Kapitel XII

Aegypten

[553] Die beiden Reiche von Aegypten und Syrien, die so lange in jeder Hinsicht mit einander gerungen und rivalisirt hatten, fielen ungefähr um die gleiche Zeit widerstandslos in die Gewalt der Römer. Wenn dieselben auch von dem angeblichen oder wirklichen Testament Alexanders II († 673 [81]) keinen Gebrauch machten und das Land damals nicht einzogen, so standen doch die letzten Herrscher des Lagidenhauses anerkannter Maßen in römischer Clientel; bei Thronstreitigkeiten entschied der Senat, und seit der römische Statthalter von Syrien Aulus Gabinius den König Ptolemaeos Auletes mit seinen Truppen nach Aegypten zurückgeführt hatte (699 [55]; vgl. 3, 163), haben die römischen Legionen das Land nicht wieder verlassen. Wie die übrigen Clientelkönige nahmen auch die Herrscher Aegyptens an den Bürgerkriegen auf Mahnung der von ihnen anerkannten oder ihnen mehr imponirenden Regierung Theil; und wenn es unentschieden bleiben muß, welche Rolle Antonius in dem phantastischen Ostreich seiner Träume dem Heimathland des allzu sehr von ihm geliebten Weibes zugedacht hat (S. 361), so gehört doch Antonius Regiment in Alexandreia sowohl wie der letzte Kampf in dem letzten Bürgerkrieg vor den Thoren dieser Stadt ebenso wenig zu der Specialgeschichte Aegyptens wie die Schlacht von Aktion zu der von Epirus. Wohl aber gab diese Katastrophe und der damit verknüpfte Tod der letzten Fürstin der Lagidendynastie den Anlaß dazu, daß Augustus den erledigten Thron nicht wieder besetzte, sondern das Königreich Aegypten in eigene Verwaltung nahm. Diese Einziehung des letzten Stückes der Küste des Mittelmeeres in die unmittelbare römische Administration [553] und der zeitlich und pragmatisch damit zusammenfallende Abschluß der neuen Monarchie bezeichnen dieser für die Verfassung, jene für die Verwaltung des ungeheuren Reiches den Wendepunkt, das Ende der alten und den Anfang einer neuen Epoche.

Die Einverleibung Aegyptens in das römische Reich vollzog sich insofern in abweichender Weise, als das sonst den Staat beherrschende Princip der Dyarchie, das heißt des gemeinschaftlichen Regiments der beiden höchsten Reichsgewalten, des Princeps und des Senats, von einigen untergeordneten Bezirken abgesehen, allein auf Aegypten keine Anwendung fand454, sondern in diesem Lande dem Senat als solchem sowie jedem einzelnen seiner Mitglieder jede Betheiligung bei dem Regiment abgeschnitten, ja sogar den Senatoren und den Personen senatorischen Ranges das Betreten dieser Provinz untersagt ward455. Man darf dies nicht etwa in der Art auffassen, als wäre Aegypten mit dem übrigen Reich nur durch eine Personalunion verknüpft; der Princeps ist nach dem Sinn und Geist der augustischen Ordnung ein integrirendes und dauernd functionirendes Element des römischen Staatswesens ebenso wie der Senat, und seine Herrschaft über Aegypten gerade so ein Theil der Reichsherrschaft wie die Herrschaft des Proconsuls von Africa456. Eher mag man sich das staatsrechtliche Verhältniß in der [554] Weise verdeutlichen, daß das brittische Reich in derselben Verfassung sich befinden würde, wenn Ministerium und Parlament nur für das Mutterland in Betracht kämen, die Colonien dagegen dem absoluten Regiment der Kaiserin von Indien zu gehorchen hätten. Welche Motive den neuen Monarchen dazu bestimmten, gleich im Beginn seiner Alleinherrschaft diese tief einschneidende und zu keiner Zeit angefochtene Einrichtung zu treffen und wie dieselbe in die allgemeinen politischen Verhältnisse eingegriffen hat, gehört der allgemeinen Geschichte des Reiches an; hier haben wir darzulegen, wie unter der Kaiserherrschaft die inneren Verhältnisse Aegyptens sich gestalteten.

Was im Allgemeinen von allen hellenischen oder hellenisirten Gebieten gilt, daß die Römer, indem sie sie zum Reiche zogen, die einmal bestehenden Einrichtungen conservirten und nur, wo es schlechter dings nothwendig erschien, Modificationen eintreten ließen, das findet in vollem Umfang Anwendung auf Aegypten.

Wie Syrien so war Aegypten, als es römisch ward, ein Land zwiefacher Nationalität; auch hier stand neben und über dem Einheimischen der Grieche, jener der Knecht, dieser der Herr. Aber rechtlich und thatsächlich waren die Verhältnisse der beiden Nationen in Aegypten von denen Syriens völlig verschieden.

Syrien stand wesentlich schon in der vorrömischen und durchaus in der römischen Epoche nur mittelbar unter der Landesregierung; es zerfiel theils in Fürstenthümer, theils in autonome Stadtbezirke und wurde zunächst von den Landesherren oder Gemeindebehörden verwaltet. In Aegypten457 dagegen giebt es weder Landesfürsten noch Reichsstädte nach griechischer Art. Die beiden Verwaltungskreise, in welche Aegypten zerfällt, das ›Land‹ (ἡ χώρα) der Aegyptier mit seinen ursprünglich sechsunddreißig Bezirken (νομοί) und die beiden griechischen Städte Alexandreia in Unter- und Ptolemais in Oberaegypten458 sind streng gesondert und scharf sich entgegengesetzt[555] und doch eigentlich kaum verschieden. Der Land- wie der Stadtbezirk ist nicht bloß territorial abgegrenzt, sondern jener wie dieser auch Heimathbezirk; die Zugehörigkeit zu einem jeden ist unabhängig vom Wohnort und erblich. Der Aegyptier aus dem chem mitischen Nomos gehört demselben mit den Seinigen ebenso an, wenn er seinen Wohnsitz in Alexandreia hat, wie der in Chemmis wohnende Alexandriner der Bürgerschaft von Alexandreia. Der Landbezirk hat zu seinem Mittelpunkt immer eine städtische Ansiedelung, der chemmitische zum Beispiel die um den Tempel des Chemmis oder des Pan erwachsene Stadt Panopolis, oder, wie dies in griechischer Auffassung ausgedrückt wird, es hat jeder Nomos seine Metropolis; insofern kann jeder Landbezirk auch als Stadtbezirk gelten. Wie die Städte sind auch die Nomen in der christlichen Epoche die Grundlage der episcopalen Sprengel geworden. Die Landbezirke ruhen auf den in Aegypten alles beherrschenden Cultusordnungen; Mittelpunkt für einen jeden ist das Heiligthum einer bestimmten Gottheit und gewöhnlich führt er von dieser oder von dem heiligen Thier derselben den Namen; so heißt der chemmitische Bezirk nach dem Gott Chemmis oder nach griechischer Gleichung dem Pan, andere Bezirke nach dem Hund, dem Löwen, dem Krokodil. Aber auch umgekehrt fehlt den Stadtbezirken der religiöse Mittelpunkt nicht; Alexandreias Schutzgott ist Alexander, der Schutzgott von Ptolemais der erste Ptolemaeos, und die Priester, die dort wie hier für diesen Cult und den ihrer Nachfolger eingesetzt sind, sind für beide Städte die Eponymen. Dem Landbezirk fehlt völlig die Autonomie: die Verwaltung, die Besteuerung, die Rechtspflege liegt in der Hand der königlichen Beamten459 und die Collegialität, das Palladium des griechischen wie des römischen Gemeinwesens, ist hier in allen Stufen schlechthin ausgeschlossen. [556] Aber in den beiden griechischen Städten ist es auch nicht viel anders. Es giebt wohl eine in Phylen und Demen eingetheilte Bürgerschaft, aber keinen Gemeinderath460; die Beamten sind wohl andere und anders benannte als die der Nomen, aber auch durchaus Beamte königlicher Ernennung und ebenfalls ohne collegialische Einrichtung. Erst Hadrian hat einer aegyptischen Ortschaft, dem von ihm zum Andenken an seinen im Nil ertrunkenen Liebling angelegten Antinoupolis, Stadtrecht nach griechischer Art gegeben und späterhin Severus, vielleicht ebenso sehr den Antiochenern zum Trutz als zu Nutz der Aegypter, der Hauptstadt Aegyptens und der Stadt Ptolemais und noch mehreren anderen aegyptischen Gemeinden zwar keine städtischen Magistrate, aber doch einen städtischen Rath bewilligt. Bis dahin nennt sich zwar im officiellen Sprachgebrauch die aegyptische Stadt Nomos, die griechische Polis, aber eine Polis ohne Archonten und Buleuten ist ein inhaltloser Name. So ist es auch in der Prägung. Die aegyptischen Nomen haben das Prägerecht nicht gehabt; aber noch weniger hat Alexandreia jemals Münzen geschlagen. Aegypten ist unter allen Provinzen der griechischen Reichshälfte die einzige, welche keine andere Münze als Königsmünze kennt. Auch in römischer Zeit war [557] dies nicht anders. Die Kaiser stellten die unter den letzten Lagiden eingerissenen Mißbräuche ab: Augustus beseitigte die unreelle Kupferprägung derselben und als Tiberius die Silberprägung wieder aufnahm, gab er dem ägyptischen Silbergeld eben so reellen Werth wie dem übrigen Provinzialcourant des Reiches461. Aber der Charakter der Prägung blieb im Wesentlichen der gleiche462. Es ist ein Unterschied zwischen Nomos und Polis wie zwischen dem Gott Chemmis und dem Gott Alexander; in administrativer Hinsicht ist eine Verschiedenheit nicht da. Aegypten bestand aus einer Mehrzahl aegyptischer und einer Minderzahl griechischer Ortschaften, welche sämmtlich der Autonomie entbehrten und sämmtlich unter unmittelbarer und absoluter Verwaltung des Königs und der von diesem ernannten Beamten standen.

