Kapitel IV

Die Anfänge Roms

[42] Etwa drei deutsche Meilen von der Mündung des Tiberflusses stromaufwärts erheben sich an beiden Ufern desselben mäßige Hügel, höhere auf dem rechten, niedrigere auf dem linken; an den letzteren haftet seit mindestens dritthalbtausend Jahren der Name der Römer. Es läßt sich natürlich nicht angeben, wie und wann er aufgekommen ist; sicher ist nur, daß in der ältesten uns bekannten Namensform die Gaugenossen Ramner (Ramnes) heißen, nicht Romaner; und diese der älteren Sprachperiode geläufige, dem Lateinischen aber in früher Zeit abhanden gekommene15 Lautverschiebung ist ein redendes Zeugnis für das unvordenkliche Alter des Namens. Eine sichere Ableitung läßt sich nicht geben; möglich ist es, daß die Ramner die Stromleute sind. – Aber sie blieben nicht allein auf den Hügeln am Tiberufer. In der Gliederung der ältesten römischen Bürgerschaft hat sich eine Spur erhalten, daß dieselbe hervorgegangen ist aus der Verschmelzung dreier wahrscheinlich ehemals unabhängiger Gaue, der Ramner, Titier und Lucerer, zu einem einheitlichen Gemeinwesen, also aus einem Synökismus wie derjenige war, woraus in Attika Athen hervorging16. Wie uralt diese Drittelung der Gemeinde ist17, zeigt wohl [42] am deutlichsten, daß die Römer namentlich in staatsrechtlicher Beziehung für ›teilen‹ und ›Teil‹ regelmäßig sagen ›dritteln‹ (tribuere) und ›Drittel‹ (tribus) und dieser Ausdruck schon früh, wie unser Quartier, die ursprüngliche Zahlbedeutung einbüßt. Noch nach der Vereinigung besaß jede dieser drei ehemaligen Gemeinden und jetzigen Abteilungen ein Drittel der gemeinschaftlichen Feldmark und war in der Bürgerwehr wie im Rate der Alten gleichmäßig vertreten; wie denn auch im Sakralwesen die durch drei teilbare Mitgliederzahl fast aller ältesten Kollegien, der heiligen Jungfrauen, der Tänzer, der Ackerbrüder, der Wolfsgilde, der Vogelschauer wahrscheinlich auf diese Dreiteilung zurückgeht. Man hat mit diesen drei Elementen, in die die älteste römische Bürgerschaft zerfiel, den heillosesten Unfug getrieben; die unverständige Meinung, daß die römische Nation ein Mischvolk sei, knüpft hier an und bemüht sich in verschiedenartiger Weise die drei großen italischen Rassen als komponierende Elemente des ältesten Rom darzustellen und das Volk, das wie wenig andere seine Sprache, seinen Staat und seine Religion rein und volkstümlich entwickelt hat, in ein wüstes Gerölle etruskischer und sabinischer, hellenischer und leider sogar pelasgischer Trümmer zu verwandeln. Nach Beseitigung der teils widersinnigen, teils grundlosen Hypothesen läßt sich in wenige Worte zusammenfassen, was über die Nationalität der komponierenden Elemente des ältesten römischen Gemeinwesens gesagt werden kann. Daß die Ramner ein latinischer Stamm waren, kann nicht bezweifelt werden, da sie dem neuen römischen Gemeinwesen den Namen gaben, also auch die Nationalität der vereinigten Gemeinde wesentlich bestimmt haben werden. Über die Herkunft der Lucerer läßt sich nichts sagen, als daß nichts im Wege steht sie gleich den Ramnern dem latinischen Stamm zuzuweisen. Dagegen die zweite dieser Gemeinden wird einstimmig aus der Sabina abgeleitet und dies kann wenigstens zurückgehen auf eine in der titischen Brüderschaft [43] bewahrte Überlieferung, wonach dieses Priesterkollegium bei dem Eintritt der Titier in die Gesamtgemeinde zur Bewahrung des sabinischen Sonderrituals gestiftet worden wäre. Es mag also in einer sehr fernen Zeit, als der latinische und der sabellische Stamm sich noch in Sprache und Sitte bei weitem weniger scharf gegenüber standen als später der Römer und der Samnite, eine sabellische Gemeinde in einen latinischen Gauverband eingetreten sein – wahrscheinlich, da die Titier in der älteren und glaubwürdigen Überlieferung ohne Ausnahme den Platz vor den Ramnern