Kapitel I

Die Nordgrenze Italiens

[7] Die römische Republik hat ihr Gebiet hauptsächlich auf den Seewegen gegen Westen, Süden und Osten erweitert; nach derjenigen Richtung hin, in welcher Italien und die von ihm abhängigen beiden Halbinseln im Westen und im Osten mit dem großen Continent Europas zusammenhängen, war dies wenig geschehen. Das Hinterland Makedoniens gehorchte den Römern nicht und nicht einmal der nördliche Abhang der Alpen; nur das Hinterland der gallischen Südküste war durch Caesar zum Reiche gekommen. Bei der Stellung, die das Reich im Allgemeinen einnahm, durfte dies so nicht bleiben; die Beseitigung des trägen und unsicheren Regiments der Aristokratie mußte vor allem an dieser Stelle sich geltend machen. Nicht so geradezu wie die Eroberung Britanniens hatte Caesar die Ausdehnung des römischen Gebiets am Nordabhang der Alpen und am rechten Ufer des Rheins den Erben seiner Machtstellung aufgetragen; aber der Sache nach war die letztere Grenzerweiterung bei weitem näher gelegt und nothwendiger als die Unterwerfung der überseeischen Kelten und man versteht es, daß Augustus diese unterließ und jene aufnahm. Dieselbe zerfiel in drei große Abschnitte: die Operationen an der Nordgrenze der griechisch-makedonischen Halbinsel im Gebiet der mittleren und unteren Donau, in Illyricum; die an der Nordgrenze Italiens selbst im oberen Donaugebiet, in Raetien und Noricum; endlich die am rechten Rheinufer, in Germanien. Meistens selbständig geführt hängen die militärisch-politischen Vornahmen in diesen Gebieten doch innerlich zusammen und wie sie sämmtlich aus der freien Initiative der römischen [7] Regierung hervorgegangen sind, können sie auch in ihrem Gelingen wie in ihrem theilweisen Mißlingen nur in ihrer Gesammtheit militärisch und politisch verstanden werden. Sie werden darum auch mehr im örtlichen als wie zeitlichen Zusammenhang dargelegt werden; das Gebäude, von dem sie doch nur Theile sind, wird besser in seiner inneren Geschlossenheit als in der Zeitfolge der Bauten betrachtet.

Das Vorspiel zu dieser großen Gesammtaction machen die Einrichtungen, welche Caesar der Sohn, so wie er in Italien und Sicilien freie Hand gewonnen hatte, an den oberen Küsten des adriatischen Meeres und im angrenzenden Binnenland vornahm. In den hundertundfunfzig Jahren, die seit der Gründung Aquileias verflossen waren, hatte wohl der römische Kaufmann von dort aus sich des Verkehrs mehr und mehr bemächtigt, aber der Staat unmittelbar nur geringe Fortschritte gemacht. An den Haupthäfen der dalmatinischen Küste, ebenso auf der von Aquileia in das Savethal führenden Straße bei Nauportus (Ober – Laibach) hatten sich ansehnliche Handelsniederlassungen gebildet; Dalmatien, Bosnien, Istrien und die Krain galten als römisches Gebiet und wenigstens das Küstenland war in der That botmäßig; aber die rechtliche Städtegründung stand noch ebenso aus wie die Bändigung des unwirthlichen Binnenlandes. Hier aber kam noch ein anderes Moment hinzu. In dem Kriege zwischen Caesar und Pompeius hatten die einheimischen Dalmater ebenso entschieden für den letzteren Partei ergriffen wie die dort ansässigen Römer für Caesar; auch nach der Niederlage des Pompeius bei Pharsalos und nach der Verdrängung der pompeianischen Flotte aus den illyrischen Gewässern (3, 445) setzten die Eingeborenen den Widerstand energisch und erfolgreich fort. Der tapfere und fähige Publius Vatinius, der früher in diese Kämpfe mit großem Erfolg eingegriffen hatte, wurde mit einem starken Heere nach Illyricum gesandt, wie es scheint in dem Jahre vor Caesars Tode und nur als Vorhut des Hauptheeres, mit welchem der Dictator selbst nachfolgend die eben damals mächtig emporstrebenden Daker(3, 304) niederzuwerfen und die Verhältnisse im ganzen Donaugebiet zu ordnen beabsichtigte. Diesen Plan schnitten die Dolche der Mörder ab; man mußte sich glücklich schätzen, daß die Daker nicht ihrerseits in Makedonien eindrangen, und Vatinius selbst focht gegen die Dalmater unglücklich und mit starken Verlusten. Als dann die Republikaner im Osten rüsteten, ging das illyrische Heer in das des Brutus über und die Dalmatiner blieben längere Zeit unangefochten. Nach der Niederwerfung [8] der Republikaner ließ Antonius, dem bei der Theilung des Reiches Makedonien zugefallen war, im J. 715 [39] die unbotmäßigen Dardaner im Nordwesten und die Parthiner an der Küste (östlich von Durazzo) zu Paaren treiben, wobei der berühmte Redner Gaius Asinius Pollio die Ehren des Triumphes gewann. In Illyricum, welches unter Caesar stand, konnte nichts geschehen, so lange dieser seine ganze Macht auf den sicilischen Krieg gegen Sextus Pompeius wenden mußte; aber nach dessen glücklicher Beendigung warf Caesar selbst sich mit aller Kraft auf diese Aufgabe. Die kleinen Völkerschaften von Doclea (Cernagora) bis zu den Japuden (bei Fiume) wurden in dem ersten Feldzug (719 [35]) zur Botmäßigkeit zurückgebracht oder jetzt zuerst gebändigt. Es war kein großer Krieg mit namhaften Feldschlachten, aber die Gebirgskämpfe gegen die tapferen und verzweifelnden Stämme und das Brechen der festen zum Theil mit römischen Maschinen ausgerüsteten Burgen waren keine leichte Aufgabe; in keinem seiner Kriege hat Caesar in gleichem Grade eigene Energie und persönliche Tapferkeit entwickelt. Nach der mühsamen Unterwerfung des Japudengebiets marschirte er noch in demselben Jahre im Thal der Kulpa aufwärts zu deren Mündung in die Save; die dort gelegene feste Ortschaft Siscia (Sziszek), der Hauptwaffenplatz der Pannonier, gegen den bisher die Römer noch nie mit Erfolg vorgegangen waren, ward jetzt besetzt und zum Stützpunkt bestimmt für den Krieg gegen die Daker, den Caesar demnächst aufzunehmen gedachte. In den beiden folgenden Jahren (720 [34]. 721 [33]) wurden die Dalmater, die seit einer Reihe von Jahren gegen die Römer in Waffen standen, nach dem Fall ihrer Feste Promona (Promina bei Dernis oberhalb Sebenico) zur Unterwerfung gezwungen Wichtiger aber als diese Kriegserfolge war das Friedenswerk, das zugleich sich vollzog und zu dessen Sicherung sie dienen sollten. Ohne Zweifel in diesen Jahren erhielten die Hafenplätze an der istrischen und dalmatinischen Küste, so weit sie in dem Machtbereich Caesars lagen, Tergeste (Triest), Pola, Iader (Zara), Salonae (bei Spalato), Narona (an der Narentamündung), nicht minder jenseit der Alpen, auf der Straße von Aquileia über die julische Alpe zur Save, Emona (Laibach), durch den zweiten Julier zum Theil städtische Mauern, sämmtlich städtisches Recht. Die Plätze selbst bestanden wohl alle schon längst als römische Flecken; aber es war immer von wesentlicher Bedeutung, daß sie jetzt unter die italischen Gemeinden gleichberechtigt eingereiht wurden.

[9] Der Dakerkrieg sollte folgen; aber der Bürgerkrieg ging zum zweitenmal ihm vor. Statt nach Illyricum rief er den Herrscher in den Osten; und der große Entscheidungskampf zwischen Caesar und Antonius warf seine Wellen bis in das ferne Donaugebiet. Das durch den König Burebista geeinigte und gereinigte Volk der Daker (3, 304), jetzt unter dem König Cotiso, sah sich von beiden Gegnern umworben – Caesar wurde sogar beschuldigt des Königs Tochter zur Ehe begehrt und ihm dagegen die Hand seiner fünfjährigen Tochter Julia angetragen zu haben. Daß der Daker im Hinblick auf die von dem Vater geplante, von dem Sohn durch die Befestigung Siscias eingeleitete Invasion sich auf Antonius Seite schlug, ist begreiflich; und hätte er ausgeführt, was man in Rom besorgte, wäre er, während Caesar im Osten focht, vom Norden her in das wehrlose Italien eingedrungen, oder hätte Antonius nach dem Vorschlag der Daker die Entscheidung statt in Epirus vielmehr in Makedonien gesucht und dort die dakischen Schaaren an sich gezogen, so wären die Würfel des Kriegsglücks vielleicht anders gefallen. Aber weder das eine noch das andere geschah; zudem brach eben damals der durch Burebistas kräftige Hand geschaffene Dakerstaat wieder auseinander; die inneren Unruhen, vielleicht auch von Norden her die Angriffe der germanischen Bastarner und der späterhin Dacien nach allen Richtungen umklammernden sarmatischen Stämme, verhinderten die Daker in den auch über ihre Zukunft entscheidenden römischen Bürgerkrieg einzugreifen.

Unmittelbar nachdem die Entscheidung in diesem gefallen war, wandte sich Caesar zu der Regulirung der Verhältnisse an der unteren Donau. Indeß da theils die Daker selbst nicht mehr so wie früher zu fürchten waren, theils Caesar jetzt nicht mehr bloß über Illyricum, sondern über die ganze griechisch-makedonische Halbinsel gebot, wurde zunächst diese die Basis der römischen Operationen. Vergegenwärtigen wir uns die Völker und die Herrschaftsverhältnisse, die Augustus dort vorfand.

Makedonien war seit Jahrhunderten römische Provinz. Als solche reichte es nicht hinaus nördlich über Stobi und östlich über das Rhodopegebirge; aber der Machtbereich Roms erstreckte sich weit über die eigentliche Landesgrenze, obwohl in schwankendem Umfang und ohne feste Form. Ungefähr scheinen die Römer damals bis zum Haemus (Balkan) die Vormacht gehabt zu haben, während das Gebiet jenseit des Balkan bis zur Donau wohl einmal von römischen Truppen betreten, [10] aber keineswegs von Rom abhängig war1. Jenseit des Rhodopegebirgs waren die Makedonien benachbarten thrakischen Dynasten, namentlich die der Odrysen (1, 758), denen der größte Theil der Südküste und ein Theil der Küste des schwarzen Meeres botmäßig war, durch die Expedition des Lucullus (3, 42) unter römische Schutzherrschaft gekommen, während die Bewohner der mehr binnenländischen Gebiete, namentlich die Besser an der oberen Maritza Unterthanen wohl hießen, aber nicht waren und ihre Einfälle in das befriedete Gebiet so wie die Vergeltungszüge in das ihrige stetig fortgingen. So hatte um das J. 694 [60] der leibliche Vater des Augustus Gaius Octavius und im J. 711 [43] während der Vorbereitungen zu dem Kriege gegen die Triumvirn Marcus Brutus gegen sie gestritten. Eine andere thrakische Völkerschaft, die Dentheleten (in der Gegend von Sofia) hatten noch in Ciceros Zeit bei einem Einfall in Makedonien Miene gemacht dessen Hauptstadt Thessalonike zu belagern. Mit den Dardanern, den westlichen Nachbarn der Thraker, einem Zweig der illyrischen Völkerfamilie, welche das südliche Serbien und den District Prisrend bewohnten, hatte der Amtsvorgänger des Lucullus Curio mit Erfolg (3, 42) und ein Decennium später Ciceros College im Consulat Gaius Antonius im J. 692 [62] unglücklich gefochten. Unterhalb des dardanischen Gebiets unmittelbar an der Donau saßen wieder thrakische Stämme, die einstmals mächtigen, jetzt herabgekommenen Triballer im Thal des Oescus (in der Gegend von Plewna), weiterhin an beiden Ufern der Donau bis zur Mündung Daker oder wie sie am rechten Donauufer mit dem alten auch den asiatischen Stammgenossen gebliebenen Volksnamen gewöhnlich genannt wurden, Myser oder Moeser, wahrscheinlich zu Burebistas Zeit ein Theil seines Reiches, jetzt wieder in verschiedene Fürstenthümer zersplittert. Die mächtigste Völkerschaft aber zwischen Balkan und Donau waren damals die Bastarner. Wir sind diesem tapferen und zahlreichen Stamm, dem östlichsten Zweig der grossen germanischen Sippe (2, 272), schon mehrfach begegnet. Eigentlich ansässig hinter den transdanuvianischen Dakern jenseit der Gebirge,[11] die Siebenbürgen von der Moldau scheiden, an den Donaumündungen und in dem weiten Gebiet von da zum Dniester befanden sie sich selber außerhalb des römischen Bereichs; aber vorzugsweise aus ihnen hatte sowohl König Philipp von Makedonien wie König Mithradates von Pontus seine Heere gebildet und in dieser Weise hatten die Römer schon früher oft mit ihnen gestritten. Jetzt hatten sie in großen Massen die Donau überschritten und sich nördlich vom Haemus festgesetzt; insofern der dakische Krieg, wie ihn Caesar der Vater und dann der Sohn geplant hatten, ohne Zweifel der Gewinnung des rechten Ufers der unteren Donau galt, war er nicht minder gegen sie gerichtet wie gegen die rechtsufrigen dakischen Moeser. Die griechischen Küstenstädte in dem Barbarenland Odessos (bei Varna), Tomis, Istropolis, schwer bedrängt durch dies Völkergewoge, waren hier wie überall die geborenen Clienten der Römer.

Zur Zeit der Dictatur Caesars, als Burebista auf der Höhe seiner Macht stand, hatten die Daker an der Küste bis hinab nach Apollonia jenen fürchterlichen Verheerungszug ausgeführt, dessen Spuren noch nach anderthalb Jahrhunderten nicht verwischt waren. Es mag wohl zunächst dieser Einfall gewesen sein, welcher Caesar den Vater bestimmte den Dakerkrieg zu unternehmen; und nachdem der Sohn jetzt auch über Makedonien gebot, mußte er allerdings sich verpflichtet fühlen eben hier sofort und energisch einzugreifen. Die Niederlage, die Ciceros College Antonius bei Istropolis durch die Bastarner erlitten hatte, darf als ein Beweis dafür genommen werden, daß diese Griechen wieder einmal der Hülfe der Römer bedurften.