Es war hievon eine Folge, daß Aegypten allein unter allen römischen Provinzen keine allgemeine Vertretung gehabt hat. Der Landtag ist die Gesammtrepräsentation der sich selber verwaltenden Gemeinden der Provinz. In Aegypten aber gab es solche nicht; die Nomen waren lediglich kaiserliche oder vielmehr königliche Verwaltungsbezirke und Alexandreia stand nicht bloß so gut wie allein, sondern war ebenfalls ohne eigentliche municipale Organisation. Der an der Spitze der Landeshauptstadt stehende Priester konnte wohl sich ›Oberpriester von [558] Alexandreia und ganz Aegypten‹ nennen (S. 568 A.) und hat eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Asiarchen und dem Bithyniarchen Kleinasiens; aber die tiefe Verschiedenheit der Organisationen wird dadurch doch nur verdeckt.

Die Herrschaft trägt dem entsprechend in Aegypten einen ganz andern Charakter als in dem übrigen schließlich unter dem Kaiserregiment zusammengefaßten Gebiet der griechischen und der römischen Civilisation. In diesem verwaltet durchgängig die Gemeinde; der Herrscher des Reiches ist genau genommen nur der gemeinsame Vorsteher der zahlreichen mehr oder minder autonomen Bürgerschaften und neben den Vorzügen der Selbstverwaltung treten ihre Nachtheile und Gefahren überall hervor. In Aegypten ist der Herrscher König, der Landesbewohner sein Unterthan, die Verwaltung die der Domäne. Diese principiell ebenso von oben herab absolut geführte wie auf das gleiche Wohlergehen aller Unterthanen ohne Unterschied des Ranges und des Vermögens gerichtete Verwaltung ist die Eigenart des Lagidenregiments, entwickelt wahrscheinlich mehr aus der Hellenisirung der alten Pharaonenherrschaft als aus der stadtisch geordneten Weltherrschaft, wie der große Makedonier sie gedacht hatte und wie sie am vollkommensten in dem syrischen Neu-Makedonien zur Durchführung gelangte (S. 450). Das System forderte einen in eigener Person nicht bloß heerführenden, sondern in täglicher Arbeit verwaltenden König, eine entwickelte und streng disciplinirte Beamtenhierarchie, rücksichtlose Gerechtigkeit gegen Hohe und Niedere; und wie diese Herrscher, nicht durchaus ohne Grund, sich wohl den Namen des Wohlthäters (εὐεργέτης) beilegten, so darf die Monarchie der Lagiden zusammengestellt werden mit der fridericianischen, von der sie in den Grundzügen sich nicht entfernte. Allerdings hatte die Kehrseite, das unvermeidliche Zusammenbrechen des Systems in unfähiger Hand, auch Aegypten erfahren. Aber die Norm blieb; und der augustische Principat neben der Senatsherrschaft ist nichts als die Vermählung des Lagidenregiments mit der alten städtischen und bündischen Entwickelung.

Eine weitere Folge dieser Regierungsform ist die namentlich vom finanziellen Standpunkt aus unzweifelhafte Ueberlegenheit der ägyptischen Verwaltung über diejenige der übrigen Provinzen. Man kann die vorrömische Epoche bezeichnen als das Ringen der finanziell dominirenden Macht Aegyptens mit dem räumlich den übrigen Osten erfüllenden [559] asiatischen Reich; in der römischen setzt sich dies in gewissem Sinn darin fort, daß die kaiserlichen Finanzen insbesondere durch den ausschließlichen Besitz Aegyptens denen des Senats überlegen gegenüber stehen. Wenn es der Zweck des Staates ist den möglichst großen Betrag aus dem Gebiet herauszuwirthschaften, so sind in der alten Welt die Lagiden die Meister der Staatskunst schlechthin gewesen. Insonderheit waren sie auf diesem Gebiet die Lehrmeister und die Vorbilder der Caesaren. Wie viel die Römer aus Aegypten zogen, vermögen wir nicht mit Bestimmtheit zu sagen. In der persischen Zeit hatte Aegypten einen Jahrestribut von 700 babylonischen Talenten Silbers, etwa 4 Mill. Mark entrichtet: die Jahreseinnahme der Ptolemaeer aus Aegypten oder vielmehr aus ihren Besitzungen überhaupt betrug in ihrer glänzendsten Periode 14800 ägyptische Silbertalente oder 57 Mill. Mark und außerdem 11/2 Mill. Artaben = 591000 Hektoliter Weizen; am Ende ihrer Herrschaft reichlich 6000 Talente oder 23 Mill. Mark. Die Römer bezogen aus Aegypten jährlich den dritten Theil des für den Consum von Rom erforderlichen Korns, 20 Mill. römische Scheffel463 = 1740000 Hektoliter; indeß ist ein Theil davon sicher aus den eigentlichen Domänen geflossen, ein anderer vielleicht gegen Entschädigung geliefert worden, während andererseits die ägyptischen Steuern wenigstens zu einem großen Theil in Geld angesetzt waren, so daß wir nicht im Stande sind die ägyptische Einnahme der römischen Reichskasse auch nur annähernd zu bestimmen. Aber nicht bloß durch ihre Höhe ist sie für die römische Staatswirthschaft von entscheidender Bedeutung gewesen, sondern weil sie als Vorbild diente zunächst für den kaiserlichen Domanialbesitz in den übrigen Provinzen, überhaupt aber für die gesammte Reichsverwaltung, wie dies bei deren Darlegung auseinanderzusetzen ist.