behaupten, in der Art, daß die eindringenden Titier den älteren Ramnern den Synökismus aufnötigten. Eine Mischung verschiedener Nationalitäten hat hier also allerdings stattgefunden; aber schwerlich hat sie viel tiefer eingegriffen als zum Beispiel die einige Jahrhunderte später erfolgte Übersiedlung des sabinischen Attus Clauzus oder Appius Claudius und seiner Genossen und Klienten nach Rom. So wenig wie diese Aufnahme der Claudier unter die Römer berechtigt die ältere der Titier unter die Ramner, die Gemeinde darum den Mischvölkern beizuzählen. Mit Ausnahme vielleicht einzelner im Ritual fortgepflanzter nationaler Institutionen lassen auch sabellische Elemente in Rom sich nirgends nachweisen und namentlich gibt die latinische Sprache für eine solche Annahme schlechterdings keinen Anhalt18. Es wäre in der Tat mehr als auffallend, wenn die Einfügung einer einzelnen Gemeinde von einem dem latinischen nächstverwandten Stamm die latinische Nationalität auch nur in fühlbarer Weise getrübt hätte; wobei vor allem nicht vergessen werden darf, daß in der Zeit, wo die Titier neben den Ramnern sich ansässig machten, die latinische Nationalität auf Latium ruhte und nicht auf Rom. Das neue dreiteilige römische Gemeinwesen war, trotz etwaiger ursprünglich sabellischer Bestandteile, nichts als was die Gemeinde der Ramner gewesen war, ein Teil der latinischen Nation. [44] Lange bevor eine städtische Ansiedlung an der Tiber entstand, mögen jene Ramner, Titier, Lucerer erst vereinzelt, später vereinigt auf den römischen Hügeln ihre Burg gehabt und von den umliegenden Dörfern aus ihre Äcker bestellt haben. Eine Überlieferung aus diesen urältesten Zeiten mag das ›Wolfsfest‹ sein, das das Geschlecht der Quinctier am palatinischen Hügel beging: ein Bauern- und Hirtenfest, das wie kein anderes die schlichten Späße patriarchalischer Einfalt bewahrt und merkwürdig genug noch im christlichen Rom sich unter allen heidnischen Festen am längsten behauptet hat. – Aus diesen Ansiedlungen ging dann das spätere Rom hervor. Von einer eigentlichen Stadtgründung, wie die Sage sie annimmt, kann natürlich in keinem Fall die Rede sein: Rom ist nicht an einem Tage gebaut worden. Wohl aber verdient es eine ernstliche Erwägung, auf welchem Wege Rom so früh zu einer hervorragenden politischen Stellung innerhalb Latiums gelangt sein kann, während man nach den Bodenverhältnissen eher das Gegenteil erwarten sollte. Die Stätte, auf der Rom liegt, ist minder gesund und minder fruchtbar als die der meisten alten Latinerstädte. Der Weinstock und der Feigenbaum gedeihen in Roms nächster Umgebung nicht wohl und es mangelt an ausgiebigen Quellen – denn weder der sonst treffliche Born der Camenen vor dem capenischen Tor noch der später im Tullianum gefaßte capitolinische Brunnen sind wasserreich. Dazu kommt das häufige Austreten des Flusses, der bei sehr geringem Gefäll die in der Regenzeit reichlich zuströmenden Bergwasser nicht schnell genug dem Meere zuzuführen vermag und daher die zwischen den Hügeln sich öffnenden Täler und Niederungen überstaut und versumpft. Für den Ansiedler ist die Örtlichkeit nichts weniger als lockend, und schon in alter Zeit ist es ausgesprochen worden, daß auf diesen ungesunden und unfruchtbaren Fleck innerhalb eines gesegneten Landstrichs sich nicht die erste naturgemäße Ansiedlung der einwandernden Bauern gelenkt haben könne, sondern daß die Not oder vielmehr irgend ein besonderer Grund die Anlage dieser Stadt veranlaßt haben müsse. Schon die Legende hat diese Seltsamkeit empfunden; das Geschichtchen von der Anlage Roms durch Ausgetretene von Alba unter Führung der albanischen Fürstensöhne Romulus und Remus ist nichts als ein naiver Versuch der ältesten Quasihistorie die seltsame Entstehung des Orts an so ungünstiger Stätte zu erklären und zugleich den Ursprung