Kapitel III

Die Ausdehnung Italiens bis an seine natürlichen Grenzen

[540] Die italische Eidgenossenschaft, wie sie aus den Krisen des fünften Jahrhunderts hervorgegangen war, oder der Staat Italien vereinigte unter römischer Hegemonie die Stadt- und Gaugemeinden vom Apennin bis an das ionische Meer. Allein bevor noch das fünfte Jahrhundert zu Ende ging, waren diese Grenzen bereits nach beiden Seiten hin überschritten, waren jenseit des Apennin wie jenseit des Meeres italische der Eidgenossenschaft angehörige Gemeinden entstanden. Im Norden hatte die Republik, alte und neue Unbill zu rächen, bereits im J. 471 [283] die keltischen Senonen vernichtet, im Süden in dem großen Kriege 490-513 [264-241] die Phöniker von der sizilischen Insel verdrängt. Dort gehörte außer der Bürgeransiedlung Sena namentlich die latinische Stadt Ariminum, hier die Mamertinergemeinde in Messana zu der von Rom geleiteten Verbindung und wie beide national italischen Ursprungs waren, so hatten auch beide teil an den gemeinen Rechten und Pflichten der italischen Eidgenossenschaft. Es mochten mehr die augenblicklich drängenden Ereignisse als eine umfassende politische Berechnung diese Erweiterungen hervorgerufen haben; aber begreiflicherweise brach wenigstens jetzt, nach den großen gegen Karthago erstrittenen Erfolgen, bei der römischen Regierung eine neue und weitere politische Idee sich Bahn, welche die natürliche Beschaffenheit der Halbinsel ohnehin schon nahe genug legte. Politisch und militärisch war es wohl gerechtfertigt, die Nordgrenze von dem niedrigen und leicht zu überschreitenden Apennin an die mächtige Scheidewand Nord- und Südeuropas, die Alpen zu verlegen und mit der Herrschaft über Italien die über die Meere und Inseln im Westen und Osten der Halbinsel zu vereinigen; und nachdem durch die Vertreibung der Phöniker aus Sizilien der schwerste Teil getan war, vereinigten sich mancherlei [540] Umstände um der römischen Regierung die Vollendung des Werkes zu erleichtern.

In der Westsee, die für Italien bei weitem mehr in Betracht kam als das adriatische Meer, war die wichtigste Stellung, die große fruchtbare und hafenreiche Insel Sizilien durch den karthagischen Frieden zum größeren Teil in den Besitz der Römer übergegangen. König Hieron von Syrakus, der in den letzten zweiundzwanzig Kriegsjahren unerschütterlich an dem römischen Bündnis festgehalten hatte, hätte auf eine Gebietserweiterung billigen Anspruch gehabt; allein wenn die römische Politik den Krieg in dem Entschluß begonnen hatte nur sekundäre Staaten auf der Insel zu dulden, so ging bei Beendigung desselben ihre Absicht entschieden schon auf den Eigenbesitz Siziliens. Hieron mochte zufrieden sein, daß ihm sein Gebiet – das heißt außer dem unmittelbaren Bezirk von Syrakus die Feldmarken von Eloros, Neeton, Akrae, Leontini, Megara und Tauromenion – und seine Selbständigkeit gegen das Ausland, in Ermangelung jeder Veranlassung ihm diese zu schmälern, beides im bisherigen Umfang gelassen ward, und daß der Krieg der beiden Großmächte nicht mit dem völligen Sturz der einen oder der andern geendigt hatte und also für die sizilische Mittelmacht wenigstens noch die Möglichkeit des Bestehens blieb. In dem übrigen bei weitem größeren Teile Siziliens, in Panormos, Lilybäon, Akragas, Messana richteten die Römer sich häuslich ein. Sie bedauerten nur, daß der Besitz des schönen Eilandes doch nicht ausreichte, um die westliche See in ein römisches Binnenmeer zu verwandeln, solange noch Sardinien karthagisch blieb. Da eröffnete sich bald nach dem Friedensschluß eine unerwartete Aussicht auch diese zweite Insel des Mittelmeeres den Karthagern zu entreißen. In Afrika hatten unmittelbar nach dem Abschluß des Friedens mit Rom die Söldner und die Untertanen gemeinschaftlich gegen die Phöniker sich empört. Die Schuld der gefährlichen Insurrektion trug wesentlich die karthagische Regierung. Hamilkar hatte in den letzten Kriegsjahren seinen sizilischen Söldnern den Sold nicht wie früher aus eigenen Mitteln auszahlen können und vergeblich Geldsendungen von daheim erbeten; er möge, hieß es, die Mannschaft nur zur Ablöhnung nach Afrika senden. Er gehorchte, aber da er die Leute kannte, schiffte er sie vorsichtig in kleineren Abteilungen ein, damit man sie truppweise ablöhnen oder mindestens auseinanderlegen könne, und legte selber hierauf den Oberbefehl nieder. Allein alle Vorsicht scheiterte nicht so sehr an den leeren Kassen als an dem kollegialischen [541] Geschäftsgang und dem Unverstand der Bureaukratie. Man wartete, bis das gesamte Heer wieder in Libyen vereinigt stand und versuchte dann den Leuten an dem versprochenen Solde zu kürzen. Natürlich entstand eine Meuterei unter den Truppen und das unsichere und feige Benehmen der Behörden zeigte den Meuterern, was sie wagen konnten. Die meisten von ihnen waren gebürtig aus den von Karthago beherrschten oder abhängigen Distrikten; sie kannten die Stimmung, welche die von der Regierung dekretierte Schlächterei nach dem Zuge des Regulus (S. 526) und der fürchterliche Steuerdruck dort überall hervorgerufen halten, und kannten auch ihre Regierung, die nie Wort hielt und nie verzieh: sie wußten, was ihrer wartete, wenn sie mit dem meuterisch erpreßten Solde sich nach Hause zerstreuten. Seit langem hatte man in Karthago sich die Mine gegraben und bestellte