Kapitel VII

Der Westen vom hannibalischen Frieden bis zum Ende der dritten Periode

[665] In der Erstreckung der römischen Herrschaft bis an die Alpen- oder, wie man jetzt schon sagte, bis an die italische Grenze und in der Ordnung und Kolonisierung der keltischen Landschaften war Rom durch den hannibalischen Krieg unterbrochen worden. Es verstand sich von selbst, daß man jetzt da fortfahren würde, wo man aufgehört hatte, und die Kelten begriffen es wohl. Schon im Jahre des Friedensschlusses mit Karthago (553 [201]) hatten im Gebiet der zunächst bedrohten Boier die Kämpfe wieder begonnen; und ein erster Erfolg, der ihnen gegen den eilig aufgebotenen römischen Landsturm gelang, sowie das Zureden eines karthagischen Offiziers Hamilkar, der von Magos Expedition her in Norditalien zurückgeblieben war, veranlaßten im folgenden Jahr (554 [200]) eine allgemeine Schilderhebung nicht bloß der beiden zunächst bedrohten Stämme, der Boier und Insubrer; auch die Ligurer trieb die näher rückende Gefahr in die Waffen und selbst die cenomanische Jugend hörte diesmal weniger auf die Stimme ihrer vorsichtigen Behörden als auf den Notruf der bedrohten Stammgenossen. Von ›den beiden Riegeln gegen die gallischen Züge‹, Placentia und Cremona ward der erste niedergeworfen – von der placentinischen Einwohnerschaft retteten nicht mehr als 2000 das Leben –, der zweite berannt. Eilig marschierten die Legionen heran um zu retten was noch zu retten war. Vor Cremona kam es zu einer großen Schlacht. Die geschickte und kriegsmäßige Leitung derselben von seiten des phönikischen Führers vermochte es nicht die Mangelhaftigkeit seiner Truppen zu ersetzen; dem Andrang der Legionen hielten die Gallier nicht stand [665] und unter den Toten, welche zahlreich das Schlachtfeld bedeckten, war auch der karthagische Offizier. Indes setzten die Kelten den Kampf fort; dasselbe römische Heer, welches bei Cremona gesiegt, wurde das nächste Jahr (555 [199]), hauptsächlich durch die Schuld des sorglosen Führers, von den Insubrern fast aufgerieben und erst 556 [198] konnte Placentia notdürftig wiederhergestellt werden. Aber der Bund der zu dem Verzweiflungskampf vereinigten Kantone ward in sich uneins; die Boier und die Insubrer gerieten in Zwist und die Cenomanen traten nicht bloß zurück von dem Nationalbunde, sondern erkauften sich auch Verzeihung von den Römern durch schimpflichen Verrat der Landsleute, indem sie während einer Schlacht, die die Insubrer den Römern am Mincius lieferten, ihre Bundes- und Kampfgenossen von hinten angriffen und aufreiben halfen (557 [197]). So gedemütigt und im Stich gelassen bequemten sich die Insubrer nach dem Fall von Comum gleichfalls zu einem Sonderfrieden (558 [196]). Die Bedingungen, welche Rom den Cenomanen und Insubrern vorschrieb, waren allerdings härter, als sie den Gliedern der italischen Eidgenossenschaft gewährt zu werden pflegten; namentlich vergaß man nicht die Scheidewand zwischen Italikern und Kelten gesetzlich zu befestigen und zu verordnen, daß nie ein Bürger dieser beiden Keltenstämme das römische Bürgerrecht solle gewinnen können. Indes ließ man diesen transpadanischen Keltendistrikten ihre Existenz und ihre nationale Verfassung, sodaß sie nicht Stadtgebiete, sondern Völkergaue bildeten, und legte ihnen auch wie es scheint keinen Tribut auf; sie sollten den römischen Ansiedelungen südlich vom Po als Bollwerk dienen und die nachrückenden Nordländer wie die räuberischen Alpenbewohner, welche regelmäßige Razzias in diese Gegenden zu unternehmen pflegten, von Italien abhalten. Übrigens griff auch in diesen Landschaften die Latinisierung mit großer Schnelligkeit um sich; die keltische Nationalität vermochte offenbar bei weitem nicht den Widerstand zu leisten wie die der zivilisierten Sabeller und Etrusker. Der gefeierte lateinische Lustspieldichter Statius Caecilius, der im J. 586 [168] starb, war ein freigelassener Insubrer; und Polybios, der gegen Ausgang des sechsten Jahrhunderts diese Gegenden bereiste, versichert, vielleicht nicht ohne einige Übertreibung, daß daselbst nur noch wenige Dörfer unter den Alpen keltisch geblieben seien. Die Veneter dagegen scheinen ihre Nationalität länger behauptet zu haben. – Das hauptsächliche Bestreben der Römer war in diesen Landschaften begreiflicherweise darauf gerichtet dem Nachrücken der transalpinischen Kelten zu steuern und die natürliche [666] Scheidewand der Halbinsel und des inneren Kontinents auch zur politischen Grenze zu machen. Daß die Furcht vor dem römischen Namen schon zu den nächstliegenden keltischen Kantonen jenseit der Alpen gedrungen war, zeigt nicht bloß die vollständige Untätigkeit, mit der dieselben der Vernichtung oder Unterjochung ihrer diesseitigen Landsleute zusahen, sondern mehr noch die offizielle Mißbilligung und Desavouierung, welche die transalpinischen Kantone – man wird zunächst an die Helvetier (zwischen dem Genfersee und dem Main) und an die Karner oder Taurisker (in Kärnten und Steiermark) zu denken haben – gegen die beschwerdeführenden römischen Gesandten aussprachen über die Versuche einzelner keltischer Haufen sich diesseit der Alpen in friedlicher Weise anzusiedeln, nicht minder die demütige Art, in welcher diese Auswandererhaufen selbst zuerst bei dem römischen Senat um Landanweisung bittend einkamen, alsdann aber dem strengen Gebot über die Alpen zurückzugehen ohne Widerrede sich fügten (568 [186] fg. 575 [179]) und die Stadt, die sie unweit des späteren Aquileia schon angelegt hatten, wieder zerstören ließen. Mit weiser Strenge gestattete der Senat keinerlei Ausnahme von dem Grundsatz, daß die Alpentore für die keltische Nation fortan geschlossen seien, und schritt mit schweren Strafen gegen diejenigen römischen Untertanen ein, die solche Übersiedlungsversuche von Italien aus veranlaßt hatten. Ein Versuch dieser Art, welcher auf einer bis dahin den Römern wenig bekannten Straße im innersten Winkel des adriatischen Meeres stattfand, mehr aber noch, wie es scheint, der Plan Philipps von Makedonien wie Hannibal von Westen so seinerseits von Osten her in Italien einzufallen, veranlaßten die Gründung einer Festung in dem äußersten nordöstlichen Winkel Italiens, der nördlichsten italischen Kolonie Aquileia (571 bis 573 [183-181]), die nicht bloß diesen Weg den Fremden für immer zu verlegen, sondern auch die für die dortige Schiffahrt vorzüglich bequem gelegene Meeresbucht zu sichern und der immer noch nicht ganz ausgerotteten Piraterie in diesen Gewässern zu steuern bestimmt war. Die Anlage Aquileias veranlaßte einen Krieg gegen die Istrier (576 [178]. 577 [177]), der mit der Erstürmung einiger Kastelle und dem Fall des Königs Aepulo schnell beendigt war und durch nichts merkwürdig ist als durch den panischen Schreck, den die Kunde von der Überrumpelung des römischen Lagers durch eine Handvoll Barbaren bei der Flotte und sodann in ganz Italien hervorrief.