Aber wenn die communale Selbstverwaltung in Aegypten keine Stätte hat und in dieser Hinsicht zwischen den beiden Nationen, aus welchen dieser Staat ebenso wie der syrische sich zusammensetzt, [560] eine reale Verschiedenheit nicht besteht, so ist zwischen ihnen in anderer Beziehung eine Schranke aufgerichtet, wozu Syrien keine Parallele bietet. Nach der Ordnung der makedonischen Eroberer disqualificirte die aegyptische Ortsangehörigkeit für sämmtliche öffentliche Aemter und für den besseren Kriegsdienst. Wo der Staat seinen Bürgern Zuwendungen machte, beschränkten sich diese auf die der griechischen Gemeinden464; die Kopfsteuer dagegen zahlten lediglich die Aegyptier und auch von den Gemeindelasten, die die Eingesessenen des einzelnen aegyptischen Bezirkes treffen, sind die daselbst ansässigen Alexandriner befreit465. Obwohl im Fall des Vergehens der Rücken des Aegyptiers wie des Alexandriners büßte, so durfte doch dieser sich rühmen, und that es auch, daß ihn der Stock treffe und nicht wie jenen die Peitsche466. Sogar die Gewinnung des besseren Bürgerrechts war den Aegyptiern untersagt467. Die Bürgerverzeichnisse der zwei großen von den beiden Reichsgründern geordneten und benannten Griechenstädte in Unter- und Oberaegypten faßten die herrschende Bevölkerung in sich und der Besitz des Bürgerrechts einer dieser Städte war in dem Aegypten der Ptolemaeer dasselbe was der Besitz des römischen Bürgerrechts im römischen Reich. Was Aristoteles [561] dem Alexander empfahl den Hellenen ein Herrscher (ἡγεμών), den Barbaren ein Herr zu sein, jene als Freunde und Genossen zu versorgen, diese wie die Thiere und die Pflanzen zu nutzen, das haben die Ptolemaeer in vollem Umfang praktisch durchgeführt. Der König, größer und freier als sein Lehrmeister, trug den höheren Gedanken im Sinne der Umwandlung der Barbaren in Hellenen oder wenigstens der Ersetzung der barbarischen Ansiedelungen durch hellenische, und diesem gewährten die Nachfolger fast überall und namentlich in Syrien breiten Spielraum468. In Aegypten geschah das Gleiche nicht. Wohl suchten dessen Herrscher mit den Eingeborenen namentlich auf dem religiösen Gebiet Fühlung zu halten und wollten nicht als Griechen über die Aegyptier, viel eher als irdische Götter über die Unterthanen insgemein herrschen; aber damit vertrug sich die ungleiche Berechtigung der Unterthanen durchaus, eben wie die rechtliche und factische Bevorzugung des Adels ein ebenso wesentlicher Theil des fridericianischen Regiments war wie die gleiche Gerechtigkeit gegen Vornehme und Geringe.

Wie die Römer im Orient überhaupt das Werk der Griechen fortsetzten, so blieb auch die Ausschließung der einheimischen Aegyptier von der Gewinnung des griechischen Bürgerrechts nicht bloß bestehen, sondern wurde auf das römische Bürgerrecht ausgedehnt. Der aegyptische Grieche dagegen konnte das letztere ebenso wie jeder andere Nichtbürger gewinnen. Der Eintritt freilich in den Senat wurde ihm so wenig gestattet wie dem römischen Bürger aus Gallien (S. 89), und diese Beschränkung ist viel länger für Aegypten als für Gallien in Kraft geblieben469; erst im Anfang des dritten Jahrhunderts wurde in einzelnen Fällen davon abgesehen und als Regel hat sie noch im fünften gegolten. In Aegypten selbst wurden die Stellungen der Oberbeamten, das [562] heißt der für die ganze Provinz fungirenden, und ebenso die Offizierstellen den römischen Bürgern in der Form vorbehalten, daß als Qualification dafür das Ritterpferd verlangt ward; es war dies durch die allgemeine Reichsordnung gegeben und ähnliche Privilegien hatten ja in Aegypten unter den früheren Lagiden die Makedonier gegenüber den sonstigen Griechen besessen. Die Aemter zweiten Ranges blieben unter römischer Herrschaft wie bisher den aegyptischen Aegyptiern verschlossen und wurden mit Griechen besetzt, zunächst den Bürgern von Alexandreia und Ptolemais. Wenn im Reichskriegsdienst für die erste Klasse das römische Bürgerrecht gefordert wurde, so ließ man doch bei den in Aegypten selbst stationirten Legionen auch den aegyptischen Griechen nicht selten in der Weise zu, daß ihm bei der Aushebung das römische Bürgerrecht verliehen ward. Für die Kategorie der Auxiliartruppen unterlag die Zulassung der Griechen keiner Beschränkung; die Aegyptier aber sind auch hierfür wenig oder gar nicht, dagegen für die unterste Klasse, die in der ersten Kaiserzeit noch aus Sclaven gebildete Flottenmannschaft späterhin in beträchtlicher Zahl verwendet worden. Im Lauf der Zeit hat die Zurücksetzung der eingeborenen Aegyptier wohl in ihrer Strenge nachgelassen und sind dieselben öfter zum griechischen und mittelst dessen auch zum römischen Bürgerrecht gelangt; im Ganzen aber ist das römische Regiment einfach die Fortsetzung wie der griechischen Herrschaft so auch der griechischen Exclusivität gewesen. Wie das makedonische Regiment sich mit Alexandreia und Ptolemais begnügt hatte, so hat auch das römische einzig in dieser Provinz nicht eine einzige Colonie gegründet470.

Auch die Sprachordnung ist in Aegypten wesentlich unter den Römern geblieben, wie die Ptolemaeer sie festgestellt hatten. Abgesehen von dem Militär, bei dem das Lateinische allein herrschte, ist für den Verkehr der oberen Stellen die Geschäftssprache die griechische. Der einheimischen Sprache, die von den semitischen wie von den arischen Sprachen radical verschieden, am nächsten vielleicht derjenigen der Berbern in Nordafrika verwandt ist, und der einheimischen [563] Schrift haben die römischen Herrscher und ihre Statthalter sich nie bedient, und wenn schon unter den Ptolemaeern den aegyptisch geschriebenen Actenstücken griechische Uebersetzung beigefügt werden mußte, so gilt für diese ihre Nachfolger mindestens dasselbe. Allerdings blieb es den Aegyptiern unverwehrt, so weit es ihnen nach dem Ritual erforderlich oder sonst zweckmäßig erschien, sich der Landessprache und ihrer altgeheiligten Schriftzeichen zu bedienen; es mußte auch in diesem alten Heim des Schriftgebrauchs im gewöhnlichen Verkehr nicht bloß bei Privatcontracten, sondern selbst bei Steuerquittungen und ähnlichen Schriftstücken die dem großen Publikum allein geläufige Landessprache und die übliche Schrift zugelassen werden. Aber es war dies eine Concession und der herrschende Hellenismus bemüht sein Reich zu erweitern. Das Bestreben den im Lande herrschenden Anschauungen und Ueberlieferungen auch im Griechischen einen allgemein gültigen Ausdruck zu schaffen hat der Doppelnamigkeit in Aegypten eine Ausdehnung gegeben wie nirgend sonst. Alle aegyptische Götter, deren Namen nicht selbst den Griechen geläufig wurden, wie der der Isis, wurden mit entsprechenden oder auch nicht entsprechenden griechischen geglichen; vielleicht die Hälfte der Ortschaften, eine Menge von Personen führen sowohl eine einheimische wie eine griechische Benennung. Allmählich drang hierin die Hellenisirung durch. Die alte heilige Schrift begegnet auf den erhaltenen Denkmälern zuletzt unter Kaiser Decius um die Mitte des 3., ihre geläufigere Abart zuletzt um die Mitte des 5. Jahrhunderts; aus dem gemeinen Gebrauch sind beide beträchtlich früher verschwunden. Die Vernachlässigung und der Verfall der einheimischen Elemente der Civilisation drückt sich darin aus. Die Landessprache selbst behauptete sich noch lange nachher in den abgelegenen Orten und den niederen Schichten und ist erst im 17. Jahrhundert völlig erloschen, nachdem sie, die Sprache der Kopten, gleich wie die syrische, in Folge der Einführung des Christenthums und der auf die Hervorrufung einer volksthümlich-christlichen Litteratur gerichteten Bemühungen, in der späteren Kaiserzeit eine beschränkte Regeneration erfahren hatte.