jetzt selbst die Leute, die nicht anders konnten als sie anzünden. Wie ein Lauffeuer ergriff die Revolution Besatzung um Besatzung, Dorf um Dorf; die libyschen Frauen trugen ihren Schmuck herbei um den Söldnern die Löhnung zu zahlen; eine Menge karthagischer Bürger, darunter einige der ausgezeichnetsten Offiziere des sizilischen Heeres wurden das Opfer der erbitterten Menge; schon war Karthago von zwei Seiten belagert und das aus der Stadt ausrückende karthagische Heer durch die Verkehrtheit des ungeschickten Führers gänzlich geschlagen. – Wie man also in Rom den gehaßten und immer noch gefürchteten Feind in größerer Gefahr schweben sah, als je die römischen Kriege über ihn gebracht hatten, fing man an mehr und mehr den Friedensschluß von 513 [241] zu bereuen, der, wenn er nicht wirklich voreilig war, jetzt wenigstens allen voreilig erschien, und zu vergessen, wie erschöpft damals der eigene Staat gewesen war, wie mächtig der karthagische damals dagestanden hatte. Die Scham verbot zwar mit den karthagischen Rebellen offen in Verbindung zu treten, ja man gestattete den Karthagern ausnahmsweise zu diesem Krieg in Italien Werbungen zu veranstalten und untersagte den italischen Schiffern mit den Libyern zu verkehren. Indes darf bezweifelt werden, ob es der Regierung von Rom mit diesen bundesfreundlichen Verfügungen sehr ernst war Denn als nichtsdestoweniger der Verkehr der afrikanischen Insurgenten mit den römischen Schiffern fortging und Hamilkar, den die äußerste Gefahr wieder an die Spitze der karthagischen Armee zurückgeführt hatte, eine Anzahl dabei betroffener italischer Kapitäne aufgriff und einsteckte, verwandte sich der Senat für dieselben bei der karthagischen Regierung und bewirkte ihre Freigebung. Auch die Insurgenten [542] selbst schienen in den Römern ihre natürlichen Bundesgenossen zu erkennen; die sardinischen Besatzungen, welche gleich der übrigen karthagischen Armee sich für die Aufständischen erklärt hatten, boten, als sie sich außer stande sahen die Insel gegen die Angriffe der unbezwungenen Gebirgsbewohner aus dem Innern zu halten, den Besitz derselben den Römern an (um 515 [239]); und ähnliche Anerbietungen kamen sogar von der Gemeinde Utica, welche ebenfalls an dem Aufstand teilgenommen hatte und nun durch die Waffen Hamilkars aufs äußerste bedrängt ward. Das letztere Anerbieten wies man in Rom zurück, hauptsächlich wohl weil es über die natürlichen Grenzen Italiens hinaus und also weiter geführt haben würde, als die römische Regierung damals zu gehen gedachte; dagegen ging sie auf die Anerbietungen der sardinischen Meuterer ein und übernahm von ihnen, was von Sardinien in den Händen der Karthager gewesen war (516 [238]). Mit schwererem Gewicht als in der Angelegenheit der Mamertiner trifft die Römer hier der Tadel, daß die große und siegreiche Bürgerschaft es nicht verschmähte mit dem feilen Söldnergesindel Brüderschaft zu machen und den Raub zu teilen, und es nicht über sich gewann dem Gebote des Rechtes und der Ehre den augenblicklichen Gewinn nachzusetzen. Die Karthager, deren Bedrängnis eben um die Zeit der Besetzung Sardiniens aufs höchste gestiegen war, schwiegen vorläufig über die unbefugte Vergewaltigung; nachdem indes diese Gefahr wider Erwarten und wahrscheinlich wider Verhoffen der Römer durch Hamilkars Genie abgewendet und Karthago in Afrika wieder in seine volle Herrschaft eingesetzt worden war (517 [237]), erschienen sofort in Rom karthagische Gesandte um die Rückgabe Sardiniens zu fordern. Allein die Römer, nicht geneigt den Raub wieder herauszugeben, antworteten mit nichtigen oder doch nicht hierher gehörenden Beschwerden über allerlei Unbill, die die Karthager römischen Handelsleuten zugefügt haben sollten, und eilten den Krieg zu erklären9; der Satz, daß in der Politik jeder darf was er kann trat hervor in seiner unverhüllten Schamlosigkeit. Die gerechte Erbitterung hieß die Karthager den gebotenen Krieg annehmen; hätte Catulus fünf Jahre zuvor auf Sardiniens [543] Abtretung bestanden, der Krieg würde wahrscheinlich seinen Fortgang gehabt haben. Allein jetzt, wo beide Inseln verloren, Libyen in Gärung, der Staat durch den vierundzwanzigjährigen Krieg mit Rom und den fast fünfjährigen entsetzlichen Bürgerkrieg aufs äußerste geschwächt war, mußte man wohl sich fügen. Nur auf wiederholte flehentliche Bitten und nachdem die Phöniker sich verpflichtet hatten für die mutwillig veranlaßten Kriegsrüstungen eine Entschädigung von 1200 Talenten (2 Mill. Taler) nach Rom zu zahlen standen die Römer widerwillig vom Kriege ab. So erwarb Rom fast ohne Kampf Sardinien, wozu man Korsika fügte, die alte etruskische Besitzung, in der vielleicht noch vom letzten Kriege her einzelne römische Besatzungen standen (S. 520). Indes beschränkten die Römer, eben wie es die Phöniker getan hatten, sich in Sardinien und mehr noch in dem rauhen Korsika auf die Besetzung der Küsten. Mit den Eingeborenen im Innern führte man beständige Kriege oder vielmehr man trieb dort die Menschenjagd: man hetzte sie mit Hunden und führte die gefangene Ware auf den Sklavenmarkt, aber an eine ernstliche Unterwerfung ging man nicht. Nicht um ihrer selbst willen hatte man die Inseln besetzt, sondern zur Sicherung Italiens. Seit sie die drei großen Eilande besaß, konnte die Eidgenossenschaft das tyrrhenische Meer das ihrige nennen.