In der That wurde bald nach der Schlacht bei Actium (725 [29] ) Marcus Licinius Crassus, der Enkel des bei Karrhae gefallenen, von Caesar als Statthalter nach Makedonien gesandt und beauftragt den zweimal verhinderten Feldzug nun auszuführen. Die Bastarner, welche eben damals in Thrakien eingefallen waren, fügten sich ohne Widerstand, als Crassus sie auffordern ließ, das römische Gebiet zu verlassen; aber ihr Rückzug genügte dem Römer nicht. Er überschritt seinerseits den Haemus2, schlug am Einfluß des Cibrus (Tzibritza) in die Donau die Feinde, deren König Deldo auf der Wahlstatt blieb, [12] und nahm was aus der Schlacht in eine nahe Festung entkommen war mit Hülfe eines zu den Römern haltenden Dakerfürsten gefangen. Ohne weiteren Widerstand zu leisten unterwarf sich dem Ueberwinder der Bastarner das gesammte moesische Gebiet. Diese kamen im nächsten Jahr wieder, um die erlittene Niederlage wett zu machen; aber sie unterlagen abermals und mit ihnen, was von den moesischen Stämmen wieder zu den Waffen gegriffen hatte. Damit waren diese Feinde von dem rechten Donauufer ein für allemal ausgewiesen und dieses vollständig der römischen Herrschaft unterworfen. Zugleich wurden die noch nicht botmäßigen Thraker gebändigt, den Bessern das nationale Heiligthum des Dionysos genommen und die Verwaltung desselben den Fürsten der Odrysen übertragen, welche überhaupt seitdem unter dem Schutz der römischen Obergewalt die Oberherrlichkeit über die thrakischen Völkerschaften südlich vom Haemus führten oder doch führen sollten. Unter seinen Schutz wurden ferner die griechischen Küstenstädte am schwarzen Meere gestellt und auch das übrige eroberte Gebiet verschiedenen Lehnfürsten zugetheilt, auf die somit zunächst der Schutz der Reichsgrenze überging3; eigene [13] Legionen hatte Rom für diese fernen Landschaften nicht übrig. Makedonien wurde dadurch zur Binnenprovinz, die der militärischen Verwaltung nicht ferner bedurfte. Das Ziel, das bei jenen dakischen Kriegsplänen ins Auge gefaßt worden war, war erreicht.

Allerdings war dieses Ziel nur ein vorläufiges. Aber bevor Augustus die definitive Regulirung der Nordgrenze in die Hand nahm, wandte er sich zu der Reorganisation der schon zum Reiche gehörigen Landschaften; über ein Decennium verging mit der Ordnung der Dinge in Spanien, Gallien, Asien, Syrien. Wie er dann, als dort das Nöthige geschehen war, das umfassende Werk angriff, soll nun erzählt werden.

Italien, das über drei Welttheile gebot, war, wie gesagt, noch keineswegs unbedingt Herr im eigenen Hause. Die Alpen, die es gegen Norden beschirmen, waren in ihrer ganzen Ausdehnung von einem Meer zum andern angefüllt mit kleinen wenig civilisirten Völkerschaften illyrischer, raetischer, keltischer Nationalität, deren Gebiete zum Theil hart angrenzten an die der großen Städte der Transpadana – so das der Trumpiliner (Val Trompia) an die Stadt Brixia, das der Camunner (Val Camonica oberhalb des Lago d' Iseo) an die Stadt Bergomum, das der Salasser (Val d' Aosta) an Eporedia (Ivrea), und die keineswegs friedliche Nachbarschaft pflogen. Oft genug überwunden und als besiegt auf dem Capitol proclamirt plünderten diese Stämme, allen Lorbeeren der vornehmen Triumphatoren zum Trotz, fortwährend die Bauern und die Kaufleute Oberitaliens. Ernstlich zu steuern war dem Unwesen nicht, so lange die Regierung sich nicht entschloß die Alpenhöhen zu überschreiten und auch den nördlichen Abhang in ihre Gewalt zu bringen; denn ohne Zweifel strömten beständig zahlreiche dieser Raubgesellen über die Berge herüber um das reiche Nachbarland zu brandschatzen. Auch nach Gallien hin war noch in gleicher Weise zu thun; die Völkerschaften im oberen Rhonethal (Wallis und Waadt)[14] waren zwar von Caesar unterworfen worden, aber sind auch unter denen genannt, die den Feldherren seines Sohnes zu schaffen machten. Andrerseits klagten die friedlichen gallischen Grenzdistricte über die stetigen Einfälle der Raeter. Eine Geschichtserzählung leiden und fordern die zahlreichen Expeditionen nicht, welche Augustus dieser Mißstände halber veranstaltet hat; in den Triumphalfasten sind sie nicht verzeichnet und gehören auch nicht hinein, aber sie gaben Italien zum ersten Mal Befriedung des Nordens. Erwähnt mögen werden die Niederwerfung der oben erwähnten Camunner im J. 738 [16] durch den Statthalter von Illyricum und die gewisser ligurischer Völkerschaften in der Gegend von Nizza im J. 740 [14], weil sie zeigen, wie noch um die Mitte der augustischen Zeit diese unbotmäßigen Stämme unmittelbar auf Italien drückten. Wenn der Kaiser späterhin in dem Gesammtbericht über seine Reichsverwaltung erklärte, daß gegen keine dieser kleinen Völkerschaften von ihm zu Unrecht Gewalt gebraucht worden sei, so wird dies dahin zu verstehen sein, daß ihnen Gebietsabtretungen und Sitzwechsel angesonnen wurden und sie sich dagegen zur Wehre setzten; nur der unter König Cottius von Segusio (Susa) vereinigte kleine Gauverband fügte sich ohne Kampf in die neue Ordnung.

Der Schauplatz dieser Kämpfe waren die südlichen Abhänge und die Thäler der Alpen. Es folgte die Festsetzung auf dem Nordabhang der Gebirge und in dem nördlichen Vorlande im J. 739 [15]. Die beiden dem kaiserlichen Hause zugezählten Stiefsöhne Augusts, Tiberius, der spätere Kaiser, und sein Bruder Drusus wurden damit in die ihnen bestimmte Feldherrnlaufbahn eingeführt – es waren sehr sichere und sehr dankbare Lorbeeren, die ihnen in Aussicht gestellt wurden. Von Italien aus das Thal der Etsch hinauf drang Drusus in die raetischen Berge ein und erfocht hier einen ersten Sieg; für das weitere Vordringen reichte ihm der Bruder, damals Statthalter Galliens, vom helvetischen Gebiet aus die Hand; auf dem Bodensee selbst schlugen die römischen Trieren die Böte der Vindeliker; an dem Kaisertag, dem 1. August 739 [15] wurde in der Umgegend der Donauquellen die letzte Schlacht geschlagen, durch die Raetien und das Vindelikerland, das heißt Tirol, die Ostschweiz und Baiern, fortan Bestandtheile des römischen Reiches wurden. Kaiser Augustus selbst war nach Gallien gegangen, um den Krieg und die Einrichtung der neuen Provinz zu überwachen. Da wo die Alpen am Golf von Genua endigen, auf der Höhe oberhalb Monaco, wurde einige Jahre darauf von dem dankbaren Italien dem Kaiser Augustus [15] ein weit in das tyrrhenische Meer hinausschauendes noch heute nicht ganz verschwundenes Denkmal dafür errichtet, daß unter seinem Regiment die Alpenvölker alle vom oberen zum unteren Meer – ihrer sechsundvierzig zählt die Inschrift auf – in die Gewalt des römischen Volkes gebracht worden waren. Es war nicht mehr als die einfache Wahrheit, und dieser Krieg das was der Krieg sein soll, der Schirmer und der Bürge des Friedens.

Schwieriger wohl als die eigentliche Kriegsarbeit war die Organisation des neuen Gebietes; insbesondere auch deshalb, weil die inneren politischen Verhältnisse hier zum Theil recht störend eingriffen. Da nach der Lage der Dinge das militärische Schwergewicht nicht in Italien liegen durfte, so mußte die Regierung darauf bedacht sein die großen Militärcommandos aus der unmittelbaren Nähe Italiens möglichst zu entfernen; ja es hat wohl bei der Besetzung Raetiens selbst das Bestreben mitgewirkt das Commando, welches wahrscheinlich bis dahin in Oberitalien selbst nicht hatte entbehrt werden können, definitiv von dort wegzulegen, wie es dann auch zur Ausführung kam. Was man zunächst erwarten sollte, daß für die in dem neugewonnenen Gebiet unentbehrlichen militärischen Ausstellungen ein großer Mittelpunkt am Nordabhang der Alpen geschaffen worden wäre, davon geschah das gerade Gegentheil. Es wurde zwischen Italien einer- und den großen Rhein- und Donaucommandos andererseits ein Gürtel kleinerer Statthalterschaften gezogen, die nicht bloß alle vom Kaiser, sondern auch durchaus mit dem Senat nicht angehörigen Männern besetzt wurden. Italien und die südgallische Provinz wurden geschieden durch die drei kleinen Militärdistricte der Seealpen (Dep. der Seealpen und Provinz Cuneo), der cottischen mit der Hauptstadt Segusio (Susa), und wahrscheinlich der graischen (Ostsavoyen), unter denen der zweite von dem schon genannten Gaufürsten Cottius und seinen Nachkommen eine Zeitlang in den Formen der Clientel verwaltete4 am meisten bedeutete, die aber alle eine gewisse Militärgewalt besaßen und deren [16] nächste Bestimmung war in dem betreffenden Gebiet und vor allem auf den wichtigen dasselbe durchschneidenden Reichsstraßen die öffentliche Sicherheit zu erhalten. Das obere Rhonethal dagegen, also das Wallis, und das neu eroberte Raetien wurden einem nicht im Rang, aber wohl an Macht höher stehenden Befehlshaber untergeben; ein relativ ansehnliches Corps war hier nun einmal unumgänglich erforderlich. Indeß wurde, um dasselbe möglichst verringern zu können, Raetien durch Entfernung seiner Bewohner im großen Maßstab entvölkert. Den Ring schloß die ähnlich organisirte Provinz Noricum, den größten Theil des heutigen deutschen Oesterreich umfassend. Diese weite und fruchtbare Landschaft hatte sich ohne wesentlichen Widerstand der römischen Herrschaft unterworfen, wahrscheinlich in der Form, daß hier zunächst ein abhängiges Fürstenthum entstand, bald aber der König dem kaiserlichen Procurator wich, von dem er ohnehin sich nicht wesentlich unterschied. Von den Rhein- und Donaulegionen erhielten allerdings einige ihre Standlager in der unmittelbaren Nähe einerseits der rätischen Grenze bei Vindonissa, andererseits der norischen bei Poetovio, offenbar um auf die Nachbarprovinz zu drücken; aber Armeen ersten Ranges mit Legionen unter senatorischen Generalen gab es in jenem Zwischenbereich so wenig wie senatorische Statthalter. Das Mißtrauen gegen das neben dem Kaiser den Staat regierende Collegium findet in dieser Einrichtung einen sehr drastischen Ausdruck.

Nächst der Befriedung Italiens war der Hauptzweck dieser Organisation die Sicherung seiner Communicationen mit dem Norden, die für den Handels verkehr von nicht minder einschneidender Bedeutung war wie in militärischer Beziehung. Mit besonderer Energie griff Augustus diese Aufgabe an und es ist wohl verdient, daß in den Namen Aosta und Augsburg, vielleicht auch in dem der julischen Alpen der seinige noch heute fortlebt. Die alte Küstenstraße, die Augustus von der ligurischen Küste durch Gallien und Spanien bis an den atlantischen Ocean theils erneuerte, theils herstellte, hat nur Handelszwecken dienen können. Auch die Straße über die cottische Alpe, schon durch Pompeius eröffnet (3, 29), ist unter Augustus durch den schon erwähnten Fürsten von Susa ausgebaut und nach ihm benannt worden; ebenfalls eine Handelsstraße, verknüpft sie Italien über Turin und Susa mit der Handelshauptstadt Südgalliens Arelate. Aber die eigentliche Militärlinie, die unmittelbare Verbindung zwischen Italien [17] und den Rheinlagern führt durch das Thal der Dora Baltea aus Italien theils nach der Hauptstadt Galliens Lyon, theils nach dem Rhein. Hatte die Republik sich darauf beschränkt den Eingang jenes Thals durch die Anlegung von Eporedia (Ivrea) in ihre Gewalt zu bringen, so nahm Augustus dasselbe ganz in Besitz in der Weise, daß er dessen Bewohner, die immer noch unruhigen und schon während des dalmatinischen Krieges von ihm bekämpften Salasser, nicht bloß unterwarf, sondern geradezu austilgte – ihrer 36000, darunter 8000 streitbare Männer, wurden auf dem Markt von Eporedia unter dem Hammer in die Sclaverei verkauft und den Käufern auferlegt binnen zwanzig Jahren keinem derselben die Freiheit zu gewähren. Das Feldlager selbst, von dem aus sein Feldherr Varro Murena im J. 729 [25] sie schließlich aufs Haupt geschlagen hatte, wurde die Festung, welche, besetzt mit 3000 der Kaisergarde entnommenen Ansiedlern, die Verbindungen sichern sollte, die Stadt Augusta Praetoria, das heutige Aosta, deren damals errichtete Mauern und Thore noch heute stehen. Sie beherrschte später zwei Alpenstraßen, sowohl die über die graische Alpe oder den kleinen St. Bernhard an der oberen Isère und der Rhone nach Lyon führende wie die, welche über die pöninische Alpe, den großen St. Bernhard, zum Rhonethal und zum Genfersee und von da in die Thäler der Aar und des Rheins lief. Aber für die erste dieser Straßen ist die Stadt angelegt worden, da sie ursprünglich nur nach Osten und Westen führende Thore gehabt hat, und es konnte dies auch nicht anders sein, da die Festung ein Decennium vor der Besetzung Raetiens gebaut ward, auch in jenen Jahren die spätere Organisation der Rheinlager noch nicht bestand und die directe Verbindung der Hauptstädte Italiens und Galliens durchaus in erster Reihe stand. In der Richtung auf die Donau zu ist der Anlage von Emona an der oberen Save auf der alten Handelsstraße von Aquileia über die julische Alpe in das pannonische Gebiet schon gedacht worden; diese Straße war zugleich die Hauptader der militärischen Verbindung von Italien mit dem Donaugebiet. Mit der Eroberung Raetiens endlich verband sich die Eröffnung der Straße, welche von der letzten italischen Stadt Tridentum (Trient) das Etschthal hinauf zu der im Lande der Vindeliker neu angelegten Augusta, dem heutigen Augsburg, und weiter zur oberen Donau führte. Als dann der Sohn des Feldherrn, der dieses Gebiet zuerst aufgeschlossen hatte, zur Regierung gelangte, ist dieser [18] Straße der Name der claudischen beigelegt worden5. Sie stellte zwischen Raetien und Italien die militärisch unentbehrliche Verbindung her; indeß hat sie in Folge der relativ geringen Bedeutung der rätischen Armee und wohl auch in Folge der schwierigeren Communication niemals die Bedeutung gehabt wie die Straße von Aosta.

Die Alpenpässe und der Nordabhang der Alpen waren somit in gesichertem römischen Besitz. Jenseit der Alpen erstreckte sich östlich vom Rhein das germanische Land, südwärts der Donau das der Pannonier und der Moeser. Auch hier wurde kurz nach der Besetzung Raetiens, und ziemlich gleichzeitig nach beiden Seiten hin, die Offensive ergriffen. Betrachten wir zunächst die Vorgänge an der Donau.