In dem Regiment kommt vor allem in Betracht die Unterdrückung des Hofes und der Residenz, die nothwendige Folge der Einziehung des Landes durch Augustus. Es blieb wohl, was bleiben konnte. Auf den in der Landessprache, also bloß für Aegyptier geschriebenen Inschriften heißen die Kaiser wie die Ptolemaeer Könige von Ober- und [564] Unteraegypten und die Auserwählten der aegyptischen Landesgötter, daneben freilich auch, was bei den Ptolemaeern nicht geschehen war, Großkönige471. Die Zeiten zählte man in Aegypten wie bisher nach dem landüblichen Kalender und seinem auf die römischen Herrscher übergehenden Königsjahr; den goldenen Becher, den in jedem Juni der König in den schwellenden Nil warf, warf jetzt der römische Vicekönig. Aber damit reichte man nicht weit. Der römische Herrscher konnte die mit seiner Reichsstellung unvereinbare Rolle des aegyptischen Königs nicht durchführen. Mit der Vertretung durch einen Untergebenen machte der neue Landesherr gleich bei dem ersten nach Aegypten gesandten Statthalter unbequeme Erfahrungen; der tüchtige Offizier und talentvolle Poet, der es nicht hatte lassen können auch seinen Namen den Pyramiden einzuschreiben, wurde deßwegen abgesetzt und ging daran zu Grunde. Es war unvermeidlich hier Schranken zu setzen. Die Geschäfte, deren Erledigung nach dem Alexandersystem nicht minder dem Fürsten persönlich oblag472 wie nach der Ordnung des römischen Principats, mochte der römische Statthalter führen wie der einheimische König; König durfte er weder sein noch scheinen473. Es ward das in der zweiten Stadt der Welt sicher tief und [565] schwer empfunden. Der bloße Wechsel der Dynastie wäre nicht allzu sehr ins Gewicht gefallen. Aber ein Hof wie der der Ptolemaeer, geordnet nach dem Ceremoniell der Pharaonen, König und Königin in ihrer Göttertracht, der Pomp der Festzüge, der Empfang der Priesterschaften und der Gesandten, die Hofbankette, die großen Ceremonien der Krönung, der Eidesleistung, der Vermählung, der Bestattung, die Hofämter der Leibwächter und des Oberleibwächters (ἀρχισωματοφύλαξ), des einführenden Kammerherrn (εἰσαγγελεύς), des Obertafelmeisters (ἀρχεδέατρος), des Oberjägermeisters (ἀρχικυνηγός), die Vettern und Freunde des Königs, die Decorirten – das alles ging für die Alexandriner ein für alle Mal unter mit der Verlegung des Herrschersitzes vom Nil an die Tiber. Nur die beiden berühmten alexandrinischen Bibliotheken blieben dort mit allem ihrem Zubehör und Personal als Rest der alten königlichen Herrlichkeit. Ohne Frage büßte Aegypten bei der Depossedirung seiner Regenten sehr viel mehr ein als Syrien; freilich waren beide Völkerschaften in der machtlosen Lage, daß sie hinnehmen mußten, was ihnen angesonnen ward, und an eine Auflehnung für die verlorene Weltmachtstellung ist hier so wenig wie dort auch nur gedacht worden.

Die Verwaltung des Landes liegt, wie schon gesagt ward, in den Händen des ›Stellvertreters‹, das heißt des Vicekönigs; denn obwohl der neue Landesherr, mit Rücksicht auf seine Stellung im Reiche, sowohl für sich wie für seine höher gestellten Vertreter der königlichen Benennungen auch in Aegypten sich enthielt, so hat er doch der Sache nach durchaus als Nachfolger der Ptolemaeer die Herrschaft geführt und die gesammte civile wie militärische Obergewalt ist in seiner und seines Vertreters Hand vereinigt. Daß weder Nichtbürger noch Senatoren diese Stellung bekleiden durften, ist schon bemerkt worden; Alexandrinern, wenn sie zum Bürgerrecht und ausnahmsweise zum Ritterpferd gelangt waren, ist sie zuweilen übertragen worden474. Im Uebrigen stand [566] dieses Amt unter den nicht senatorischen an Rang und Einfluß anfänglich allen übrigen voran und späterhin einzig der Commandantur der kaiserlichen Garde nach. Außer den eigentlichen Offizieren, wobei nur der Ausschluß des Senators und die dadurch bedingte niedrigere Titulatur des Legionscommandanten (praefectus statt legatus) von der allgemeinen Ordnung sich entfernt, fungiren neben und unter dem Statthalter, und gleichfalls für ganz Aegypten, ein oberster Beamter für die Justiz und ein oberster Finanzverwalter, beide ebenfalls römische Bürger vom Ritterrang und wie es scheint, nicht dem Verwaltungsschema der Ptolemaeer entlehnt, sondern nach einem auch in an deren kaiserlichen Provinzen angewandten Verfahren dem Statthalter zu- und untergeordnet475. – Alle übrigen Beamten fungiren nur für einzelne Bezirke und sind in der Hauptsache aus der ptolemaeischen Ordnung übernommen. Daß die Vorsteher der drei Provinzen Unter-, Mittel- und Oberaegypten, abgesehen vom Commando mit dem gleichen Geschäftskreis wie der Statthalter ausgestattet, [567] in augustischer Zeit aus den aegyptischen Griechen, späterhin wie die eigentlichen Oberbeamten aus der römischen Ritterschaft genommen wurden, ist bemerkenswerth als ein Symptom der im Verlauf der Kaiserzeit sich steigernden Zurückdrängung des einheimischen Elements in der Magistratur. – Unter diesen oberen und mittleren Behörden stehen die Localbeamten, die Vorsteher der ägyptischen wie der griechischen Städte nebst den sehr zahlreichen bei dem Hebungswesen und den mannichfaltigen auf den Geschäftsverkehr gelegten Abgaben beschäftigten Subalternen und wieder in dem einzelnen Bezirk die Vorsteher der Unterbezirke und der Dörfer, welche Stellungen mehr als Lasten denn als Ehren angesehen und den Ortsangehörigen oder Ortsansässigen, jedoch mit Ausschluß der Alexandriner, durch den Oberbeamten auferlegt werden; die wichtigste darunter, die Vorstandschaft des Nomos, wird auf je drei Jahre von dem Statthalter besetzt. Die örtlichen Behörden der griechischen Städte waren der Anzahl wie der Titulatur nach andere; in Alexandreia namentlich fungirten vier Oberbeamten, der Priester Alexanders476, der Stadtschreiber [568] (ὑπομνηματογράφος)477, der Oberrichter (ἀρχιδικαστής) und der Nachtwächtermeister (νυκτερινὸς στρατηγός). Daß sie angesehener waren als die Strategen der Nomen, versteht sich von selbst und zeigt deutlich das dem ersten alexandrinischen Beamten zustehende Purpurgewand. Uebrigens rühren sie ebenfalls aus der Ptolemaeerzeit her und werden wie die Nomenvorsteher aus den Eingesessenen von der römischen Regierung auf Zeit ernannt. Römische Beamte kaiserlicher Ernennung finden sich unter diesen städtischen Vorstehern nicht. Aber der Priester des Museion, der zugleich der Präsident der alexandrinischen Akademie der Wissenschaften ist und auch über die bedeutenden Geldmittel dieser Anstalt verfügt, wird vom Kaiser ernannt; ebenso werden die Aufsicht über das Alexandergrab und die damit verbundenen Baulichkeiten und einige andere wichtige Stellungen in der Hauptstadt Aegyptens von der Regierung in Rom mit Beamten von Ritterrang besetzt478.