Anders verfuhr man in der Landschaft diesseit des Padus, die der römische Senat beschlossen hatte Italien einzuverleiben. Die Boier, [667] die dies zunächst traf, wehrten sich mit verzweifelter Entschlossenheit. Es ward sogar der Padus von ihnen überschritten und ein Versuch gemacht die Insubrer wieder unter die Waffen zu bringen (560); ein Konsul ward in seinem Lager von ihnen blockiert und wenig fehlte, daß er unterlag; Placentia hielt sich mühsam gegen die ewigen Angriffe der erbitterten Eingeborenen. Bei Mutina endlich ward die letzte Schlacht geliefert; sie war lang und blutig, aber die Römer siegten (561 [193]), und seitdem war der Kampf kein Krieg mehr, sondern eine Sklavenhetze. Die einzige Freistatt im boischen Gebiet war bald das römische Lager, in das der noch übrige bessere Teil der Bevölkerung sich zu flüchten begann; die Sieger konnten nach Rom berichten, ohne sehr zu übertreiben, daß von der Nation der Boier nichts mehr übrig sei als Kinder und Greise. So freilich mußte sie sich ergeben in das Schicksal, das ihr bestimmt war. Die Römer forderten Abtretung des halben Gebiets (563 [191]); sie konnte nicht verweigert werden, aber auch auf dem geschmälerten Bezirk, der den Boiern blieb, verschwanden sie bald und verschmolzen mit ihren Besiegern25. – Nachdem die Römer also sich reinen Boden geschaffen hatten, wurden die Festungen Placentia und Cremona, deren Kolonisten die letzten unruhigen Jahre großenteils hingerafft oder zerstreut hatten, wieder organisiert und [668] neue Ansiedler dorthin gesandt; neu gegründet wurden in und bei dem ehemaligen senonischen Gebiet Potentia (bei Recanati unweit Ancona; 570 [184]) und Pisaurum (Pesaro; 570 [184]), ferner in der neu gewonnenen boischen Landschaft die Festungen Bononia (565 [189]), Mutina (571 [183]) und Parma (571 [183]), von denen die Kolonie Mutina schon vor dem hannibalischen Krieg angelegt und nur der Abschluß der Gründung durch diesen unterbrochen worden war. Wie immer verband sich mit der Anlage der Festungen auch die von Militärchausseen. Es wurde die flaminische Straße von ihrem nördlichen Endpunkt Ariminum unter dem Namen der aemilischen bis Placentia verlängert (567 [187]). Ferner ward die Straße von Rom nach Arretium oder die cassische, die wohl schon längst Munizipalchaussee gewesen war, wahrscheinlich im Jahre 583 [171] von der römischen Gemeinde übernommen und neu angelegt, schon 567 [187] aber die Strecke von Arretium über den Apennin nach Bononia bis an die neue aemilische Straße hergestellt, wodurch man eine kürzere Verbindung zwischen Rom und den Pofestungen erhielt. Durch diese durchgreifenden Maßnahmen wurde der Apennin als die Grenze des keltischen und des italischen Gebiets tatsächlich beseitigt und ersetzt durch den Po. Diesseit des Po herrschte fortan wesentlich die italische Stadt-, jenseit desselben wesentlich die keltische Gauverfassung und es war ein leerer Name, wenn auch jetzt noch das Gebiet zwischen Apennin und Po zur keltischen Landschaft gerechnet ward.

In dem nordwestlichen italischen Gebirgsland, dessen Täler und Hügel hauptsächlich von dem vielgeteilten ligurischen Stamm eingenommen waren, verfuhren die Römer in ähnlicher Weise. Was zunächst nordwärts vom Arno wohnte, ward vertilgt. Es traf dies hauptsächlich die Apuaner, die auf dem Apennin zwischen dem Arno und der Magra wohnend einerseits das Gebiet von Pisae, anderseits das von Bononia und Mutina unaufhörlich plünderten. Was hier nicht dem Schwert der Römer erlag, ward nach Unteritalien in die Gegend von Benevent übergesiedelt (574 [180]) und durch energische Maßregeln die ligurische Nation, welcher man noch im Jahre 578 [176] die von ihr eroberte Kolonie Mutina wieder abnehmen mußte, in den Bergen, die das Potal von dem des Arno scheiden, vollständig unterdrückt. Die 577 [177] auf dem ehemals apuanischen Gebiet angelegte Festung Luna unweit Spezzia deckte die Grenze gegen die Ligurer ähnlich wie Aquileia gegen die Transalpiner und gab zugleich den Römern einen vortrefflichen Hafen, der seitdem für die Überfahrt nach Massalia und nach Spanien die gewöhnliche Station ward. Die Chaussierung der Küsten- oder [669] aurelischen Straße von Rom nach Luna und der von Luca über Florenz nach Arretium geführten Querstraße zwischen der aurelischen und cassischen gehört wahrscheinlich in dieselbe Zeit. – Gegen die westlicheren ligurischen Stämme, die die genuesischen Apenninen und die Seealpen inne hatten, ruhten die Kämpfe nie. Es waren unbequeme Nachbarn, die zu Lande und zur See zu plündern pflegten; die Pisaner und die Massalioten hatten von ihren Einfällen und ihren Korsarenschiffen nicht wenig zu leiden. Bleibende Ergebnisse wurden indes bei den ewigen Fehden nicht gewonnen, vielleicht auch nicht bezweckt; außer daß man, wie es scheint, um mit dem transalpinischen Gallien und Spanien neben der regelmäßigen See- auch eine Landverbindung zu haben, bemüht war die große Küstenstraße von Luna über Massalia nach Emporiae wenigstens bis an die Alpen freizumachen – jenseit der Alpen lag es dann den Massalioten ob den römischen Schiffen die Küstenfahrt und den Landreisenden die Uferstraße offen zu halten. Das Binnenland mit seinen unwegsamen Tälern und seinen Felsennestern, mit seinen armen, aber gewandten und verschlagenen Bewohnern diente den Römern hauptsächlich als Kriegsschule zur Übung und Abhärtung der Soldaten wie der Offiziere. – Ähnliche sogenannte Kriege wie gegen die Ligurer führte man gegen die Korsen und mehr noch gegen die Bewohner des inneren Sardinien, welche die gegen sie gerichteten Raubzüge durch Überfälle der Küstenstriche vergalten. Im Andenken geblieben ist die Expedition des Tiberius Gracchus gegen die Sarden 577 [177], nicht so sehr weil er der Provinz den ›Frieden‹ gab, sondern weil er bis 80000 der Insulaner erschlagen oder gefangen zu haben behauptete und Sklaven von dort in solcher Masse nach Rom schleppte, daß es Sprichwort ward: ›spottwohlfeil wie ein Sarde‹.