Roms an die allgemeine Metropole Latiums anzuknüpfen. Von solchen Märchen, die Geschichte sein wollen und nichts sind als nicht gerade geistreiche Autoschediasmen,[45] wird die Geschichte vor allen Dingen sich frei zu machen haben; vielleicht ist es ihr aber auch vergönnt noch einen Schritt weiter zu tun und nach Erwägung der besonderen Lokalverhältnisse nicht über die Entstehung des Ortes, aber über die Veranlassung seines raschen und auffallenden Gedeihens und seiner Sonderstellung in Latium eine positive Vermutung aufzustellen. – Betrachten wir vor allem die ältesten Grenzen des römischen Gebietes. Gegen Osten liegen die Städte Antemnae, Fidenae, Caenina, Gabii in nächster Nähe, zum Teil keine deutsche Meile von dem servianischen Mauerring entfernt und muß die Gaugrenze hart vor den Stadttoren gewesen sein. Gegen Süden trifft man in einem Abstand von drei deutschen Meilen auf die mächtigen Gemeinden Tusculum und Alba und es scheint das römische Stadtgebiet hier nicht weiter gereicht zu haben als bis zum cluilischen Graben, eine deutsche Meile von Rom. Ebenso war in südwestlicher Richtung die Grenze zwischen Rom und Lavinium bereits am sechsten Milienstein. Während so landeinwärts der römische Gau überall in die möglichst engen Schranken zurückgewiesen ist, erstreckt er sich dagegen seit ältester Zeit ungehindert an beiden Ufern der Tiber gegen das Meer hin, ohne daß zwischen Rom und der Küste irgend eine als alter Gaumittelpunkt hervortretende Ortschaft, irgend eine Spur alter Gaugrenze begegnete. Die Sage, die für alles einen Ursprung weiß, weiß freilich auch zu berichten, daß die römischen Besitzungen am rechten Tiberufer, die ›sieben Weiler‹ (septem pagi) und die wichtigen Salinen an der Mündung durch König Romulus den Veientern entrissen worden sind und daß König Ancus am rechten Tiberufer den Brückenkopf, den Janusberg (Ianiculum) befestigt, am linken den römischen Peiräeus, die Hafenstadt an der ›Mündung‹ (Ostia) angelegt habe. Aber dafür, daß die Besitzungen am etruskischen Ufer vielmehr schon zu der ältesten römischen Mark gehört haben müssen, legt besseres Zeugnis ab der eben hier, am vierten Milienstein der späteren Hafenstraße belegene Hain der schaffenden Göttin (dea dia), der uralte Hochsitz des römischen Ackerbaufestes und der Ackerbrüderschaft; und in der Tat ist seit unvordenklicher Zeit das Geschlecht der Romilier, wohl einst das vornehmste unter allen römischen, eben hier angesessen, das Ianiculum ein Teil der Stadt selbst, Ostia Bürgerkolonie, das heißt Vorstadt gewesen. Es kann das nicht Zufall sein. Die Tiber ist Latiums natürliche Handelsstraße, ihre Mündung an dem hafenarmen Strande der notwendige Ankerplatz der Seefahrer. Die Tiber ist ferner seit uralter Zeit die Grenzwehr des latinischen [46] Stammes gegen die nördlichen Nachbarn. Zum Entrepôt für den latinischen Fluß- und Seehandel und zur maritimen Grenzfestung Latiums eignete kein Platz sich besser als Rom, das die Vorteile einer festen Lage und der unmittelbaren Nachbarschaft des Flusses vereinigte, das über beide Ufer des Flusses bis zur Mündung gebot, das dem die Tiber oder den Anio herabkommenden Flußschiffer ebenso bequem gelegen war wie bei der damaligen mäßigen Größe der Fahrzeuge dem Seefahrer, und das gegen Seeräuber größeren Schutz gewährte als die unmittelbar an der Küste gelegenen Orte. Daß Rom wenn nicht seine Entstehung, doch seine Bedeutung diesen kommerziellen und strategischen Verhältnissen verdankt, davon begegnen denn auch weiter zahlreiche Spuren, die von ganz anderem Gewicht sind als die Angaben historisierter Novelletten. Daher rühren die uralten Beziehungen zu Caere, das für Etrurien war was für Latium Rom und denn auch dessen nächster Nachbar und Handelsfreund wurde; daher die ungemeine Bedeutung der Tiberbrücke und des