Selbstverständlich sind Alexandriner und Aegyptier in diejenigen Prätendentenbewegungen hineingezogen worden, die vom Orient ausgingen, und haben dabei regelmäßig mitgemacht; auf diese Weise sind [569] hier Vespasian, Cassius, Niger, Macrianus (S. 433), Va ballathus der Sohn der Zenobia, Probus zu Herrschern ausgerufen worden. Die Initiative aber haben in allen diesen Fällen weder die Bürger von Alexandreia ergriffen noch die wenig angesehenen aegyptischen Truppen, und die meisten dieser Revolutionen, auch die mißlungenen, haben für Aegypten keine besonders empfindlichen Folgen gehabt. Aber die an den Namen der Zenobia sich knüpfende Bewegung (S. 437) ist für Alexandreia und für ganz Aegypten fast ebenso verhängnißvoll geworden wie für Palmyra. In Stadt und Land standen die palmyrenisch und die römisch Gesinnten mit den Waffen und der Brandfackel in der Hand sich gegenüber. An der Südgrenze rückten die barbarischen Blemyer ein, wie es scheint im Einverständniß mit dem palmyrenisch gesinnten Theil der Bewohner Aegyptens, und bemächtigten sich eines großen Theils von Oberaegypten479. In Alexandreia war der Verkehr zwischen den beiden feindlichen Quartieren aufgehoben, selbst Briefe zu befördern war schwierig und gefährlich480. Die Gassen starrten von Blut und von unbegrabenen Leichen. Die dadurch erzeugten Seuchen wütheten noch ärger als das Schwert; und damit keines der vier Rosse des Verderbens mangele, versagte auch der Nil und gesellte sich die Hungersnoth zu den übrigen Geißeln. Die Bevölkerung schmolz in der Weise zusammen, daß, wie ein Zeitgenosse sagt, es früher in Alexandreia mehr Greise gab als nachher Bürger. Als der von Claudius gesandte Feldherr Probus endlich die Oberhand gewann, warfen sich [570] die palmyrenisch Gesinnten, darunter die Mehrzahl der Rathsmitglieder, in das feste Castell Prucheion in der unmittelbaren Nähe der Stadt; und obwohl, als Probus den Austretenden Schonung des Lebens verhieß, die große Mehrzahl sich unterwarf, harrte doch ein beträchtlicher Theil der Bürgerschaft bis zum Aeußersten aus in dem Kampf der Verzweiflung. Die Festung, endlich durch Hunger bezwungen (270), wurde geschleift und lag seitdem öde; die Stadt aber verlor ihre Mauern. In dem Lande haben die Blemyer sich noch Jahre lang behauptet; erst Kaiser Probus hat Ptolemais und Koptos ihnen wieder entrissen und sie aus dem Lande hinausgeschlagen. Der Nothstand, den diese durch eine Reihe von Jahren sich hinziehenden Unruhen hervorgerufen haben müssen, mag dann wohl die einzige nachweislich in Aegypten entstandene Revolution481 zum Ausbruch gebracht haben. Unter der Regierung Diocletians lehnten sich, wir wissen nicht warum und wozu, sowohl die eingeborenen Aegyptier wie die Bürgerschaft von Alexandreia gegen die bestehende Regierung auf. Es wurden Gegenkaiser aufgestellt, Lucius Domitius Domitianus und Achilleus, falls nicht etwa beide Namen dieselbe Persönlichkeit bezeichnen; die Empörung währte drei bis vier Jahre; die Städte Busiris im Delta und Koptos unweit Theben wurden von den Truppen der Regierung zerstört und schließlich unter der eigenen Führung Diocletians im Frühjahr 297 die Hauptstadt nach achtmonatlicher Belagerung bezwungen. Von dem Herunterkommen des reichen, aber durchaus auf den inneren und äußeren Frieden angewiesenen Landes zeugt nichts so deutlich wie die im J. 302 erlassene Verfügung desselben Diocletian, daß ein Theil des bisher nach Rom gesandten ägyptischen Getreides in Zukunft der alexandrinischen Bürgerschaft zu Gute kommen solle482. Allerdings gehört dies zu den Maßregeln, welche die Decapitalisirung Roms bezweckten; aber den Alexandrinern, die zu begünstigen dieser Kaiser wahrlich keine Ursache hatte, wäre die Lieferung [571] nicht zugewandtworden, wenn sie sie nicht dringend gebraucht hätten.

Wirthschaftlich ist Aegypten bekanntlich vor allem das Land des Ackerbaues. Zwar ist die ›schwarze Erde‹ – das bezeichnet der einheimische Landesname Chemi – nur ein schmaler Doppelstreifen zu beiden Seiten des mächtigen von der letzten Stromschnelle bei Syene, der Südgrenze des eigentlichen Aegyptens, auf 120 Meilen in breiter Fülle durch die rechts und links sich ausdehnende gelbe Wüste zum mittelländischen Meer strömenden Nil; nur an seinem letzten Ende breitet die ›Gabe des Flusses‹, das Nildelta zwischen den mannichfaltigen Armen seiner Mündung sich zu beiden Seiten weiter aus. Auch der Ertrag dieser Strecken hängt Jahr für Jahr ab von dem Nil und den sechszehn Ellen seiner Schwelle, den den Vater umspielenden sechszehn Kindern, wie die Kunst der Griechen den Flußgott darstellt; mit gutem Grund nennen die Araber die niedrigen Ellen mit den Namen der Engel des Todes, denn erreicht der Fluß die volle Höhe nicht, so trifft das ganze ägyptische Land Hunger und Verderben. Im Allgemeinen aber vermag Aegypten, wo die Bestellungskosten verschwindend niedrig sind, der Weizen hundertfältig trägt und auch die Gemüsezucht, der Weinbau, die Baumcultur, namentlich die Dattelpalme, und die Viehzucht guten Ertrag bringen, nicht bloß eine dichte Bevölkerung zu ernähren, sondern auch reichlich Getreide in das Ausland zu senden. Dies führte dazu, daß nach der Einsetzung der Fremdherrschaft dem Lande selbst von seinem Reichthum nicht viel verblieb. Ungefähr wie in persischer Zeit und wie heutzutage schwoll damals der Nil und frohnten die Aegyptier hauptsächlich für das Ausland und zunächst dadurch spielt Aegypten in der Geschichte des kaiserlichen Rom eine wichtige Rolle. Nachdem Italiens eigener Getreidebau gesunken und Rom die größte Stadt der Welt geworden war, bedurfte dasselbe der stetigen Zufuhr billigen überseeischen Getreides; und vor allem durch die Lösung der nicht leichten wirthschaftlichen Aufgabe die hauptstädtische Zufuhr finanziell möglich zu machen und sicher zu stellen hat der Principat sich befestigt. Diese Lösung ruhte auf dem Besitz Aegyptens, und insofern hier der Kaiser ausschließlich gebot, hielt er durch Aegypten das Land Italien mit seinen Dependenzen in Schach. Als Vespasianus die Herrschaft ergriff, sandte er seine Truppen nach Italien, er selbst aber ging nach Aegypten und bemächtigte sich Roms durch die Kornflotte. Wo immer ein römischer Regent daran [572] gedacht hat oder haben soll den Sitz der Regierung nach dem Osten zu verlegen, wie uns von Caesar, Antonius, Nero, Geta erzählt wird, da richten sich die Gedanken wie von selber nicht nach Antiocheia, obwohl dies damals die regelmäßige Residenz des Ostens war, sondern nach der Geburtsstätte und der festen Burg des Principats, nach Alexandreia. – Deßhalb war denn auch die römische Regierung auf die Hebung des Feldbaues in Aegypten eifriger bedacht als irgendwo sonst. Da derselbe von der Nilüberschwemmung abhängig ist, ward es möglich durch systematisch durchgeführte Wasserbauten, künstliche Kanäle, Dämme, Reservoirs die für den Feldbau geeignete Fläche bedeutend zu erweitern. In den guten Zeiten Aegyptens, des Heimathlandes der Meßschnur und des Kunstbaues, war dafür viel geschehen, aber diese segensreichen Anlagen unter den letzten elenden und finanziell bedrängten Regierungen in argen Verfall gerathen. So führte die römische Besitznahme sich würdig damit ein, daß Augustus durch die in Aegypten stehenden Truppen die Nilkanäle einer durchgreifenden Reinigung und Erneuerung unterwarf. Wenn zur Zeit der römischen Besitzergreifung die volle Ernte einen Stand des Flusses von vierzehn Ellen erfordert hatte und bei acht Ellen Mißernte eintrat, so genügten später, nachdem die Kanäle in Stand gesetzt waren, schon zwölf Ellen für eine volle Ernte und gaben acht Ellen noch einen genügenden Ertrag. Jahrhunderte nachher hat Kaiser Probus Aegypten nicht bloß von den Aethiopen befreit, sondern auch die Wasserbauten am Nil wieder in Stand gesetzt. Es darf überhaupt angenommen werden, daß die besseren Nachfolger Augusts in ähnlichem Sinne administrirten und daß, zumal bei der durch Jahrhunderte kaum unterbrochenen inneren Ruhe und Sicherheit, der ägyptische Ackerbau unter dem römischen Principat in dauerndem Flor gestanden hat. Welche Rückwirkung diese Verhältnisse auf die Aegyptier selbst hatten, vermögen wir genauer nicht zu verfolgen. Zu einem großen Theil beruhten die Einkünfte aus Aegypten auf dem kaiserlichen Domanialbesitz, welcher in römischer wie in früherer Zeit einen beträchtlichen Theil des ganzen Areals ausmachte483; hier wird, zumal bei der wenig kostspieligen Bestellung,[573] den Kleinpächtern, die dieselbe beschafften, nur eine mäßige Quote des Ertrags geblieben oder eine hohe Geldpacht auferlegt worden sein. Aber auch die zahlreichen und durchgängig kleineren Eigenthümer werden eine hohe Grundsteuer in Getreide oder in Geld entrichtet haben. Die ackerbauende Bevölkerung, genügsam wie sie war, blieb in der Kaiserzeit wohl zahlreich; aber sicher lastete der Steuerdruck, sowohl an sich wie wegen der Verwendung des Ertrags im Ausland, schwerer auf Aegypten unter der römischen Fremdherrschaft als unter dem keineswegs schonenden Regiment der Ptolemaeer.