Die Gewinnung der Inseln in der italischen Westsee führte in das römische Staatswesen einen Gegensatz ein, der zwar allem Anschein nach aus bloßen Zweckmäßigkeitsrücksichten und fast zufällig entstanden, aber darum nicht minder für die ganze Folgezeit von der tiefsten Bedeutung geworden ist; den Gegensatz der festländischen und der überseeischen Verwaltungsform oder, um die später geläufigen Bezeichnungen zu brauchen, den Gegensatz Italiens und der Provinzen. Bis dahin hatten die beiden höchsten Beamten der Gemeinde, die Konsuln einen gesetzlich abgegrenzten Sprengel nicht gehabt, sondern ihr Amtsbezirk sich soweit erstreckt wie überhaupt das römische Regiment; wobei es sich natürlich von selbst versteht, daß sie faktisch sich in das Amtsgebiet teilten und ebenso sich von selbst versteht, daß sie in jedem einzelnen Bezirk ihres Sprengels durch die dafür bestehenden Bestimmungen gebunden waren, also zum Beispiel die Gerichtsbarkeit über römische Bürger überall dem Prätor zu überlassen und in den latinischen und sonst autonomen Gemeinden die bestehenden Verträge einzuhalten hatten. Die seit 487 [267] durch Italien verteilten vier Quästoren beschränkten die konsularische Amtsgewalt formell wenigstens [544] nicht, indem sie in Italien ebenso wie in Rom lediglich als von den Konsuln abhängige Hilfsbeamte betrachtet wurden. Man scheint diese Verwaltungsweise anfänglich auch auf die Karthago abgenommenen Gebiete erstreckt und Sizilien wie Sardinien einige Jahre durch Quästoren unter Oberaufsicht der Konsuln regiert zu haben; allein sehr bald mußte man sich praktisch von der Unentbehrlichkeit eigener Oberbehörden für die überseeischen Landschaften überzeugen. Wie man die Konzentrierung der römischen Jurisdiktion in der Person des Prätors bei der Erweiterung der Gemeinde hatte aufgeben und in die entfernteren Bezirke stellvertretende Gerichtsherren hatte senden müssen (S. 435), ebenso mußte jetzt (527 [227]) auch die administrativ-militärische Konzentration in der Person der Konsuln aufgegeben werden. Für jedes der neuen überseeischen Gebiete, sowohl für Sizilien wie für Sardinien nebst Korsika, ward ein besonderer Nebenkonsul eingesetzt, welcher an Rang und Titel dem Konsul nach und dem Prätor gleich stand, übrigens aber, gleich dem Konsul der älteren Zeit vor Einsetzung der Prätur, in seinem Sprengel zugleich Oberfeldherr, Oberamtmann und Oberrichter war. Nur die unmittelbare Kassenverwaltung ward wie von Haus aus den Konsuln (S. 250), so auch diesen neuen Oberbeamten entzogen und ihnen ein oder mehrere Quästoren zugegeben, die zwar in alle Wege ihnen untergeordnet und in der Rechtspflege wie im Kommando ihre Gehilfen waren, aber doch die Kassenverwaltung zu führen und darüber nach Niederlegung ihres Amtes dem Senat Rechnung zu legen hatten. – Diese Verschiedenheit in der Oberverwaltung schied wesentlich die überseeischen Besitzungen Roms von den festländischen. Die Grundsätze, nach denen Rom die abhängigen Landschaften in Italien organisiert hatte, wurden großenteils auch auf die außeritalischen Besitzungen übertragen. Daß die Gemeinden ohne Ausnahme die Selbständigkeit dem Auslande gegenüber verloren, versteht sich von selbst. Was den inneren Verkehr anlangt, so durfte fortan kein Provinziale außerhalb seiner eigenen Gemeinde in der Provinz rechtes Eigentum erwerben, vielleicht auch nicht eine rechte Ehe schließen. Dagegen gestattete die römische Regierung wenigstens den sizilischen Städten, die man nicht zu fürchten hatte, eine gewisse föderative Organisation und wohl selbst allgemeine sikeliotische Landtage mit einem unschädlichen Petitions- und Beschwerderecht10. [545] Im Münzwesen war es zwar nicht wohl möglich das römische Courant sofort auch auf den Inseln zum allein gültigen zu erklären; aber gesetzlichen Kurs scheint dasselbe doch von vornherein erhalten zu haben und ebenso, wenigstens in der Regel, den Städten im römischen Sizilien das Recht in edlen Metallen zu münzen entzogen worden zu sein11. Dagegen blieb nicht bloß das Grundeigentum in ganz Sizilien unangetastet – der Satz, daß das außeritalische Land durch Kriegsrecht den Römern zu Privateigentum verfallen sei, war diesem Jahrhundert noch unbekannt –, sondern es behielten auch die sämtlichen sizilischen und sardinischen Gemeinden die Selbstverwaltung und eine gewisse Autonomie, die freilich nicht in rechtsverbindlicher Weise ihnen zugesichert, sondern provisorisch zugelassen ward. Wenn die demokratischen Gemeindeverfassungen überall beseitigt und in jeder Stadt die Macht in die Hände des die städtische Aristokratie repräsentierenden Gemeinderates gelegt ward; wenn ferner wenigstens die sizilischen Gemeinden angewiesen wurden jedes fünfte Jahr dem römischen Census korrespondierend eine Gemeindeschatzung zu veranstalten, so war beides nur eine notwendige Folge der Unterordnung unter den römischen Senat, welcher mit griechischen Ekklesien und ohne Übersicht der finanziellen und militärischen Hilfsmittel einer jeden abhängigen Gemeinde in der Tat nicht regieren konnte; und auch in den italischen Landschaften war in dieser wie in jener Hinsicht das Gleiche geschehen. – Aber neben dieser wesentlichen Rechtsgleichheit stellte sich zwischen den italischen einer- und den überseeischen Gemeinden anderseits ein folgenreicher Unterschied fest. Während die mit den italischen Städten abgeschlossenen Verträge denselben ein festes Kontingent zu dem Heer oder der Flotte der Römer auferlegten, wurden den überseeischen Gemeinden, mit denen eine bindende Paktierung überhaupt nicht eingegangen ward, dergleichen Zuzug nicht auferlegt, [546] sondern sie verloren das Waffenrecht12, nur daß sie nach Aufgebot des römischen Prätors zur Verteidigung ihrer eigenen Heimat verwendet werden konnten. Die römische Regierung sandte regelmäßig italische Truppen in der von ihr festgesetzten Stärke auf die Inseln; dafür wurde der Zehnte der sizilischen Feldfrüchte und ein Zoll von fünf Prozent des Wertes aller in den sizilischen Häfen aus- und eingehenden Handelsartikel nach Rom entrichtet. Den Insulanern waren diese Abgaben nichts Neues. Die Abgaben, welche die karthagische Republik und der persische Großkönig sich zahlen liesen, waren jenem Zehnten wesentlich gleichartig; und auch in Griechenland war eine solche Besteuerung nach orientalischem Muster von jeher mit der Tyrannis und oft auch mit der Hegemonie verknüpft gewesen. Die Sizilianer hatten längst in dieser Weise den Zehnten entweder nach Syrakus oder nach Karthago entrichtet und längst auch die Hafenzölle nicht mehr für eigene Rechnung erhoben. ›Wir haben‹, sagt Cicero, ›die sizilischen Gemeinden also in unsere Klientel und in unsern Schutz aufgenommen, daß sie bei dem Rechte blieben, nach welchem sie bisher gelebt hatten, und unter denselben Verhältnissen der römischen Gemeinde