In Afrika ging die römische Politik wesentlich auf in dem einen ebenso kurzsichtigen wie engherzigen Gedanken das Wiederaufkommen der karthagischen Macht zu verhindern und deshalb die unglückliche Stadt beständig unter dem Druck und unter dem Damoklesschwert einer römischen Kriegserklärung zu erhalten. Schon die Bestimmung des Friedensvertrags, daß den Karthagern zwar ihr Gebiet ungeschmälert bleiben, aber ihrem Nachbar Massinissa alle diejenigen Besitzungen garantiert sein sollten, die er oder sein Vorweser innerhalb der karthagischen Grenzen besessen hätten, sieht fast so aus, als wäre sie hineingesetzt um Streitigkeiten nicht zu beseitigen, sondern zu erwecken. Dasselbe gilt von der durch den römischen Friedenstraktat den Karthagern auferlegten Verpflichtung nicht gegen römische Bundesgenossen[670] Krieg zu führen, sodaß nach dem Wortlaut des Vertrags sie nicht einmal befugt waren aus ihrem eigenen und unbestrittenen Gebiet den numidischen Nachbar zu vertreiben. Bei solchen Verträgen und bei der Unsicherheit der afrikanischen Grenzverhältnisse überhaupt konnte Karthagos Lage gegenüber einem ebenso mächtigen wie rücksichtslosen Nachbar und einem Oberherrn, der zugleich Schiedsrichter und Partei war, nicht anders als peinlich sein; aber die Wirklichkeit war ärger als die ärgsten Erwartungen. Schon 561 [193] sah Karthago sich unter nichtigen Vorwänden überfallen und den reichsten Teil seines Gebiets, die Landschaft Emporiae an der kleinen Syrte, teils von den Numidiern geplündert, teils sogar von ihnen in Besitz genommen. So gingen die Übergriffe beständig weiter; das platte Land kam in die Hände der Numidier und mit Mühe behaupteten die Karthager sich in den größeren Ortschaften. Bloß in den letzten zwei Jahren, erklärten die Karthager im J. 582 [172], seien ihnen wieder siebzig Dörfer vertragswidrig entrissen worden. Botschaft über Botschaft ging nach Rom; die Karthager beschworen den römischen Senat ihnen entweder zu gestatten sich mit den Waffen zu verteidigen, oder ein Schiedsgericht mit Spruchgewalt zu bestellen, oder die Grenze neu zu regulieren, damit sie wenigstens ein- für allemal erführen, wieviel sie einbüßen sollten; besser sei es sonst sie geradezu zu römischen Untertanen zu machen als sie so allmählich den Libyern auszuliefern. Aber die römische Regierung, die schon 554 [200] ihrem Klienten geradezu Gebietserweiterungen, natürlich auf Kosten Karthagos, in Aussicht gestellt hatte, schien wenig dagegen zu haben, daß er die ihm bestimmte Beute sich selber nahm; sie mäßigte wohl zuweilen den allzugroßen Ungestüm der Libyer, die ihren alten Peinigern jetzt das Erlittene reichlich vergalten, aber im Grunde war ja eben dieser Quälerei wegen Massinissa von den Römern Karthago zum Nachbar gesetzt worden. Alle Bitten und Beschwerden hatten nur den Erfolg, daß entweder römische Kommissionen in Afrika erschienen, die nach gründlicher Untersuchung zu keiner Entscheidung kamen, oder bei den Verhandlungen in Rom Massinissas Beauftragte Mangel an Instruktionen vorschützten und die Sache vertagt ward. Nur phönikische Geduld war im stande sich in eine solche Lage mit Ergebung zu schicken, ja dabei den Machthabern jeden Dienst und jede Artigkeit, die sie begehrten und nicht begehrten, mit unermüdlicher Beharrlichkeit zu erweisen und namentlich durch Kornsendungen um die römische Gunst zu buhlen. – Indes war diese Fügsamkeit der Besiegten doch nicht bloß Geduld und Ergebung. Es gab noch in [671] Karthago eine Patriotenpartei und an ihrer Spitze stand der Mann, der, wo immer das Schicksal ihn hinstellte, den Römern furchtbar blieb. Sie hatte es nicht aufgegeben unter Benutzung der leicht vorauszusehenden Verwickelungen zwischen Rom und den östlichen Mächten noch einmal den Kampf aufzunehmen und, nachdem der großartige Plan Hamilkars und seiner Söhne wesentlich an der karthagischen Oligarchie gescheitert war, für diesen neuen Kampf vor allem das Vaterland innerlich zu erneuern. Die bessernde Macht der Not und wohl auch Hannibals klarer, großartiger und der Menschen mächtiger Geist bewirkten politische und finanzielle Reformen. Die Oligarchie, die durch Erhebung der Kriminaluntersuchung gegen den großen Feldherrn wegen absichtlich unterlassener Einnahme Roms und Unterschlagung der italischen Beute das Maß ihrer verbrecherischen Torheiten voll gemacht hatte – diese verfaulte Oligarchie wurde auf Hannibals Antrag über den Haufen geworfen und ein demokratisches Regiment eingeführt, wie es den Verhältnissen der Bürgerschaft angemessen war (vor 559 [195]). Die Finanzen wurden durch Beitreibung der rückständigen und unterschlagenen Gelder und durch Einführung einer besseren Kontrolle so schnell wieder geordnet, daß die römische Kontribution gezahlt werden konnte, ohne die Bürger irgendwie mit außerordentlichen Steuern zu belasten. Die römische Regierung, eben damals im Begriff