Kapitel XIII

Glaube und Sitte

[861] In strenger Bedingtheit verfloß dem Römer das Leben und je vornehmer er war, desto weniger war er ein freier Mann. Die allmächtige Sitte bannte ihn in einen engen Kreis des Denkens und Handelns und streng und ernst oder, um die bezeichnenden lateinischen Ausdrücke zu brauchen, traurig und schwer gelebt zu haben war sein Ruhm. Keiner hatte mehr und keiner weniger zu tun als sein Haus in guter Zucht zu halten und in Gemeindeangelegenheiten mit Tat und Rat seinen Mann zu stehen. Indem aber der einzelne nichts sein wollte noch sein konnte als ein Glied der Gemeinde, ward der Ruhm und die Macht der Gemeinde auch von jedem einzelnen Bürger als persönlicher Besitz empfunden und ging zugleich mit dem Namen und dem Hof auf die Nachfahren über; und wie also ein Geschlecht nach dem andern in die Gruft gelegt ward und jedes folgende zu dem alten Ehrenbestande neuen Erwerb häufte, schwoll das Gesamtgefühl der edlen römischen Familien zu jenem gewaltigen Bürgerstolz an, dessen gleichen die Erde wohl nicht wieder gesehen hat und dessen so fremd- wie großartige Spuren, wo wir ihnen begegnen, uns gleichsam einer anderen Welt anzugehören scheinen. Zwar gehörte zu dem eigentümlichen Gepräge dieses mächtigen Bürgersinnes auch dies, daß er durch die starre bürgerliche Einfachheit und Gleichheit während des Lebens nicht unterdrückt, aber gezwungen ward sich in die schweigende Brust zu verschließen und daß er erst nach dem Tode sich äußern durfte; dann aber trat er auch in dem Leichenbegängnis des angesehenen Mannes mit einer sinnlichen Gewaltigkeit hervor, die mehr als jede andere Erscheinung im römischen Leben geeignet ist uns Späteren von diesem wunderbaren [861] Römergeist eine Ahnung zu geben. Es war ein seltsamer Zug, dem beizuwohnen die Bürgerschaft geladen ward durch den Ruf des Weibels der Gemeinde: ›Jener Wehrmann ist Todes verblichen; wer da kann der komme dem Lucius Aemilius das Geleite zu geben; er wird weggetragen aus seinem Hause‹. Es eröffneten ihn die Scharen der Klageweiber, der Musikanten und der Tänzer, von welchen letzteren einer in Kleidung und Maske als des Verstorbenen Konterfei erschien, auch wohl gestikulierend und agierend den wohlbekannten Mann noch einmal der Menge vergegenwärtigte. Sodann folgte der großartigste und eigentümlichste Teil dieser Feierlichkeit, die Ahnenprozession, gegen die alles übrige Gepränge so verschwand, daß wahrhaft vornehme römische Männer wohl ihren Erben vorschrieben die Leichenfeier lediglich darauf zu beschränken. Es ist schon früher gesagt worden, daß von denjenigen Ahnen, die die kurulische Ädilität oder ein höheres ordentliches Amt bekleidet hatten, die in Wachs getriebenen und bemalten Gesichtsmasken, soweit möglich nach dem Leben gefertigt, aber auch für die frühere Zeit bis in und über die der Könige hinauf nicht mangelnd, an den Wänden des Familiensaales in hölzernen Schreinen aufgestellt zu werden pflegten und als der höchste Schmuck des Hauses galten. Wenn ein Todesfall in der Familie eintrat, so wurden mit diesen Gesichtsmasken und der entsprechenden Amtstracht geeignete Leute, namentlich Schauspieler, für das Leichenbegängnis staffiert, sodaß die Vorfahren, jeder in dem bei Lebzeiten von ihm geführten vornehmsten Schmuck, der Triumphator im goldgestickten, der Zensor im purpurnen, der Konsul im purpurgesäumten Mantel, mit ihren Lictoren und den sonstigen Abzeichen ihres Amtes, alle zu Wagen dem Toten das letzte Geleite gaben. Auf der mit schweren purpurnen und goldgestickten Decken und feinen Leintüchern überspreiteten Bahre lag dieser selbst, gleichfalls in dem vollen Schmuck des höchsten von ihm bekleideten Amtes und umgeben von den Rüstungen der von ihm erlegten Feinde und den in Scherz und Ernst ihm gewonnenen Kränzen. Hinter der Bahre kamen die Leidtragenden, alle in schwarzem Gewande und ohne Schmuck, die Söhne des Verstorbenen mit verhülltem Haupt, die Töchter ohne Schleier, die Verwandten und Geschlechtsgenossen, die Freunde, Klienten und Freigelassenen. So ging der Zug auf den Markt. Hier wurde die Leiche in die Höhe gerichtet; die Ahnen stiegen von den Wagen herab und ließen auf den kurulischen Stühlen sich nieder, und des Verstorbenen Sohn oder der nächste Geschlechtsgenosse betrat die Rednerbühne, um in schlichter Aufzählung die Namen und Tateu [862] eines jeden der im Kreise herumsitzenden Männer und zuletzt die des jüngst Verstorbenen der versammelten Menge zu verlautbaren. – Man mag das Barbarensitte nennen, und eine künstlerisch empfindende Nation hätte freilich diese wunderliche Auferstehung der Toten sicherlich nicht bis in die Epoche der voll entwickelten Zivilisation hinein ertragen; aber selbst sehr kühle und sehr wenig ehrfürchtig geartete Griechen, wie zum Beispiel Polybios, ließen doch durch die grandiose Naivität dieser Totenfeier sich imponieren. Zu der ernsten Feierlichkeit, zu dem gleichförmigen Zuge, zu der stolzen Würdigkeit des römischen Lebens gehörte es notwendig mit, daß die abgeschiedenen Geschlechter fortfuhren gleichsam körperlich unter dem gegenwärtigen zu wandeln und daß, wenn ein Bürger der Mühsal und der Ehren satt zu seinen Vätern versammelt ward, diese Väter selbst auf dem Markte erschienen, um ihn in ihrer Mitte zu empfangen.