gehorchten, wie sie bisher ihren eigenen Herren gehorcht hatten‹. Es ist billig dies nicht zu vergessen; aber im Unrecht fortfahren heißt auch Unrecht tun. Nicht für die Untertanen, die nur den Herrn wechselten, aber wohl für ihre neuen Herren war das Aufgeben des ebenso weisen wie großherzigen Grundsatzes der römischen Staatsordnung, von den Untertanen nur Kriegshilfe und nie statt derselben Geldentschädigung anzunehmen, von verhängnisvoller Bedeutung, gegen die alle Milderungen in den Ansätzen und der Erhebungsweise sowie alle Ausnahmen im einzelnen verschwanden. Solche Ausnahmen wurden allerdings mehrfach gemacht. Messana trat geradezu in die Eidgenossenschaft der Togamänner ein und stellte wie die griechischen Städte in Italien sein Kontingent zu der römischen Flotte. Einer Reihe anderer Städte wurde zwar nicht der Eintritt in die italische Wehrgenossenschaft, aber außer anderen Begünstigungen Freiheit von Steuer und Zehnten zugestanden, sodaß ihre Stellung in finanzieller Hinsicht selbst noch günstiger war als die der italischen Gemeinden. Es waren dies Egesta und Halikyä, welche zuerst unter den Städten des [547] karthagischen Sizilien zum römischen Bündnis übergetreten waren; Kentoripa im östlichen Binnenland, das bestimmt war das syrakusanische Gebiet in nächster Nähe zu überwachen13; an der Nordküste Haläsa, das zuerst von den freien griechischen Städten den Römern sich angeschlossen hatte; und vor allem Panormos, bisher die Hauptstadt des karthagischen Sizilien und jetzt bestimmt die des römischen zu werden. Den alten Grundsatz ihrer Politik die abhängigen Gemeinden in sorgfältig abgestufte Klassen verschiedenen Rechts zu gliedern wandten die Römer also auch auf Sizilien an; aber durchschnittlich standen die sizilischen und sardinischen Gemeinden nicht im bundesgenössischen, sondern in dem offenkundigen Verhältnis steuerpflichtiger Untertänigkeit. – Allerdings fiel dieser tiefgreifende Gegensatz zwischen den zuzug- und den steuer- oder doch wenigstens nicht zuzugpflichtigen Gemeinden mit dem Gegensatz zwischen Italien und den Provinzen nicht in rechtlich notwendiger Weise zusammen. Es konnten auch überseeische Gemeinden der italischen Eidgenossenschaft angehören, wie denn die Mamertiner mit den italischen Sabellern wesentlich auf einer Linie standen, und selbst der Neugründung von Gemeinden latinischen Rechts stand in Sizilien und Sardinien rechtlich so wenig etwas im Wege wie in dem Lande jenseit des Apennin. Es konnten auch festländische Gemeinden des Waffenrechts entbehren und tributär sein, wie dies für einzelne keltische Distrikte am Po wohl schon jetzt galt und später in ziemlich ausgedehntem Umfange eingeführt ward. Allein der Sache nach überwogen die zuzugpflichtigen Gemeinden ebenso entschieden auf dem Festlande wie die steuerpflichtigen auf den Inseln; und während weder in dem hellenisch zivilisierten Sizilien noch auf Sardinien italische Ansiedelungen römischerseits beabsichtigt wurden, stand es bei der römischen Regierung ohne Zweifel schon jetzt fest das barbarische Land zwischen Apennin und Alpen nicht bloß sich zu unterwerfen, sondern auch, wie die Eroberung fortschritt, dort neue Gemeinden italischen Ursprungs und italischen Rechts zu konstituieren. Also wurden die überseeischen Besitzungen nicht bloß Untertanenland, sondern sie waren auch bestimmt es für alle Zukunft zu bleiben; dagegen der neu abgegrenzte gesetzliche Amtsbezirk [548] der Konsuln oder, was dasselbe ist, das festländische römische Gebiet sollte ein neues und weiteres Italien werden, das von den Alpen bis zum ionischen Meere reichte. Vorerst freilich fiel dies Italien als wesentlich geographischer Begriff mit dem politischen der italischen Eidgenossenschaft nicht durchaus zusammen und war teils weiter, teils enger. Aber schon jetzt betrachtete man den ganzen Raum bis zur Alpengrenze als Italia, das heißt als gegenwärtiges oder künftiges Gebiet der Togaträger und steckte, ähnlich wie es in Nordamerika geschah und geschieht, die Grenze vorläufig geographisch ab, um sie mit der weiter vorschreitenden Kolonisierung allmählich auch politisch vorzuschieben14.

Im adriatischen Meer, an dessen Eingang die wichtige und längstvorbereitete Kolonie Brundisium endlich noch während des Krieges mit Karthago gegründet worden war (510 [244]), war Roms Suprematie von vornherein entschieden. In der Westsee hatte Rom den Rivalen beseitigen müssen; in der östlichen sorgte schon die hellenische Zwietracht dafür, daß alle Staaten auf der griechischen Halbinsel ohnmächtig blieben oder wurden. Der bedeutendste derselben, der makedonische, war unter dem Einfluß Ägyptens vom oberen adriatischen Meer durch die Ätoler wie aus dem Peloponnes durch die Achäer verdrängt worden [549] und kaum noch im stande die Nordgrenze gegen die Barbaren zu schützen. Wie sehr den Römern daran gelegen war Makedonien und dessen natürlichen Verbündeten, den syrischen König niederzuhalten und wie eng sie sich anschlossen an die eben darauf gerichtete ägyptische Politik, beweist das merkwürdige Anerbieten, das sie nach dem Ende des Krieges mit Karthago dem König Ptolemäos III. Euergetes machten, ihn in dem Kriege zu unterstützen, den er wegen Berenikes Ermordung gegen Seleukos II. Kallinikos von Syrien (reg. 507-529 [247-225]) führte und bei dem wahrscheinlich Makedonien für den letztern Partei genommen hatte. Ueberhaupt werden die Beziehungen Roms zu den hellenistischen Staaten enger; auch mit Syrien verhandelte der Senat schon und verwandte sich bei dem ebengenannten Seleukos für die stammverwandten Ilier. – Einer unmittelbaren Einmischung in die Angelegenheiten der östlichen Mächte bedurfte es zunächst nicht. Die achäische Eidgenossenschaft, die im Aufblühen geknickt ward durch die engherzige Coteriepolitik des Aratos, die ätolische Landsknechtrepublik, das verfallene Makedonierreich hielten selber einer den andern nieder; und überseeischen Ländergewinn vermied man damals eher in Rom als daß man ihn suchte. Als die Akarnanen, sich darauf berufend, daß sie allein unter allen Griechen nicht teil genommen hätten an der Zerstörung Ilions, die Nachkommen des Äneias um Hilfe baten gegen die Ätoler, versuchte der Senat zwar eine diplomatische Verwendung; allein da die Ätoler darauf eine nach ihrer Weise abgefaßte, das heißt unverschämte Antwort erteilten, ging das antiquarische Interesse der römischen Herren doch keineswegs so weit um dafür einen Krieg anzufangen, durch den sie die Makedonier von ihrem Erbfeind befreit haben würden (um 515 [239]). – Selbst den Unfug der Piraterie, die bei solcher Lage der Dinge begreiflicherweise das einzige Gewerbe war, das an der adriatischen Küste blühte und von der auch der italische Handel viel zu leiden hatte, ließen sich die Römer mit einer Geduld, die mit ihrer gründlichen Abneigung gegen den Seekrieg