den bedenklichen Krieg mit dem Großkönig von Asien zu beginnen, folgte diesen Vorgängen mit begreiflicher Besorgnis; es war keine eingebildete Gefahr, daß die karthagische Flotte in Italien landen und ein zweiter hannibalischer Krieg dort sich entspinnen könne, während die römischen Legionen in Kleinasien fochten. Man kann darum die Römer kaum tadeln, wenn sie eine Gesandtschaft nach Karthago schickten (559 [195]), die vermutlich beauftragt war Hannibals Auslieferung zu fordern. Die grollenden karthagischen Oligarchen, die Briete über Briefe nach Rom sandten, um den Mann, der sie gestürzt, wegen geheimer Verbindungen mit den antirömisch gesinnten Mächten dem Landesfeind zu denunzieren, sind verächtlich, aber ihre Meldungen waren wahrscheinlich richtig; und so wahr es auch ist, daß in jener Gesandtschaft ein demütigendes Eingeständnis der Furcht des mächtigen Volkes vor dem einfachen Schofeten von Karthago lag, so begreiflich und ehrenwert es ist, daß der stolze Sieger von Zama im Senat Einspruch tat gegen diesen erniedrigenden Schritt, so war doch jenes Eingeständnis eben nichts anderes als die schlichte Wahrheit, und Hannibal eine so außerordentliche Natur, daß nur römische [672] Gefühlspolitiker ihn länger an der Spitze des karthagischen Staats dulden konnten. Die eigentümliche Anerkennung, die er bei der feindlichen Regierung fand, kam ihm selbst schwerlich überraschend. Wie Hannibal und nicht Karthago den letzten Krieg geführt hatte, so hatte auch Hannibal das zu tragen, was den Besiegten trifft. Die Karthager konnten nichts tun als sich fügen und ihrem Stern danken, daß Hannibal, durch seine rasche und besonnene Flucht nach dem Orient die größere Schande ihnen ersparend, seiner Vaterstadt bloß die mindere ließ ihren größten Bürger auf ewige Zeiten aus der Heimat verbannt, sein Vermögen eingezogen und sein Haus geschleift zu haben. Das tiefsinnige Wort aber, daß diejenigen die Lieblinge der Götter sind, denen sie die unendlichen Freuden und die unendlichen Leiden ganz verleihen, hat also an Hannibal in vollem Maße sich bewährt. – Schwerer als das Einschreiten gegen Hannibal läßt es sich verantworten daß die römische Regierung nach dessen Entfernung nicht aufhörte die Stadt zu beargwohnen und zu plagen. Zwar gärten dort die Parteien nach wie vor; allein nach der Entfernung des außerordentlichen Mannes, der fast die Geschicke der Welt gewendet hätte, bedeutete die Patriotenpartei nicht viel mehr in Karthago als in Ätolien und in Achaia. Die verständigste Idee unter denen, welche damals die unglückliche Stadt bewegten, war ohne Zweifel die sich an Massinissa anzuschließen und aus dem Dränger den Schutzherrn der Phöniker zu machen. Allein weder die nationale noch die libysch gesinnte Faktion der Patrioten gelangte an das Ruder, sondern es blieb das Regiment bei den römischgesinnten Oligarchen, welche, soweit sie nicht überhaupt aller Gedanken an die Zukunft sich begaben, einzig die Idee festhielten die materielle Wohlfahrt und die Kommunalfreiheit Karthagos unter dem Schutze Roms zu retten. Hierbei hätte man in Rom wohl sich beruhigen können. Allein weder die Menge noch selbst die regierenden Herren vom gewöhnlichen Schlag vermochten sich der gründlichen Angst vom hannibalischen Kriege her zu entschlagen; die römischen Kaufleute aber sahen mit neidischen Augen die Stadt auch jetzt, wo ihre politische Macht dahin war, im Besitz einer ausgedehnten Handelsklientel und eines festgegründeten durch nichts zu erschütternden Reichtums. Schon im J. 567 [187] erbot sich die karthagische Regierung die sämtlichen im Frieden von 553 [201] stipulierten Terminzahlungen sofort zu entrichten, was die Römer, denen an der Tributpflichtigkeit Karthagos weit mehr gelegen war als an den Geldsummen selbst, begreiflicherweise ablehnten und daraus nur die Überzeugung gewannen, daß aller angewandten [673] Mühe ungeachtet die Stadt nicht ruiniert und nicht zu ruinieren sei. Immer aufs neue liefen Gerüchte über die Umtriebe der treulosen Phöniker durch Rom. Bald hatte ein Emissär Hannibals Ariston von Tyros sich in Karthago blicken lassen, um die Bürgerschaft auf die Landung einer asiatischen Kriegsflotte vorzubereiten (561 [193]); bald hatte der Rat in geheimer nächtlicher Sitzung im Tempel des Heilgottes den Gesandten des Perseus Audienz gegeben (581 [173]); bald sprach man von der gewaltigen Flotte, die in Karthago für den makedonischen Krieg gerüstet werde (583 [171]). Es ist nicht wahrscheinlich, daß diesen und ähnlichen Dingen mehr als höchstens die Unbesonnenheiten einzelner zu Grunde lagen; immer aber waren sie das Signal zu neuen diplomatischen Mißhandlungen von römischer, zu neuen Übergriffen von Massinissas Seite und die Meinung stellte immer mehr sich fest, je weniger Sinn und Verstand in ihr war, daß ohne einen dritten punischen Krieg mit Karthago nicht fertig zu werden sei.