Das Donaugebiet, allem Anschein nach bis zum J. 727 [27] mit Oberitalien zusammen verwaltet, wurde damals bei der Reorganisation des Reiches ein selbständiger Verwaltungsbezirk Illyricum unter eigenem Statthalter. Er bestand aus Dalmatien mit seinem Hinterland bis zum Drin, während die Küste weiter südwärts seit langem zur Statthalterschaft Makedonien gehörte, und den römischen Besitzungen im Lande der Pannonier an der Save. Das Gebiet zwischen dem Haemus und der Donau bis zum schwarzen Meer, welches kurz zuvor Crassus in Reichsabhängigkeit gebracht hatte, so wie nicht minder Noricum und Raetien standen im Clientelverhältniß zu Rom, gehörten also zwar nicht zu diesem Sprengel, aber hingen doch zunächst von dem Statthalter Illyricums ab. Auch das noch keineswegs beruhigte Thrakien südlich vom Haemus fiel militärisch in denselben Bereich. Es ist eine bis in späte Zeit bestehende Fortwirkung dieser ursprünglichen Organisation gewesen, daß das ganze Donaugebiet von Raetien bis Moesien [19] als ein Zollbezirk unter dem Namen Illyricum im weitern Sinne zusammengefaßt worden ist. Legionen standen nur in dem eigentlichen Illyricum, in den übrigen Districten wahrscheinlich gar keine Reichstruppen, höchstens kleinere Detachements; das Obercommando führte der aus dem Senat hervorgehende Proconsul der neuen Provinz, während die Soldaten und die Offiziere selbstverständlich kaiserlich waren. Es zeugt von dem ernsten Charakter der nach der Eroberung Raetiens beginnenden Offensive, daß zunächst der Nebenherrscher Agrippa das Commando im Donaugebiet übernahm, dem der Proconsul von Illyricum von Rechtswegen sich unterzuordnen hatte, und dann, als Agrippas plötzlicher Tod im Frühjahr 742 [12] diese Combination scheitern machte, im Jahre darauf Illyricum in kaiserliche Verwaltung überging, also die kaiserlichen Feldherren hier das Obercommando erhielten. Bald bildeten sich hier drei militärische Mittelpuncte, welche dann auch die administrative Dreitheilung des Donaugebiets herbeiführten. Die kleinen Fürstenthümer in dem von Crassus eroberten Gebiet machten der Provinz Moesien Platz, deren Statthalter fortan in dem heutigen Serbien und Bulgarien die Grenzwacht hielt gegen Daker und Bastarner. In der bisherigen Provinz Illyricum wurde ein Theil der Legionen an der Kerka und der Cettina postirt, um die immer noch schwierigen Dalmater im Zaum zu halten. Die Hauptmacht stand in Pannonien an der damaligen Reichsgrenze, der Save. Chronologisch genau läßt sich diese Dislocation der Legionen und Organisation der Provinzen nicht fixiren; wahrscheinlich haben die gleichzeitig geführten ernsthaften Kriege gegen die Pannonier und die Thraker, von denen wir gleich zu berichten haben werden, zunächst dazu geführt die Statthalterschaft von Moesien einzurichten und haben erst einige Zeit nachher die dalmatischen Legionen und die an der Save eigene Oberbefehlshaber erhalten.

Wie die Expeditionen gegen die Pannonier und die Germanen gleichsam eine Wiederholung des raetischen Feldzugs in erweitertem Maßstab sind, so waren auch die Führer, welche mit dem Titel kaiserlicher Legaten an die Spitze gestellt wurden, dieselben; wieder die beiden Prinzen des kaiserlichen Hauses Tiberius, der an Agrippas Stelle das Commando in Illyricum übernahm, und Drusus, der an den Rhein ging, beide jetzt nicht mehr unerprobte Jünglinge, sondern Männer in der Blüthe ihrer Jahre und schwerer Arbeit wohl gewachsen. – An nächsten Anlässen für die Kriegführung fehlte es in der Donaugegend [20] nicht. Raubgesindel aus Pannonien und selbst aus dem friedlichen Noricum plünderte im Jahre 738 [16] bis nach Istrien hinein. Zwei Jahre darauf ergriffen die illyrischen Provinzialen gegen ihre Herren die Waffen und obwohl sie dann, als Agrippa im Herbst des J. 741 [13] das Commando übernahm, ohne Widerstand zu leisten zum Gehorsam zurückkehrten, sollen doch unmittelbar nach seinem Tode die Unruhen aufs Neue begonnen haben. Wir vermögen nicht zu sagen, wie weit diese römischen Erzählungen der Wahrheit entsprechen; der eigentliche Grund und Zweck dieses Krieges war gewiß die durch die allgemeine politische Lage geforderte Vorschiebung der römischen Grenze. Ueber die drei Campagnen des Tiberius in Pannonien 742 bis 744 [12-16] sind wir sehr unvollkommen unterrichtet. Als Ergebniß derselben wurde von der Regierung die Feststellung der Donaugrenze für die Provinz Illyricum angegeben. Daß diese seitdem in ihrem ganzen Laufe als die Grenze des römischen Gebiets angesehen wurde, ist ohne Zweifel richtig, aber eine eigentliche Unterwerfung oder gar eine Besetzung dieses ganzen weiten Gebiets ist damals keineswegs erfolgt. Hauptsächlichen Widerstand gegen Tiberius leisteten die schon früher für römisch erklärten Völkerschaften, insbesondere die Dalmater; unter den damals zuerst effectiv unterworfenen ist die namhafteste die der pannonischen Breuker an der unteren Save. Schwerlich haben die römischen Heere während dieser Feldzüge die Drau auch nur überschritten, auf keinen Fall ihre Standlager an die Donau verlegt. Das Gebiet zwischen Save und Drau wurde allerdings besetzt und das Hauptquartier der illyrischen Nordarmee von Siscia an der Save nach Poetovio (Pettau) an der mittleren Drau verlegt, während in dem vor kurzem besetzten norischen Gebiet die römischen Besatzungen bis an die Donau bei Carnuntum reichten (Petronell bei Wien), damals die letzte norische Stadt gegen Osten. Das weite und große Gebiet zwischen der Drau und der Donau, das heutige westliche Ungarn ist allem Anschein nach damals nicht einmal militärisch besetzt worden. Es entsprach dies dem Gesammtplan der begonnenen Offensive; man suchte die Fühlung mit dem gallischen Heer und für die neue Reichsgrenze im Nordosten war der natürliche Stützpunkt nicht Ofen, sondern Wien.

Gewissermaßen eine Ergänzung zu dieser pannonischen Expedition des Tiberius bildet diejenige, welche gleichzeitig gegen die Thraker von Lucius Piso unternommen ward, vielleicht dem ersten eigenen[21] Statthalter, den Moesien gehabt hat. Die beiden großen benachbarten Nationen, die Illyriker und die Thraker, von denen in einem späteren Abschnitt eingehender gehandelt werden wird, standen damals gleichmäßig zur Unterwerfung. Die Völkerschaften des inneren Thrakiens erwiesen sich noch störriger als die Illyriker und den von Rom ihnen gesetzten Königen wenig botmäßig; im J. 738 [16] mußte ein römisches Heer dort einrücken und den Fürsten gegen die Besser zu Hülfe kommen. Wenn wir genauere Berichte über die dort wie hier in den Jahren 741 bis 743 [13-11] geführten Kämpfe hätten, würde das gleichzeitige Handeln der Thraker und der Illyriker vielleicht als gemeinschaftliches erscheinen. Gewiß ist es, daß die Masse der Thrakerstämme südlich vom Haemus und vermuthlich auch die in Moesien sitzenden sich an diesem Nationalkrieg betheiligten, und daß die Gegenwehr der Thraker nicht minder hartnäckig war als die der Illyriker. Es war für sie zugleich ein Religionskrieg; das den Bessern genommene und den römischgesinnten Odrysenfürsten überwiesene Dionysosheiligthum6 war nicht vergessen; ein Priester dieses Dionysos stand an der Spitze der Insurrection und sie richtete sich zunächst eben gegen jene Odrysenfürsten. Der eine derselben wurde gefangen und getödtet, der andere verjagt; die zum Theil nach römischem Muster bewaffneten und disciplinirten Insurgenten siegten in dem ersten Treffen über Piso und drangen vor bis nach Makedonien und in den thrakischen Chersones; man fürchtete für Asien. Indeß die römische Zucht behielt doch schließlich das Uebergewicht auch über diese tapferen Gegner; in mehreren Feldzügen wurde Piso des Widerstandes Herr und das entweder schon bei dieser Gelegenheit oder bald nachher auf dem ›thrakischen Ufer‹ eingerichtete Commando von Moesien brach den Zusammenhang der dakisch-thrakischen Völkerschaften, indem es die Stämme am linken Ufer der Donau und die verwandten südlich vom Haemus von einander schied, und sicherte dauernd die römische Herrschaft im Gebiet der unteren Donau.

[22] Näher noch als von den Pannoniern und den Thrakern ward es den Römern von den Germanen gelegt, daß der damalige Zustand der Dinge auf die Dauer nicht bleiben könne. Die Reichsgrenze war seit Caesar der Rhein vom Bodensee bis zu seiner Mündung (3, 258). Eine Völkerscheide war er nicht, da schon von Alters her im Nordosten Galliens die Kelten sich vielfach mit Deutschen gemischt hatten, die Treverer und die Nervier Germanen wenigstens gern gewesen wären (3, 244), am mittleren Rhein Caesar selbst die Reste der Schaaren des Ariovistus, Triboker (im Elsaß), Nemeter (um Speier), Vangionen (um Worms) seßhaft gemacht hatte. Freilich hielten diese linksrheinischen Deutschen fester zu der römischen Herrschaft als die keltischen Gaue und nicht sie haben den Landsleuten auf dem rechten Ufer die Pforten Galliens geöffnet. Aber diese, seit langem der Plünderzüge über den Fluß gewohnt und der mehrfach halb geglückten Versuche dort sich festzusetzen keineswegs vergessen, kamen auch ungerufen. Die einzige germanische Völkerschaft jenseit des Rheines, die schon in Caesars Zeit sich von ihren Landsleuten getrennt und unter römischen Schutz gestellt hatte, die Ubier hatten vor dem Haß ihrer erbitterten Stammgenossen weichen und auf dem römischen Ufer Schutz und neue Wohnsitze suchen müssen (716 [38]); Agrippa, obwohl persönlich in Gallien anwesend, hatte unter dem Druck des damals bevorstehenden sicilischen Krieges nicht vermocht ihnen in anderer Weise zu helfen und den Rhein nur überschritten, um die Ueberführung zu bewirken. Aus dieser ihrer Siedelung ist später unser Köln erwachsen. Nicht bloß die auf dem rechten Rheinufer Handel treibenden Römer wurden vielfältig von den Germanen geschädigt, so daß sogar im J. 729 [25] deßwegen ein Vorstoß über den Rhein ausgeführt ward und Agrippa im J. 734 [20] vom Rhein herübergekommene germanische Schwärme aus Gallien hinauszuschlagen hatte; es gerieth im J. 738 [16] das jenseitige Ufer in eine allgemeinere auf einen Einbruch in großem Maßstab hinauslaufende Bewegung. Die Sugambrer an der Ruhr gingen voran, mit ihnen ihre Nachbaren, nördlich im Lippethal die Usiper, südlich die Tencterer; sie griffen die bei ihnen verweilenden römischen Händler auf und schlugen sie ans Kreuz, überschritten dann den Rhein, plünderten weit und breit die gallischen Gaue, und als ihnen der Statthalter von Germanien den Legaten Marcus Lollius mit der fünften Legion entgegenschickte, fingen sie erst deren Reiterei ab und schlugen dann die Legion selbst in schimpfliche Flucht, [23] wobei ihnen sogar deren Adler in die Hände fiel. Nach allem diesem kehrten sie unangefochten zurück in ihre Heimath. Dieser Mißerfolg der römischen Waffen, wenn auch an sich nicht von Gewicht, war doch der germanischen Bewegung und selbst der schwierigen Stimmung in Gallien gegenüber nichts weniger als unbedenklich; Augustus selbst ging nach der angegriffenen Provinz und es mag dieser Vorgang wohl die nächste Veranlassung gewesen sein zur Aufnahme jener großen Offensive, die mit dem raetischen Krieg 739 [15] beginnend weiter zu den Feldzügen des Tiberius in Illyricum und des Drusus in Germanien führte.

Nero Claudius Drusus, geboren im J. 716 [38] von Livia im Hause ihres neuen Gemahls, des späteren Augustus und von diesem gleich einem Sohn – die bösen Zungen sagten als sein Sohn – geliebt und gehalten, ein Bild männlicher Schönheit und von gewinnender Anmuth im Verkehr, ein tapferer Soldat und ein tüchtiger Feldherr, dazu ein erklärter Lobredner der alten republikanischen Ordnung und in jeder Hinsicht der populärste Prinz des kaiserlichen Hauses, übernahm bei Augustus Rückkehr nach Italien (741 [13]) die Verwaltung von Gallien und den Oberbefehl gegen die Germanen, deren Unterwerfung jetzt ernstlich in das Auge gefaßt ward. Wir vermögen weder die Stärke der damals am Rhein stehenden Armee noch die bei den Germanen obwaltenden Zustände genügend zu erkennen; nur das tritt deutlich hervor, daß die letzteren nicht im Stande waren dem geschlossenen Angriff in entsprechender Weise zu begegnen. Das Neckargebiet, ehemals von den Helvetiern besessen (2, 166), dann lange Zeit streitiges Grenzland zwischen ihnen und den Germanen, lag verödet und beherrscht einerseits durch die jüngst unterworfene Landschaft der Vindeliker, andrerseits durch die römischgesinnten Germanen um Straßburg, Speier und Worms. Weiter nordwärts in der oberen Maingegend saßen die Marcomanen, vielleicht der mächtigste der suebischen Stämme, aber mit den Germanen des Mittelrheins seit Alters her verfeindet. Nordwärts des Mains folgten zunächst im Taunus die Chatten, weiter rheinabwärts die schon genannten Tencterer, Sugambrer und Usiper; hinter ihnen die mächtigen Cherusker an der Weser, außerdem eine Anzahl Völkerschaften zweiten Ranges. Wie diese mittelrheinischen Stämme, voran die Sugambrer, jenen Angriff auf das römische Gallien ausgeführt hatten, so richtete sich auch der Vergeltungszug des Drusus hauptsächlich gegen sie, und sie auch verbanden [24] sich gegen Drusus zur gemeinschaftlichen Abwehr und zur Aufstellung eines aus dem Zuzug aller dieser Gaue zu bildenden Volksheers. Aber die friesischen Stämme an der Nordseeküste schlossen sich nicht an, sondern verharrten in der ihnen eigenen Isolirung.