Brückenbaues überhaupt in dem römischen Gemeinwesen; daher die Galeere als städtisches Wappen. Daher der uralte römische Hafenzoll, dem von Haus aus nur unterlag, was zum Feilbieten (promercale), nicht was zu eigenem Bedarf des Verladers (usuarium) in dem Hafen von Ostia einging und der also recht eigentlich eine Auflage auf den Handel war. Daher, um vorzugreifen, das verhältnismäßig frühe Vorkommen des gemünzten Geldes, der Handelsverträge mit überseeischen Staaten in Rom. In diesem Sinn mag denn Rom allerdings, wie auch die Sage annimmt, mehr eine geschaffene als eine gewordene Stadt und unter den latinischen eher die jüngste als die älteste sein. Ohne Zweifel war die Landschaft schon einigermaßen bebaut und das albanische Gebirge sowie manche andere Höhe der Campagna mit Burgen besetzt, als das latinische Grenzemporium an der Tiber entstand. Ob ein Beschluß der latinischen Eidgenossenschaft, ob der geniale Blick eines verschollenen Stadtgründers oder die natürliche Entwicklung der Verkehrsverhätnisse die Stadt Rom ins Leben gerufen hat, darüber ist uns nicht einmal eine Mutmaßung gestattet. Wohl aber knüpft sich an diese Wahrnehmung über Roms Emporienstellung in Latium eine andere Beobachtung an. Wo uns die Geschichte zu dämmern beginnt, steht Rom dem latinischen Gemeindebund als einheitlich geschlossene Stadt gegenüber. Die latinische Sitte in offenen Dörfern zu wohnen und die gemeinschaftliche Burg nur zu Festen und Versammlungen oder im Notfall zu benutzen, ist höchst wahrscheinlich im römischen Gau weit früher beschränkt [47] worden als irgendwo sonst in Latium. Nicht als ob der Römer seinen Bauerhof selbst zu bestellen oder ihn als sein rechtes Heim zu betrachten aufgehört hätte; aber schon die böse Luft der Campagna mußte es mit sich bringen, daß er soweit es anging auf den luftigeren und gesunderen Stadthügeln seine Wohnung nahm; und neben dem Bauer muß eine zahlreiche nicht ackerbauende Bevölkerung von Fremden und Einheimischen dort seit uralter Zeit ansässig gewesen sein. Die dichte Bevölkerung des altrömischen Gebietes, das höchstens zu 51/2 Quadratmeilen zum Teil sumpfigen und sandigen Bodens angeschlagen werden kann und schon nach der ältesten Stadtverfassung eine Bürgerwehr von 3300 freien Männern stellte, also mindestens 10000 freie Einwohner zählte, erklärt sich auf diese Art einigermaßen. Aber noch mehr. Wer die Römer und ihre Geschichte kennt, der weiß es, daß das Eigentümliche ihrer öffentlichen und Privattätigkeit auf ihrem städtischen und kaufmännischen Wesen ruht und daß ihr Gegensatz gegen die übrigen Latiner und überhaupt die Italiker vor allem der Gegensatz ist des Bürgers gegen den Bauer. Zwar ist Rom keine Kaufstadt wie Korinth oder Karthago; denn Latium ist eine wesentlich ackerbauende Landschaft und Rom zunächst und vor allem eine latinische Stadt gewesen und geblieben. Aber was Rom auszeichnet vor der Menge der übrigen latinischen Städte, muß allerdings zurückgeführt werden auf seine Handelsstellung und auf den dadurch bedingten Geist seiner Bürgerschaft. Wenn Rom das Emporium der latinischen Landschaften war, so ist es begreiflich, daß hier neben und über der latinischen Feldwirtschaft sich ein städtisches Leben kräftig und rasch entwickelte und damit der Grund zu seiner Sonderstellung gelegt ward. Die Verfolgung dieser merkantilen und strategischen Entwickelung der Stadt Rom ist bei weitem wichtiger und ausführbarer als das unfruchtbare Geschäft unbedeutende und wenig verschiedene Gemeinden der Urzeit chemisch zu analysieren. Jene städtische Entwickelung können wir noch einigermaßen erkennen in den Überlieferungen über die allmählich entstandenen Umwallungen und Verschanzungen Roms, deren Anlage mit der Entwickelung des römischen Gemeinwesens zu städtischer Bedeutung notwendig Hand in Hand gegangen sein muß.