Während also die Macht der Phöniker in dem Lande ihrer Wahl ebenso dahinsank wie sie längst in ihrer Heimat erlegen war, erwuchs neben ihnen ein neuer Staat. Seit unvordenklichen Zeiten wie noch heutzutage ist das nordafrikanische Küstenland bewohnt von dem Volke, das sich selber Schilah oder Tamazigt heißt und welches die Griechen und Römer die Nomaden oder Numidier, das ist das Weidevolk, die Araber Berbern nennen, obwohl auch sie dieselben wohl als ›Hirten‹ (Schâwie) bezeichnen, und das wir Berbern oder Kabylen zu nennen gewohnt sind. Dasselbe ist, soweit seine Sprache bis jetzt erforscht ist, keiner andern bekannten Nation verwandt. In der karthagischen Zeit hatten diese Stämme mit Ausnahme der unmittelbar um Karthago oder unmittelbar an der Küste hausenden wohl im ganzen ihre Unabhängigkeit behauptet, aber auch bei ihrem Hirten- und Reiterleben, wie es noch jetzt die Bewohner des Atlas führen, im wesentlichen beharrt, obwohl das phönikische Alphabet und überhaupt die phönikische Zivilisation ihnen nicht fremd blieb (S. 492) und es wohl vorkam, daß die Berberscheiks ihre Söhne in Karthago erziehen ließen und mit phönikischen Adelsfamilien sich verschwägerten. Die römische Politik wollte unmittelbare Besitzungen in Afrika nicht haben und zog es vor einen Staat dort großzuziehen, der nicht genug bedeutete um Roms Schutz entbehren zu können und doch genug, um Karthagos Macht, nachdem dieselbe auf Afrika beschränkt war, auch hier niederzuhalten und der gequälten Stadt jede freie Bewegung unmöglich zu machen. Was man suchte, fand man bei den eingeborenen Fürsten. Um die Zeit [674] des hannibalischen Krieges standen die nordafrikanischen Eingeborenen unter drei Oberkönigen, deren jedem nach dortiger Art eine Menge Fürsten gefolgspflichtig waren: dem König der Mauren Bocchar, der vom atlantischen Meer bis zum Fluß Molochath (jetzt Mluia an der marokkanisch-französischen Grenze), dem König der Massäsyler Syphax, der von da bis an das sogenannte durchbohrte Vorgebirge (Siebenkap zwischen Djidjeli und Bona) in den heutigen Provinzen Oran und Algier, und dem König der Massyler Massinissa, der von dem durchbohrten Vorgebirge bis an die karthagische Grenze in der heutigen Provinz Constantine gebot. Der mächtigste von diesen, der König von Siga Syphax war in dem letzten Krieg zwischen Rom und Karthago überwunden und gefangen nach Italien abgeführt worden, wo er in der Haft starb; sein weites Gebiet kam im wesentlichen an Massinissa – der Sohn des Syphax Vermina, obwohl er durch demütiges Bitten von den Römern einen kleinen Teil des väterlichen Besitzes zurückerlangte (554 [200]), vermochte doch den älteren römischen Bundesgenossen nicht um die Stellung des bevorzugten Drängers von Karthago zu bringen. Massinissa ward der Gründer des numidischen Reiches; und nicht oft hat Wahl oder Zufall so den rechten Mann an die rechte Stelle gesetzt. Körperlich gesund und gelenkig bis in das höchste Greisenalter, mäßig und nüchtern wie ein Araber, fähig jede Strapaze zu ertragen, vom Morgen bis zum Abend auf demselben Flecke zu stehen und vierundzwanzig Stunden zu Pferde zu sitzen, in den abenteuerlichen Glückswechseln seiner Jugend wie auf den Schlachtfeldern Spaniens als Soldat und als Feldherr gleich erprobt und ebenso ein Meister der schwereren Kunst in seinem zahlreichen Hause Zucht und in seinem Lande Ordnung zu erhalten, gleich bereit sich dem mächtigen Beschützer rücksichtslos zu Füßen zu werfen wie den schwächeren Nachbar rücksichtslos unter die Füße zu treten und zu alledem mit den Verhältnissen Karthagos, wo er erzogen und in den vornehmsten Häusern aus- und eingegangen war, ebenso genau bekannt wie von afrikanisch bitterem Hasse gegen seine und seiner Nation Bedränger erfüllt, ward dieser merkwürdige Mann die Seele des Aufschwungs seiner wie es schien im Verkommen begriffenen Nation, deren Tugenden und Fehler in ihm gleichsam verkörpert erschienen. Das Glück begünstigte ihn wie in allem so auch darin, daß es ihm zu seinem Werke die Zeit ließ. Er starb im neunzigsten Jahr seines Lebens (516-605 [238-149]), im sechzigsten seiner Regierung, bis an sein Lebensende im vollen Besitz seiner körperlichen und geistigen Kräfte[675] und hinterließ einen einjährigen Sohn und den Ruf der stärkste Mann und der beste und glücklichste König seiner Zeit gewesen zu sein. Es ist schon erzählt worden, mit welcher berechneten Deutlichkeit die Römer in ihrer Oberleitung der afrikanischen Angelegenheiten ihre Parteinahme für Massinissa hervortreten ließen und wie dieser die stillschweigende Erlaubnis auf Kosten Karthagos sein Gebiet zu vergrößern eifrig und stetig benutzte. Das ganze Binnenland bis an den Wüstensaum fiel dem einheimischen Herrscher gleichsam von selber zu und selbst das obere Tal des Bagradas (Medscherda) mit der reichen Stadt Vaga ward dem König untertan; aber auch an der Küste östlich von Karthago besetzte er die alte Sidonierstadt Großleptis und andere Strecken, sodaß sein Reich sich von der mauretanischen bis zur kyrenäischen Grenze erstreckte, das karthagische Gebiet zu Lande von allen Seiten umfaßte und überall in nächster Nähe auf die Phöniker drückte. Es leidet keinen Zweifel, daß er in Karthago seine künftige Hauptstadt sah; die libysche Partei daselbst ist bezeichnend. Aber nicht allein durch die Schmälerung des Gebiets geschah Karthago Eintrag. Die schweifenden Hirten wurden durch ihren großen König ein anderes Volk. Nach dem Beispiel des Königs, der weithin die Felder urbar machte und jedem seiner Söhne bedeutende Ackergüter hinterließ, fingen auch seine Untertanen an sich ansässig zu machen und Ackerbau zu treiben. Wie seine Hirten in Bürger, verwandelte er seine Plünderhorden in Soldaten, die von Rom neben den Legionen zu fechten gewürdigt wurden, und hinterließ seinen Nachfolgern eine reich gefüllte Schatzkammer, ein wohldiszipliniertes Heer und sogar eine Flotte. Seine Residenz Cirta (Constantine) ward die lebhafte Hauptstadt eines mächtigen Staates und ein Hauptsitz der phönikischen Zivilisation, die an dem Hofe des Berberkönigs eifrige und wohl auch auf das künftige karthagisch-numidische Reich berechnete Pflege fand. Die bisher unterdrückte libysche Nationalität hob sich dadurch in ihren eigenen Augen, und selbst in die altphönikischen Städte, wie Großleptis, drang einheimische Sitte und Sprache ein. Der Berber fing an unter der Ägide Roms sich dem Phöniker gleich, ja überlegen zu fühlen; die karthagischen Gesandten mußten in Rom es hören, daß sie in Afrika Fremdlinge seien und das Land den Libyern gehöre. Die selbst in der nivellierenden Kaiserzeit noch lebensfähig und kräftig dastehende phönikisch-nationale Zivilisation Nordafrikas ist bei weitem weniger das Werk der Karthager als das des Massinissa.