und ihrem schlechten Flottenwesen eng zusammenhing, länger als billig gefallen. Allein endlich ward es doch zu arg. Unter Begünstigung Makedoniens, das keine Veranlassung mehr fand sein altes Geschäft der Beschirmung des hellenischen Handels vor den adriatischen Korsaren zu Gunsten seiner Feinde fortzuführen, hatten die Herren von Skodra die illyrischen Völkerschaften, etwa die heutigen Dalmatiner, Montenegriner und Nordalbanesen, zu gemeinschaftlichen Piratenzügen im großen Stil vereinigt; mit ganzen Geschwadern ihrer schnellsegelnden [550] Zweidecker, der bekannten ›liburnischen‹ Schiffe, führten die Illyrier den Krieg gegen jedermann zur See und an den Küsten. Die griechischen Ansiedelungen in diesen Gegenden, die Inselstädte Issa (Lissa) und Pharos (Lesina), die wichtigen Küstenplätze Epidamnos (Durazzo) und Appollonia (nördlich von Avlona am Aoos), hatten natürlich vor allem zu leiden und sahen sich wiederholt von den Barbaren belagert. Aber noch weiter südlich, in Phönike, der blühendsten Stadt von Epeiros setzten die Korsaren sich fest; halb gezwungen halb freiwillig traten die Epeiroten und Akarnanen mit den fremden Räubern in eine unnatürliche Symmachie; bis nach Elis und Messene hin waren die Küsten unsicher. Vergeblich vereinigten die Ätoler und Achäer was sie an Schiffen hatten, um dem Unwesen zu steuern; in offener Seeschlacht wurden sie von den Seeräubern und deren griechischen Bundesgenossen geschlagen; die Korsarenflotte vermochte endlich sogar die reiche und wichtige Insel Kerkyra (Korfu) einzunehmen. Die Klagen der italischen Schiffer, die Hilfsgesuche der altverbündeten Apolloniaten, die flehenden Bitten der belagerten Issaer nötigten endlich den römischen Senat wenigstens Gesandte nach Skodra zu schicken. Die Brüder Gaius und Lucius Coruncanius kamen, um von dem König Agron Abstellung des Unwesens zu fordern Der König gab zur Antwort, daß nach illyrischem Landrecht der Seeraub ein erlaubtes Gewerbe sei und die Regierung nicht das Recht habe der Privatkaperei zu wehren; worauf Lucius Coruncanius erwiderte, daß dann Rom es sich angelegen sein lassen werde den Illyriern ein besseres Landrecht beizubringen. Wegen dieser allerdings nicht sehr diplomatischen Replik wurde, wie die Römer behaupteten, auf Geheiß des Königs, einer der Gesandten auf der Heimkehr ermordet und die Auslieferung der Mörder verweigert. Der Senat hatte jetzt keine Wahl mehr. Mit dem Frühjahr 525 erschien vor Apollonia eine Flotte von 200 [229] Linienschiffen mit einer Landungsarmee an Bord; vor jener zerstoben die Korsarenböte, während diese die Raubburgen brach; die Königin Teuta, die nach ihres Gemahls Agron Tode die Regierung für ihren unmündigen Sohn Pinnes führte, mußte, in ihrem letzten Zufluchtsort belagert, die Bedingungen annehmen, die Rom diktierte. Die Herren von Skodra wurden wieder im Norden wie im Süden auf ihr ursprüngliches engbegrenztes Gebiet beschränkt und hatten nicht bloß alle griechischen Städte, sondern auch die Ardiäer in Dalmatien, die Parthiner um Epidamnos, die Atinta nen im nördlichen Epeiros aus ihrer Botmäßigkeit zu entlassen; südlich von Lissos (Alessio zwischen [551] Scutari und Durazzo) sollten künftig illyrische Kriegsfahrzeuge überhaupt nicht und nicht armierte nicht über zwei zusammen fahren dürfen. Roms Seeherrschaft auf dem adriatischen Meer war in der löblichsten und dauerhaftesten Weise zur vollen Anerkennung gebracht durch die rasche und energische Unterdrückung des Piratenunfugs. Allein man ging weiter und setzte sich zugleich an der Ostküste fest. Die Illyrier von Skodra wurden tributpflichtig nach Rom; auf den dalmatinischen Inseln und Küsten wurde Demetrios von Pharos, der aus den Diensten der Teuta in römische getreten war, als abhängiger Dynast und römischer Bundesgenosse eingesetzt; die griechischen Städte Kerkyra, Apollonia, Epidamnos und die Gemeinden der Atintanen und Parthiner wurden in milden Formen der Symmachie an Rom geknüpft. Diese Erwerbungen an der Ostküste des adriatischen Meeres waren nicht ausgedehnt genug um einen eigenen Nebenkonsul für sie einzusetzen: nach Kerkyra und vielleicht auch nach anderen Plätzen scheinen Statthalter untergeordneten Ranges gesandt und die Oberaufsicht über diese Besitzungen den Oberbeamten, welche Italien verwalteten, mit übertragen worden zu sein15. Also traten gleich Sizilien und Sardinien auch die wichtigsten Seestationen im adriatischen Meer in die römische Botmäßigkeit ein. Wie hätte es auch anders kommen sollen? Rom brauchte eine gute Seestation im oberen adriatischen Meere, welche ihm seine Besitzungen an dem italischen Ufer nicht gewährten; die neuen Bundesgenossen, namentlich die griechischen Handelsstädte sahen in den Römern ihre Retter und taten ohne Zweifel was sie konnten sich des mächtigen Schutzes dauernd zu versichern; im eigentlichen Griechenland war nicht bloß niemand im stande zu widersprechen, sondern das Lob der Befreier auf allen Lippen. Man kann [552] fragen, ob der Jubel in Hellas größer war oder die Scham, als statt der zehn Linienschiffe der achäischen Eidgenossenschaft, der streitbarsten Macht Griechenlands, jetzt zweihundert Segel der Barbaren in ihre Häfen einliefen und mit einem Schlage die Aufgabe lösten, die den Griechen zukam und an der diese so kläglich gescheitert waren. Aber wenn man sich schämte, daß die Rettung den bedrängten Landsleuten vom Ausland hatte kommen müssen, so geschah es wenigstens mit guter Manier; man säumte nicht die Römer durch Zulassung zu den isthmischen Spielen und den eleusinischen Mysterien feierlich in den hellenischen Nationalverband aufzunehmen. – Makedonien schwieg; es war nicht in der Verfassung mit den Waffen zu protestieren und verschmähte es mit Worten zu tun. Auf Widerstand traf man nirgend; aber nichtsdestoweniger hatte Rom, indem es die Schlüssel zum Hause des Nachbarn an sich nahm, in diesem sich einen Gegner geschaffen, von dem, wenn er wieder zu Kräften oder eine günstige Gelegenheit ihm vorkam, sich erwarten ließ, daß er sein Schweigen zu brechen wissen werde. Hätte der kräftige und besonnene König Antigonos Doson länger gelebt, so würde wohl er schon den hingeworfenen Handschuh aufgehoben haben; denn als einige Jahre später der Dynast Demetrios von Pharos sich der römischen Hegemonie entzog, im Einverständnis mit den Istriern vertragswidrig Seeraub trieb und die von den Römern für unabhängig erklärten Atintanen sich unterwarf, machte Antigonos Bündnis mit ihm und Demetrios' Truppen fochten mit in Antigonos' Heer in der Schlacht bei Sellasia (532 [222]). Allein Antigonos starb (Winter 533/4 [221/20]); sein Nachfolger Philippos, noch ein Knabe, ließ es geschehen, daß der Konsul Lucius Aemilius Paullus den Verbündeten Makedoniens angriff, seine Hauptstadt zerstörte und ihn landflüchtig aus seinem Reiche trieb (535 [219]).