Die ursprüngliche städtische Anlage, aus welcher im Laufe der Jahrhunderte Rom erwachsen ist, umfaßte nach glaubwürdigen Zeugnissen nur den Palatin, in späterer Zeit auch das viereckige Rom (Roma quadrata) genannt von der regelmäßig viereckigen Form des palatinischen [48] Hügels. Die Tore und Mauern dieses ursprünglichen Stadtringes blieben bis in die Kaiserzeit sichtbar; zwei von jenen, die Porta Romana bei S. Giorgio in Velabro und die Porta Mugionis am Titusbogen sind auch uns noch ihrer Lage nach bekannt und den palatinischen Mauerring beschreibt noch Tacitus nach eigener Anschauung wenigstens an den dem Aventin und dem Caelius zugewendeten Seiten. Vielfache Spuren deuten darauf hin, daß hier der Mittelpunkt und der Ursitz der städtischen Ansiedlung war. Auf dem Palatin befand sich das heilige Symbol derselben, die sogenannte ›Einrichtung‹ (mundus), darein die ersten Ansiedler von allem, dessen das Haus bedarf zur Genüge und dazu von der lieben heimischen Erde eine Scholle getan hatten. Hier lag ferner das Gebäude, in welchem die sämtlichen Kurien jede an ihrem eigenen Herd zu gottesdienstlichen und anderen Zwecken sich versammelten (curiae veteres). Hier war das Versammlungshaus der ›Springer‹ (curia saliorum), zugleich der Aufbewahrungsort der heiligen Schilde des Mars, das Heiligtum der ›Wölfe‹ (lupercal) und die Wohnung des Jupiterpriesters. Auf und an diesem Hügel ward die Gründungssage der Stadt hauptsächlich lokalisiert und wurde das strohgedeckte Haus des Romulus, die Hirtenhütte seines Ziehvaters Faustulus, der heilige Feigenbaum, daran der Kasten mit den Zwillingen angetrieben war, der aus dem Speerschaft, welchen der Gründer der Stadt vom Aventin her über das Tal des Circus weg in diesen Mauerring geschleudert hatte, aufgeschossene Kornelkirschbaum und andere dergleichen Heiligtümer mehr den Gläubigen gewiesen. Eigentliche Tempel kannte diese Zeit noch nicht und daher hat solche auch der Palatin nicht aus älterer Zeit aufzuweisen. Die Gemeindestätten aber sind früh anderswohin verlegt und deshalb verschollen; nur vermuten läßt sich, daß der freie Platz um den Mundus, später der Platz des Apollo genannt, die älteste Versammlungsstätte der Bürgerschaft und des Senats, die über dem Mundus selbst errichtete Bühne die älteste Mahlstatt der römischen Gemeinde gewesen sein mögen. – Dagegen hat sich in dem ›Fest der sieben Berge‹ (septimontium) das Andenken bewahrt an die erweiterte Ansiedlung, welche allmählich um den Palaetin sich gebildet hat, Vorstädte eine nach der andern erwachsen, eine jede durch besondere, wenn auch schwächere Umwallungen geschützt und an den ursprünglichen Mauerring des Palatin wie in den Marschen an den Hauptdeich die Außendeiche angelehnt. Die ›sieben Ringe‹ sind der Palatin selbst; der Cermalus, der Abhang des Palatins gegen die zwischen diesem und dem Kapitol nach dem Fluß zu sich ausbreitende [49] Niederung (velabrum); die Velia, der den Palatin mit dem Esquilin verbindende, später durch die kaiserlichen Bauten fast ganz verschwundene Hügelrücken; das Fagutal, der Oppius und der Cispius, die drei Höhen des Esquilin; endlich die Sucūsa oder Subūra, eine außerhalb des Erdwalls, der die Neustadt auf den Carinen schützte, unterhalb S. Pietro in Vincoli in der Einsattlung zwischen dem Esquilin und dem Quirinal angelegte Festung. In diesen offenbar allmählich erfolgten Anbauten liegt die älteste Geschichte des palatinischen Rom bis zu einem gewissen Grade deutlich vor, zumal wenn man die späterhin auf Grund dieser ältesten Gliederung gebildete servianische Bezirkseinteilung damit zusammenhält. – Der Palatin war der Ursitz der römischen Gemeinde, der älteste und ursprünglich einzige Mauerring; aber die städtische Ansiedlung hat in Rom wie überall nicht innerhalb, sondern unterhalb der Burg begonnen und die ältesten Ansiedlungen, von denen wir wissen, die welche späterhin in der servianischen Stadteinteilung das erste und zweite Quartier bilden, liegen im Kreise um den Palatin herum. So diejenige auf dem Abhang des Cermalus mit der Tuskergasse, worin sich wohl eine Erinnerung bewahrt haben mag an den wohl schon in der palatinischen Stadt lebhaften Handelsverkehr zwischen Caeriten und Römern, und die Niederlassung auf