Aber man war jetzt an einem Wendepunkt angelangt. Sowie Roms Macht sich nicht mehr auf Italien beschränkte, sondern weithin nach Osten und nach Westen übergriff, war es auch mit der alten italischen Eigenartigkeit vorbei und trat an deren Stelle die hellenisierende Zivilisation. Zwar unter griechischem Einfluß hatte Italien gestanden, seit es überhaupt eine Geschichte hatte. Es ist früher dargestellt worden, wie das jugendliche Griechenland und das jugendliche Italien, beide mit einer gewissen Naivität und Originalität, geistige Anregungen gaben und empfingen; wie in späterer Zeit in mehr äußerlicher Weise Rom sich die Sprache und die Erfindungen der Griechen zum praktischen Gebrauche anzueignen bemüht war. Aber der Hellenismus der Römer dieser Zeit war dennoch in seinen Ursachen wie in seinen Folgen etwas wesentlich Neues. Man fing an das Bedürfnis nach einem reicheren Geistesleben zu empfinden und vor der eigenen geistigen Nichtigkeit gleichsam zu erschrecken; und wenn selbst künstlerisch begabte Nationen, wie die englische und die deutsche, in den Pausen ihrer Produktivität es nicht verschmäht haben sich der armseligen französischen Kultur als Lückenbüßer zu bedienen, so kann es nicht befremden, daß die italische jetzt sich mit brennendem Eifer auf die herrlichen Schätze wie auf den wüsten Unflat der geistigen Entwickelung von Hellas warf. Aber es war doch noch etwas Tieferes und Innerlicheres, was die Römer unwiderstehlich in den hellenischen Strudel hineinriß. Die hellenische Zivilisation nannte wohl noch sich hellenisch, aber sie war es nicht mehr, sondern vielmehr humanistisch und kosmopolitisch. Sie hatte auf dem geistigen Gebiete vollständig und bis zu einem gewissen Grade [863] auch politisch das Problem gelöst aus einer Masse verschiedener Nationen ein Ganzes zu gestalten; und indem dieselbe Aufgabe in weiteren Grenzen jetzt auf Rom überging, übernahm es mit der anderen Erbschaft Alexanders des Großen auch den Hellenismus. Darum ist derselbe jetzt weder bloß Anregung mehr noch Nebensache, sondern durchdringt das innerste Mark der italischen Nation. Natürlich sträubte die lebenskräftige italische Eigenartigkeit sich gegen das fremde Element. Erst nach dem heftigsten Kampfe räumte der italische Bauer dem weltbürgerlichen Großstädter das Feld; und wie bei uns der französische Frack den germanischen Deutschrock ins Leben gerufen hat, so hat auch der Rückschlag des Hellenismus in Rom eine Richtung erweckt, die sich in einer den früheren Jahrhunderten durchaus fremden Weise dem griechischen Einfluß prinzipiell opponierte und dabei ziemlich häufig in derbe Albernheiten und Lächerlichkeiten verfiel.

Es gab kein Gebiet des menschlichen Tuns und Sinnens, auf dem dieser Kampf der alten und der neuen Weise nicht geführt worden wäre. Selbst die politischen Verhältnisse wurden davon beherrscht. Das wunderliche Projekt die Hellenen zu emanzipieren, dessen wohlverdienter Schiffbruch früher dargestellt ward; der verwandte gleichfalls hellenische Gedanke der Solidarität der Republiken den Königen gegenüber und die Propaganda hellenischer Politie gegen orientalische Despotie, welche beide zum Beispiel für die Behandlung Makedoniens mit maßgebend gewesen sind, sind die fixen Ideen der neuen Schule, eben wie die Karthagerfurcht die fixe Idee der alten war; und wenn Cato die letztere bis zur Lächerlichkeit gepredigt hat, so ward auch mit dem Philhellenentum hier und da wenigstens ebenso albern kokettiert – so zum Beispiel ließ der Besieger des Königs Antiochos nicht bloß sich in griechischer Tracht seine Bildsäule auf dem Kapitol errichten, sondern legte auch, statt auf gut lateinisch sich Asiaticus zu nennen, den freilich sinn- und sprachwidrigen, aber doch prächtigen und beinahe griechischen Beinamen Asiagenus sich zu70. Eine wichtigere Konsequenz dieser Stellung der herrschenden Nation zu dem Hellenentum [864] war es, daß die Latinisierung in Italien überall, nur nicht den Hellenen gegenüber Boden gewann. Die Griechenstädte in Italien, soweit der Krieg sie nicht zernichtete, blieben griechisch. In Apulien, um das die Römer sich freilich wenig bekümmerten, scheint eben in dieser Epoche der Hellenismus vollständig durchgedrungen zu sein und die dortige lokale Zivilisation mit der verblühenden hellenischen sich ins Niveau gesetzt zu haben. Die Überlieferung schweigt zwar davon; aber die zahlreichen durchgängig mit griechischer Aufschrift versehenen Stadtmünzen und die hier allein in Italien mehr schwunghaft und prächtig als geschmackvoll betriebene Fabrikation bemalter Tongefäße nach griechischer Art zeigen uns Apulien vollständig eingegangen in griechische Art und griechische Kunst. – Aber der eigentliche Kampfplatz des Hellenismus und seiner nationalen Antagonisten war in der gegen wärtigen Periode das Gebiet des Glaubens und der Sitte und der Kunst und Literatur; und es darf nicht unterlassen werden von dieser freilich in tausenderlei Richtungen zugleich sich bewegenden und schwer zu einer Anschauung zusammenzufassenden großen Prinzipienfehde eine Darstellung zu versuchen.