Es waren die Germanen, die die Offensive ergriffen. Die Sugambrer und ihre Verbündeten griffen wieder alle Römer auf, deren sie auf ihrem Ufer habhaft werden konnten, und schlugen die Centurionen darunter, ihrer zwanzig an der Zahl, ans Kreuz. Die verbündeten Stämme beschlossen abermals in Gallien einzufallen und theilten auch die Beute im Voraus – die Sugambrer sollten die Leute, die Cherusker die Pferde, die suebischen Stämme das Gold und Silber erhalten. So versuchten sie im Anfang des J. 742 [12] wieder den Rhein zu überschreiten und hofften auf die Unterstützung der linksrheinischen Germanen und selbst auf eine Insurrection der eben damals durch das ungewohnte Schätzungsgeschäft erregten gallischen Gaue. Aber der junge Feldherr traf seine Maßregeln gut: er erstickte die Bewegung im römischen Gebiet, noch ehe sie recht in Gang kam, warf die Eindringenden bei dem Flußübergang selbst zurück und ging dann seinerseits über den Strom, um das Gebiet der Usiper und Sugambrer zu brandschatzen. Dies war eine vorläufige Abwehr; der eigentliche Kriegsplan, in größerem Stil angelegt, ging aus von der Gewinnung der Nordseeküste und der Mündungen der Ems und der Elbe. Der zahlreiche und tapfere Stamm der Bataver im Rheindelta ist, allem Anschein nach damals und durch gütliche Vereinbarung, dem römischen Reiche einverleibt worden; mit ihrer Hülfe wurde vom Rheine zum Zuydersee und aus diesem in die Nordsee eine Wasserverbindung hergestellt, welche der Rheinflotte einen sichreren und kürzeren Weg zur Ems- und Elbemündung eröffnete. Die Friesen an der Nordküste folgten dem Beispiel der Bataver und fügten sich gleichfalls der Fremdherrschaft. Es war wohl mehr noch die maßhaltende Politik als die militärische Uebergewalt, die hier den Römern den Weg bahnte: diese Völkerschaften blieben fast ganz steuerfrei und wurden zum Kriegsdienst in einer Weise herangezogen, die nicht schreckte, sondern lockte. Von da ging die Expedition an der Nordseeküste hinauf; im offenen Meer wurde die Insel Burchanis (vielleicht Borkum vor Ostfriesland) mit stürmender Hand genommen, auf der Ems die Bootflotte der Bructerer von der römischen Flotte besiegt; bis an die Mündung der Weser zu den Chaukern ist Drusus gelangt. Freilich gerieth die [25] Flotte heimkehrend auf die gefährlichen und unbekannten Watten und wenn die Friesen nicht der schiffbrüchigen Armee sicheres Geleit gewährt hätten, wäre sie in sehr kritische Lage gerathen. Nichtsdestoweniger war durch diesen ersten Feldzug die Küste von der Rhein – zur Wesermündung römisch geworden.

Nachdem also die Küste umfaßt war, begann im nächsten Jahr (743 [11]) die Unterwerfung des Binnenlandes. Sie wurde wesentlich erleichtert durch den Zwist unter den mittelrheinischen Germanen. Zu dem im Jahre vorher versuchten Angriff auf Gallien hatten die Chatten den versprochenen Zuzug nicht gestellt; in begreiflichem, aber noch viel mehr unpolitischem Zorn hatten die Sugambrer mit gesammter Hand das Chattenland überfallen, und so wurde ihr eigenes Gebiet so wie das ihrer nächsten Nachbaren am Rhein ohne Schwierigkeit von den Römern besetzt. Die Chatten unterwarfen sich dann den Feinden ihrer Feinde ohne Gegenwehr; nichts desto weniger wurden sie angewiesen das Rheinufer zu räumen und dafür dasjenige Gebiet zu besetzen, das bis dahin die Sugambrer inne gehabt hatten. Nicht minder unterlagen weiter landeinwärts die mächtigen Cherusker an der mittleren Weser. Die an der unteren sitzenden Chauker wurden, wie ein Jahr zuvor von der Seeseite, so jetzt zu Lande angegriffen und damit das gesammte Gebiet zwischen Rhein und Weser wenigstens an den militärisch entscheidenden Stellen in Besitz genommen. Der Rückweg wäre allerdings, eben wie im vorigen Jahre, fast verhängnißvoll geworden; bei Arbalo (unbekannter Lage) sahen sich die Römer in einem Engpaß von allen Seiten von den Germanen umzingelt und ihrer Verbindungen verlustig; aber die feste Zucht der Legionare und daneben die übermüthige Siegesgewißheit der Deutschen verwandelten die drohende Niederlage in einen glänzenden Sieg7. Im nächsten Jahr (744 [10]) standen die Chatten auf, erbittert über den Verlust ihrer alten schönen Heimstatt; aber jetzt blieben sie ihrerseits allein und wurden nach hartnäckiger Gegenwehr und nicht ohne empfindlichen Verlust von den Römern überwältigt [9] (745). Die Marcomanen am oberen Main, die nach der Einnahme des Chattengebiets zunächst dem Angriff ausgesetzt waren, wichen ihm aus und zogen sich rückwärts in das Land der Boier, das heutige Böhmen, ohne von hier aus, wo sie dem unmittelbaren Machtkreise Roms entrückt [26] waren, in die Kämpfe am Rhein einzugreifen. In dem ganzen Gebiet zwischen Rhein und Weser war der Krieg zu Ende. Drusus konnte im J. 745 im Cheruskergau das rechte Weserufer betreten und [9] von da vorgehen bis an die Elbe, die er nicht überschritt, vermuthlich angewiesen war nicht zu überschreiten. Manches harte Gefecht wurde geliefert, erfolgreicher Widerstand nirgends geleistet. Aber auf dem Rückweg, der wie es scheint die Saale hinauf und von da zur Weser genommen ward, traf die Römer ein schwerer Schlag, nicht durch den Feind, aber durch einen unberechenbaren Unglücksfall. Der Feldherr stürzte mit dem Pferd und brach den Schenkel; nach dreißigtägigen Leiden verschied er in dem fernen Lande zwischen Saale und Weser8, das nie vor ihm eine römische Armee betreten hatte, in den Armen des aus Rom herbeigeeilten Bruders, im dreißigsten Jahre seines Alters, im Vollgefühl seiner Kraft und seiner Erfolge, von den Seinigen und dem ganzen Volke tief und lange betrauert, vielleicht glücklich zu preisen, weil die Götter ihm gaben jung aus dem Leben zu scheiden und den Enttäuschungen und Bitterkeiten zu entgehen, welche die Höchstgestellten am schmerzlichsten treffen, während in der Erinnerung der Welt noch heute seine glänzende Heldengestalt fortlebt.

In dem großen Gang der Dinge änderte, wie billig, der Tod des tüchtigen Feldherrn nichts. Sein Bruder Tiberius kam früh genug, [27] nicht bloß um ihm die Augen zuzudrücken, sondern auch um mit seiner sicheren Hand das Heer zurück und die Eroberung Germaniens weiter zu führen. Er commandirte dort während der beiden folgenden [8] [7] Jahre (746. 747); zu größeren Kämpfen ist es während derselben nicht gekommen, aber weit und breit zwischen Rhein und Elbe zeigten sich die römischen Truppen und als Tiberius die Forderung stellte, daß sämmtliche Gaue die römische Herrschaft förmlich anzuerkennen hätten und zugleich erklärte die Anerkennung nur von sämmtlichen Gauen zugleich entgegennehmen zu können, fügten sie sich ohne Ausnahme, zuletzt von allen die Sugambrer, für die es freilich einen wirklichen Frieden nicht gab. Wie weit man militärisch gelangt war, beweist die wenig später fallende Expedition des Lucius Domitius Ahenobarbus. Dieser konnte als Statthalter von Illyricum, wahrscheinlich von Vindelicien aus, einem unsteten Hermundurenschwarm im Marcomanenlande selbst Sitze anweisen und gelangte bei dieser Expedition bis an und über die obere Elbe, ohne auf Widerstand zu treffen9. Die Marcomanen in Böhmen waren völlig isolirt und das übrige Germanien zwischen Rhein und Elbe eine wenn auch noch keineswegs befriedete römische Provinz.

Die militärisch – politische Organisation Germaniens, wie sie damals angelegt ward, vermögen wir nur unvollkommen zu erkennen, da uns einmal über die in früherer Zeit zum Schutz der gallischen Ostgrenze getroffenen Einrichtungen jede genaue Kunde fehlt, andrerseits diejenigen der beiden Brüder durch die spätere Entwickelung der Dinge großentheils zerstört worden sind. Eine Verlegung der römischen Grenzhut vom Rhein weg hat keineswegs stattgefunden; so weit wollte man vielleicht kommen, aber war man nicht. Aehnlich wie in Illyricum damals die Donau, war die Elbe wohl die politische Reichsgrenze, aber der Rhein die Linie der Grenzvertheidigung, und von den Rheinlagern liefen die rückwärtigen Verbindungen nach den großen Städten Galliens und nach dessen Häfen10. Das große Hauptquartier [28] während dieser Feldzüge ist das spätere sogenannte ›alte Lager‹, Castra vetera (Birten bei Xanten), die erste bedeutende Höhe abwärts Bonn am linken Rheinufer, militärisch etwa dem heutigen Wesel am rechten entsprechend. Dieser Platz, besetzt vielleicht seit den Anfängen der Römerherrschaft am Rhein, ist von Augustus eingerichtet worden als Zwingburg für Germanien; und wenn die Festung zu allen Zeiten der Stützpunct für die römische Defensive am linken Rheinufer gewesen ist, so war sie für die Invasion des rechten nicht weniger wohl gewählt, gelegen gegenüber der Mündung der weit hinauf schiffbaren Lippe und mit dem rechten Ufer durch eine feste Brücke verbunden. Den Gegensatz zu diesem ›alten Lager‹ an der Mündung der Lippe bildete wahrscheinlich das an der Mündung des Main, Mogontiacum, das heutige Mainz, allem Anschein nach eine Schöpfung des Drusus; wenigstens zeigen die schon erwähnten den Chatten auferlegten Gebietsabtretungen, so wie die weiterhin zu erwähnenden Anlagen im Taunus, daß Drusus die militärische Wichtigkeit der Mainlinie und also auch die ihres Schlüssels auf dem linken Rheinufer deutlich erkannt hat. Wenn das Legionslager an der Aar, wie es scheint, eingerichtet worden ist um die Raeter und Vindeliker im Gehorsam zu erhalten (S. 17), so fällt dessen Anlage vermuthlich schon in diese Zeit, aber es ist dann auch mit den gallisch-germanischen Militäreinrichtungen nur äußerlich verknüpft gewesen. Das Straßburger Legionslager reicht schwerlich bis in so frühe Zeit hinauf. Die Basis der römischen Heerstellung bildet die Linie von Mainz bis Wesel. Daß Drusus und Tiberius, abgesehen von der damals nicht mehr kaiserlichen narbonensischen Provinz, sowohl die Statthalterschaft von ganz Gallien wie auch das Commando der sämmtlichen rheinischen Legionen gehabt haben, ist ausgemacht; von diesen Prinzen abgesehen mag damals wohl die Civilverwaltung Galliens von dem Commando der Rheintruppen getrennt gewesen sein, aber schwerlich war das letztere damals schon in zwei coordinirte Commandos getheilt11. [29] – Ueber den Bestand der damaligen Rheinarmee können wir nur etwa sagen, daß die Armee des Drusus schwerlich stärker, vielleicht geringer war als die, welche zwanzig Jahre später in Germanien stand, von fünf bis sechs Legionen, etwa 50000 bis 60000 Mann.

Diesen militärischen Einrichtungen am linken Rheinufer sind die am rechten getroffenen correlat. Zunächst nahmen die Römer dieses selbst in Besitz. Es traf dies vor allem die Sugambrer, wobei allerdings die Vergeltung für den erbeuteten Adler und die ans Kreuz geschlagenen Centurionen mitgewirkt hat. Die zur Erklärung der Unterwerfung abgesandten Boten, die Vornehmsten der Nation, wurden gegen das Völkerrecht als Kriegsgefangene behandelt und kamen in den italischen Festungen elend um. Von der Masse des Volkes wurden 40000 Köpfe aus ihrer Heimath entfernt und auf dem gallischen Uferangesiedelt, wo sie später vielleicht unter dem Namen der Cugerner begegnen. Nur ein geringer und ungefährlicher Ueberrest des mächtigen Stammes durfte in den alten Wohnsitzen bleiben. Auch suebische Haufen sind nach Gallien übergeführt, andere Völkerschaften weiter landeinwärts gedrängt worden, wie die Marser und ohne Zweifel auch die Chatten; am Mittelrhein wurde überall die eingeborene Bevölkerung des rechten Ufers verdrängt oder doch geschwächt. Längs dieses Rheinufers wurden ferner befestigte Posten, funfzig an der Zahl, eingerichtet. Vorwärts Mogontiacum wurde das den Chatten abgenommene Gebiet, seitdem der Gau der Mattiaker bei dem heutigen Wiesbaden, in die römischen Linien gezogen und die Höhe des Taunus stark befestigt12. Vor allem [30] aber wurde von Vetera aus die Lippelinie in Besitz genommen; von der doppelten von Tagemarsch zu Tagemarsch mit Castellen besetzten Militärstraße an den beiden Ufern des Flusses ist wenigstens die rechtsuferige sicher ebenso das Werk des Drusus wie dies bezeugt ist von der Festung Aliso im Quellgebiet der Lippe, wahrscheinlich dem heutigen Dorfe Elsen unweit Paderborn13. Dazu kam der schon erwähnte Kanal von der Rheinmündung zum Zuidersee und ein von Lucius Domitius Ahenobarbus durch eine längere Sumpfstrecke zwischen der Ems und dem Unterrhein gezogener Damm, die sogenannten ›langen Brücken‹. Außerdem standen durch das ganze Gebiet zerstreut einzelne römische Posten; dergleichen werden späterhin erwähnt bei den Friesen und den Chaukern, und in diesem Sinne mag es richtig sein, daß die römischen Besatzungen bis zur Weser und bis zur Elbe reichten. Endlich lagerte das Heer wohl im Winter am Rhein, im Sommer aber, auch wenn nicht eigentlich Expeditionen unternommen wurden, durchgängig im eroberten Lande, in der Regel bei Aliso.

Aber nicht bloß militärisch richteten die Römer in dem neugewonnenen Gebiet sich ein. Die Germanen wurden angehalten wie [31] andere Provinzialen von dem römischen Statthalter Recht zu nehmen und die Sommerexpeditionen des Feldherrn entwickelten sich allmählich zu den üblichen Gerichtsreisen des Statthalters. Anklage und Vertheidigung der Angeschuldigten fand in lateinischer Zunge statt; die römischen Sachwalter und Rechtsbeistände begannen wie diesseit so jenseit des Rheines ihre überall schwer empfundene, hier die solcher Dinge ungewohnten Barbaren tief erbitternde Wirksamkeit. Es fehlte viel zur völligen Durchführung der provinzialen Einrichtung; an förmliche Umlage der Schatzung, an regulirte Aushebung für das römische Heer ward noch nicht gedacht. Aber wie der neue Gauverband eben jetzt in Gallien im Anschluß an die daselbst eingeführte göttliche Verehrung des Monarchen eingerichtet ward, so wurde eine ähnliche Einrichtung auch in dem neuen Germanien getroffen; als Drusus für Gallien den Augustusaltar in Lyon weihte, wurden die zuletzt auf dem linken Rheinufer angesiedelten Germanen, die Ubier, nicht in diese Vereinigung aufgenommen, sondern in ihrem Hauptort, der der Lage nach für Germanien ungefähr war, was Lyon für die drei Gallien, ein gleichartiger Altar für die germanischen Gaue errichtet, dessen Priesterthum im Jahre 9 der junge Cheruskerfürst Segimundus, des Segestes Sohn, verwaltete.