Von der Wirthschaft Aegyptens bildete der Ackerbau nur einen Theil; wie dasselbe in dieser Hinsicht Syrien weit voranstand, so hatte es vor dem wesentlich agricolen Africa die hohe Blüthe der Fabriken und des Handels voraus. Die Linnenfabrikation in Aegypten steht an Alter und Umfang und Ruhm der syrischen mindestens gleich und hat, wenn auch die feineren Sorten in dieser Epoche vorzugsweise in Syrien und Phoenikien fabricirt wurden484, sich durch die [574] ganze Kaiserzeit gehalten; als Aurelian die Lieferungen aus Aegypten an die Reichshauptstadt auf andere Gegenstände als Getreide erstreckte, fehlte unter diesen die Leinewand und der Werg nicht. In feinen Glaswaaren behaupteten, sowohl in der Färbung wie in der Formung, die Alexandriner entschieden den ersten Platz, ja, wie sie meinten, insofern das Monopol, als gewisse beste Sorten nur mit ägyptischem Material herzustellen seien. Unbestritten hatten sie ein solches in dem Papyrus. Diese Pflanze, die im Alterthum massenweise auf den Flüssen und Seen Unteraegyptens cultivirt ward und sonst nirgends gedieh, lieferte den Eingeborenen sowohl Nahrung wie das Material für Stricke, Körbe und Kähne, das Schreibmaterial aber damals für die ganze schreibende Welt. Welchen Ertrag sie gebracht haben muß, ermißt man aus den Maßregeln, die der römische Senat ergriff, als einmal auf dem römischen Platz der Papyrus knapp ward und zu fehlen drohte; und da die mühsame Zubereitung nur an Ort und Stelle erfolgen kann, müssen zahllose Menschen davon in Aegypten gelebt haben. Auf Glas und Papyrus485 erstreckten sich neben dem Leinen die von Aurelian zu Gunsten der Reichshauptstadt eingeführten alexandrinischen Waarenlieferungen. Vielfach muß der Verkehr mit dem Osten auf die ägyptische Fabrikation bietend und verlangend eingewirkt haben. Gewebe wurden daselbst für den Export nach dem Orient fabricirt und zwar in der durch den Landesgebrauch geforderten Weise: die gewöhnlichen Kleider der Bewohner von Habesch waren ägyptisches Fabrikat; nach Arabien und Indien gingen die Prachtstoffe besonders der in Alexandreia kunstvoll betriebenen Bunt- und Goldwirkerei. Ebenso spielten die in Aegypten angefertigten Glaskorallen in dem Handel der africanischen Küste dieselbe Rolle wie heutzutage. Indien bezog theils Glasbecher, theils unverarbeitetes Glas zur eigenen Fabrikation; selbst am chinesischen Hof sollen die Glasgefäße, mit welchen die römischen Fremden dem Kaiser huldigten, hohe Bewunderung erregt haben. Aegyptische Kaufleute brachten dem König der Axomiten (Habesch) als stehende Geschenke [575] nach dortiger Landesart angefertigte Gold- und Silbergefäße, den civilisirteren Herrschern der südarabischen und der indischen Küste unter anderen Gaben auch Statuen, wohl von Bronze, und musikalische Instrumente. Dagegen sind die Materialien der Luxusfabrication, die aus dem Orient kamen, insbesondere Elfenbein und Schildpatt, schwerlich vorzugsweise in Aegypten, hauptsächlich wohl in Rom verarbeitet worden. Endlich kam in einer Epoche, welche in öffentlichen Prachtbauten ihres Gleichen niemals in der Welt gehabt hat, das kostbare Baumaterial, welches die aegyptischen Steinbrüche lieferten, in ungeheuren Massen auch außerhalb Aegyptens zur Verwendung: der schöne rothe Granit von Syene, die Breccia verde aus der Gegend von Kosêr, der Basalt, der Alabaster, seit Claudius der graue Granit und besonders der Porphyr der Berge oberhalb Myos Hormos. Die Gewinnung derselben ward allerdings größtentheils für kaiserliche Rechnung durch Strafcolonisten bewirkt; aber wenigstens der Transport muß dem ganzen Lande und namentlich der Stadt Alexandreia zu Gute gekommen sein. Welchen Umfang der aegyptische Verkehr und die aegyptische Fabrication gehabt hat, zeigt eine zufällig erhaltene Notiz über die Ladung eines durch seine Größe ausgezeichneten Lastsschiffes (ἄκατος), das unter Augustus den jetzt an der Porta del Popolo stehenden Obelisken mit seiner Basis nach Rom brachte; es führte außerdem 200 Matrosen, 1200 Passagiere, 400000 röm. Scheffel (34000 Hektoliter) Weizen und eine Ladung von Leinwand, Glas, Papier und Pfeffer. ›Alexandreia‹, sagt ein römischer Schriftsteller des 3. Jahrhunderts486, ist eine Stadt der Fülle, des Reichthums und der Ueppigkeit, in der Niemand müßig geht; dieser ist Glasarbeiter, jener Papierfabrikant, der dritte Leinweber; der einzige Gott ist das ›Geld‹. Es gilt dies verhältnißmäßig von dem ganzen Lande.

Von dem Handelsverkehr Aegyptens mit den südlich angrenzenden Landschaften so wie mit Arabien und Indien wird weiterhin eingehend die Rede sein. Derjenige mit den Ländern des Mittelmeers tritt in der [576] Ueberlieferung weniger hervor, zum Theil wohl weil er zu dem gewöhnlichen Gang der Dinge gehörte und nicht oft sich Veranlassung fand seiner besonders zu gedenken. Das aegyptische Getreide wurde von alexandrinischen Schiffern nach Italien geführt und in Folge dessen entstand in Portus bei Ostia ein dem alexandrinischen Sarapistempel nachgebildetes Heiligthum mit einer Schiffergemeinde487; aber an dem Vertrieb der aus Aegypten nach dem Westen gehenden Waaren werden diese Lastschiffe schwerlich in bedeutendem Umfang betheiligt gewesen sein. Dieser lag wahrscheinlich ebenso sehr und vielleicht mehr in der Hand der italischen Rheder und Capitäne als der aegyptischen; wenigstens gab es schon unter den Lagiden eine ansehnliche italische Niederlassung in Alexandreia488 und haben im Occident die aegyptischen Kaufleute nicht die gleiche Verbreitung gehabt wie die syrischen489. Die später zu erwähnenden Anordnungen Augusts, welche auf dem arabischen und dem indischen Meer den Handelsverkehr umgestalteten, fanden auf die Schiffahrt des mittelländischen keine Anwendung; die Regierung hatte kein Interesse daran hier die aegyptischen Kaufleute vor den übrigen zu begünstigen. Es blieb dort der Verkehr vermuthlich wie er war.

Aegypten war also nicht bloß in seinen anbaufähigen Theilen mit einer dichten ackerbauenden Bevölkerung besetzt, sondern auch, wie [577] schon die zahlreichen und zum Theil sehr ansehnlichen Flecken und Städte dies erkennen lassen, ein Fabrikland, und daher denn auch weitaus die am stärksten bevölkerte Provinz des römischen Reiches. Das alte Aegypten soll eine Bevölkerung von 7 Millionen gehabt haben; unter Vespasian zählte man in den officiellen Listen 71/2 Million kopfsteuerpflichtiger Einwohner, wozu die von der Kopfsteuer befreiten Alexandriner und sonstigen Griechen, so wie die wahrscheinlich nicht sehr zahlreichen Sclaven hinzutreten, so daß die Bevölkerung mindestens auf 8 Millionen Köpfe anzusetzen ist. Da das anbaufähige Areal heutzutage auf 500 deutsche Quadratmeilen, für die römische Zeit höchstens auf 700 veranschlagt werden kann, so wohnten damals in Aegypten auf der Quadratmeile durchschnittlich etwa 11000 Menschen.