Wie der alte einfache Glaube noch jetzt in den Italikern lebendig war, zeigt am deutlichsten die Bewunderung oder Verwunderung, welche dies Problem der italischen Frömmigkeit bei den hellenischen Zeitgenossen erregte. Bei dem Zwiste mit den Ätolern bekam es der römische Oberfeldherr zu hören, daß er während der Schlacht nichts getan habe als wie ein Pfaffe beten und opfern; wogegen Polybios mit seiner etwas platten Gescheitheit seine Landsleute auf die politische Nützlichkeit dieser Gottesfurcht aufmerksam macht und sie belehrt, daß der Staat nun einmal nicht aus lauter klugen Leuten bestehen könne und dergleichen Zeremonien um der Menge willen sehr zweckmäßig seien. – Aber wenn man in Italien noch besaß, was in Hellas längst eine Antiquität war, eine nationale Religion, so fing sie doch schon sichtlich an sich zur Theologie zu verknöchern. In nichts vielleicht tritt die beginnende Erstarrung des Glaubens so bestimmt hervor wie in den veränderten ökonomischen Verhältnissen des Gottesdienstes und der Priesterschaft. Der öffentliche Gottesdienst wurde nicht bloß immer weitschichtiger, sondern vor allem auch immer kostspieliger. Lediglich zu dem wichtigen Zweck die Ausrichtung der Götterschmäuse zu beaufsichtigen wurde im Jahre 558 [196] zu den drei alten Kollegien der Augurn, Pontifices und Orakelbewahrer ein viertes der drei Schmausherren (tres viri epulones) hinzugefügt. Billig [865] schmausen nicht bloß die Götter, sondern auch ihre Priester; neuer Stiftungen indes bedurfte es hierfür nicht, da ein jedes Kollegium sich seiner Schmausangelegenheiten mit Eifer und Andacht befliß. Neben den klerikalen Gelagen fehlt auch die klerikale Immunität nicht. Die Priester nahmen selbst in Zeiten schwerer Bedrängnis es als ihr Recht in Anspruch zu den öffentlichen Abgaben nicht beizutragen und ließen erst nach sehr ärgerlichen Kontroversen sich zur Nachzahlung der rückständigen Steuern zwingen (558 [196]). Wie für die Gemeinde wurde auch für den einzelnen Mann die Frömmigkeit mehr und mehr ein kostspieliger Artikel. Die Sitte der Stiftungen und überhaupt der Übernahme dauernder pekuniärer Verpflichtungen zu religiösen Zwecken war bei den Römern in ähnlicher Weise wie heutzutage in den katholischen Ländern verbreitet; diese Stiftungen, namentlich seit sie von der höchsten geistlichen und zugleich höchsten Rechtsautorität der Gemeinde, den Pontifices als eine auf jeden Erben und sonstigen Erwerber des Gutes von Rechts wegen übergehende Reallast betrachtet wurden, fingen an eine höchst drückende Vermögenslast zu werden – ›Erbschaft ohne Opferschuld‹ ward bei den Römern sprichwörtlich gesagt etwa wie bei uns ›Rose ohne Dornen‹. Das Gelübde des Zehntens der Habe wurde so gemein, daß jeden Monat ein paar Male infolgedessen auf dem Rindermarkt in Rom öffentliches Gastgebot abgehalten ward. Mit dem orientalischen Kult der Göttermutter gelangten unter anderem gottseligen Unfug auch die jährlich an festen Tagen wiederkehrenden von Haus zu Haus geheischten Pfennigkollekten (stipem cogere) nach Rom. Endlich die untergeordnete Priester- und Prophetenschaft gab wie billig nichts für nichts; und es ist ohne Zweifel aus dem Leben gegriffen, wenn auf der römischen Bühne in der ehelichen Gardinenkonversation neben der Küchen-, Hebammen- und Präsentenrechnung auch das fromme Konto mit erscheint:


Gleichfalls, Mann, muß ich was haben auf den nächsten Feiertag

Für die Küsterin, für die Wahrsagerin, für die Traum- und die kluge Frau;

Sähst du nur, wie die mich anguckt! Eine Schand' ist's, schick' ich nichts.

Auch der Opferfrau durchaus mal geben muß ich ordentlich.


Man schuf zwar in dieser Zeit in Rom nicht wie früher einen Silber- (S. 437) so jetzt einen Goldgott; aber in der Tat regierte er dennoch in den höchsten wie in den niedrigsten Kreisen des religiösen Lebens. Der alte Stolz der latinischen Landesreligion, die Billigkeit ihrer ökonomischen Anforderungen war unwiederbringlich dahin. Aber gleichzeitig war es auch mit der alten Einfachheit aus. Das Bastardkind [866] von Vernunft und Glauben, die Theologie war bereits geschäftig die ihr eigene beschwerliche Weitläufigkeit und feierliche Gedankenlosigkeit in den alten Landesglauben hinein und dessen Geist damit auszutreiben. Der Katalog der Verpflichtungen und Vorrechte des Jupiterpriesters zum Beispiel könnte füglich im Talmud stehen. Mit der natürlichen Regel, daß nur die