der Velia, die beide später in der servianischen Stadt mit dem Burghügel selbst ein Quartier gebildet haben. Ferner die Bestandteile des späteren zweiten Quartiers: die Vorstadt auf dem Caelius, welche vermutlich nur dessen äußerste Spitze über dem Colosseum umfaßt hat; die auf den Carinen, derjenigen Höhe, in welche der Esquilin gegen den Palatin ausläuft, endlich das Tal und das Vorwerk der Subura, von welcher das ganze Quartier den Namen empfing. Beide Quartiere zusammen bilden die anfängliche Stadt, und der suburanische Bezirk derselben, der unterhalb der Burg etwa vom Bogen des Konstantin bis nach S. Pietro in Vincoli und über das darunter liegende Tal hin sich erstreckte, scheint ansehnlicher, vielleicht auch älter gewesen zu sein als die in der servianischen Ordnung dem palatinischen Bezirk einverleibten Siedlungen, da jener diesem in der Rangfolge der Quartiere vorangeht. Eine merkwürdige Erinnerung an den Gegensatz dieser beiden Stadtteile hat einer der ältesten heiligen Gebräuche des nachherigen Rom bewahrt, das auf dem Anger des Mars jährlich begangene Opfer des Oktoberrosses: bis in späte Zeit wurde bei diesem Feste um das Pferdehaupt gestritten zwischen den Männern der Subura und denen von der heiligen Straße und je nachdem jene oder diese siegten, dasselbe entweder [50] an den mamilischen Turm (unbekannter Lage) in der Subura oder an dem Königshaus unter dem Palatin angenagelt. Es waren die beiden Hälften der Altstadt, die hier in gleichberechtigtem Wetteifer miteinander rangen. Damals waren also die Esquiliae – welcher Name eigentlich gebraucht die Carinen ausschließt – in der Tat, was sie hießen, der Außenbau (ex-quiliae, wie inquilinus von colere) oder die Vorstadt; sie wurden in der späteren Stadteinteilung das dritte Quartier und es hat dieses stets neben dem suburanischen und dem palatinischen als minder ansehnlich gegolten. Auch noch andere benachbarte Anhöhen, wie Kapitol und Aventin, mögen von der Gemeinde der sieben Berge besetzt gewesen sein; vor allem die ›Pfahlbrücke‹ (pons sublicius) über den natürlichen Brückenpfeiler der Tiberinsel wird – das Pontifikalkollegium allein bürgt dafür hinreichend – schon damals bestanden und man auch den Brückenkopf am etruskischen Ufer, die Höhe des Janiculum nicht außer acht gelassen haben; aber die Gemeinde hatte beides doch keineswegs in ihren Befesti gungsring gezogen. Die Ordnung, die als Ritualsatz bis in die späteste Zeit festgehalten worden ist, daß die Brücke ohne Eisen lediglich aus Holz zusammenzufügen sei, geht in ihrem ursprünglichen praktischen Zweck offenbar darauf hinaus, daß sie nur eine fliegende sein sollte und jederzeit leicht mußte abgebrochen oder abgebrannt werden können: man erkennt daraus, wie lange Zeit hindurch die römische Gemeinde den Flußübergang nur unsicher und unterbrochen beherrscht hat. – Ein Verhältnis dieser allmählich erwachsenen städtischen Ansiedlungen zu den drei Gemeinden, in die die römische staatsrechtlich seit unvordenklich früher Zeit zerfiel, ist nicht zu ersehen. Da die Ramner, Titier und Lucerer ursprünglich selbständige Gemeinden gewesen zu sein scheinen, müssen sie freilich auch ursprünglich jede für sich gesiedelt haben; aber auf den sieben Hügeln selbst haben sie sicherlich nicht in getrennten Umwallungen gewohnt und was der Art in alter oder neuer Zeit erfunden worden ist, wird der verständige Forscher dahin stellen, wo das anmutige Märchen von der Tarpeia und die Schlacht am Palatin ihren Platz finden. Vielmehr werden schon die beiden Quartiere der ältesten Stadt, Subura und Palatin und ebenso das vorstädtische jedes in die drei Teile der Ramner, Titier und Lucerer zerfallen sein; womit es zusammenhängen kann, daß späterhin sowohl in dem suburanischen und palatinischen wie in jedem der nachher hinzugefügten Stadtteile es drei Paare Argeerkapellen gab. Eine Geschichte hat die palatinische Siebenhügelstadt vielleicht gehabt; [51] uns ist keine andere Überlieferung von derselben geblieben als die des bloßen Dagewesenseins. Aber wie die Blätter des Waldes für den neuen Lenz zuschicken, auch wenn sie ungesehen von Menschenaugen niederfallen, also hat diese verschollene Stadt der sieben Berge dem geschichtlichen Rom die Stätte bereitet.