Den vollen militärischen Erfolg brach oder unterbrach doch die kaiserliche Familienpolitik. Das Zerwürfniß zwischen Tiberius und [6] seinem Stiefvater führte dazu, daß jener im Anfang des J. 748 das Commando niederlegte. Das dynastische Interesse gestattete es nicht umfassende militärische Operationen anderen Generalen als Prinzen des kaiserlichen Hauses anzuvertrauen; und nach Agrippas und Drusus Tod und Tiberius Rücktritt gab es fähige Feldherrn in demselben nicht. Allerdings werden in den zehn Jahren, wo Statthalter mit gewöhnlicher Befugniß in Illyricum und in Germanien schalteten, die militärischen Operationen daselbst wohl nicht so vollständig unterbrochen worden sein, wie es uns erscheint, da die höfisch gefärbte Ueberlieferung über die mit und die ohne Prinzen geführten Campagnen nicht in gleicher Weise berichtet; aber das Stocken ist unverkennbar, und dieses selbst war ein Rückschritt. Ahenobarbus, der in Folge seiner Verschwägerung mit dem kaiserlichen Hause – seine Gattin war die Schwestertochter Augusts – freiere Hand hatte als andere Beamte und der in seiner illyrischen Statthalterschaft die Elbe über schritten hatte, ohne Widerstand zu finden, erntete später als Statthalter Germaniens [32] dort keine Lorbeeren. Nicht bloß die Erbitterung, auch der Muth der Germanen waren wieder im Steigen und im J. 2 erscheint das Land wieder im Aufstand, die Cherusker und die Chauker unter den Waffen. Inzwischen hatte am Kaiserhofe der Tod sich in's Mittel geschlagen und der Wegfall der jungen Söhne des Augustus diesen und Tiberius ausgesöhnt. Kaum war diese Versöhnung durch die Annahme an Kindesstatt besiegelt und proclamirt (J. 4), so nahm Tiberius das Werk da wieder auf, wo es unterbrochen worden war, und führte abermals in diesem und den beiden folgenden Sommern (J. 5-6) die Heere über den Rhein. Es war eine Wiederholung und Steigerung der früheren Feldzüge. Die Cherusker wurden im ersten Feldzug, die Chauker im zweiten zum Gehorsam zurückgebracht; die den Batavern benachbarten und an Tapferkeit nicht nachstehenden Cannenefaten, die im Quellgebiet der Lippe und an der Ems sitzenden Bructerer und andere Gaue mehr unterwarfen sich, ebenso die hier zuerst erwähnten mächtigen Langobarden, damals hausend zwischen der Weser und Elbe. Der erste Feldzug führte über die Weser hinein in das Innere; in dem zweiten standen an der Elbe selbst die römischen Legionen dem germanischen Landsturm am andern Ufer gegenüber. Vom J. 4 auf 5 nahm, es scheint zum ersten Mal, das römische Heer das Winterlager auf germanischem Boden bei Aliso. Alles dies wurde erreicht ohne erhebliche Kämpfe; die umsichtige Kriegführung brach nicht die Gegenwehr, sondern machte sie unmöglich. Diesem Feldherrn war es nicht um unfruchtbare Lorbeeren zu thun, sondern um dauernden Erfolg. Nicht minder wurde die Seefahrt wiederholt; wie die erste Campagne des Drusus, so ist die letzte des Tiberius ausgezeichnet durch die Beschiffung der Nordsee. Aber die römische Flotte gelangte diesmal weiter: die ganze Küste der Nordsee bis zum Vorgebirge der Cimbrer, das heißt zur jütischen Spitze, ward von ihr erkundet und sie vereinigte sich dann, die Elbe hinauffahrend, mit dem an dieser aufgestellten Landheer. Diese zu überschreiten hatte der Kaiser ausdrücklich untersagt; aber die Völker jenseits der Elbe, die eben genannten Cimbrer im heutigen Jütland, die Charuden südlich von ihnen, die mächtigen Semnonen zwischen Elbe und Oder traten wenigstens in Beziehung zu den neuen Nachbarn.

Man konnte meinen am Ziel zu sein. Aber eines fehlte doch noch zur Herstellung des eisernen Ringes, der Großdeutschland umklammern sollte: es war die Herstellung der Verbindung zwischen der mittleren[33] Donau und der oberen Elbe, die Besitznahme des alten Boierheims, das in seinem Bergkranz gleich einer gewaltigen Festung zwischen Noricum und Germanien sich einschob. Der König Maroboduus, aus edlem Marcomanengeschlecht, aber in jungen Jahren durch längeren Aufenthalt in Rom eingeführt in dessen straffere Heer- und Staatsordnung, hatte nach der Heimkehr, vielleicht während der ersten Feldzüge des Drusus und der dadurch herbeigeführten Uebersiedelung der Marcomanen vom Main an die obere Elbe, sich nicht bloß zum Fürsten seines Volkes erhoben, sondern auch diese seine Herrschaft nicht in der lockeren Weise des germanischen Königthums, sondern man möchte sagen nach dem Muster der augustischen gestaltet. Außer seinem eigenen Volk gebot er über den mächtigen Stamm der Lugier (im heutigen Schlesien) und seine Clientel muß sich über das ganze Gebiet der Elbe erstreckt haben, da die Langobarden und die Semnonen als ihm unterthänig bezeichnet werden. Bisher hatte er den Römern wie den übrigen Germanen gegenüber völlige Neutralität beobachtet; er gewährte wohl den flüchtigen Römerfeinden in seinem Lande eine Freistatt, aber thätig mischte er sich in den Kampf nicht, nicht einmal, als die Hermunduren von dem römischen Statthalter auf marcomanischem Gebiet Wohnsitze angewiesen erhielten (S. 28) und als das linke Elbufer den Römern botmäßig ward. Er unterwarf sich ihnen nicht, aber er nahm alle jene Vorgänge hin, ohne darum die freundlichen Beziehungen zu den Römern zu unterbrechen. Durch diese gewiß nicht großartige und schwerlich auch nur kluge Politik hatte er erreicht als der letzte angegriffen zu werden; nach den vollkommen gelungenen germanischen Feldzügen der Jahre 4 und 5 kam die Reihe an ihn. Von zwei Seiten her, von Germanien und Noricum ausrückten die römischen Heere vor gegen den böhmischen Bergring; den Main hinauf, die dichten Wälder vom Spessart zum Fichtelgebirge mit Axt und Feuer lichtend, ging Gaius Sentius Saturninus, von Carnuntum aus, wo die illyrischen Legionen durch den Winter 5 auf 6 gelagert hatten, Tiberius selbst gegen die Marcomanen vor; die beiden Heere, zusammen zwölf Legionen, waren den Gegnern, deren Streitmacht auf 70000 Mann zu Fuß und 4000 Reiter geschätzt wurde, schon der Zahl nach fast um das Doppelte überlegen. Die umsichtige Strategik des Feldherrn schien den Erfolg auch diesmal völlig sichergestellt zu haben, als ein plötzlicher Zwischenfall den weiteren Vormarsch der Römer unterbrach.

[34] Die dalmatinischen Völkerschaften und die pannonischen wenigstens des Savegebietes gehorchten seit kurzem den römischen Statthaltern; aber sie ertrugen das neue Regiment mit immer steigendem Groll, vor allem wegen der ungewohnten und schonungslos gehandhabten Steuern. Als Tiberius später einen der Führer nach den Gründen des Abfalls fragte, antwortete ihm dieser, es sei geschehen, weil die Römer ihren Heerden zu Hütern nicht Hunde noch Hirten, sondern Wölfe setzten. Jetzt waren die Legionen aus Dalmatien an die Donau geführt und die wehrhaften Leute aufgeboten worden, um eben dahin zur Verstärkung der Armeen gesendet zu werden. Diese Mannschaften machten den Anfang und ergriffen die Waffen nicht für, sondern gegen Rom; ihr Führer war ein Daesitiate (um Serajevo) Bato. Dem Beispiel folgten die Pannonier unter Führung zweier Breuker, eines anderen Bato und des Pinnes. Mit unerhörter Schnelligkeit und Einträchtigkeit erhob sich ganz Illyricum; auf 200000 zu Fuß und 9000 zu Pferde wurde die Zahl der insurgirten Mannschaften geschätzt. Die Aushebung für die Auxiliartruppen, welche namentlich bei den Pannoniern in bedeutendem Maße stattfand, hatte die Kunde des römischen Kriegswesens zugleich mit der römischen Sprache und selbst der römischen Bildung in weiterem Umfang verbreitet; diese gedienten römischen Soldaten bildeten jetzt den Kern der Insurrection14. Die in den insurgirten Gebieten in großer Zahl angesessenen oder verweilenden römischen Bürger, die Kaufleute und vor allem die Soldaten wurden überall aufgegriffen und erschlagen. Wie die provinzialen Völkerschaften kamen auch die unabhängigen in Bewegung. Die den Römern ganz ergebenen Fürsten der Thraker führten allerdings ihre ansehnlichen und tapferen Schaaren den römischen Feldherrn zu; aber vom andern Ufer der Donau brachen die Daker, mit ihnen die Sarmaten in Moesien ein. Das ganze weite Donaugebiet schien sich verschworen zu haben, um der Fremdherrschaft ein jähes Ende zu bereiten.

Die Insurgenten waren nicht gemeint den Angriff abzuwarten, [35] sondern sie planten einen Ueberfall Makedoniens und sogar Italiens. Die Gefahr war ernst; über die julischen Alpen hinüber konnten die Aufständischen in wenigen Tagen wiederum vor Aquileia und Tergeste stehn – sie hatten den Weg dahin noch nicht verlernt – und in zehn Tagen vor Rom, wie der Kaiser selbst im Senat es aussprach, allerdings um sich der Zustimmung desselben zu den umfassenden und drückenden militärischen Veranstaltungen zu versichern. In schleunigster Eile wurden neue Mannschaften auf die Beine gebracht und die zunächst bedrohten Städte mit Besatzung versehen; ebenso was irgendwo von Truppen entbehrlich war nach den bedrohten Punkten geschickt. Der erste zur Stelle war der Statthalter von Moesien Aulus Caecina Severus und mit ihm der thrakische König Rhoemetalkes; bald folgten andere Truppen aus den überseeischen Provinzen nach. Vor allen Dingen aber mußte Tiberius, statt in Böhmen einzudringen, zurückkehren nach Illyricum. Hätten die Insurgenten abgewartet, bis die Römer mit Maroboduus im Kampfe lagen oder dieser mit ihnen gemeinschaftliche Sache gemacht, so konnte die Lage für die Römer eine sehr kritische werden. Aber jene schlugen zu früh los, und dieser, getreu seinem System der Neutralität, ließ sich dazu herbei eben jetzt auf der Basis des Statusquo mit den Römern Frieden zu schließen. So mußte Tiberius zwar die Rheinlegionen zurücksenden, da Germanien unmöglich von Truppen entblößt werden konnte, aber sein illyrisches Heer konnte er mit den aus Moesien, Italien und Syrien anlangenden Truppen vereinigen und gegen die Insurgenten verwenden. In der That war der Schrecken größer als die Gefahr. Die Dalmater brachen zwar zu wiederholten Malen in Makedonien ein und plünderten die Küste bis nach Apollonia hinab; aber zu dem Einfall in Italien kam es nicht, und bald war der Brand auf seinen ursprünglichen Heerd beschränkt.

Dennoch war die Kriegsarbeit nicht leicht: auch hier wie überall war die abermalige Niederwerfung der Unterworfenen mühsamer als die Unterwerfung selbst. Niemals ist in augustischer Zeit eine gleiche Truppenmasse unter demselben Commando vereinigt gewesen; schon im ersten Kriegsjahre bestand das Heer des Tiberius aus zehn Legionen nebst den entsprechenden Hülfsmannschaften, dazu zahlreichen freiwillig wieder eingetretenen Veteranen und anderen Freiwilligen, zusammen etwa 120000 Mann; später hin [36] hatte er funfzehn Legionen unter seinen Fahnen vereinigt15. Im ersten Feldzug (J. 6) wurde mit sehr abwechselndem Glück gestritten; es gelang wohl die großen Ortschaften, wie Siscia und Sirmium, gegen die Insurgenten zu schützen, aber der Dalmatiner Bato focht ebenso hartnäckig und zum Theil glücklich gegen den Statthalter von Pannonien Marcus Valerius Messalla, des Redners Sohn, wie sein pannonischer Namensgenosse gegen den von Moesien Aulus Caecina. Vor allem der kleine Krieg machte den römischen Truppen viel zu schaffen. Auch das folgende Jahr (7), in welchem neben Tiberius sein Neffe, der junge Germanicus auf den Kriegsschauplatz trat, brachte kein Ende der ewigen Kämpfe. Erst im dritten Feldzug (J. 8) gelang es zunächst die Pannonier zu unterwerfen, hauptsächlich, wie es scheint, dadurch, daß ihr Führer Bato, von den Römern gewonnen, seine Truppen bewog am Fluß Bathinus sammt und sonders die Waffen zu strecken und den Collegen im Oberbefehl Pinnes den Römern auslieferte, wofür er von diesen als Fürst der Breuker anerkannt ward. Zwar traf den Verräther bald die Strafe: sein dalmatinischer Namensgenosse fing ihn und ließ ihn hinrichten, und noch einmal flackerte bei den Breukern der Aufstand auf; aber er ward rasch wieder erstickt und der Dalmater beschränkt auf die Vertheidigung der eigenen Heimat. Hier hatte Germanicus und andere Corpsführer in diesem wie noch im folgenden Jahr (9) in den einzelnen Gauen heftige Kämpfe zu bestehen; in dem letzteren wurden die Pirusten (an der epirotischen Grenze) und der Gau, dem der Führer selbst angehörte, die Daesitiaten bezwungen, ein tapfer vertheidigtes Castell nach dem andern gebrochen. Noch einmal im Laufe des Sommers erschien Tiberius [37] selbst wieder im Felde und setzte die gesammten Streitkräfte gegen die Reste der Insurrection in Bewegung. Auch Bato, in dem festen Andetrium (Much, oberhalb Salonae), seiner letzten Zufluchtstatt, von dem römischen Heere eingeschlossen, gab die Sache verloren. Er verließ die Stadt, da er nicht vermochte die Verzweifelten zur Unterwerfung zu bestimmen, und unterwarf sich dem Sieger, bei dem er ehrenvolle Behandlung fand; er ist als politischer Gefangener internirt in Ravenna gestorben. Ohne den Führer setzte die Mannschaft den vergeblichen Kampf noch eine Zeit lang fort, bis die Römer das Castell mit stürmender Hand einnahmen – wahrscheinlich diesen Tag, den 3. August, verzeichnen die römischen Kalender als den Jahrestag des von Tiberius in Illyricum erfochtenen Sieges.