Auf dem Festland des eigentlichen Italien südlich vom Apennin war tiefer Friede seit dem Fall von Tarent; der sechstägige Krieg mit Falerii (513 [241]) ist kaum etwas mehr als eine Kuriosität. Aber gegen Norden dehnte zwischen dem Gebiet der Eidgenossenschaft und der Naturgrenze Italiens, der Alpenkette noch eine weite Strecke sich aus, die den Römern nicht botmäßig war. Als Grenze Italiens galt an der adriatischen Küste der Aesisfluß unmittelbar oberhalb Ancona. Jenseit dieser Grenze gehörte die nächstliegende eigentlich gallische Landschaft bis Ravenna einschließlich in ähnlicher Weise wie das eigentliche Italien zu dem römischen Reichsverband; die Senonen, die hier ehemals gesessen hatten, waren in dem Kriege 471/2 ausgerottet (S. 390. [553] 391) und die einzelnen Ortschaften entweder als Bürgerkolonien, wie Sena gallica (S. 391), oder als Bundesstädte, sei es latinischen Rechts, wie Ariminum (S. 412), sei es italischen, wie Ravenna, mit Rom verknüpft worden. Auf dem weiten Gebiet jenseit Ravenna bis zu der Alpengrenze saßen nichtitalische Völkerschaften. Südlich vom Po behauptete sich noch der mächtige Keltenstamm der Boier (von Parma bis Bologna), neben denen östlich die Lingonen, westlich (im Gebiet von Parma) die Anaren, zwei kleinere vermutlich in der Klientel der Boier stehende keltische Kantone die Ebene ausfüllten. Wo diese aufhört, begannen die Ligurer, die mit einzelnen keltischen Stämmen gemischt auf dem Apennin von oberhalb Arezzo und Pisa an sitzend, das Quellgebiet des Po innehatten. Von der Ebene nordwärts vom Po hatten die Veneter, verschiedenen Stammes von den Kelten und wohl illyrischer Abkunft, den östlichen Teil etwa von Verona bis zur Küste im Besitz; zwischen ihnen und den westlichen Gebirgen saßen die Cenomanen (um Brescia und Cremona), die selten mit der keltischen Nation hielten und wohl stark mit Venetern gemischt waren, und die Insubrer (um Mailand), dieser der bedeutendste der italischen Keltengaue und in stetiger Verbindung nicht bloß mit den kleineren in den Alpentälern zerstreuten Gemeinden teils keltischer, teils anderer Abkunft, sondern auch mit den Keltengauen jenseit der Alpen. Die Pforten der Alpen, der mächtige auf fünfzig deutsche Meilen schiffbare Strom, die größte und fruchtbarste Ebene des damaligen zivilisierten Europa waren nach wie vor in den Händen der Erbfeinde des italischen Namens, die, wohl gedemütigt und geschwächt, doch immer noch kaum dem Namen nach abhängig und immer noch unbequeme Nachbarn, in ihrer Barbarei verharrten und dünngesäet in den weiten Flächen ihre Herden- und Plünderwirtschaft fortführten. Man durfte erwarten, daß die Römer eilen würden sich dieser Gebiete zu bemächtigen; umsomehr als die Kelten allmählich anfingen ihrer Niederlagen in den Feldzügen von 471 [283] und 472 [282] zu vergessen und sich wieder zu regen, ja was noch bedenklicher war die transalpinischen Kelten aufs neue begannen diesseit der Alpen sich zu zeigen. In der Tat hatten bereits im Jahre 516 [238] die Boier den Krieg erneuert und deren Herren Atis und Galatas, freilich ohne Auftrag der Landesgemeinde, die Transalpiner aufgefordert mit ihnen gemeinschaftliche Sache zu machen; zahlreich waren diese dem Ruf gefolgt und im Jahre 518 [236] lagerte ein Keltenheer vor Ariminum, wie Italien es lange nicht gesehen hatte. Die Römer, für den Augenblick viel zu schwach um die Schlacht zu versuchen, schlossen [554] Waffenstillstand und ließen, um Zeit zu gewinnen, Boten der Kelten nach Rom gehen, die im Senat die Abtretung von Ariminum zu fordern wagten – es schien, als seien die Zeiten des Brennus wiedergekehrt. Aber ein unvermuteter Zwischenfall machte dem Krieg ein Ende, bevor er noch recht begonnen hatte. Die Boier, unzufrieden mit den ungebetenen Bundesgenossen und wohl für ihr eigenes Gebiet fürchtend, gerieten in Händel mit den Transalpinern; es kam zwischen den beiden Keltenheeren zu offener Feldschlacht und nachdem die boischen Häuptlinge von ihren eigenen Leuten erschlagen waren, kehrten die Transalpiner heim. Damit waren die Boier den Römern in die Hände gegeben und es hing nur von diesen ab sie gleich den Senonen auszutreiben und wenigstens bis an den Po vorzudringen; allein es ward vielmehr denselben gegen die Abtretung einiger Landstriche der Friede gewährt (518 [236]). Das mag damals geschehen sein, weil man eben den Wiederausbruch des Kriegs mit Karthago erwartete; aber nachdem dieser durch die Abtretung Sardiniens abgewandt worden war, forderte es die richtige Politik der römischen Regierung das Land bis an die Alpen so rasch und so vollständig wie möglich in Besitz zu nehmen. Die beständigen Besorgnisse der Kelten vor einer solchen römischen Invasion sind darum hinreichend gerechtfertigt; indes die Römer beeilten sich eben nicht. So begannen denn die Kelten ihrerseits den Krieg, sei es, daß die römischen Ackerverteilungen an der Ostküste (522 [232]), obwohl zunächst nicht gegen sie gerichtet, sie besorgt gemacht hatten, sei es, daß sie die Unvermeidlichkeit eines Krieges mit Rom um den Besitz der Lombardei begriffen, sei es, was vielleicht das Wahrscheinlichste ist, daß das ungeduldige Keltenvolk wieder einmal des Sitzens müde war und eine neue Heerfahrt zu rüsten beliebte. Mit Ausschluß der Cenomanen, die mit den Venetern hielten und sich für die Römer erklärten, traten dazu sämtliche italische Kelten zusammen und ihnen schlossen sich unter den Führern Concolitanus und Aneroestus zahlreich die Kelten des oberen Rhonetals oder vielmehr deren Reisläufer an16. Mit 50000 zu Fuß und 20000 zu Roß oder zu [555] Wagen kämpfenden Streitern rückten die Führer der Kelten auf den Apennin zu (529 [225]). Von dieser Seite hatte man in Rom sich des Angriffs nicht versehen und nicht erwartet, daß die Kelten mit Vernachlässigung der römischen Festungen an der Ostküste und des Schutzes der eigenen Stammgenossen geradeswegs gegen die Hauptstadt vorzugehen wagen würden. Nicht gar lange vorher hatte ein ähnlicher Keltenschwarm in ganz gleicher Weise Griechenland überschwemmt; die Gefahr war