Aber die palatinische Stadt ist nicht die einzige gewesen, die in dem späterhin von den servianischen Mauern eingeschlossenen Kreise vor alters bestanden hat; vielmehr lag ihr in unmittelbarer Nachbarschaft gegenüber eine zweite auf dem Quirinal. Die ›alte Burg‹ (Capitolium vetus) mit einem Heiligtum des Jupiter, der Juno und der Minerva und einem Tempel der Göttin des Treuworts, in welchem Staatsverträge öffentlich aufgestellt wurden, ist das deutliche Gegenbild des späteren Kapitols mit seinem Jupiter-Juno-und Minervatempel und mit dem ebenfalls gleichsam zum völkerrechtlichen Archiv bestimmten Tempel der römischen Treue, und ein sicherer Beweis dafür, daß auch der Quirinal einstmals der Mittelpunkt eines selbständigen Gemeinwesens gewesen ist. Dasselbe geht hervor aus dem zwiefachen Marskult auf dem Palatin und dem Quirinal: denn Mars ist das Vorbild des Wehrmanns und der älteste Hauptgott der italischen Bürgergemeinden. Damit hängt weiter zusammen, daß dessen Dienerschaft, die beiden uralten Genossenschaften der Springer (salii) und der Wölfe (Luperci) in dem späteren Rom gedoppelt vorhanden gewesen sind und neben der palatinischen auch eine Springerschaft vom Quirinal bestanden hat, neben den quinctischen Wölfen vom Palatin eine fabische Wolfsgilde, die ihr Heiligtum höchst wahrscheinlich auf dem Quirinal gehabt hat19. [52] Alle diese Anzeichen, schon an sich von großem Gewicht, gewinnen umso höhere Bedeutung, wenn man sich erinnert, daß der genau bekannte Umkreis der palatinischen Siebenhügelstadt den Quirinal ausschloß und daß späterhin in dem servianischen Rom, während die drei ersten Bezirke der ehemaligen palatinischen Stadt entsprechen, aus dem Quirinal nebst dem benachbarten Viminal das vierte Quartier gebildet wurde. So erklärt sich auch, zu welchem Zweck außerhalb der Stadtmauer das feste Vorwerk der Subura in dem Talgrunde zwischen Esquilin und Quirinal angelegt ward – hier berührten sich ja die beiderseitigen Marken und mußte von den Palatinern, nachdem sie die Niederung in Besitz genommen hatten, zum Schutz gegen die vom Quirinal eine Burg aufgeführt werden. – Endlich ist auch der Name nicht untergegangen, mit dem sich die Männer vom Quirinal von ihren palatinischen Nachbarn unterschieden. Wie die palatinische Stadt sich die ›der sieben Berge‹, ihre Bürger ›die von den Bergen‹ (montani) sich nennen, die Bezeichnung ›Berg‹ wie an den übrigen ihr angehörigen Höhen, so vor allem an dem Palatin haftet, so heißt die quirinalische Spitze, obwohl nicht niedriger, im Gegenteil etwas höher als jene, und ebenso die dazu gehörige viminalische im genauen Sprachgebrauch nie anders als ›Hügel‹ (collis); ja in den sakralen Urkunden wird nicht selten der Quirinal als der ›Hügel‹ ohne weiteren Beisatz bezeichnet. Ebenso heißt das von dieser Höhe ausführende Tor gewöhnlich das Hügeltor (porta collina), die daselbst ansässige Marspriesterschaft die vom Hügel (salii collini) im Gegensatz zu der vom Palatium (salii Palatini), das aus diesem Bezirk gebildete vierte servianische das Hügelquartier (tribus collina)20. Den zunächst wohl [53] an der Gegend haftenden Namen der ›Römer‹ mögen dabei die Hügelmänner ebenso wie die von den Bergen sich beigelegt und etwa Hügelrömer (Romani collini) sich genannt haben. Daß in dem Gegensatz der beiden Nachbarstädte zugleich eine Stammverschiedenheit obgewaltet hat, ist möglich, aber an Beweisen, welche ausreichten, um eine auf latinischem Boden gegründete Gemeinde für stammfremd zu erklären, fehlt es auch für die quirinalische Gemeinde durchaus21.