Auch die Daker jenseit der Donau traf die Vergeltung. Wahrscheinlich in dieser Zeit, nachdem der illyrische Krieg sich zu Gunsten Roms entschieden hatte, führte Gnaeus Lentulus ein starkes römisches Heer über die Donau, gelangte bis an den Marisus (Marosch) und schlug sie nachdrücklich in ihrem eigenen Lande, das damals zuerst eine römische Armee betrat. Funfzigtausend gefangene Daker wurden in Thrakien ansässig gemacht.

Die Späteren haben den ›batonischen Krieg‹ der J. 6-9 den schwersten genannt, den Rom seit dem hannibalischen gegen einen auswärtigen Feind zu bestehen gehabt hat. Dem illyrischen Land hat er arge Wunden geschlagen; in Italien war die Siegesfreude grenzenlos, als der junge Germanicus die Botschaft des entscheidenden Erfolges nach der Hauptstadt überbrachte. Lange hat der Jubel nicht gewährt; fast gleichzeitig mit der Kunde von diesem Erfolg kam die Nachricht von einer Niederlage nach Rom, wie sie Augustus in seiner funfzigjährigen Regierung nur einmal erlebt hat und die in ihren Folgen noch viel bedeutsamer war als in sich selbst.

Die Zustände in der Provinz Germanien sind früher dargelegt worden. Der Gegenschlag, der auf jede Fremdherrschaft mit der Unvermeidlichkeit eines Naturereignisses folgt und der so eben in dem illyrischen Lande eingetreten war, bereitete auch dort in den mittelrheinischen Gauen sich vor. Die Reste der unmittelbar am Rhein sitzenden Stämme waren freilich völlig entmuthigt, aber die weiter zurück wohnenden, vornehmlich die Cherusker, Chatten, Bructerer, Marser kaum minder geschädigt und keineswegs ohnmächtig. Wie immer in solchen Lagen bildete sich in jedem Gau eine Partei der fügsamen [38] Römerfreunde und eine nationale die Wiedererhebung im Verborgenen vorbereitende. Die Seele von dieser war ein junger sechsundzwanzigjähriger Mann aus dem Fürstengeschlecht der Cherusker, Arminius des Sigimer Sohn; er und sein Bruder Flavus waren vom Kaiser Augustus mit dem römischen Bürgerrecht und mit Ritterrang beschenkt worden16 und beide hatten als Offiziere in den letzten römischen Feldzügen unter Tiberius mit Auszeichnung gefochten; der Bruder diente noch im römischen Heer und hatte sich in Italien eine Heimstatt begründet. Begreiflicher Weise galt auch Arminius den Römern als ein Mann besonderen Vertrauens; die Anschuldigungen, die sein besser unterrichteter Landsmann Segestes gegen ihn vorbrachte, vermochten dies Zutrauen bei der wohlbekannten zwischen beiden bestehenden Verfeindung nicht zu erschüttern. Von den weiteren Vorbereitungen haben wir keine Kunde; daß der Adel und vor allem die adliche Jugend auf der Seite der Patrioten stand, versteht sich von selbst und findet darin deutlichen Ausdruck, daß Segestes eigene Tochter Thusnelda wider das Verbot ihres Vaters sich dem Arminius vermählte, auch ihr Bruder Segimundus und Segestes Bruder Segimer sowie sein Neffe Sesithacus bei der Insurrection eine hervorragende Rolle spielten. Weiten Umfang hat sie nicht gehabt, bei weitem nicht den der illyrischen Erhebung; kaum darf sie streng genommen eine germanische genannt werden. Die Bataver, die Friesen, die Chauker an der Küste waren nicht daran betheiligt, ebenso wenig was von suebischen Stämmen unter römischer Herrschaft stand, noch weniger König Marobod; es erhoben sich in der That nur diejenigen Germanen, die einige Jahre zuvor sich gegen Rom conföderirt hatten und gegen die Drusus Offensive zunächst gerichtet gewesen war. Der illyrische Aufstand hat die Gährung in Germanien ohne Zweifel gefördert, aber von verbindenden Fäden zwischen den beiden gleichartigen und fast gleichzeitigen Insurrectionen fehlt jede Spur; auch würden, hätten sie bestanden, die Germanen schwerlich mit dem Losschlagen gewartet haben, bis der pannonische [39] Aufstand überwältigt war und in Dalmatien eben die letzten Burgen capitulirten. Arminius war der tapfere und verschlagene und vor allen Dingen glückliche Führer in dem Verzweiflungskampf um die verlorene nationale Unabhängigkeit; nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Es war mehr die Schuld der Römer als das Verdienst der Insurgenten, wenn deren Plan gelang. Insofern hat der illyrische Krieg hier allerdings eingegriffen. Die tüchtigen Führer und allem Anschein nach auch die erprobten Truppen waren vom Rhein an die Donau gezogen worden. Vermindert war das germanische Heer wie es scheint nicht, aber der größte Theil desselben bestand aus neuen während des Krieges gebildeten Legionen. Schlimmer noch war es um die Führerschaft bestellt. Der Statthatter Publius Quinctilius Varus17 war wohl der Gemahl einer Nichte des Kaisers und ein Mann von übel erworbenem, aber fürstlichem Reichthum und von fürstlicher Hoffart, aber von trägem Körper und stumpfem Geist und ohne jede militärische Begabung und Erfahrung, einer jener vielen hochgestellten Römer, welche in Folge des Festhaltens an der alten Zusammenwerfung der Administrativ- und der Oberoffizierstellungen die Feldherrnschärpe nach dem Muster Ciceros trugen. Er wußte die neuen Unterthanen weder zu schonen noch zu durchschauen; Bedrückung und Erpressung wurden geübt, wie er es von seiner früheren Statthalterschaft über das geduldige Syrien her gewohnt war; das Hauptquartier wimmelte von Advocaten und Clienten, und in dankbarer Demuth nahmen insbesondere die Verschworenen bei ihm Urtheil und Recht, während sich das Netz um den hoffärtigen Prätor dichter und dichter zusammenzog.

Die Lage der Armee war die damals normale. Es standen mindestens fünf Legionen in der Provinz, von denen zwei ihr Winterlager in Mogontiacum, drei in Vetera oder auch in Aliso hatten. Das Sommerlager hatten die letzteren im J. 9 an der Weser genommen. Die natürliche Verbindungsstraße von der oberen Lippe zur Weser führt über [40] den niederen Höhenzug des Osning und des Lippischen Waldes, welcher das Thal der Ems von dem der Weser scheidet, durch die Dörenschlucht in das Thal der Werre, die bei Rehme unweit Minden in die Weser fällt. Hier also ungefähr lagerten damals die Legionen des Varus. Selbstverständlich war dieses Sommerlager mit Aliso, dem Stützpunkt der römischen Stellungen am rechten Rheinufer, durch eine Etappenstraße verbunden. Die gute Jahreszeit ging zu Ende und man schickte sich zum Rückmarsch an. Da kam die Meldung, daß ein benachbarter Gau im Aufstand sei, und Varus entschloß sich, statt auf jener Etappenstraße das Heer zurückzuführen, einen Umweg zu nehmen und unterwegs die Abgefallenen zum Gehorsam zurückzubringen18. So brach man auf; das Heer bestand nach zahlreichen Detachirungen aus drei Legionen und neun Abtheilungen der Truppen zweiter Klasse, zusammen etwa 20000 Mann19. Als nun die Armee sich von ihrer Communicationslinie hinreichend entfernt hatte und tief genug in das unwegsame Land eingedrungen war, standen in den benachbarten Gauen die Conföderirten auf, machten die bei ihnen stationirten kleinen Truppenabtheilungen [41] nieder und brachen von allen Seiten aus den Schluchten und Wäldern gegen das marschirende Heer des Statthalters vor. Arminius und die namhaftesten Führer der Patrioten waren bis zum letzten Augenblick im römischen Hauptquartier geblieben, um Varus sicher zu machen; noch am Abend vor dem Tage, an dem die Insurrection losbrach, hatten sie im Feldherrnzelt bei Varus gespeist und Segestes, indem er den bevorstehenden Ausbruch des Aufstandes ankündigte, den Feldherrn beschworen, ihn selbst so wie die Angeschuldigten sofort verhaften zu lassen und die Rechtfertigung seiner Anklage von den Thatsachen zu erwarten. Varus Vertrauen war nicht zu erschüttern. Von der Tafel wegritt Arminius zu den Insurgenten und stand den anderen Tag vor den Wällen des römischen Lagers. Die militärische Situation war weder besser noch schlimmer als die der Armee des Drusus vor der Schlacht bei Arbalo und als sie unter ähnlichen Verhältnissen oftmals für römische Armeen eingetreten ist; die Communicationen waren für den Augenblick verloren, die mit schwerem Troß beschwerte Armee in dem pfadlosen Lande und in schlimmer, regnerischer Herbstzeit durch mehrere Tagemärsche von Aliso getrennt, die Angreifer der Zahl nach ohne Zweifel den Römern weit überlegen. In solchen Lagen entscheidet die Tüchtigkeit der Truppe; und wenn die Entscheidung hier einmal zu Ungunsten der Römer fiel, so wird die Unerfahrenheit der jungen Soldaten und vor allen Dingen die Kopf- und Muthlosigkeit des Feldherrn dabei wohl das Meiste gethan haben. Nach erfolgtem Angriff setzte das römische Heer seinen Marsch, jetzt ohne Zweifel in der Richtung auf Aliso, noch drei Tage fort, unter stetig steigender Bedrängniß und steigender Demoralisation. Auch die höheren Offiziere thaten theilweise ihre Schuldigkeit nicht; einer von ihnen ritt mit der gesammten Reiterei vom Schlachtfeld weg und ließ das Fußvolk allein den Kampf bestehen. Der erste, der völlig verzagte, war der Feldherr selbst; verwundet im Kampfe gab er sich den Tod, ehe die letzte Entscheidung gefallen war, so früh, daß die Seinigen noch den Versuch machten die Leiche zu verbrennen und der Verunehrung durch den Feind zu entziehen. Seinem Beispiel folgte eine Anzahl der Oberoffiziere. Als dann alles verloren war, capitulirte der übrig gebliebene Führer und gab auch das aus der Hand, was diesen letzten noch blieb, den ehrlichen Soldatentod. So ging in einem der Thäler der das Münsterland begrenzenden Höhenzüge, im Herbst des [42] J. 9 n. Chr. das germanische Heer zu Grunde20. Die Adler fielen alle drei in Feindeshand. Keine Abtheilung schlug sich durch, auch jene Reiter nicht, die ihre Kameraden im Stich gelassen hatten; nur wenige Vereinzelte und Versprengte vermochten sich zu retten. Die Gefangenen, vor allem die Offiziere und die Advokaten, wurden an's Kreuz geschlagen oder lebendig begraben oder bluteten unter dem Opfermesser der germanischen Priester. Die abgeschnittenen Köpfe [43] wurden als Siegeszeichen an die Bäume der heiligen Haine genagelt. Weit und breit stand das Land auf gegen die Fremdherrschaft; man hoffte auf den Anschluß Marobods; die römischen Posten und Straßen fielen auf dem ganzen rechten Rheinufer ohne weiteres in die Gewalt der Sieger. Nur in Aliso leistete der tapfere Commandant Lucius Caedicius, kein Offizier, aber ein altgedienter Soldat, entschlossenen Widerstand und seine Schützen wußten den Germanen, die Fernwaffen nicht besaßen, das Lagern vor den Wällen so zu verleiden, daß sie die Belagerung in eine Blokade umwandelten. Als die letzten Vorräthe der Belagerten erschöpft waren und immer noch kein Entsatz kam, brach Caedicius in einer finsteren Nacht auf und dieser Rest des Heeres erreichte in der That, wenn auch beschwert mit zahlreichen Frauen und Kindern und durch die Angriffe der Germanen starke Verluste erleidend, schließlich das Lager von Vetera. Dorthin waren auch die beiden in Mainz stehenden Legionen unter Lucius Nonius Asprenas auf die Nachricht von der Katastrophe gegangen. Die entschlossene Vertheidigung von Aliso und Asprenas rasches Eingreifen verhinderten die Germanen ihren Sieg auf dem linken Rheinufer zu verfolgen, vielleicht die Gallier sich gegen Rom zu erheben.

Die Niederlage war insofern bald wieder ausgeglichen, als die Rheinarmee sofort nicht bloß ergänzt, sondern ansehnlich verstärkt ward. Tiberius übernahm abermals das Commando derselben und wenn aus dem auf die Varusschlacht folgenden Jahr (10) die Kriegsgeschichte Gefechte nicht zu verzeichnen hatte, so ist wahrscheinlich damals die Besetzung der Rheingrenze mit acht Legionen und wohl gleichzeitig die Theilung dieses Commandos in das der oberen Armee mit dem Hauptquartier Mainz und das der unteren mit dem Hauptquartier Vetera, überhaupt also diejenige Einrichtung daselbst getroffen worden, die dann durch Jahrhunderte maßgebend geblieben ist. Man mußte erwarten, daß auf diese Vermehrung der Rheinarmee die energische Wiederaufnahme der Operationen auf dem rechten Rheinufer gefolgt wäre. Der römisch-germanische Kampf war nicht ein Kampf zwischen zwei in politischem Gleichgewicht stehenden Mächten, in welchem die Niederlage der einen einen ungünstigen Friedensschluß rechtfertigen kann; es war der Kampf eines civilisirten und organisirten Großstaates gegen eine tapfere, aber politisch und militärisch barbarische Nation, in welchem das schließliche Ergebniß von vorn herein feststeht und ein vereinzelter Mißerfolg in dem [44] vorgezeichneten Plan so wenig etwas ändern darf, wie das Schiff darum seine Fahrt aufgiebt, weil ein Windstoß es aus der Bahn wirft. Aber es kam anders. Wohl ging Tiberius im folgenden Jahr (11) über den Rhein; aber diese Expedition glich den früheren nicht. Er blieb den Sommer drüben und feierte dort des Kaisers Geburtstag, aber die Armee hielt sich in der unmittelbaren Nähe des Rheins und von Zügen an die Weser und an die Elbe war keine Rede – es sollte offenbar den Germanen nur gezeigt werden, daß die Römer den Weg in ihr Land noch zu finden wußten, vielleicht auch diejenigen Einrichtungen am rechten Rheinufer getroffen werden, welche die veränderte Politik erforderte.