ernst und schien noch ernster als sie war. Der Glaube, daß Roms Untergang diesmal unvermeidlich und der römische Boden vom Verhängnis gallisch zu werden bestimmt sei, war selbst in Rom unter der Menge so allgemein verbreitet, daß sogar die Regierung es nicht unter ihrer Würde hielt den krassen Aberglauben des Pöbels durch einen noch krasseren zu bannen und zur Erfüllung des Schicksalspruchs einen gallischen Mann und eine gallische Frau auf dem römischen Markt lebendig begraben zu lassen. Daneben traf man ernstlichere Anstalten. Von den beiden konsularischen Heeren, deren jedes etwa 25000 Mann zu Fuß und 1100 Reiter zählte, stand das eine unter Gaius Atilius Regulus in Sardinien, das zweite unter Lucius Aemilius Papus bei Ariminum; beide erhielten Befehl sich so schnell wie möglich nach dem zunächst bedrohten Etrurien zu begeben. Schon hatten gegen die mit Rom verbündeten Cenomanen und Veneter die Kelten eine Besatzung in der Heimat zurücklassen müssen; jetzt ward auch der Landsturm der Umbrer angewiesen von den heimischen Bergen herab in die Ebene der Boier einzurücken und dem Feinde auf sei nen eigenen Äckern jeden erdenklichen Schaden zuzufügen. Die Landwehr der Etrusker und Sabiner sollte den Apennin besetzen und womöglich sperren, bis die regulären Truppen eintreffen könnten. In Rom bildete sich eine Reserve von 50000 Mann; durch ganz Italien, das diesmal in Rom seinen rechten Vorkämpfer sah, wurde die dienstfähige Mannschaft verzeichnet, Vorräte und Kriegsmaterial zusammengebracht. – Indes alles das forderte Zeit; man hatte einmal sich überrumpeln lassen und wenigstens Etrurien zu retten war es zu spät. Die Kelten fanden den Apennin kaum verteidigt und plünderten unangefochten die reichen Ebenen des tuskischen Gebietes, das lange keinen Feind gesehen. Schon standen sie bei Clusium drei Tagemärsche von Rom, als das Heer von Ariminum unter dem Konsul Papus [556] ihnen in der Flanke erschien, während die etruskische Landwehr, die sich nach der Überschreitung des Apennin im Rücken der Gallier zusammengezogen hatte, dem Marsch der Feinde folgte. Eines Abends, nachdem bereits beide Heere sich gelagert und die Biwakfeuer angezündet hatten, brach das keltische Fußvolk plötzlich wieder auf und zog in rückwärtiger Richtung ab auf der Straße gegen Faesulae (Fiesole); die Reiterei besetzte die Nacht hindurch die Vorposten und folgte am andern Morgen der Hauptmacht. Als die tuskische Landwehr, die dicht am Feinde lagerte, seines Abzugs inne ward, meinte sie, daß der Schwarm anfange sich zu verlaufen und brach auf zu eiligem Nachsetzen. Eben darauf hatten die Gallier gerechnet; ihr ausgeruhtes und geordnetes Fußvolk empfing auf dem wohl gewählten Schlachtfeld die römische Miliz, die ermattet und aufgelöst von dem Gewaltmarsch herankam. 6000 Mann fielen nach heftigem Kampf, und auch der Rest des Landsturms, der notdürftig auf einem Hügel Zuflucht gefunden, wäre verloren gewesen, wenn nicht rechtzeitig das konsularische Heer erschienen wäre. Dies bewog die Gallier sich nach der Heimat zurückzuwenden. Ihr geschickt angelegter Plan die Vereinigung der beiden römischen Heere zu hindern und das schwächere einzeln zu vernichten war nur halb gelungen; für jetzt schien es ihnen geraten zunächst die beträchtliche Beute in Sicherheit zu bringen. Des bequemeren Marsches wegen zogen sie sich aus der Gegend von Chiusi, wo sie standen, an die ebene Küste und marschierten am Strande hin, als sie unvermutet hier sich den Weg verlegt fanden. Es waren die sardinischen Legionen, die bei Pisae gelandet waren und, da sie zu spät kamen um den Apennin zu sperren, sich sofort auf demselben Küstenweg, den die Gallier verfolgten, in der entgegengesetzten Richtung in Bewegung gesetzt hatten. Bei Telamon (an der Mündung des Ombrone) trafen sie auf den Feind. Während das römische Fußvolk in geschlossener Front auf der großen Straße vorrückte, ging die Reiterei, vom Konsul Gaius Atilius Regulus selber geführt, seitwärts vor, um den Galliern in die Flanke zu kommen und so bald wie möglich dem andern römischen Heer unter Papus Kunde von ihrem Eintreffen zu geben. Es entspann sich ein heftiges Reitergefecht, in dem mit vielen tapferen Römern auch Regulus fiel; aber nicht umsonst hatte er sein Leben aufgeopfert: sein Zweck war erreicht. Papus gewahrte das Gefecht und ahnte den Zusammenhang; schleunig ordnete er seine Scharen und von beiden Seiten drangen nun römische Legionen auf das Keltenheer ein. Mutig stellte dieses sich zum [557] Doppelkampf, die Transalpiner und Insubrer gegen die Truppen des Papus, die alpinischen Taurisker und die Boier gegen das sardinische Fußvolk; das Reitergefecht ging davon gesondert auf dem Flügel seinen Gang. Die Kräfte waren der Zahl nach nicht ungleich gemessen und die verzweifelte Lage der Gallier zwang sie zur hartnäckigsten Gegenwehr. Aber die Transalpiner, nur des Nahkampfes gewohnt, wichen vor den Geschossen der römischen Plänkler; im Handgemenge setzte die bessere Stählung der römischen Waffen die Gallier in Nachteil; endlich entschied der Flankenangriff der siegreichen römischen Reiterei den Tag. Die keltischen Berittenen entrannen; für das Fußvolk, das zwischen dem Meere und den drei römischen Heeren eingekeilt war, gab es keine Flucht. 