In Spanien fügten die griechischen und phönikischen Städte an [676] der Küste, wie Emporiae, Saguntum, Neukarthago, Malaca, Gades, sich umso bereitwilliger der römischen Herrschaft, als sie sich selber überlassen kaum im stande gewesen wären sich gegen die Eingeborenen zu schützen; wie aus gleichen Gründen Massalia, obwohl bei weitem bedeutender und wehrhafter als jene Städte, es doch nicht versäumte, durch engen Anschluß an die Römer, denen Massalia wieder als Zwischenstation zwischen Italien und Spanien vielfach nützlich wurde, sich einen mächtigen Rückhalt zu sichern. Die Eingeborenen dagegen machten den Römern unsäglich zu schaffen. Zwar fehlte es keineswegs an Ansätzen zu einer national-iberischen Zivilisation, von deren Eigentümlichkeit freilich es uns nicht wohl möglich ist eine deutliche Vorstellung zu gewinnen. Wir finden bei den Iberern eine weitverbreitete nationale Schrift, die sich in zwei Hauptarten, die des Ebrotals und die andalusische und jede von diesen vermutlich wieder in mannigfache Verzweigungen spaltet und deren Ursprung in sehr frühe Zeit hinaufzureichen und eher auf das altgriechische als auf das phönikische Alphabet zurückzugehen scheint. Von den Turdetanern (um Sevilla) ist sogar überliefert, daß sie Lieder aus uralter Zeit, ein metrisches Gesetzbuch von 6000 Verszeilen, ja sogar geschichtliche Aufzeichnungen besaßen; allerdings wird diese Völkerschaft die zivilisierteste unter allen spanischen genannt und zugleich die am wenigsten kriegerische, wie sie denn auch ihre Kriege regelmäßig mit fremden Söldnern führte. Auf dieselbe Gegend werden wohl auch Polybios' Schilderungen zu beziehen sein von dem blühenden Stand des Ackerbaus und der Viehzucht in Spanien, weshalb bei dem Mangel an Ausfuhrgelegenheit Korn und Fleisch dort um Spottpreise zu haben war, und von den prächtigen Königspalästen mit den goldenen und silbernen Krügen voll ›Gerstenwein‹. Auch die Kulturelemente, die die Römer mitbrachten, faßte wenigstens ein Teil der Spanier eifrig auf, sodaß früher als irgendwo sonst in den überseeischen Provinzen sich in Spanien die Latinisierung vorbereitete. So kam zum Beispiel schon in dieser Epoche der Gebrauch der warmen Bäder nach italischer Weise bei den Eingeborenen auf. Auch das römische Geld ist allem Anschein nach weit früher als irgendwo sonst außerhalb Italien in Spanien nicht bloß gangbar, sondern auch nachgemünzt worden; was durch die reichen Silberbergwerke des Landes einigermaßen begreiflich wird. Das sogenannte ›Silber von Osca‹ (jetzt Huesca in Arragonien), das heißt spanische Denare mit iberischen Aufschriften, wird schon 559 [195] erwähnt und viel später kann der Anfang der Prägung schon deshalb nicht gesetzt [677] werden, weil das Gepräge dem der ältesten römischen Denare nachgeahmt ist. Allein mochte auch in den südlichen und östlichen Landschaften die Gesittung der Eingeborenen der römischen Zivilisation und der römischen Herrschaft soweit vorgearbeitet haben, daß diese dort nirgend auf ernstliche Schwierigkeiten stießen, so war dagegen der Westen und Norden und das ganze Binnenland besetzt von zahlreichen mehr oder minder rohen Völkerschaften, die von keinerlei Zivilisation viel wußten – in Intercatia zum Beispiel war noch um 600 [154] der Gebrauch des Goldes und Silbers unbekannt – und sich ebensowenig untereinander wie mit den Römern vertrugen. Charakteristisch ist für diese freien Spanier der ritterliche Sinn der Männer und wenigstens ebenso sehr der Frauen. Wenn die Mutter den Sohn in die Schlacht entließ, begeisterte sie ihn durch die Erzählung von den Taten seiner Ahnen, und dem tapfersten Mann reichte die schönste Jungfrau unaufgefordert als Braut die Hand. Zweikämpfe waren gewöhnlich, sowohl um den Preis der Tapferkeit wie zur Ausmachung von Rechtshändeln – selbst Erbstreitigkeiten zwischen fürstlichen Vettern wurden auf diesem Wege erledigt. Es kam auch nicht selten vor, daß ein bekannter Krieger vor die feindlichen Reihen trat und sich einen Gegner bei Namen herausforderte; der Besiegte übergab dann dem Gegner Mantel und Schwert und machte auch wohl noch mit ihm Gastfreundschaft. Zwanzig Jahre nach dem Ende des hannibalischen Krieges sandte die kleine keltiberische Gemeinde von Complega (in der Gegend der Tajoquellen) dem römischen Feldherrn Botschaft zu, daß er ihnen für jeden gefallenen Mann ein Pferd, einen Mantel und ein Schwert senden möge, sonst werde es ihm übel ergehen. Stolz auf ihre Waffenehre, sodaß sie häufig es nicht ertrugen die Schmach der Entwaffnung zu überleben, waren die Spanier dennoch geneigt jedem Werber zu folgen und für jeden fremden Span ihr Leben einzusetzen – bezeichnend ist die Botschaft, die ein der Landessitte wohl kundiger römischer Feldherr einem keltiberischen im Solde der Turdetaner gegen die Römer fechtenden Schwarm zusandte: entweder nach Hause zu kehren, oder für doppelten Sold in römische Dienste zu treten, oder Tag und Ort zur Schlacht zu bestimmen. Zeigte sich kein Werbeoffizier, so trat man auch wohl auf eigene Hand zu Freischaren zusammen, um die friedlicheren Landschaften zu brandschatzen, ja sogar die Städte einzunehmen und zu besetzen, ganz in kampanischer Weise. Wie wild und unsicher das Binnenland war, davon zeugt zum Beispiel, daß die Internierung westlich von Cartagena bei den Römern als schwere Strafe [678] galt, und daß in einigermaßen aufgeregten Zeiten die römischen Kommandanten des jenseitigen Spaniens Eskorten bis zu 6000 Mann mit sich nahmen. Deutlicher noch zeigt es der seltsame Verkehr, den in der griechisch-spanischen Doppelstadt Emporiae an der östlichen Spitze der Pyrenäen die Griechen mit ihren spanischen Nachbarn pflogen. Die griechischen Ansiedler, die auf der Spitze der Halbinsel, von dem spanischen Stadtteil durch eine Mauer getrennt wohnten, ließen diese jede Nacht durch den dritten Teil ihrer Bürgerwehr besetzen und an dem einzigen Tor einen höheren Beamten beständig die Wache versehen; kein Spanier durfte die griechische Stadt betreten und die Griechen