Das große beide Heere umfassende Commando blieb und es blieb also auch im kaiserlichen Hause. Germanicus hatte es schon im J. 11 neben Tiberius geführt; im folgenden (12), wo ihn die Verwaltung des Consulats in Rom festhielt, commandirte Tiberius allein am Rhein; mit dem Anfang des J 13 übernahm Germanicus den alleinigen Oberbefehl. Man betrachtete sich als im Kriegsstand gegen die Germanen; aber es waren thatenlose Jahre21. Ungern ertrug der feurige und ehrgeizige Erbprinz den ihm auferlegten Zwang und man begreift es von dem Offizier, daß er die drei Adler in Feindeshand nicht vergaß, von dem leiblichen Sohn des Drusus, daß er dessen zerstörten Bau wieder aufzurichten wünschte. Bald bot sich ihm dazu die Gelegenheit oder er nahm sie. Am 19. August des J. 14 starb Kaiser Augustus. Der erste Thronwechsel in der neuen Monarchie verlief nicht ohne Krise und Germanicus hatte Gelegenheit durch Thaten seinem Vater zu beweisen, daß er gesonnen war ihm die Treue zu wahren. Darin aber fand er zugleich die [45] Rechtfertigung die lange gewünschte Invasion Germaniens auch ungeheißen wieder aufzunehmen; er erklärte die nicht unbedenkliche durch den Thronwechsel bei den Legionen hervorgerufene Gährung durch diesen frischen Kriegszug ersticken zu müssen. Ob dies ein Grund oder ein Vorwand war, wissen wir nicht und wußte vielleicht er selber nicht. Dem Commandanten der Rheinarmee konnte das Ueberschreiten der Grenze überall nicht gewehrt werden und es hing immer bis zu einem gewissen Grade von ihm ab, wie weit gegen die Germanen vorgegangen werden sollte. Vielleicht auch glaubte er im Sinne des neuen Herrschers zu handeln, der ja wenigstens ebenso viel Anspruch wie sein Bruder auf den Namen des Besiegers von Germanien hatte und dessen angekündigtes Erscheinen im Rheinlager wohl so aufgefaßt werden konnte, als komme er um die auf Augustus Geheiß abgebrochene Eroberung Germaniens wieder aufzunehmen. Wie dem auch sei, die Offensive jenseit des Rheins begann aufs Neue. Noch im Herbst des J. 14 führte Germanicus selbst Detachements aller Legionen bei Vetera über den Rhein und drang an der Lippe hinauf ziemlich tief in das Binnenland vor, weit und breit das Land verheerend, die Eingeborenen nie dermachend, die Tempel – so den hochgeehrten der Tanfana – zerstörend. Die Betroffenen, es waren vornehmlich Bructerer, Tubanten und Usiper, suchten dem Kronprinzen auf der Heimkehr das Schicksal des Varus zu bereiten; aber an der energischen Haltung der Legionen prallte der Angriff ab. Da dieser Vorstoß keinen Tadel fand, vielmehr dem Feldherrn dafür Danksagungen und Ehrenbezeugungen decretirt wurden, ging er weiter. Im Frühling des J. 15 versammelte er seine Hauptmacht zunächst am Mittelrhein und ging selbst von Mainz vor gegen die Chatten bis an die oberen Zuflüsse der Weser, während das untere Heer weiter nordwärts die Cherusker und die Marser angriff. Eine gewisse Rechtfertigung für dies Vorgehen lag darin, daß die römischgesinnten Cherusker, welche unter dem unmittelbaren Eindruck der Katastrophe des Varus sich den Patrioten hatten anschließen müssen, jetzt wieder mit der viel stärkeren Nationalpartei in offenem Kampfe lagen und die Intervention des Germanicus anriefen. In der That gelang es den von seinen Landsleuten hart bedrängten Römerfreund Segestes zu befreien und dabei dessen Tochter, die Gattin des Arminius in die Gewalt zu bekommen; auch des Segestes Bruder Segimerus, einst neben Arminius der Führer der Patrioten, unterwarf sich; die inneren Zerwürfnisse der Germanen ebneten einmal mehr der Fremdherrschaft [46] die Wege. Noch im selben Jahre unternahm Germanicus den Hauptzug nach dem Emsgebiet; Caecina rückte von Vetera aus an die obere Ems, er selbst ging mit der Flotte von der Rheinmündung aus eben dorthin; die Reiterei zog die Küste entlang durch das Gebiet der treuen Friesen. Wieder vereinigt verwüsteten die Römer das Land der Bructerer und das ganze Gebiet zwischen Ems und Lippe und machten von da aus einen Zug nach der Unglücksstätte, wo sechs Jahre zuvor das Heer des Varus geendigt hatte, um den gefallenen Kameraden das Grabmal zu errichten. Bei dem weiteren Vormarsch wurde die römische Reiterei von Arminius und den erbitterten Patriotenschaaren in einen Hinterhalt gelockt und wäre aufgerieben worden, wenn nicht die anrückende Infanterie größeres Unheil verhindert hätte. Schwerere Gefahren brachte die Heimkehr von der Ems, welche auf denselben Wegen angetreten ward wie der Hinmarsch. Die Reiterei gelangte unbeschädigt in das Winterlager. Da für das Fußvolk der vier Legionen die Flotte bei der schwierigen Fahrt – es war um die Zeit der Herbstnachtgleiche – nicht genügte, so schiffte Germanicus zwei derselben wieder aus und ließ sie am Strande zurückgehen; aber mit dem Verhältniß von Ebbe und Fluth in dieser Jahreszeit ungenügend bekannt, verloren sie ihr Gepäck und geriethen in Gefahr massenweise zu ertrinken. Der Rückmarsch der vier Legionen des Caecina von der Ems zum Rhein glich genau dem des Varus, ja das schwere sumpfige Land bot wohl noch größere Schwierigkeiten als die Schluchten der Waldgebirge. Die ganze Masse der Eingebornen, an ihrer Spitze die beiden Cheruskerfürsten, Arminius und dessen hochangesehener Oheim Inguiomerus, warf sich auf die abziehenden Truppen, in der sicheren Hoffnung ihnen das gleiche Schicksal zu bereiten, und füllte ringsum die Sümpfe und Wälder. Der alte Feldherr aber, in vierzigjährigem Kriegsdienst erprobt, blieb kaltblütig auch in der äußersten Gefahr und hielt seine verzagenden und hungernden Mannschaften fest in der Hand. Dennoch hätte auch er vielleicht das Unheil nicht abwenden können, wenn nicht nach einem glücklichen Angriff während des Marsches, bei dem die Römer einen großen Theil ihrer Reiterei und fast das ganze Gepäck einbüßten, die siegesgewissen und beutelustigen Deutschen gegen Arminius Rath dem anderen Führer gefolgt wären und statt der weiteren Umstellung des Feindes geradezu den Sturm auf das Lager versucht hätten. Caecina ließ die Germanen bis an die Wälle herankommen, brach aber dann aus allen Thoren und [47] Pforten mit solcher Gewalt auf die Stürmenden ein, daß sie eine schwere Niederlage erlitten und in Folge dessen der weitere Rückzug ohne wesentliche Hinderung stattfand. Am Rhein hatte man die Armee schon verloren gegeben und war im Begriff gewesen die Brücke bei Vetera abzuwerfen, um wenigstens das Eindringen der Germanen in Gallien zu verhindern; nur die entschlossene Einrede einer Frau, der Gattin des Germanicus, der Tochter Agrippas, hatte den verzagten und schimpflichen Entschluß vereitelt. – Die Wiederaufnahme der Unterwerfung Germaniens begann also nicht gerade mit Glück. Das Gebiet zwischen Rhein und Weser war wohl wieder betreten und durchschritten worden, aber entscheidende Erfolge hatten die Römer nicht aufzuzeigen, und der ungeheure Verlust an Material, namentlich an Pferden, wurde schwer empfunden, so daß, wie in Scipios Zeiten, die Städte Italiens und der westlichen Provinzen bei dem Ersatz des Verlorenen mit patriotischen Beisteuern sich betheiligten.

Germanicus änderte für den nächsten Feldzug (J. 16) seinen Kriegsplan: er versuchte die Unterwerfung Germaniens auf die Nordsee und die Flotte zu stützen, theils weil die Völkerschaften an der Küste, die Bataver, Friesen, Chauker mehr oder minder zu den Römern hielten, theils um die zeitraubenden und verlustvollen Märsche vom Rhein zur Weser und zur Elbe und wieder zurück abzukürzen. Nachdem er dieses Frühjahr wie das vorige zu raschen Vorstößen am Main und an der Lippe verwendet hatte, schiffte er im Anfang des Sommers auf der inzwischen fertig gestellten gewaltigen Transportflotte von 1000 Segeln sein gesammtes Heer an der Rheinmündung ein und gelangte in der That ohne Verlust bis an die der Ems, wo die Flotte blieb, und weiter, vermuthlich die Ems hinauf bis an die Haasemündung und dann an dieser hinauf in das Werrethal, durch dieses an die Weser. Damit war die Durchführung der bis 80000 Mann starken Armee durch den Teutoburger Wald, welche namentlich für die Verpflegung mit großen Schwierigkeiten verbunden war, vermieden, in dem Flottenlager für die Zufuhr ein sicherer Rückhalt gegeben, und die Cherusker auf dem rechten Ufer der Weser statt von vorn in der Flanke angegriffen. Auf diesem trat den Römern das Gesammtaufgebot der Germanen entgegen, wiederum geführt von den beiden Häuptern der Patriotenpartei Arminius und Inguiomerus; über welche Streitkräfte dieselben geboten, beweist, daß sie im Cheruskerland zunächst an der Weser selbst, dann [48] etwas weiter landeinwärts22, zweimal kurz nach einander gegen das gesammte römische Heer in offener Feldschlacht schlugen und in beiden den Sieghart bestritten. Allerdings fiel dieser den Römern zu und von den germanischen Patrioten blieb ein beträchtlicher Theil auf den Schlachtfeldern – Gefangene wurden nicht gemacht und von beiden Seiten mit äußerster Erbitterung gefochten; das zweite Tropaeum des Germanicus sprach von der Niederwerfung aller germanischen Völker zwischen Rhein und Elbe; der Sohn stellte diese seine Campagne neben die glänzenden des Vaters und berichtete nach Rom, daß er im nächsten Feldzug die Unterwerfung Germaniens vollendet haben werde. Aber Arminius entkam, obwohl verwundet, und blieb auch ferner an der Spitze der Patrioten, und ein unvorhergesehenes Unheil verdarb den Waffenerfolg. Auf der Heimkehr, die von dem größten Theil der Legionen zu Schiff gemacht wurde, gerieth die Transportflotte in die Herbststürme der Nordsee; die Schiffe wurden nach allen Seiten über die Inseln der Nordsee und bis an die brittische Küste hin geschleudert, ein großer Theil ging zu Grunde und die sich retteten, hatten größtentheils Pferde und Gepäck über Bord werfen und froh sein müssen das nackte Leben zu bergen. Der Fahrtverlust kam, wie in den Zeiten der punischen Kriege, einer Niederlage gleich; Germanicus selbst, mit dem Admiralschiff einzeln verschlagen an den öden Strand der Chauker, war in Verzweiflung über diesen Mißerfolg drauf und dran seinen Tod in demselben Ocean zu suchen, dessen Beistand er im Beginn dieses Feldzuges so ernstlich und so vergeblich angerufen hatte. Wohl erwies sich späterhin der Menschenverlust nicht ganz so groß, wie es anfänglich geschienen hatte, und einige erfolgreiche Schläge, die der Feldherr nach der Rückkehr an den Rhein den nächstwohnenden Barbaren versetzte, hoben den gesunkenen Muth der Truppen. Aber im Ganzen genommen endigte der Feldzug des J. 16, verglichen mit dem des vorigen, wohl mit glänzenderen Siegen, aber auch mit viel empfindlicherer Einbuße.

[49] Germanicus Abberufung war zugleich die Aufhebung des Obercommandos der rheinischen Armee. Die bloße Theilung des Commandos setzte der bisherigen Kriegführung ein Ziel; daß Germanicus nicht bloß abberufen ward, sondern keinen Nachfolger erhielt, kam hinaus auf die Anordnung der Defensive am Rhein. So ist denn auch der Feldzug des J. 16 der letzte gewesen, den die Römer geführt haben, um Germanien zu unterwerfen und die Reichsgrenze vom Rhein an die Elbe zu verlegen. Daß die Feldzüge des Germanicus dieses Ziel hatten, lehrt ihr Verlauf selbst und das die Elbgrenze feiernde Tropaeon. Auch die Wiederherstellung der rechtsrheinischen militärischen Anlagen, der Taunuscastelle sowohl wie der Festung Aliso und der diese mit Vetera verbindenden Linie, gehört nur zum Theil zu derjenigen Besetzung des rechten Rheinufers, wie sie auch mit dem beschränkten Operationsplan nach der Varusschlacht sich vertrug, zum Theil griff sie weit über denselben hinaus. Aber was der Feldherr wollte, wollte der Kaiser nicht oder nicht ganz. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß Tiberius die Unternehmungen des Germanicus am Rhein von Haus aus mehr hat geschehen lassen, und gewiß, daß er durch dessen Abberufung im Winter 16/7 denselben ein Ziel hat setzen wollen. Ohne Zweifel ist zugleich ein guter Theil des Erreichten aufgegeben, namentlich aus Aliso die Besatzung zurückgezogen worden. Wie Germanicus von dem im teutoburger Walde errichteten Siegesdenkmal schon das Jahr darauf keinen Stein mehr fand, so sind auch die Ergebnisse seiner Siege wie ein Schlag ins Wasser verschwunden und keiner seiner Nachfolger hat auf diesem Grunde weiter gebaut.

Wenn Augustus das eroberte Germanien nach der Varusschlacht verloren gegeben hatte, wenn Tiberius jetzt, nachdem die Eroberung abermals in Angriff genommen worden war, sie abzubrechen befahl, so ist die Frage wohl berechtigt, welche Motive die beiden bedeutenden Regenten hiebei geleitet haben und was diese wichtigen Vorgänge für die allgemeine Reichspolitik bedeuten.