fehlerlos verrichtete religiöse Pflicht den Göttern genehm sei, trieb man es praktisch so weit, daß ein einzelnes Opfer wegen wieder und wieder begangener Versehen bis dreißigmal hintereinander wiederholt wird, daß die Spiele, die ja auch Gottesdienst waren, wenn der leitende Beamte sich versprochen oder vergriffen oder die Musik einmal eine unrichtige Pause gemacht hatte, als nicht geschehen galten und von vorne, oft mehrere, ja bis zu sieben Malen hintereinander wieder begonnen werden mußten. In dieser Übertreibung der Gewissenhaftigkeit liegt an sich schon ihre Erstarrung; und die Reaktion dagegen, die Gleichgültigkeit und der Unglaube ließen auch nicht auf sich warten. Schon im ersten punischen Kriege (505 [249]) kam es vor, daß mit den vor der Schlacht zu befragenden Auspizien der Konsul selber offenkundigen Spott trieb – freilich ein Konsul aus dem absonderlichen und im Guten und Bösen der Zeit voraneilenden Geschlecht der Claudier. Gegen das Ende dieser Epoche werden schon Klagen laut, daß die Augurallehre vernachlässigt werde und daß, mit Cato zu reden, eine Menge alter Vogelkunden und Vogelschauungen durch die Trägheit des Kollegiums in Vergessenheit geraten sei. Ein Augur wie Lucius Paullus, der in dem Priestertum eine Wissenschaft und nicht einen Titel sah, war bereits eine seltene Ausnahme und mußte es auch wohl sein, wenn die Regierung immer offener und ungescheuter die Auspizien zur Durchsetzung ihrer politischen Absichten benutzte, das heißt die Landesreligion nach Polybios' Auffassung als einen zur Prellung des großen Publikums brauchbaren Aberglauben behandelte. Wo also vorgearbeitet war, fand die hellenistische Irreligiosität offene Bahn. Mit der beginnenden Kunstliebhaberei fingen schon zu Catos Zeit die heiligen Bildnisse der Götter an die Zimmer der Reichen gleich anderem Hausgerät zu schmücken. Gefährlichere Wunden schlug der Religion die beginnende Literatur. Zwar offene Angriffe durfte sie nicht wagen und was geradezu durch sie zu den religiösen Vorstellungen hinzukam, wie zum Beispiel durch Ennius der in Nachbildung des griechischen Uranos dem römischen Saturnus geschöpfte Vater Caelus, war wohl auch hellenistisch, aber nicht von großer Bedeutung. Folgenreich dagegen war die Verbreitung [867] der epicharmischen und euhemeristischen Lehren in Rom. Die poetische Philosophie, welche die späteren Pythagoreer aus den Schriften des alten sizilischen Lustspieldichters Epicharmos von Megara (um 280 [470]) ausgezogen oder vielmehr, wenigstens größtenteils, ihm untergeschoben hatten, sah in den griechischen Göttern Natursubstanzen, in Zeus die Luft, in der Seele ein Sonnenstäubchen und so weiter; insofern diese Naturphilosophie, ähnlich wie in späterer Zeit die stoische Lehre, in ihren allgemeinsten Grundzügen der römischen Religion wahlverwandt war, war sie geeignet die allegorisierende Auflösung der Landesreligion einzuleiten. Eine historisierende Zersetzung der Religion lieferten die ›heiligen Memoiren‹ des Euhemeros von Messene (um 450 [300]), die in Form von Berichten über die von dem Verfasser in das wunderbare Ausland getanen Reisen die von den sogenannten Göttern umlaufenden Nachrichten gründlich und urkundlich sichteten und im Resultat darauf hinausliefen, daß es Götter weder gegeben habe noch gebe. Zur Charakteristik des Buches mag das eine genügen, daß die Geschichte von Kronos' Kinderverschlingung erklärt wird aus der in ältester Zeit bestehenden und durch König Zeus abgeschafften Menschenfresserei. Trotz oder auch durch seine Plattheit und Tendenzmacherei machte das Produkt in Griechenland ein unverdientes Glück und half in Gemeinschaft mit den gangbaren Philosophien dort die tote Religion begraben. Es ist ein merkwürdiges Zeichen des ausgesprochenen und wohlbewußten Antagonismus zwischen der Religion und der neuen Literatur, daß bereits Ennius diese notorisch destruktiven epicharmischen und euhemeristischen Schriften ins Lateinische übertrug. Die Übersetzer mögen vor der römischen Polizei sich damit gerechtfertigt haben, daß die Angriffe sich nur gegen die griechischen und nicht gegen die latinischen Götter wandten; aber die Ausrede war ziemlich durchsichtig. In seinem Sinne hatte Cato ganz recht diese Tendenzen, wo immer sie ihm vorkamen, ohne Unterschied mit der ihm eigenen Bitterkeit zu verfolgen und auch den Sokrates einen Sittenverderber und Religionsfrevler zu heißen.

