitlichen Assyrerreich zusammenzuschweißen, wirklich erreicht worden, wenn es auch in der Folgezeit noch wieder zu vereinzelten Kämpfen und Aufständen gekommen ist. Die schon von seinen Vorgängern begründete Organisation ist von Assurnaṣirpal voll durchgeführt. Alle Untertanen haben Abgaben und Frondienste zu leisten, deren Satz vielfach erhöht wird. Das gesamte Reichsgebiet zerfällt in zahlreiche kleine Bezirke mit städtischem Mittelpunkt, die von Distriktsvorstehern (uraši) und Fronvögten (zabil kudurri) verwaltet werden und wieder zu größeren Provinzen zusammengeschlossen sind; diese sind den Statthaltern (saknu) unterstellt, die zu den höchsten Beamten des Reichs gehören und der Reihe nach die Ehrenstellung des Eponymats von Assur bekleiden897.

Neben der Beamtenschaft steht die starke Armee mit ihren Offizieren, die offenbar von Assurnaṣirpal weiter ausgebildet ist. Zu beachten ist, daß unter ihm neben den Kriegswagen auch Reiter erscheinen, die aber erst in der Folgezeit stärker hervortreten. Ganz primitiv erscheinen noch die Flußübergänge. Dagegen ist die Belagerungstechnik gut entwickelt; ein Relief zeigt den Mauerbrecher, einen starken, mit Metall beschlagenen [401] Rammbalken, der, gedeckt durch einen beweglichen Belagerungsturm, auf dem Pfeilschützen stehn, an die feindliche Mauer herangeführt wird und sie zersprengt.

Auch innerlich das Reich auszubauen und zu festigen ist Assurnaṣirpal bemüht gewesen. Die Stadt Tušchan am oberen Tigris hat er als starke Festung wieder aufgebaut, mit einem Königspalast, und in eigenen Besitz genommen, also aus dem Schema der Provinzialverwaltung eximiert; die verarmte assyrische Landbevölkerung der Nachbargebiete, die unter dem Druck der verheerenden Kriege und der Hungersnot in die nördlichen Gebirge ausgewandert war, hat er zurückgeführt und hier angesiedelt. In derselben Weise wurde in Zamua die ehemals von Babylonien aus hier angelegte, längst verfallene Stadt Atlila unter dem Namen Dûr-assur wiederhergestellt. Vor allem aber hat er sich in Kalach am Ostufer des Tigris eine neue Residenz erbaut. Die offizielle Hauptstadt blieb nach wie vor Assur, deren Namen zugleich der Reichsgott und sein Volk trug. Aber mehr und mehr hatte sich infolge des Vordringens gegen die Gebirge und Ebenen im Nordosten der Schwerpunkt in die fruchtbaren Gebiete östlich vom Tigris verschoben, wo die ansehnlichen Städte Ninive und Arbela (die »Viergötterstadt«), die Hauptsitze der hier durchaus als Kriegsgöttin verehrten Ištar, seit dem Niedergang des Mitanireichs zum Assyrerreich gehörten. Schon die letzten Vorgänger Assurnaṣirpals haben in der Regel in Ninive residiert und sind von hier in den Krieg gezogen, und ebenso er selbst in seinen ersten Jahren. Dann aber hat er die weiter südlich, oberhalb der Mündung des großen Zab, gelegene Stadt Kalach zu seiner Residenz ausersehn. Die Stadt war früher schon von Salmanassar II. (1028-1017) angelegt worden, aber wieder verfallen; jetzt hat Assurnaṣirpal sie auf einer weiten rechteckigen Aufschüttung neu aufgebaut, mit bis zum Grundwasser hinabgeführten Fundamenten, und in ihr sich einen großen Palast angelegt (den Nordwestpalast von Nimrud). Das Wasser wurde durch einen Kanal vom Zab aus zugeführt. In der Stadt erbaute er außer Tempeln für die schon früher hier ansässigen Gottheiten, darunter Ištar, einen Tempel für seinen

[402] Schutzgott Ninurta, in dem er ein goldüberzogenes Steinbild des Gottes aufstellte, dessen Gestalt er selbst angegeben hatte. In der Nachbarschaft hat er dann noch die Stadt Imgurbel (Balawat) erbaut. Zu den Bauten sind Scharen von Gefangenen verwendet worden; außerdem hat er auch in der Folgezeit Scharen von Besiegten aus Mesopotamien und Nordsyrien wiederholt nach Kalach überführt, wohl durchweg Aramaeer; so hat sich die aramaeische Sprache in der Bevölkerung des Reichs immer weiter verbreitet.

Die folgenden Jahre scheint Assurnaṣirpal im wesentlichen dieser Tätigkeit gewidmet zu haben; seine Annalen berichten nur noch, meist ohne Datierung, von wenigen Kriegszügen, so gegen einen Aufstand in Laqê (Hauptstadt Chindâni) und Šuach, gegen Bet-'Edin, dessen König Achuni Tribut zahlte und von wo er 2400 Mann nach Kalach überführte, und dann weiter gegen Syrien. Die Mannschaften schwammen, wie das in einem Relief dargestellt ist, auf aufgeblasenen Häuten über den Euphrat; für die Streitwagen wurden Lederkähne benutzt. Der Chetiterkönig Sangara von Karkemiš zahlte einen schweren Tribut und verpflichtete sich zur Heeresfolge, ebenso Lubarna von Chattin und der Häuptling von Agûši. So gelangte er bis an die Libanonküste, und hier hat er von allen Phoenikerstädten Gaben in Metall, Kleidern, Holz und Elfenbein sowie, ähnlich wie Tiglatpileser I., ein paar Meerungeheuer erhalten. Dauernde Erfolge hat er so wenig erreicht wie dieser; im wesentlichen war es ein Erpressungszug, und das Hauptziel war auch diesmal, Bauholz vom Amanos für seine Tempel zu holen.

Aus dem Jahre 866 erfahren wir dann noch von einem Zug an den oberen Tigris, auf dem auch der König Qatazilu von Kummuch Tribut zahlte. Auch hier wurde in den Gebirgsländern in üblicher Weise gewütet, rings um die Stadt Amedi (Amida am Tigris, jetzt Diârbekr) wurden die Gefangenen gepfählt und Kopfpyramiden aufgerichtet, ebenso bei einer Stadt im Kašijargebiet.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/2, S. 396-403.
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