Die Varusschlacht ist ein Räthsel, nicht militärisch, aber politisch, nicht in ihrem Verlauf, aber in ihren Folgen. Augustus hatte nicht Unrecht, wenn er seine verlorenen Legionen nicht von dem Feind oder dem Schicksal, sondern von dem Feldherrn zurückforderte; es war ein Unglücksfall, wie ungeschickte Corpsführer sie von Zeit zu Zeit für jeden Staat herbeiführen; schwer begreift man, daß die Aufreibung einer Armee[50] von 20000 Mann ohne weitere unmittelbare militärische Consequenzen der großen Politik eines einsichtig regierten Weltstaates eine entscheidende Wendung gegeben hat. Und doch haben die beiden Herrscher jene Niederlage mit einer beispiellosen und für die Stellung der Regierung der Armee wie den Nachbarn gegenüber bedenklichen und gefährlichen Geduld ertragen; doch haben sie den Friedensschluß mit Marobod, der ohne Zweifel eigentlich nur eine Waffenruhe sein sollte, zu einem definitiven werden lassen und nicht weiter versucht das obere Elbthal in die Hand zu bekommen. Es muß Tiberius nicht leicht angekommen sein den großen mit dem Bruder gemeinschaftlich begonnenen, dann nach dessen Tode von ihm fast vollendeten Bau zusammenstürzen zu sehen; der gewaltige Eifer, womit er, so wie er in das Regiment wieder eingetreten war, den vor zehn Jahren begonnenen germanischen Krieg aufgenommen hatte, läßt ermessen, was diese Entsagung ihm gekostet haben muß. Wenn dennoch nicht bloß Augustus bei derselben beharrte, sondern auch nach dessen Tode er selbst, so ist dafür ein anderer Grund nicht zu finden, als daß sie die durch zwanzig Jahre hindurch verfolgten Pläne zur Veränderung der Nordgrenze als unausführbar erkannten und die Unterwerfung und Behauptung des Gebietes zwischen dem Rhein und der Elbe ihnen die Kräfte des Reiches zu übersteigen schien.

Wenn die bisherige Reichsgrenze von der mittleren Donau bis an deren Quelle und den oberen Rhein und dann rheinabwärts lief, so wurde sie allerdings durch die Verlegung an die in ihrem Quellgebiet der mittleren Donau sich nähernde Elbe und an deren ganzen Lauf wesentlich verkürzt und verbessert; wobei wahrscheinlich außer dem evidenten militärischen Gewinn auch noch das politische Moment in Betracht kam, daß die möglichst weite Entfernung der großen Commandos von Rom und Italien eine der leitenden Maximen der augustischen Politik war und ein Elbheer in der weiteren Entwickelung Roms schwerlich dieselbe Rolle gespielt haben würde, wie sie die Rheinheere nur zu bald übernahmen. Die Vorbedingungen dazu, die Niederwerfung der germanischen Patriotenpartei und des Suebenkönigs in Böhmen, waren keine leichten Aufgaben; indeß man hatte dem Gelingen derselben schon einmal ganz nahe gestanden und bei richtiger Führung konnten diese Erfolge nicht verfehlt werden. Aber eine andere Frage war es, ob nach der Einrichtung der Elbgrenze die Truppen aus dem zwischenliegenden Gebiet weggezogen werden konnten; diese Frage hatte [51] der dalmatisch-pannonische Krieg in sehr ernster Weise der römischen Regierung gestellt. Wenn schon das bevorstehende Einrücken der römischen Donauarmee in Böhmen einen mit Anstrengung aller militärischen Hülfsmittel erst nach vierjährigem Kampf niedergeworfenen Volksaufstand in Illyricum hervorgerufen hatte, so durfte weder zur Zeit noch auf lange Jahre hinaus dies weite Gebiet sich selbst überlassen werden. Aehnlich stand es ohne Zweifel am Rhein. Das römische Publicum pflegte wohl sich zu rühmen, daß der Staat ganz Gallien in Unterwürfigkeit halte durch die 1200 Mann starke Besatzung von Lyon; aber die Regierung könnte nicht vergessen, daß die beiden großen Armeen am Rhein nicht bloß die Germanen abwehrten, sondern auch für die keineswegs durch Fügsamkeit sich auszeichnenden gallischen Gaue gar sehr in Betracht kamen. An der Weser oder gar an der Elbe aufgestellt, hätten sie diesen Dienst nicht in gleichem Maße geleistet; und sowohl den Rhein wie die Elbe besetzt zu halten vermochte man nicht. So mochte Augustus wohl zu dem Schluß kommen, daß mit dem damaligen, allerdings seit Kurzem erheblich verstärkten, aber immer noch tief unter dem Maß des wirklich Erforderlichen stehenden Heerbestand jene große Grenzregulirung nicht auszuführen sei; die Frage ward damit aus einer militärischen zu einer Frage der inneren Politik und insonderheit zu einer Finanzfrage. Die Kosten der Armee noch weiter zu steigern hat weder Augustus noch Tiberius sich getraut. Man kann dies tadeln. Der lähmende Doppelschlag der illyrischen und der germanischen Insurrection mit ihren schweren Katastrophen, das hohe Alter und die erlahmende Kraft des Herrschers, die zunehmende Abneigung des Tiberius gegen frisches Handeln und große Initiative und vor allem gegen jede Abweichung von der Politik des Augustus, haben dabei ohne Zweifel bestimmend mit, und vielleicht zum Nachtheil des Staates gewirkt. Man fühlt es in dem nicht zu billigenden, aber wohl erklärlichen Auftreten des Germanicus, wie das Militär und die Jugend das Aufgeben der neuen Provinz Germanien empfanden. Man erkennt in dem dürftigen Versuch mit Hülfe der paar linksrheinischen deutschen Gaue wenigstens dem Namen nach das verlorene Germanien festzuhalten, in den zweideutigen und unsicheren Worten, mit denen Augustus selbst in seinem Rechenschaftsbericht Germanien als römisch in Anspruch nimmt oder auch nicht, wie verlegen die Regierung in dieser Sache der öffentlichen Meinung gegenüber stand. Der Griff nach der Elbgrenze war ein gewaltiger, vielleicht überkühner [52] gewesen; vielleicht von Augustus, dessen Flug im Allgemeinen so hoch nicht ging, erst nach jahrelangem Zaudern und wohl nicht ohne den bestimmenden Einfluß des ihm vor allen nahe stehenden jüngeren Stiefsohns unternommen. Aber einen allzu kühnen Schritt zurückzuthun ist in der Regel nicht eine Verbesserung des Fehlers, sondern ein zweiter. Die Monarchie brauchte die unbefleckte kriegerische Ehre und den unbedingten kriegerischen Erfolg in ganz anderer Weise als das ehemalige Bürgermeisterregiment; das Fehlen der seit der Varusschlacht niemals ausgefüllten Nummern 17, 18 und 19 in der Reihe der Regimenter paßte wenig zu dem militärischen Prestige und den Frieden mit Marobod auf Grund des Statusquo konnte die loyalste Rhetorik nicht in einen Erfolg umreden. Anzunehmen, daß Germanicus einem eigentlichen Befehl seiner Regierung zuwider jene weit aussehenden Unternehmungen begonnen hat, verbietet seine ganze politische Stellung; aber den Vorwurf, daß er seine doppelte Stellung als Höchstcommandirender der ersten Armee des Reiches und als künftiger Thronfolger dazu benutzt hat, um seine politisch-militärischen Pläne auf eigene Faust durchzuführen, wird man ihm so wenig ersparen können wie dem Kaiser den nicht minder schweren zurückgescheut zu sein vielleicht vor dem Fassen, vielleicht auch nur vor dem klaren Aussprechen und dem scharfen Durchführen der eigenen Entschlüsse. Wenn Tiberius die Wiederaufnahme der Offensive wenigstens geschehen ließ, so muß er empfunden haben, wie viel für eine kräftigere Politik sprach; wie es überbedächtige Leute wohl thun, mag er wohl so zu sagen dem Schicksal die Entscheidung überlassen haben, bis dann der wiederholte und schwere Mißerfolg des Kronprinzen die Politik der Verzagtheit abermals rechtfertigte. Leicht war es für die Regierung nicht einer Armee Halt zu gebieten, die von den verlorenen drei Adlern zwei zurückgebracht hatte; aber es geschah. Was immer die sachlichen und die persönlichen Motive gewesen sein mögen, wir stehen hier an einem Wendepunkt der Völkergeschicke. Auch die Geschichte hat ihre Fluth und ihre Ebbe; hier tritt nach der Hochfluth des römischen Weltregiments die Ebbe ein. Nordwärts von Italien hatte wenige Jahre hindurch die römische Herrschaft bis an die Elbe gereicht; seit der Varusschlacht sind ihre Grenzen der Rhein und die Donau. Ein Märchen, aber ein altes, berichtet, daß dem ersten Eroberer Germaniens, dem Drusus auf seinem letzten Feldzug an der Elbe eine gewaltige Frauengestalt germanischer Art erschienen sei und ihm in seiner Sprache das [53] Wort zugerufen habe »zurück!« Es ist nicht gesprochen worden, aber es hat sich erfüllt.

Indess die Niederlage der augustischen Politik, wie der Friede mit Maroboduus und die Hinnahme der Teutoburger Katastrophe wohl bezeichnet werden darf, war kaum ein Sieg der Germanen. Nach der Varusschlacht muß wohl durch die Gemüther der Besten die Hoffnung gegangen sein, daß der Nation aus dem herrlichen Sieg der Cherusker und ihrer Verbündeten und aus dem Zurückweichen des Feindes im Westen wie im Süden eine gewisse Einigung erwachsen werde. Den sonst sich fremd gegenüberstehenden Sachsen und Sueben mag vielleicht eben in diesen Krisen das Gefühl der Einheit aufgegangen sein. Daß die Sachsen vom Schlachtfelde weg den Kopf des Varus an den Suebenkönig schickten, kann nichts sein als der wilde Ausdruck des Gedankens, daß für alle Germanen die Stunde gekommen sei in gemeinschaftlichem Ansturm sich auf das römische Reich zu stürzen und des Landes Grenze und des Landes Freiheit so zu sichern, wie sie allein gesichert werden können, durch Niederschlagen des Erbfeindes in seinem eigenen Heim. Aber der gebildete Mann und staatskluge König nahm die Gabe der Insurgenten nur an, um den Kopf dem Kaiser Augustus zur Beisetzung zu senden; er that nichts für, aber auch nichts gegen die Römer und beharrte unerschütterlich in seiner Neutralität. Unmittelbar nach dem Tode des Augustus hatte man in Rom den Einbruch der Marcomanen in Raetien gefürchtet, aber, wie es scheint, ohne Ursache, und als dann Germanicus die Offensive gegen die Germanen vom Rhein aus wieder aufnahm, hatte der mächtige Marcomanenkönig unthätig zugesehen. Diese Politik der Feinheit oder der Feigheit in der wild bewegten von patriotischen Erfolgen und Hoffnungen trunkenen germanischen Welt grub sich ihr eigenes Grab. Die entfernteren nur lose mit dem Reich verknüpften Suebenstämme, die Semnonen Langobarden und Gothonen, sagten dem König ab und machten gemeinschaftliche Sache mit den sächsischen Patrioten; es ist nicht unwahrscheinlich, daß die ansehnlichen Streitkräfte, über welche Arminius und Inguiomerus in den Kämpfen gegen Germanicus offenbar geboten, ihnen großentheils von daher zugeströmt sind. Als bald darauf der römische Angriff plötzlich abgebrochen ward, wendeten sich die Patrioten (J. 17) zum Angriff gegen Maroboduus, vielleicht zum Angriff auf das Königthum überhaupt, wenigstens wie dieser es nach römischem [54] Muster verwaltete23. Aber auch unter ihnen selbst waren Spaltungen eingetreten; die beiden nah verwandten cheruskischen Fürsten, die in den letzten Kämpfen die Patrioten wenn nicht siegreich, doch tapfer und ehrenvoll geführt und bisher stets Schulter an Schulter gefochten hatten, standen in diesem Krieg nicht mehr zusammen. Der Oheim Inguiomerus ertrug es nicht noch länger neben dem Neffen der zweite zu sein und trat bei dem Ausbruch des Krieges auf Maroboduus Seite. So kam es zur Entscheidungsschlacht zwischen Germanen und Germanen, ja zwischen denselben Stämmen; denn in beiden Armeen fochten sowohl Sueben wie Cherusker. Lange schwankte der Kampf; beide Heere hatten von der römischen Taktik gelernt und auf beiden Seiten war die Leidenschaft und die Erbitterung gleich. Einen eigentlichen Sieg erfocht Arminius nicht, aber der Gegner überließ ihm das Schlachtfeld, und da Maroboduus den Kürzeren gezogen zu haben schien, verließen ihn die bisher noch zu ihm gehalten hatten und fand er sich auf sein eigenes Reich beschränkt. Als er römische Hülfe gegen die übermächtigen Landsleute erbat, erinnerte ihn Tiberius an sein Verhalten nach der Varusschlacht und erwiderte, daß jetzt die Römer ebenfalls neutral bleiben würden. Es ging nun schleunig mit ihm zu Ende. Schon im folgenden Jahr (18) wurde er von einem Gothonenfürsten Catualda, den er früher persönlich beleidigt hatte und der dann mit den übrigen außerböhmischen Sueben von ihm abgefallen war, in seinem Königssitz selbst überfallen und rettete, von den Seinigen verlassen, mit Noth sich zu den Römern, die ihm die erbetene Freistatt gewährten – als römischer Pensionär ist er viele Jahre später in Ravenna gestorben.

Also waren Arminius Gegner wie seine Nebenbuhler flüchtig geworden und die germanische Nation sah auf keinen andern als auf ihn. Aber diese Größe war seine Gefahr und sein Verderben. Seine eigenen Landsleute, vor allem sein eigenes Geschlecht schuldigte ihn an den Weg Marobods zu gehen und nicht bloß der Erste, sondern auch der Herr und der König der Germanen sein zu wollen – ob mit Grund oder[55] nicht und ob, wenn er dies wollte, er damit nicht vielleicht das Rechte wollte, wer vermag es zu sagen? Es kam zum Bürgerkrieg zwischen ihm und diesen Vertretern der Volksfreiheit; zwei Jahre nach Maroboduus Verbannung fiel auch er, gleich Caesar, durch den Mordstahl ihm nahestehender republikanisch gesinnter Adlicher. Seine Gattin Thusnelda und sein in der Gefangenschaft geborener Sohn Thumelicus, den er nie mit Augen gesehen hat, zogen bei dem Triumph des Germanicus (26. Mai 17) unter den anderen vornehmen Germanen gefesselt mit auf das Capitol; der alte Segestes ward für seine Treue gegen die Römer mit einem Ehrenplatz bedacht, von wo aus er dem Einzug seiner Tochter und seines Enkels zuschauen durfte. Sie alle sind im Römerreich gestorben; mit Maroboduus fanden auch Gattin und Sohn seines Gegners im Exil von Ravenna sich zusammen. Wenn Tiberius bei Abberufung des Germanicus bemerkte, daß es gegen die Deutschen der Kriegführung nicht bedürfe und daß sie das für Rom Erforderliche schon weiter selber besorgen würden, so kannte er seine Gegner; darin allerdings hat die Geschichte ihm Recht gegeben. Aber dem hochsinnigen Mann, der sechsundzwanzigjährig seine sächsische Heimath von der italischen Fremdherrschaft erlöst hatte, der dann in siebenjährigem Kampfe für die wiedergewonnene Freiheit Feldherr wie Soldat gewesen war, der nicht bloß Leib und Leben, sondern auch Weib und Kind für seine Nation eingesetzt hatte, um dann siebenunddreißigjährig von Mörderhand zu fallen, diesem Mann gab sein Volk, was es zu geben vermochte, ein ewiges Gedächtniß im Heldenlied.


Quelle:
Theodor Mommsen: Römische Geschichte. Berlin 1927, Bd. 5, S. 7-57.
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