Wenn wir den Blick auf die Bewohner Aegyptens richten, so sind die beiden das Land bewohnenden Nationen, die große Masse der Aegyptier und die kleine Minderzahl der Alexandriner, durchaus verschiedene Kreise490, wenn gleich zwischen beiden die Ansteckungskraft des Lasters und die allem Laster eigene Gleichartigkeit eine schlimme Gemeinschaft des Bösen gestiftet hat.

Die eingeborenen Aegyptier werden von ihren heutigen Nachkommen weder in der Lage noch in der Art sich weit entfernt haben. Sie waren genügsam, nüchtern, arbeitfähig und thätig, geschickte Handwerker und Schiffer und gewandte Kaufleute, festhaltend am alten Herkommen und am alten Glauben. Wenn die Römer versichern, daß die Aegyptier stolz seien auf die Geißelmale wegen begangener Steuerdefrau den491, so sind dies Anschauungen vom Standpunkt aus des Steuerbeamten. Es fehlte in der nationalen Cultur nicht an guten Keimen; bei aller Ueberlegenheit der Griechen auch in dem geistigen Kampfe der beiden so völlig verschiedenen Racen hatten die Aegyptier wieder manche und wesentliche Dinge vor den Hellenen voraus, und sie empfanden dies auch. Es ist schließlich doch der Rückschlag ihrer eigenen Empfindung, wenn die ägyptischen Priester der griechischen [578] Unterhaltungslitteratur die von den Hellenen sogenannte Geschichtsforschung und ihre Behandlung poetischer Märchen als wirklicher Ueberlieferung aus vergangenen Urzeiten verspotten; in Aegypten mache man keine Verse, aber ihre ganze alte Geschichte sei eingeschrieben auf den Tempeln und Gedächtnißsteinen; freilich seien jetzt nur noch wenige derselben kundig, da viele Denkmale zerstört seien und die Ueberlieferung zu Grunde gehe durch die Unwissenheit und die Gleichgültigkeit der Späteren. Aber diese berechtigte Klage trägt in sich selbst die Hoffnungslosigkeit; der ehrwürdige Baum der aegyptischen Civilisation war längst zum Niederschlagen gezeichnet. Der Hellenismus drang zersetzend bis an die Priesterschaft selbst. Ein aegyptischer Tempelschreiber Chaeremon, der als Lehrer der griechischen Philosophie an den Hof des Claudius für den Kronprinzen berufen ward, legte in seiner ›aegyptischen Geschichte‹ den alten Landesgöttern die Elemente der stoischen Physik unter und die in der Landesschrift geschriebenen Urkunden in diesem Sinne aus. In dem praktischen Leben der Kaiserzeit kam das alte aegyptische Wesen fast nur noch in Betracht auf dem religiösen Gebiet. Religion war diesem Volke eins und alles. Die Fremdherrschaft an sich wurde willig ertragen, man möchte sagen kaum empfunden, so lange sie die heiligen Gebräuche des Landes und was damit zusammenhing nicht antastete. Freilich hing damit in dem inneren Landesregiment so ziemlich alles zusammen, Schrift und Sprache, Priesterprivilegien und Priesterhoffart, Hofsitte und Landesart; die Fürsorge der Regierung für den derzeit lebenden heiligen Ochsen, die Leistungen für dessen Bestattung bei seinem Ableben und für die Auffindung des geeigneten Nachfolgers galten diesen Priestern und diesem Volke als das Kriterium der Tüchtigkeit des jedesmaligen Landesherrn und als der Maßstab für die ihm schuldige Achtung und Treue. Der erste Perserkönig führte sich damit in Aegypten ein, daß er das Heiligthum der Neith in Sais seiner Bestimmung, das heißt den Priestern zurückgab; der erste Ptolemaeos brachte, noch als makedonischer Statthalter, die nach Asien entführten aegyptischen Götterbilder an ihre alte Stätte zurück und restituirte den Göttern von Pe und Tep die ihnen entfremdeten Landschenkungen; für die bei dem großen Siegeszuge des Euergetes aus Persien heimgebrachten heiligen Tempelbilder statten die Landespriester in dem berühmten kanopischen Decret vom J. 238 vor Chr. dem König ihren Dank ab; die landübliche Einreihung der lebenden [579] Herrscher und Herrscherinnen in den Kreis der Landesgötter haben diese Ausländer ebenso mit sich vornehmen lassen wie die aegyptischen Pharaonen. Die römischen Herrscher sind diesem Beispiel nur in beschränktem Maße gefolgt. In der Titulatur gingen sie wohl, wie wir sahen (S. 565 A. 1), einigermaßen auf den Landescultus ein, vermieden aber doch, selbst in aegyptischer Fassung, die mit den occidentalischen Anschauungen in allzu grellem Contrast stehenden landüblichen Prädicate. Da diese Lieblinge des Ptah und der Isis in Italien gegen die ägyptische Götterverehrung ähnlich wie gegen die jüdische einschritten, ließen sie von solcher Liebe sich erklärlicher Weise außerhalb der Hieroglyphen nichts merken und betheiligten sich auch in Aegypten in keiner Weise an dem Dienst der Landesgötter. Wie hartnäckig immer die Landesreligion noch unter der Fremdherrschaft bei den eigentlichen Aegyptiern festgehalten ward, die Pariastellung, in welcher diese selbst neben den herrschenden Griechen und Römern sich befanden, drückte nothwendig auf den Cultus und die Priester, und von der führenden Stellung, dem Einfluße, der Bildung des alten aegyptischen Priesterstandes sind unter dem römischen Regiment nur dürftige Reste wahrzunehmen. Dagegen diente die von Hause aus schöner Gestaltung und geistiger Verklärung abgewandte Landesreligion in und außer Aegypten als Ausgangs- und Mittelpunkt für allen erdenklichen frommen Zauber und heiligen Schwindel – es genügt dafür zu erinnern an den in Aegypten heimischen dreimal größten Hermes mit der an seinen Namen sich knüpfenden Litteratur von Tractätchen und Wunderbüchern sowie der entsprechenden weitverbreiteten Praxis. In den Kreisen aber der Eingeborenen knüpften sich in dieser Epoche an den Cultus die ärgsten Mißbräuche – nicht bloß viele Tage hindurch fortgesetzte Zechgelage zu Ehren der einzelnen Ortsgottheiten mit der dazu gehörigen Unzucht, sondern auch dauernde Religionsfehden zwischen den einzelnen Sprengeln um den Vorrang des Ibis vor der Katze, des Krokodils vor dem Pavian. Im J. 127 n. Chr. wurden wegen eines solchen Anlasses die Ombiten im südlichen Aegypten von einer benachbarten Gemeinde492 bei einem Festgelage überfallen und es sollen die Sieger einen der Erschlagenen gefressen haben. [580] Bald nachher verzehrte die Hundegemeinde der Hechtgemeinde zum Trotz einen Hecht und diese jener zum Trotze einen Hund und es brach darüber zwischen diesen beiden Nomen ein Krieg aus, bis die Römer einschritten und beide Parteien abstraften. Dergleichen Vorgänge waren in Aegypten an der Tagesordnung. Auch sonst fehlte es an Unruhen im Lande nicht. Gleich der erste von Augustus bestellte Vicekönig von Aegypten mußte wegen vermehrter Steuern Truppen nach Oberaegypten senden, nicht minder, vielleicht ebenfalls in Folge des Steuerdrucks, nach Heroonpolis am oberen Ende des arabischen Meerbusens. Einmal, unter Kaiser Marcus, nahm ein Aufstand der eingeborenen Aegyptier sogar einen bedrohlichen Character an. Als in den schwer zugänglichen Küstensümpfen ostwärts von Alexandreia, der sogenannten ›Rinderweide‹ (bucolia), welche den Verbrechern und den Räubern als Zufluchtsort diente und eine Art Colonie derselben bildete, einige Leute von einer römischen Truppenabtheilung aufgegriffen wurden, erhob sich zu deren Befreiung die ganze Räuberschaft und die Landbevölkerung schloß sich an. Die römische Legion aus Alexandreia ging ihnen entgegen, aber sie wurde geschlagen und fast wäre Alexandreia selbst den Aufständischen in die Hände gefallen. Der Statthalter des Ostens Avidius Cassius rückte wohl mit seinen Truppen ein, wagte aber auch nicht gegen die Ueberzahl den Kampf, sondern zog es vor, in dem Bunde der Aufständischen Zwietracht hervorzurufen; nachdem die eine Bande gegen die andere stand, wurde die Regierung leicht ihrer aller Herr. Auch dieser sogenannte Rinderhirtenaufstand hat wahrscheinlich, wie dergleichen Bauernkriege meistens, einen religiösen Charakter getragen; der Führer Isidoros, der tapferste Mann Aegyptens, war seinem Stande nach ein Priester, und daß zur Bundesweihe nach Ableistung des Eides ein gefangener römischer Offizier geopfert und von den Schwörenden gegessen ward, paßt sowohl dazu wie zu dem Kannibalismus des Ombitenkrieges. Einen Nachklang dieser Vorgänge bewahren die aegyptischen Räubergeschichten der spätgriechischen untergeordneten Litteratur. Wie sehr übrigens dieselben der römischen Verwaltung zu schaffen gemacht haben mögen, einen politischen Zweck haben sie nicht gehabt und auch die allgemeine Ruhe des Landes nur partiell und temporär unterbrochen.