10000 Kelten mit dem König Concolitanus wurden gefangen; 40000 andere lagen tot auf dem Schlachtfeld; Aneroestus und sein Gefolge hatten sich nach keltischer Sitte selber den Tod gegeben. – Der Sieg war vollständig und die Römer fest entschlossen die Wiederholung solcher Einfälle durch die völlige Überwältigung der Kelten diesseit der Alpen unmöglich zu machen. Ohne Widerstand ergaben im folgenden Jahr (530 [224]) sich die Boier nebst den Lingonen, das Jahr darauf (531 [223]) die Anaren; damit war das Flachland bis zum Padus in römischen Händen. Ernstlichere Kämpfe kostete die Eroberung des nördlichen Ufers. Gaius Flaminius überschritt in dem neugewonnenen anarischen Gebiet (etwa bei Piacenza) den Fluß (531 [223]); allein bei dem Übergang und mehr noch bei der Festsetzung am andern Ufer erlitt er so schwere Verluste und fand sich den Fluß im Rücken in einer so gefährlichen Lage, daß er mit dem Feind um freien Abzug kapitulierte, den die Insubrer törichterweise zugestanden. Kaum war er indes entronnen, als er vom Gebiet der Cenomanen aus und mit diesen vereinigt von Norden her in den Gau der Insubrer zum zweitenmal einrückte. Zu spät begriffen diese, um was es sich jetzt handle; sie nahmen aus dem Tempel ihrer Göttin die goldenen Feldzeichen, ›die unbeweglichen‹ genannt, und mit ihrem ganzen Aufgebot, 50000 Mann stark boten sie den Römern die Schlacht. Die Lage dieser war gefährlich: sie standen mit dem Rücken an einem Fluß (vielleicht dem Oglio), von der Heimat getrennt durch das feindliche Gebiet und für den Beistand im Kampf wie für die Rückzugslinie angewiesen auf die unsichere Freundschaft der Cenomanen. Indes es gab keine Wahl. Man zog die in den römischen Reihen fechtenden Gallier auf das linke Ufer des Flusses; auf dem rechten, den Insubrern gegenüber, stellte man die Legionen auf und brach die Brücken ab, um von den [558] unsicheren Bundesgenossen wenigstens nicht im Rücken angefallen zu werden. – Freilich schnitt also der Fluß den Rückzug ab und ging der Weg zur Heimat durch das feindliche Heer. Aber die Überlegenheit der römischen Waffen und der römischen Disziplin erfocht den Sieg und das Heer schlug sich durch; wieder einmal hatte die römische Taktik die strategischen Fehler gut gemacht. Der Sieg gehörte den Soldaten und Offizieren, nicht den Feldherren, die gegen den gerechten Beschluß des Senats nur durch Volksgunst triumphierten. Gern hätten die Insubrer Frieden gemacht; aber Rom forderte unbedingte Unterwerfung, und soweit war man noch nicht. Sie versuchten sich mit Hilfe der nördlichen Stammgenossen zu halten und mit 30000 von ihnen geworbenen Söldnern derselben und ihrer eigenen Landwehr empfingen sie die beiden im folgenden Jahr (532 [222]) abermals aus dem ce nomanischen Gebiet in das ihrige einrückenden konsularischen Heere. Es gab noch manches harte Gefecht; bei einer Diversion, welche die Insubrer gegen die römische Festung Clastidium (Casteggio unterhalb Pavia) am rechten Poufer versuchten, fiel der gallische König Virdumarus von der Hand des Konsuls Marcus Marcellus. Allein nach einer halb von den Kelten schon gewonnenen, aber endlich doch für die Römer entschiedenen Schlacht erstürmte der Konsul Gnäus Scipio die Hauptstadt der Insubrer Mediolanum, und die Einnahme dieser und der Stadt Comum machte der Gegenwehr ein Ende. Damit waren die italischen Kelten vollständig besiegt und wie eben vorher die Römer den Hellenen im Piratenkrieg den Unterschied zwischen römischer und griechischer Seebeherrschung gezeigt, so hatten sie jetzt glänzend bewiesen, daß Rom Italiens Pforten anders gegen den Landraub zu wahren wußte als Makedonien die Tore Griechenlands und daß trotz allen inneren Haders Italien dem Nationalfeinde gegenüber ebenso einig wie Griechenland zerrissen dastand. – Die Alpengrenze war erreicht, insofern als das ganze Flachland am Po entweder den Römern untertänig oder, wie das cenomanische und venetische Gebiet, von abhängigen Bundesgenossen besessen war; es bedurfte indes der Zeit um die Konsequenzen dieses Sieges zu ziehen und die Landschaft zu romanisieren. Man verfuhr dabei nicht in derselben Weise. In dem gebirgigen Nordwesten Italiens und in den entfernteren Distrikten zwischen den Alpen und dem Po duldete man im ganzen die bisherigen Bewohner; die zahlreichen sogenannten Kriege, die namentlich gegen die Ligurer geführt wurden (zuerst 516 [238]), scheinen mehr Sklavenjagden gewesen zu sein, und wie oft auch die Gaue und Täler den Römern [559] sich unterwarfen, war die römische Herrschaft doch hier kaum mehr als ein Name. Auch die Expedition nach Istrien (533 [221]) scheint nicht viel mehr bezweckt zu haben als die letzten Schlupfwinkel der adriatischen Piraten zu vernichten und längs der Küste zwischen den italischen Eroberungen und den Erwerbungen an dem anderen Ufer eine Kontinentalverbindung herzustellen. Dagegen die Kelten in den Landschaften südlich vom Po waren der Vernichtung rettungslos verfallen; denn bei dem losen Zusammenhang der keltischen Nation nahm keiner der nördlichen Keltengaue außer für Geld sich der italischen Stammgenossen an und die Römer sahen in denselben nicht bloß ihre Nationalfeinde, sondern auch die Usurpatoren ihres natürlichen Erbes. Die ausgedehnte Ackerverteilung von 522 [332] hatte schon das gesamte Gebiet zwischen Ancona und Ariminum mit römischen Kolonisten gefüllt, die ohne kommunale Organisation in Marktflecken und Dörfern hier sich ansiedelten. Auf diesem Wege ging man weiter und es war nicht schwer eine halbbarbarische dem Ackerbau nur nebenher obliegende und ummauerter Städte entbehrende Bevölkerung, wie die keltische war, zu verdrängen und auszurotten. Die große Nordchaussee, die wahrscheinlich schon achtzig Jahre früher über Otricoli nach Narni geführt und kurz vorher bis an die neubegründete Festung Spoletium (514 [240]) verlängert worden war, wurde jetzt (534 [220]) unter dem Namen der flaminischen Straße über den neu angelegten Marktflecken Forum Flaminii (bei Foligno) durch den Furlopaß an die Küste und an dieser entlang von Fanum (Fano) bis nach Ariminum geführt; es war die erste Kunststraße, die den Apennin überschritt und die beiden italischen Meere verband. Man war eifrig beschäftigt das neugewonnene fruchtbare Gebiet mit römischen Ortschaften zu bedecken. Schon war zur Deckung des Übergangs über den Po auf dem rechten Ufer die starke Festung Placentia (Piacenza) gegründet, nicht weit davon am linken Cremona angelegt, ferner auf dem den Boiern abgenommenen Gebiet der Mauerbau von Mutina (Modena) weit vorgeschritten; schon bereitete man weitere Landanweisungen und die Fortführung der Chaussee vor, als ein plötzliches Ereignis die Römer in der Ausbeutung ihrer Erfolge unterbrach.


Quelle:
Theodor Mommsen: Römische Geschichte. Berlin 1923, Bd. 1, S. 540-561.
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