So standen an der Stätte des römischen Gemeinwesens zu dieser Zeit noch die Bergrömer vom Palatin und die Hügelrömer vom Quirinal als zwei gesonderte und ohne Zweifel vielfach sich befehdende Gemeinwesen einander gegenüber, einigermaßen wie im heutigen Rom die Montigiani und die Trasteverini. Daß die Gemeinde der sieben Berge schon früh die quirinalische bei weitem überwog, ist mit Sicherheit zu schließen sowohl aus der größeren Ausdehnung ihrer Neu- und Vorstädte als auch aus der Zurücksetzung, die die ehemaligen Hügelrömer in der späteren servianischen Ordnung sich durchaus haben müssen gefallen lassen. Aber auch innerhalb der palatinischen Stadt ist es schwerlich zu einer rechten und vollständigen Verschmelzung der verschiedenen [54] Bestandteile der Ansiedlung gekommen. Wie Subura und Palatin mit einander jährlich um das Pferdehaupt stritten, ist schon erzählt worden; aber auch die einzelnen Berge, ja die einzelnen Kurien – es gab noch keinen gemeinschaftlichen Stadtherd, sondern die verschiedenen Kurienherde standen, obwohl in derselben Lokalität, doch noch neben einander – mögen sich mehr gesondert als geeinigt gefühlt haben und das ganze Rom eher ein Inbegriff städtischer Ansiedlungen als eine einheitliche Stadt gewesen sein. Manchen Spuren zufolge waren auch die Häuser der alten und mächtigen Familien gleichsam festungsartig angelegt und der Verteidigung fähig, also auch wohl bedürftig. Erst der großartige Wallbau, der dem König Servius Tullius zugeschrieben wird, hat nicht bloß jene beiden Städte vom Palatin und Quirinal, sondern auch noch die nicht in ihren Ringen einbegriffenen Anhöhen des Kapitol und des Aventin mit einem einzigen großen Mauerring umzogen und somit das neue Rom, das Rom der Weltgeschichte geschaffen. Aber ehe dieses gewaltige Werk angegriffen ward, war Roms Stellung zu der umliegenden Landschaft ohne Zweifel gänzlich umgewandelt. Wie die Periode, in der der Ackersmann auf den sieben Hügeln von Rom nicht anders als auf den andern latinischen den Pflug führte und nur die in gewöhnlichen Zeiten leer stehenden Zufluchtsstätten auf einzelnen Spitzen einen Anfang festerer Ansiedlung darboten, der ältesten handel- und tatenlosen Epoche des latinischen Stammes entspricht; wie dann später die aufblühende Ansiedlung auf dem Palatin und in den ›sieben Ringen‹ zusammenfällt mit der Besetzung der Tibermündungen durch die römische Gemeinde und überhaupt mit dem Fortschritt der Latiner zu regerem und freierem Verkehr, zu städtischer Gesittung vor allem in Rom und wohl auch zu festerer politischer Einigung in den Einzelstaaten wie in der Eidgenossenschaft, so hängt die Gründung einer einheitlichen Großstadt, der servianische Wall zusammen mit jener Epoche, in der die Stadt Rom um die Herrschaft über die latinische Eidgenossenschaft zu ringen und endlich sie zu erringen vermochte.


Quelle:
Theodor Mommsen: Römische Geschichte. Berlin 1923, Bd. 1, S. 42-56.
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