brachten den Eingeborenen die Waren nur zu in starken und wohl eskortierten Abteilungen. Diese Eingeborenen voll Unruhe und Kriegslust, voll von dem Geiste des Cid wie des Don Quixote sollten denn nun von den Römern gebändigt und womöglich gesittigt werden. Militärisch war die Aufgabe nicht schwer. Zwar bewiesen die Spanier nicht bloß hinter den Mauern ihrer Städte oder unter Hannibals Führung, sondern selbst allein und in offener Feldschlacht sich als nicht verächtliche Gegner; mit ihrem kurzen zweischneidigen Schwert, welches später die Römer von ihnen annahmen, und ihren gefürchteten Sturmkolonnen brachten sie nicht selten selbst die römischen Legionen zum Wanken. Hätten sie es vermocht sich militärisch zu disziplinieren und politisch zusammenzuschließen, so hätten sie vielleicht der aufgedrungenen Fremdherrschaft sich entledigen können; aber ihre Tapferkeit war mehr die des Guerillas als des Soldaten und es mangelte ihr völlig der politische Verstand. So kam es in Spanien zu keinem ernsten Krieg, aber ebensowenig zu einem ernstlichen Frieden; die Spanier haben sich, wie Cäsar später ganz richtig ihnen vorhielt, nie im Frieden ruhig und nie im Kriege tapfer erwiesen. So leicht der römische Feldherr mit den Insurgentenhaufen fertig ward, so schwer war es dem römischen Staatsmanne ein geeignetes Mittel zu bezeichnen, um Spanien wirklich zu beruhigen und zu zivilisieren: in der Tat konnte er, da das einzige wirklich genügende, eine umfassende latinische Kolonisierung, dem allgemeinen Ziel der römischen Politik dieser Epoche zuwiderlief, hier nur mit Palliativen verfahren. – Das Gebiet, welches die Römer im Laufe des hannibalischen Krieges in Spanien erwarben, zerfiel von Haus aus in zwei Massen; die ehemals karthagische Provinz, die zunächst die heutigen Landschaften Andalusien, Granada, Murcia und Valencia umfaßte, und die Ebrolandschaft oder das heutige Arragonien und Katalonien, das Standquartier des römischen Heeres während des [679] letzten Krieges; aus welchen Gebieten die beiden römischen Provinzen des jen- und diesseitigen Spaniens hervorgingen. Das Binnenland, ungefähr den beiden Kastilien entsprechend, das die Römer unter dem Namen Keltiberien zusammenfaßten, suchte man allmählich unter römische Botmäßigkeit zu bringen, während man die Bewohner der westlichen Landschaften, namentlich die Lusitaner im heutigen Portugal und dem spanischen Estremadura, von Einfällen in das römische Gebiet abzuhalten sich begnügte und mit den Stämmen an der Nordküste, den Callaekern, Asturern und Cantabrern überhaupt noch garnicht sich berührte. Die Behauptung und Befestigung der gewonnenen Erfolge war indes nicht durchzuführen ohne eine stehende Besatzung, indem dem Vorsteher des diesseitigen Spaniens namentlich die Bändigung der Keltiberer und dem des jenseitigen die Zurückweisung der Lusitaner jährlich zu schaffen machten. Es ward somit nötig in Spanien ein römisches Heer von vier starken Legionen oder etwa 40000 Mann Jahr aus Jahr ein auf den Beinen zu halten; wobei dennoch sehr häufig zur Verstärkung der Truppen in den von Rom besetzten Landschaften der Landsturm aufgeboten werden mußte. Es war dies in doppelter Weise von großer Wichtigkeit, indem hier zuerst, wenigstens zuerst in größerem Umfang, die militärische Besetzung des Landes bleibend und infolgedessen auch der Dienst anfängt dauernd zu werden. Die alte römische Weise nur dahin Truppen zu senden, wohin das augenblickliche Kriegsbedürfnis sie rief, und außer in sehr schweren und wichtigen Kriegen die einberufenen Leute nicht über ein Jahr bei der Fahne zu halten, erwies sich als unverträglich mit der Behauptung der unruhigen, fernen und überseeischen spanischen Ämter; es war schlechterdings unmöglich die Truppen von da wegzuziehen und sehr gefährlich sie auch nur in Masse abzulösen. Die römische Bürgerschaft fing an innezuwerden, daß die Herrschaft über ein fremdes Volk nicht bloß für den Knecht eine Plage ist, sondern auch für den Herrn, und murrte laut über den verhaßten spanischen Kriegsdienst. Während die neuen Feldherren mit gutem Grund sich weigerten die Gesamtablösung der bestehenden Korps zu gestatten, meuterten diese und drohten, wenn man ihnen den Abschied nicht gebe, ihn sich selber zu nehmen. – Den Kriegen selbst, die in Spanien von den Römern geführt wurden, kommt nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Sie begannen schon mit Scipios Abreise (S. 637) und währten, solange der hannibalische Krieg dauerte. Nach dem Frieden mit Karthago (553 [201]) ruhten auch [680] auf der Halbinsel die Waffen, jedoch nur auf kurze Zeit. Im Jahre 557 [197] brach in beiden Provinzen eine allgemeine Insurrektion aus; der Befehlshaber der jenseitigen ward hart gedrängt, der der diesseitigen völlig überwunden und selber erschlagen. Es ward nötig den Krieg mit Ernst anzugreifen und obwohl inzwischen der tüchtige Prätor Quintus Minucius über die erste Gefahr Herr geworden war, beschloß doch der Senat im Jahre 559 [195] den Konsul Marcus Cato selbst nach Spanien zu senden. Er fand auch in der Tat bei der Landung in Emporiae das ganze diesseitige Spanien von den Insurgenten überschwemmt; kaum daß diese Hafenstadt und im inneren Lande ein paar Burgen noch für Rom behauptet wurden. Es kam zur offenen Feldschlacht zwischen den Insurgenten und dem konsularischen Heer, in der nach hartem Kampf Mann gegen Mann endlich die römische Kriegskunst mit der gesparten Reserve den Tag entschied. Das ganze diesseitige Spanien sandte darauf seine Unterwerfung ein; indes es war mit derselben so wenig ernstlich gemeint, daß auf das Gerücht von der Heimkehr des Konsuls nach Rom sofort der Aufstand abermals begann. Allein das Gerücht war falsch, und nachdem Cato die Gemeinden, die zum zweitenmal sich aufgelehnt hatten, schnell bezwungen und in Masse in die Sklaverei verkauft hatte, ordnete er eine allgemeine Entwaffnung der Spanier in der diesseitigen Provinz an und erließ an die sämtlichen Städte der Eingeborenen von den Pyrenäen bis zum Guadalquivir