So ging es mit der alten Landesreligion zusehends auf die Neige; und wie man die mächtigen Stämme des Urwaldes rodete, bedeckte sich der Boden mit wucherndem Dorngestrüpp und bis dahin nicht gesehenem Unkraut. Inländischer Aberglaube und ausländische Afterweisheit gingen buntscheckig durch-, neben- und gegeneinander. Kein italischer Stamm blieb frei von der Umwandelung alten Glaubens in neuen Aberglauben. Wie bei den Etruskern die Gedärme- und [868] Blitzweisheit, so stand bei den Sabellern, besonders den Marsern, die freie Kunst des Vogelguckens und Schlangenbeschwörens in üppigem Flor. Sogar bei der latinischen Nation, ja in Rom selbst begegnen, obwohl hier verhältnismäßig am wenigsten, doch auch ähnliche Erscheinungen – so die praenestinischen Spruchlose und in Rom im J. 573 [181] die merkwürdige Entdeckung des Grabes und der hinterlassenen Schriften des Königs Numa, welche ganz unerhörten und seltsamen Gottesdienst vorgeschrieben haben sollen. Mehr als dies und daß die Bücher sehr neu ausgesehen hätten, erfuhren die Glaubensdurstigen zu ihrem Leidwesen nicht; denn der Senat legte die Hand auf den Schatz und ließ die Rollen kurzweg ins Feuer werfen. Die inländische Fabrikation reichte also vollkommen aus um jeden billigerweise zu verlangenden Bedarf von Unsinn zu decken; allein man war weit entfernt sich daran genügen zu lassen. Der damalige bereits denationalisierte und von orientalischer Mystik durchdrungene Hellenismus brachte wie den Unglauben so auch den Aberglauben in seinen ärgerlichsten und gefährlichsten Gestaltungen nach Italien und eben als ausländischer hatte dieser Schwindel noch einen ganz besonderen Reiz. Die chaldäischen Astrologen und Nativitätensteller waren schon im sechsten Jahrhundert durch Italien verbreitet; noch weit bedeutender aber, ja weltgeschichtlich epochemachend war die Aufnahme der phrygischen Göttermutter unter die öffentlich anerkannten Götter der römischen Gemeinde, zu der die Regierung während der letzten bangen Jahre des hannibalischen Krieges (550 [204]) sich hatte verstehen müssen. Es ging deswegen eine eigene Gesandtschaft nach Pessinus, einer Stadt des kleinasiatischen Keltenlandes, und der rauhe Feldstein, den die dortige Priesterschaft als die richtige Mutter Kybele den Fremden freigebig verehrte, ward mit unerhörtem Gepränge von der Gemeinde eingeholt, ja es wurden zur ewigen Erinnerung an das fröhliche Ereignis unter den höheren Ständen Klubgesellschaften mit umgehender Bewirtung der Mitglieder untereinander gestiftet, welche das beginnende Cliquentreiben wesentlich gefördert zu haben scheinen. Mit der Konzessionierung dieses Kybelekultes faßte die Gottesverehrung der Orientalen offiziell Fuß in Rom und wenn auch die Regierung noch streng darauf hielt, daß die Kastratenpriester der neuen Götter Kelten (Galli), wie sie hießen, auch blieben und noch kein römischer Bürger zu diesem frommen Eunuchentum sich hergab, so mußte dennoch der wüste Apparat der ›großen Mutter‹, diese mit dem Obereunuchen an der Spitze unter fremdländischer Musik von Pfeifen und Pauken in orientalischer Kleiderpracht [869] durch die Gassen aufziehende und von Haus zu Haus bettelnde Priesterschaft und das ganze sinnlich-mönchische Treiben vom wesentlichsten Einfluß auf die Stimmung und Anschauung des Volkes sein. Wohin das führte, zeigte sich nur zu rasch und nur zu schrecklich. Wenige Jahre später (568 [186]) kam eine Muckerwirtschaft der scheußlichsten Art bei den römischen Behörden zur Anzeige, eine geheime nächtliche Feier zu Ehren des Gottes Bakchos, die durch einen griechischen Pfaffen zuerst nach Etrurien gekommen war und wie ein Krebsschaden um sich fressend sich rasch nach Rom und über ganz Italien verbreitet, überall die Familien zerrüttet und die ärgsten Verbrechen, unerhörte Unzucht, Testamentsfälschungen, Giftmorde hervorgerufen hatte. Über 7000 Menschen wurden deswegen kriminell, großenteils mit dem Tode bestraft und strenge Vorschriften für die Zukunft erlassen; dennoch gelang es nicht der Wirtschaft Herr zu werden und sechs Jahre später (574 [180]) klagte der betreffende Beamte, daß wieder 3000 Menschen verurteilt seien und noch kein Ende sich absehen lasse. – Natürlich waren in der Verdammung dieser ebenso unsinnigen wie gemeinschädlichen Afterfrömmigkeit alle vernünftigen Leute sich einig; die altgläubigen Frommen wie die Angehörigen der hellenischen Aufklärung trafen hier im Spott wie im Ärger zusammen. Cato setzte seinem Wirtschafter in die Instruktion, ›daß er ohne Vorwissen und Auftrag des Herrn kein Opfer darbringen noch für sich darbringen lassen solle außer an dem Hausherd und am Flurfest auf dem Fluraltar, und daß er nicht sich Rats erholen dürfe weder bei einem Eingeweidebeschauer noch bei einem klugen Mann noch bei einem Chaldäer‹. Auch die bekannte Frage, wie nur der Priester es anfange das Lachen zu verbeißen, wenn er seinem Kollegen begegne, ist ein catonisches Wort und ursprünglich auf den etruskischen Gedärmebetrachter angewandt worden. Ziemlich in demselben Sinn schilt Ennius in echt euripideischem Stil auf die Bettelpropheten und ihren Anhang:


Diese abergläubischen Pfaffen, dieses freche Prophetenpack,

Die verrückt und die aus Faulheit, die gedrängt von Hungerpein,

Wollen andern Wege weisen, die sie sich nicht finden aus,

Schenken Schätze dem, bei dem sie selbst den Pfennig betteln gehn.


Aber in solchen Zeiten hat die Vernunft von vornherein gegen die Unvernunft verlorenes Spiel. Die Regierung schritt freilich ein; die frommen Preller wurden polizeilich gestraft und ausgewiesen, jede ausländische nicht besonders konzessionierte Gottesverehrung untersagt, [870] selbst die Befragung des verhältnismäßig unschuldigen Spruchorakels in Praeneste noch 512 [242] von Amts wegen verhindert und, wie schon gesagt ward, das Muckerwesen streng verfolgt. Aber wenn die Köpfe einmal gründlich verrückt sind, so setzt auch der höhere Befehl sie nicht wieder in die Richte. Wieviel die Regierung dennoch nachgeben mußte oder wenigstens nachgab, geht gleichfalls aus dem Gesagten hervor. Die römische Sitte die etruskischen Weisen in vorkommenden Fällen von Staats wegen zu befragen und deshalb auch auf die Fortpflanzung der etruskischen Wissenschaft in den vornehmen etruskischen Familien von Regierungs wegen hinzuwirken, sowie die Gestattung des nicht unsittlichen und auf die Frauen beschränkten Geheimdienstes der Demeter mögen wohl noch der älteren unschuldigen und verhältnismäßig gleichgültigen Übernahme ausländischer Satzungen beizuzählen sein. Aber die Zulassung des Göttermutterdienstes ist ein arges Zeichen davon, wie schwach dem neuen Aberglauben gegenüber sich die Regierung fühlte, vielleicht auch davon, wie tief er in sie selber eingedrungen war; und ebenso ist es entweder eine unverzeihliche Nachlässigkeit oder etwas noch Schlimmeres, daß gegen eine Wirtschaft, wie die Bacchanalien waren, erst so spät und auch da noch auf eine zufällige Anzeige hin von den Behörden eingeschritten ward.

Wie nach der Vorstellung der achtbaren Bürgerschaft dieser Zeit das römische Privatleben beschaffen sein sollte, läßt sich im wesentlichen abnehmen aus dem Bilde, das uns von dem des älteren Cato überliefert worden ist. Wie tätig Cato als Staatsmann, Sachwalter, Schriftsteller und Spekulant auch war, so war und blieb das Familienleben der Mittelpunkt seiner Existenz – besser ein guter Ehemann sein, meinte er, als ein großer Senator. Die häusliche Zucht war streng. Die Dienerschaft durfte nicht ohne Befehl das Haus verlassen noch über die häuslichen Vorgänge mit Fremden schwatzen. Schwerere Strafen wurden nicht mutwillig auferlegt, sondern nach einer gleichsam gerichtlichen Verhandlung zuerkannt und vollzogen; wie scharf es dabei herging, kann man daraus abnehmen, daß einer seiner Sklaven wegen eines ohne Auftrag von ihm abgeschlossenen und dem Herrn zu Ohren gekommenen Kaufhandels sich erhing. Wegen leichter Vergehen, zum Beispiel bei Beschickung der Tafel vorgekommener Versehen, pflegte der Konsular dem Fehlbaren die verwirkten Hiebe nach Tische eigenhändig mit dem Riemen aufzuzählen. Nicht minder streng hielt er Frau und Kinder in Zucht, aber in anderer Art; denn an die erwachsenen Kinder und an die Frau Hand anzulegen wie an die [871] Sklaven erklärte er für sündhaft. Bei der Wahl der Frau mißbilligte er die Geldheiraten und empfahl auf gute Herkunft zu sehen, heiratete übrigens selbst im Alter die Tochter eines seiner armen Klienten. Übrigens nahm er es mit der Enthaltsamkeit auf seiten des Mannes so wie man es damit überall in Sklavenländern nimmt; auch galt ihm die Ehefrau durchaus nur als ein notwendiges Übel. Seine Schriften fließen über von Scheltreden gegen das schwatzhafte, putzsüchtige, unregierliche schöne Geschlecht; ›überlästig und hoffärtig sind die Frauen alle‹ – meinte der alte Herr – und ›wären die Menschen der Weiber los, so möchte unser Leben wohl minder gottlos sein‹. Dagegen war die Erziehung der ehelichen Kinder ihm Herzens- und Ehrensache und die Frau in seinen Augen eigentlich nur der Kinder wegen da. Sie nährte in der Regel selbst und wenn sie ihre Kinder an der Brust von Sklavinnen saugen ließ, so legte sie dafür auch wohl selbst deren Kinder an die eigene Brust – einer der wenigen Züge, worin das Bestreben hervortritt durch menschliche Beziehungen, Muttergemeinschaft und Milchbrüderschaft die Institution der Sklaverei zu mildern. Bei dem Waschen und Wickeln der Kinder war der alte Feldherr, wenn irgend möglich, selber zugegen. Mit Ehrfurcht wachte er über die kindliche Unschuld; wie in Gegenwart der vestalischen Jungfrauen, versichert er, habe er in Gegenwart seiner Kinder sich gehütet ein schändliches Wort in den Mund zu nehmen und nie vor den Augen seiner Tochter die Mutter umfaßt, außer wenn diese bei einem Gewitter in Angst geraten sei. Die Erziehung seines Sohnes ist wohl der schönste Teil seiner mannigfaltigen und vielfach ehrenwerten Tätigkeit. Seinem Grundsatz getreu, daß der rotbackige Bube besser tauge als der blasse, leitete der alte Soldat seinen Knaben selbst zu allen Leibesübungen an und lehrte ihn ringen, reiten, schwimmen und fechten und Hitze und Frost ertragen. Aber er empfand auch sehr richtig, daß die Zeit vorbei war, wo der Römer damit auskam ein tüchtiger Bauer und Soldat zu sein, und ebenso den nachteiligen Einfluß, den es auf das Gemüt des Knaben haben mußte, wenn er in dem Lehrer, der ihn gescholten und gestraft und ihm Ehrerbietung abgewonnen hatte, späterhin einen Sklaven erkannte. Darum lehrte er selbst den Knaben, was der Römer zu lernen pflegte, lesen und schreiben und das Landrecht kennen; ja er arbeitete noch in späten Jahren sich in die allgemeine Bildung der Hellenen soweit hinein, daß er im stande war das, was er daraus dem Römer brauchbar erachtete, seinem Sohn in der Muttersprache zu überliefern. Auch seine ganze Schriftstellerei [872] war zunächst auf den Sohn berechnet und sein Geschichtswerk schrieb er für diesen mit großen deutlichen Buchstaben eigenhändig ab. Er lebte schlicht und sparsam. Seine strenge Wirtschaftlichkeit litt keine Luxusausgaben. Kein Sklave durfte ihm mehr kosten als 1500 (460 Tlr.), kein Kleid mehr als 100 Denare (30 Tlr.); in seinem Haus sah man keinen Teppich und lange Zeit an den Zimmerwänden keine Tünche. Für gewöhnlich aß und trank er dieselbe Kost mit seinem Gesinde und litt nicht, daß die Mahlzeit über 30 Asse (21 Gr.) an baaren Auslagen zu stehen kam; im Kriege war sogar der Wein durchgängig von seinem Tisch verbannt und trank er Wasser oder nach Umständen Wasser mit Essig gemischt. Dagegen war er kein Feind von Gastereien; sowohl mit seiner Klubgesellschaft in der Stadt als auch auf dem Lande mit seinen Gutsnachbarn saß er gern und lange bei Tafel und wie seine mannigfaltige Erfahrung und sein schlagfertiger Witz ihn zu einem beliebten Gesellschafter machten, so verschmähte er auch weder die Würfel noch die Flasche, teilte sogar in seinem Wirtschaftsbuch unter anderen Rezepten ein erproptes Hausmittel mit für den Fall, daß man eine ungewöhnlich starke Mahlzeit und einen allzutiefen Trunk getan. Sein ganzes Sein bis ins höchste Alter hinauf war Tätigkeit. Jeder Augenblick war eingeteilt und ausgefüllt und jeden Abend pflegte er bei sich zu rekapitulieren, was er den Tag über gehört, gesagt und getan hatte. So blieb denn Zeit für die eigenen Geschäfte wie für die der Bekannten und der Gemeinde und nicht minder für Gespräch und Vergnügen; alles ward rasch und ohne viel Reden abgetan und in echtem Tätigkeitssinn war ihm nichts so verhaßt als die Vielgeschäftigkeit und die Wichtigtuerei mit Kleinigkeiten. – So lebte der Mann, der den Zeitgenossen und den Nachkommen als der rechte römische Musterbürger galt und in dem, gegenüber dem griechischen Müßiggang und der griechischen Sittenlosigkeit, die römische allerdings etwas grobdrähtige Tätigkeit und Bravheit gleichsam verkörpert erschienen – wie denn ein später römischer Dichter sagt:


Nichts ist an der fremden Sitt' als tausendfache Schwindelei;

Besser als der römische Bürger führt sich keiner auf der Welt;

Mehr als hundert Sokratesse gilt der eine Cato mir.


Solche Urteile wird die Geschichte nicht unbedingt sich aneignen; aber wer die Revolution ins Auge faßt, welche der entartete Hellenismus dieser Zeit in dem Leben und Denken der Römer vollzog, wird geneigt sein die Verurteilung der fremden Sitte eher zu schärfen, [873] als zu mildern. – Die Bande der Familie lockerten sich mit grauenvoller Geschwindigkeit. Pestartig griff die Grisetten- und Buhlknabenwirtschaft um sich und wie die Verhältnisse lagen, war es nicht einmal möglich, gesetzlich dagegen etwas Wesentliches zu tun – die hohe Steuer, welche Cato als Zensor (570 [184]) auf diese abscheulichste Gattung der Luxussklaven legte, wollte nicht viel bedeuten und ging überdies ein paar Jahre darauf mit der Vermögenssteuer überhaupt tatsächlich ein. Die Ehelosigkeit, über die schon zum Beispiel im J. 520 [234] schwere Klage geführt ward, und die Ehescheidungen nahmen natürlich im Verhältnis zu. Im Schoße der vornehmsten Familien kamen grauenvolle Verbrechen vor, wie zum Beispiel der Konsul Gaius Calpurnius Piso von seiner Gemahlin und seinem Stiefsohn vergiftet ward, um eine Nachwahl zum Konsulat herbeizuführen und dadurch dem letzteren das höchste Amt zu verschaffen, was auch gelang (574 [180]). Es beginnt ferner die Emanzipation der Frauen. Nach alter Sitte stand die verheiratete Frau von Rechts wegen unter der eheherrlichen mit der väterlichen gleichstehenden Gewalt, die unverheiratete unter der Vormundschaft ihrer nächsten männlichen Agnaten, die der väterlichen Gewalt wenig nachgab; eigenes Vermögen hatte die Ehefrau nicht, die vaterlose Jungfrau und die Witwe wenigstens nicht dessen Verwaltung. Aber jetzt fingen die Frauen an nach vermögensrechtlicher Selbständigkeit zu streben und teils auf Advokatenschleichwegen, namentlich durch Scheinehen, sich der agnatischen Vormundschaft entledigend die Verwaltung ihres Vermögens selbst in die Hand zu nehmen, teils bei der Verheiratung sich auf nicht viel bessere Weise der nach der Strenge des Rechts notwendigen eheherrlichen Gewalt zu entziehen. Die Masse von Kapital, die in den Händen der Frauen sich zusammenfand, schien den Staatsmännern der Zeit so bedenklich, daß man zu dem exorbitanten Mittel griff die testamentarische Erbeseinsetzung der Frauen gesetzlich zu untersagen (585 [169]), ja sogar durch eine höchst willkürliche Praxis auch die ohne Testament auf Frauen fallenden Kollateralerbschaften denselben größtenteils zu entziehen. Ebenso wurden die Familiengerichte über die Frau, die an jene eheherrliche und vormundschaftliche Gewalt anknüpften, praktisch mehr und mehr zur Antiquität. Aber auch in öffentlichen Dingen fingen die Frauen schon an einen Willen zu haben und gelegentlich, wie Cato meinte, ›die Herrscher der Welt zu beherrschen‹; in der Bürgerschaftsversammlung war ihr Einfluß zu spüren, ja es erhoben sich bereits in den Provinzen Statuen römischer Damen. – Die Üppigkeit stieg in Tracht, Schmuck [874] und Gerät, in den Bauten und in der Tafel; namentlich seit der Expedition nach Kleinasien im J. 564 [190] trug der asiatisch-hellenische Luxus, wie er in Ephesos und Alexandreia herrschte, sein leeres Raffinement und seine geld-, tag- und freudenverderbende Kleinkrämerei über nach Rom. Auch hier waren die Frauen voran; sie setzten es trotz Catos eifrigem Schelten durch, daß der bald nach der Schlacht von Cannae (539 [215]) gefaßte Bürgerschaftsbeschluß, welcher ihnen den Goldschmuck , die bunten Gewänder und die Wagen untersagte, nach dem Frieden mit Karthago (559 [195]) wieder aufgehoben ward; ihrem eifrigen Gegner blieb nichts übrig als auf diese Artikel eine hohe Steuer zu legen (570 [184]). Eine Masse neuer und größtenteils frivoler Gegenstände, zierlich figuriertes Silbergeschirr, Tafelsophas mit Bronzebeschlag, die sogenannten attalischen Gewänder und Teppiche von schwerem Goldbrokat fanden jetzt ihren Weg nach Rom. Vor allem war es die Tafel, um die dieser neue Luxus sich drehte. Bisher hatte man ohne Ausnahme nur einmal am Tage warm gegessen; jetzt wurden auch bei dem zweiten Frühstück (prandium) nicht selten warme Speisen aufgetragen, und für die Hauptmahlzeit reichten die bisherigen zwei Gänge nicht mehr aus. Bisher hatten die Frauen im Hause das Brotbacken und die Küche selber beschafft und nur bei Gastereien hatte man einen Koch von Profession besonders gedungen, der dann Speisen wie Gebäck gleichmäßig besorgte. Jetzt dagegen begann die wissenschaftliche Kochkunst. In den guten Häusern ward ein eigener Koch gehalten. Die Arbeitsteilung ward notwendig und aus dem Küchenhandwerk zweigte das des Brot- und Kuchenbackens sich ab – um 583 [171] entstanden die ersten Bäckerläden in Rom. Gedichte über die Kunst gut zu essen mit langen Verzeichnissen der essenswertesten Seefische und Meerfrüchte fanden ihr Publikum; und es blieb nicht bei der Theorie. Ausländische Delikatessen, pontische Sardellen, griechischer Wein fingen an in Rom geschätzt zu werden und Catos Rezept, dem gewöhnlichen Landwein mittels Salzlake den Geschmack des koischen zu geben, wird den römischen Weinhändlern schwerlich erheblichen Abbruch getan haben. Das alte ehrbare Singen und Sagen der Gäste und ihrer Knaben wurde verdrängt durch die asiatischen Harfenistinnen. Bis dahin hatte man in Rom wohl bei der Mahlzeit tapfer getrunken, aber eigentliche Trinkgelage nicht gekannt; jetzt kam das förmliche Kneipen in Schwung, wobei der Wein wenig oder garnicht gemischt und aus großen Bechern getrunken ward und das Vortrinken mit obligater Nachfolge regierte, das ›griechisch Trinken‹ (Graeco more bibere) oder ›Griechen‹ [875] (pergraecari, congraecare), wie die Römer es nennen. Im Gefolge dieser Zechwirtschaft nahm das Würfelspiel, das freilich bei den Römern längst üblich war, solche Verhältnisse an, daß die Gesetzgebung es nötig fand dagegen einzuschreiten. Die Arbeitsscheu und das Herumlungern griffen zusehends um sich71. Cato schlug vor den Markt mit spitzen Steinen pflastern zu lassen, um den Tagedieben das Handwerk zu legen; man lachte über den Spaß und kam der Lust zu lottern und zu gaffen von allen Seiten her entgegen. Der erschreckenden Ausdehnung der Volkslustbarkeiten während dieser Epoche wurde bereits gedacht. Zu Anfang derselben ward, abgesehen von einigen unbedeutenden mehr den religiösen Zeremonien beizuzählenden Wettrennen und Wettfahrten, nur im Monat September ein einziges allgemeines Volksfest von viertägiger Dauer und mit einem fest bestimmten Kostenmaximum (S. 458) abgehalten; am Schluße derselben hatte dieses Volksfest wenigstens schon sechstägige Dauer und wurden überdies [876] daneben zu Anfang April das Fest der Göttermutter oder die sogenannten megalensischen, gegen Ende April das Ceres-und das Flora-, im Juni das Apollo-, im November das Plebejerfest und wahrscheinlich alle diese bereits mehrtägig gefeiert. Dazu kamen die zahlreichen Instaurationen, bei denen die fromme Skrupulosität vermutlich