den Befehl ihre Mauern an einem und demselben Tage niederzureißen. Niemand wußte, wie weit das Gebot sich erstreckte, und es war keine Zeit sich zu verständigen; die meisten Gemeinden gehorchten und auch von den wenigen widerspenstigen wagten es nicht viele, als das römische Heer demnächst vor ihren Mauern erschien, es auf den Sturm ankommen zu lassen. – Diese energischen Maßregeln waren allerdings nicht ohne nachhaltigen Erfolg. Allein nichts desto weniger hatte man fast jährlich in der ›friedlichen Provinz‹ ein Gebirgstal oder ein Bergkastell zum Gehorsam zu bringen und die stetigen Einfälle der Lusitaner in die jenseitige Provinz führten gelegentlich zu derben Niederlagen der Römer; wie zum Beispiel 563 [191] ein römisches Heer nach starkem Verlust sein Lager im Stich lassen und in Eilmärschen in die ruhigeren Landschaften zurückkehren mußte. Erst ein Sieg, den der Prätor Lucius Aemilius Paullus 565 [189]26, und ein zweiter noch [681] bedeutenderer, den der tapfere Prätor Gaius Calpurnius jenseit des Tagus 569 [185] über die Lusitaner erfocht, schafften auf einige Zeit Ruhe. Im diesseitigen Spanien ward die bis dahin fast nominelle Herrschaft der Römer über die keltiberischen Völkerschaften fester begründet durch Quintus Fulvius Flaccus, der nach einem großen Siege über dieselben 573 [181] wenigstens die nächstliegenden Kantone zur Unterwerfung zwang, und besonders durch seinen Nachfolger Tiberius Gracchus (575 [179]. 576 [178]), welcher mehr noch als durch die Waffen, mit denen er dreihundert spanische Ortschaften sich unterwarf, durch sein geschicktes Eingehen auf die Weise der schlichten und stolzen Nation dauernde Erfolge erreichte. Indem er angesehene Keltiberer bestimmte im römischen Heer Dienste zu nehmen, schuf er sich eine Klientel; indem er den schweifenden Leuten Land anwies und sie in Städten zusammenzog – die spanische Stadt Graccurris bewahrte des Römers Namen –, ward dem Freibeuterwesen ernstlich gesteuert; indem er die Verhältnisse der einzelnen Völkerschaften zu den Römern durch gerechte und weise Verträge regelte, verstopfte er soweit möglich die Quelle künftiger Empörungen. Sein Name blieb bei den Spaniern in gesegnetem Andenken, und es trat in dem Lande seitdem, wenn auch die Keltiberer noch manches Mal unter dem Joch zuckten, doch vergleichungsweise Ruhe ein. – Das Verwaltungssystem der beiden spanischen Provinzen war dem sizilisch-sardinischen ähnlich, aber nicht gleich. Die Oberverwaltung ward wie hier so dort in die Hände zweier Ne benkonsuln gelegt, die zuerst im Jahr 557 [197] ernannt wurden, in welches Jahr auch die Grenzregulierung und die definitive Organisierung der neuen Provinzen fällt. Die verständige Anordnung [682] des baebischen Gesetzes (573 [181]), daß die spanischen Prätoren immer auf zwei Jahre ernannt werden sollten, kam infolge des steigenden Zudrangs zu den höchsten Beamtenstellen und mehr noch infolge der eifersüchtigen Überwachung der Beamtengewalt durch den Senat nicht ernstlich zur Ausführung und es blieb, soweit nicht in außerordentlichem Wege Abweichungen eintraten, auch hier bei dem für diese entfernten und schwer kennen zu lernenden Provinzen besonders unvernünftigen jährlichen Wechsel der römischen Statthalter. Die abhängigen Gemeinden wurden durchgängig zinspflichtig; allein statt der sizilischen und sardinischen Zehnten und Zölle wurden in Spanien vielmehr von den Römern, eben wie früher hier von den Karthagern, den einzelnen Städten und Stämmen feste Abgaben an Geld oder sonstigen Leistungen auferlegt, welche auf militärischem Wege beizutreiben der Senat infolge der Beschwerdeführung der spanischen Gemeinden im Jahr 583 [171] untersagte. Getreidelieferungen wurden hier nicht anders als gegen Entschädigung geleistet und auch hierbei durfte der Statthalter nicht mehr als das zwanzigste Korn erheben und überdies gemäß der eben erwähnten Vorschrift der Oberbehörde den Taxpreis nicht einseitig feststellen. Dagegen hatte die Verpflichtung der spanischen Untertanen zu den römischen Heeren Zuzug zu leisten hier eine ganz andere Wichtigkeit als wenigstens in dem friedlichen Sizilien, und es ward dieselbe auch in den einzelnen Verträgen genau geordnet. Auch das Recht der Prägung von Silbermünze römischer Währung scheint den spanischen Städten sehr häufig zugestanden und das Münzmonopol hier keineswegs so wie in Sizilien von der römischen Regierung in Anspruch genommen worden zu sein. Überall bedurfte man in Spanien zu sehr der Untertanen, um hier nicht die Provinzialverfassung in möglichst schonender Weise einzuführen und zu handhaben. Zu den besonders von Rom begünstigten Gemeinden zählten namentlich die großen Küstenplätze griechischer, phönikischer oder römischer Gründung, wie Saguntum, Gades, Tarraco, die als die natürlichen Pfeiler der römischen Herrschaft auf der Halbinsel zum Bündnis mit Rom zugelassen wurden. Im ganzen war Spanien für die römische Gemeinde militärisch sowohl wie finanziell mehr eine Last als ein Gewinn; und die Frage liegt nahe, weshalb die römische Regierung, in deren damaliger Politik der überseeische Ländererwerb offenbar noch nicht lag, sich dieser beschwerlichen Besitzungen nicht entledigt hat. Die nicht unbedeutenden Handelsverbindungen, die wichtigen Eisen- und die noch wichtigeren selbst im fernen Orient seit alter Zeit [683] berühmten27 Silbergruben, welche Rom wie Karthago für sich nahm und deren Bewirtschaftung namentlich Marcus Cato regulierte (559 [195]), werden dabei ohne Zweifel mitbestimmend gewesen sein; allein die Hauptursache, weshalb man die Halbinsel in unmittelbarem Besitz behielt, war die, daß es dort an Staaten mangelte wie im Keltenland die massaliotische Republik, in Libyen das numidische Königreich waren, und daß man Spanien nicht loslassen konnte, ohne die Erneuerung des spanischen Königreichs der Barkiden jedem unternehmenden Kriegsmann freizugeben.


Quelle:
Theodor Mommsen: Römische Geschichte. Berlin 1923, Bd. 1, S. 665-685.
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