oft bloß als Vorwand diente, und die unaufhörlichen außerordentlichen Volksfeste, unter denen die schon erwähnten Schmäuse von den Gelöbniszehnten (S. 866), die Götterschmäuse, die Triumphal-und die Leichenfeste und vor allem die Festlichkeiten hervortreten, welche nach dem Abschluß eines der längeren durch die etruskisch-römische Religion abgegrenzten Zeiträume, der sogenannten Saecula, zuerst im J. 505 [249], gefeiert wurden. Gleichzeitig mehrten sich die Hausfeste. Während des zweiten punischen Krieges kamen unter den Vornehmen die schon erwähnten Schmausereien an dem Einzugstag der Göttermutter auf (seit 550 [204]), unter den geringeren Leuten die ähnlichen Saturnalien (seit 537 [217]); beide unter dem Einfluß der fortan festverbündeten Gewalten des fremden Pfaffen und des fremden Kochs. Man war ganz nahe an dem idealen Zustand, daß jeder Tagedieb wußte, wo er jeden Tag verderben konnte; und das in einer Gemeinde, wo sonst für jeden einzelnen wie für alle zusammen die Tätigkeit Lebenszweck und das müßige Genießen von der Sitte wie vom Gesetz geächtet gewesen war! Dabei machten innerhalb dieser Festlichkeiten die schlechten und demoralisierenden Elemente mehr und mehr sich geltend. Den Glanz- und Schlußpunkt der Volksfeste bildeten freilich nach wie vor noch die Wettfahrten; und ein Dichter dieser Zeit schildert sehr anschaulich die Spannung, womit die Augen der Menge an dem Konsul hingen, wenn er den Wagen das Zeichen zum Abfahren zu geben im Begriff war. Aber die bisherigen Lustbarkeiten genügten doch schon nicht mehr; man verlangte nach neuen und mannigfaltigeren. Neben den einheimischen Ringern und Kämpfern treten jetzt (zuerst 568 [186]) auch griechische Athleten auf. Von den dramatischen Aufführungen wird später die Rede sein; es war wohl auch ein Gewinn von zweifelhaftem Wert, aber doch auf jeden Fall der beste bei dieser Gelegenheit gemachte Erwerb, daß die griechische Komödie und Tragödie nach Rom verpflanzt ward. Den Spaß Hasen und Füchse vor dem Publikum laufen und hetzen zu lassen mochte man schon lange sich gemacht haben; jetzt wurden aus diesen unschuldigen Jagden förmliche Tierhetzen und die wilden Bestien Afrikas, Löwen und Panther wurden (zuerst nachweislich 568 [186]) mit großen Kosten nach Rom transportiert, um tödtend oder sterbend den hauptstädtischen [877] Gaffern zur Augenweide zu dienen. Die noch abscheulicheren Fechterspiele, wie sie in Etrurien und Kampanien gangbar waren, fanden jetzt auch in Rom Eingang; zuerst im Jahre 490 [264] wurde auf dem römischen Markt Menschenblut zum Spaße vergossen. Natürlich trafen diese entsittlichenden Belustigungen auch auf strengen Tadel; der Konsul des J. 476 [268] Publius Sempronius Sophus sandte seiner Frau den Scheidebrief zu, weil sie einem Leichenspiel beigewohnt hatte; die Regierung setzte es durch, daß die Überführung der ausländischen Bestien nach Rom durch Bürgerbeschluß untersagt ward und hielt mit Strenge darauf, daß bei den Gemeindefesten keine Gladiatoren erschienen. Allein auch hier fehlte ihr doch sei es die rechte Macht oder die rechte Energie; es gelang zwar, wie es scheint, die Thierhetzen niederzuhalten, aber das Auftreten von Fechterparen bei Privatfesten, namentlich bei Leichenfeiern ward nicht unterdrückt. Noch weniger war es zu verhindern, daß das Publikum dem Tragöden den Komödianten, dem Komödianten den Seiltänzer, dem Seiltänzer den Fechter vorzog und die Schaubühne sich mit Vorliebe in dem Schmutze des hellenischen Lebens herumtrieb. Was von bildenden Elementen in den szenischen und musischen Spielen enthalten war, gab man von vornherein preis; die Absicht der römischen Festgeber ging ganz und gar nicht darauf durch die Macht der Poesie die gesamte Zuschauerschaft wenn auch nur vorübergehend auf die Höhe der Empfindung der Besten zu erheben, wie es die griechische Bühne in ihrer Blütezeit tat, oder einem ausgewählten Kreise einen Kunstgenuß zu bereiten. wie unsere Theater es versuchen. Wie in Rom Direktion und Zuschauer beschaffen waren, zeigt der Auftritt bei den Triumphalspielen 587 [167], wo die ersten griechischen Flötenspieler, da sie mit ihren Melodien durchfielen, vom Regisseur angewiesen wurden statt zu musizieren mit einander zu boxen, worauf denn der Jubel kein Ende nehmen wollte. – Schon verdarb nicht mehr bloß die hellenische Ansteckung die römischen Sitten, sondern umgekehrt fingen die Schüler an die Lehrmeister zu demoralisieren. Die Fechterspiele, die in Griechenland unbekannt waren, führte König Antiochos Epiphanes (579 bis 590 [175-164]), der Römeraffe von Profession, zuerst am syrischen Hofe ein, und obwohl sie dem menschlicheren und kunstsinnigeren griechischen Publikum anfangs mehr Abscheu als Freude erregten, so hielten sie sich doch dort ebenfalls und kamen allmählich in weiteren Kreisen in Gebrauch. – Selbstverständlich hatte diese Revolution in Leben und Sitte auch eine ökonomische Revolution in ihrem Gefolge. Die Existenz in der [878] Hauptstadt ward immer begehrter wie immer kostspieliger. Die Mieten stiegen zu unerhörter Höhe. Die neuen Luxusartikel wurden mit Schwindelpreisen bezahlt; das Fäßchen Sardellen aus dem schwarzen Meer mit 1600 Sesterzen (120 Tlr.), höher als ein Ackerknecht, ein hübscher Knabe mit 24000 Sesterzen (1800 Tlr.), höher als mancher Bauerhof. Geld also und nichts als Geld war die Losung für hoch und niedrig. Schon lange tat in Griechenland niemand etwas umsonst, wie die Griechen selber mit unlöblicher Naivität einräumten; seit dem zweiten makedonischen Krieg fingen die Römer an auch in dieser Hinsicht zu hellenisieren. Die Respektabilität mußte mit gesetzlichen Notstützen versehen und zum Beispiel durch Volksschluß den Sachwaltern untersagt werden für ihre Dienste Geld zu nehmen; eine schöne Ausnahme machten nur die Rechtsverständigen, die bei ihrer ehrbaren Sitte guten Rat umsonst zu geben nicht durch Bürgerbeschluß festgehalten zu werden brauchten. Man stahl womöglich nicht geradezu; aber alle krummen Wege zu schnellem Reichtum zu gelangen schienen erlaubt: Plünderung und Bettel, Lieferantenbetrug und Spekulantenschwindel, Zins- und Kornwucher, selbst die ökonomische Ausnutzung rein sittlicher Verhältnisse, wie der Freundschaft und der Ehe. Vor allem die letztere wurde auf beiden Seiten Gegenstand der Spekulation; Geldheiraten waren gewöhnlich und es zeigte sich nötig den Schenkungen, welche die Ehegatten sich unter einander machten, die rechtliche Gültigkeit abzuerkennen. Daß unter Verhältnissen dieser Art Pläne zur Anzeige kamen die Hauptstadt an allen Ecken anzuzünden, kann nicht befremden. Wenn der Mensch keinen Genuß mehr in der Arbeit findet und bloß arbeitet, um so schnell wie möglich zum Genuß zu gelangen, so ist es nur ein Zufall, wenn er kein Verbrecher wird. Alle Herrlichkeiten der Macht und des Reichtums hatte das Schicksal über die Römer mit voller Hand ausgeschüttet; aber wahrlich, die Pandorabüchse war eine Gabe von zweifelhaftem Wert.


Quelle:
Theodor Mommsen: Römische Geschichte. Berlin 1923, Bd. 1, S. 861-880.
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