Neben den Aegyptiern stehen die Alexandriner, einigermaßen wie in Ostindien die Engländer neben den Landeseingeborenen. Allgemein gilt Alexandreia in der vorconstantinischen Kaiserzeit als die zweite[581] Stadt des römischen Reiches und die erste Handelsstadt der Welt. Sie zählte am Ende der Lagidenherrschaft über 300000 freie Einwohner, in der Kaiserzeit ohne Zweifel noch mehr. Die Vergleichung der beiden großen im Wetteifer mit einander erwachsenen Capitalen am Nil und am Orontes ergiebt ebenso viele Gleichartigkeiten wie Gegensätze. Beides sind verhältnißmäßig neue Städte, monarchische Schöpfungen aus dem Nichts, von planmäßiger Anlage und regelmäßiger städtischer Einrichtung; das Wasser läuft in jedem Hause wie in Antiocheia so auch in Alexandreia. An Schönheit der Lage und Pracht der Gebäude war die Stadt im Orontesthal der Rivalin ebenso überlegen wie diese ihr in der Gunst der Oertlichkeit für den Großhandel und an Volkszahl. Die großen öffentlichen Bauten der ägyptischen Hauptstadt, der königliche Palast, das der Akademie gewidmete Museion, vor allem der Tempel des Sarapis waren Wunderwerke einer früheren architektonisch hoch entwickelten Epoche; aber der großen Zahl kaiserlicher Anlagen in der syrischen Residenz hat die von wenigen der Caesaren betretene ägyptische Hauptstadt nichts entsprechendes entgegenzustellen.

In der Unbotmäßigkeit und der Oppositionslust gegen das Regiment stehen Antiochener und Alexandriner einander gleich; man kann hinzusetzen auch darin, daß beide Städte, und namentlich Alexandreia eben unter der römischen Regierung und durch dieselbe blühten und viel mehr Ursache hatten zu danken als zu frondiren. Wie die Alexandriner sich zu ihren hellenischen Regenten verhielten, davon zeugt die lange Reihe zum Theil noch heute gebräuchlicher Spottnamen, welche die königlichen Ptolemaeer ohne Ausnahme dem Publicum ihrer Hauptstadt verdankten. Auch Kaiser Vespasianus empfing von den Alexandrinern für die Einführung einer Steuer auf Salzfisch den Titel des Sardellensäcklers (Κυβιοσάκτης), der Syrer Severus Alexander den des Oberrabbiners; aber die Kaiser kamen selten nach Aegypten und die fernen und fremden Herrscher boten diesem Spott keine rechte Zielscheibe. In ihrer Abwesenheit widmete das Publicum wenigstens den Vicekönigen die gleiche Aufmerksamkeit mit beharrlichem Eifer; selbst die Aussicht auf unausbleibliche Züchtigung vermochte die oft witzige und immer freche Zunge dieser Städter nicht zum Schweigen zu bringen493.[582] Vespasian begnügte sich in Vergeltung jener ihm bewiesenen Aufmerksamkeit die Kopfsteuer um sechs Pfennige zu erhöhen und bekam dafür den weiteren Namen des Sechspfennigmanns; aber ihre Reden über Severus Antonnius, den kleinen Affen des großen Alexander und den Geliebten der Mutter Iokaste, sollten ihnen theurer zu stehen kommen. Der tückische Herrscher erschien in aller Freundschaft und ließ sich vom Volke feiern, dann aber seine Soldaten auf die festliche Menge einhauen, so daß Tage lang die Plätze und Straßen der großen Stadt in Blute schwammen; ja er ordnete die Auflösung der Akademie an und die Verlegung der Legion in die Stadt selbst, was freilich beides nicht zur Ausführung kam. Aber wenn es in Antiocheia in der Regel bei den Spottreden blieb, so griff der alexandrinische Pöbel bei dem geringsten Anlaß zum Stein und zum Knittel. Im Krawalliren, sagt ein selbst alexandrinischer Gewährsmann, sind die Aegyptier allen anderen voraus; der kleinste Funken genügt hier um einen Tumult zu entfachen. Wegen versäumter Visiten, wegen Confiscation verdorbener Lebensmittel, wegen Ausschließung aus einer Badeanstalt, wegen eines Streites zwischen dem Sclaven eines vornehmen Alexandriners und einem römischen Infanteristen über den Werth oder Unwerth der beiderseitigen Pantoffel haben die Legionen auf die Bürgerschaft von Alexandreia einhauen müssen. Es kam hier zum Vorschein, daß die niedere Schicht der alexandrinischen Bevölkerung zum größeren Theil aus Eingeborenen bestand; bei diesen Aufläufen spielten die Griechen freilich die Anstifter, wie denn die Rhetoren, das heißt hier die Hetzredner, dabei ausdrücklich erwähnt werden494, aber im weiteren Verlauf tritt dann die Tücke und die Wildheit des eigentlichen Aegyptiers ins Gefecht. Die Syrer sind feige und als Soldaten sind es die Aegyptier auch; aber im Straßentumult sind sie im Stande einen Muth zu entwickeln, der eines besseren Zieles würdig wäre495. An den Rennpferden [583] ergötzten sich die Antiochener wie die Alexandriner; aber hier endigte kein Wagenrennen ohne Steinwürfe und Messerstiche. Von der Judenhetze unter Kaiser Gaius wurden beide Städte ergriffen; aber in Antiocheia genügte ein ernstes Wort der Behörde, um ihr ein Ende zu machen, während der alexandrinischen von einigen Bengeln durch eine Puppenparade angezettelten tausende von Menschenleben zum Opfer fielen. Die Alexandriner, heißt es, gaben, wenn ein Auflauf entstand, nicht Frieden, bevor sie Blut gesehen hatten. Die römischen Beamten und Offiziere hatten daselbst einen schweren Stand. ›Alexandreia‹, sagt ein Berichterstatter aus dem 4. Jahrhundert, ›betreten die Statthalter mit Zittern und Zagen, denn sie fürchten die Volksjustiz; wo ein Statthalter ein Unrecht begeht, da folgt sofort das Anstecken des Palastes und die Steinigung‹. Das naive Vertrauen auf die Gerechtigkeit dieser Procedur bezeichnet den Standpunkt des Schreibers, der zu diesem ›Volke‹ gehört hat. Die Fortsetzung dieses die Regierung wie die Nation gleich entehrenden Lynchsystems liefert die sogenannte Kirchengeschichte, die Ermordung des den Heiden und den Orthodoxen gleich mißliebigen Bischofs Georgios und seiner Genossen unter Julian und die der schönen Freidenkerin Hypatia durch die fromme Gemeinde des Bischofs Kyrillos unter Theodosius II. Tückischer, unberechenbarer, gewaltthätiger waren diese alexandrinischen Aufläufe als die antiochenischen, aber ebenso wie diese weder für den Bestand des Reiches gefährlich noch auch nur für die einzelne Regierung. Leichtfertige und bösartige Buben sind recht unbequem, aber auch nur unbequem, im Hause wie im Gemeinwesen.

Auch in dem religiösen Wesen haben beide Städte eine analoge Stellung. Den Landescultus, wie die einheimische Bevölkerung ihn in Syrien wie in Aegypten festhielt, haben in seiner ursprünglichen Gestalt wie die Antiochener so auch die Alexandriner abgelehnt. Aber wie die Seleukiden, so haben auch die Lagiden sich wohl gehütet an den Grundlagen der alten Landesreligion zu rütteln und nur die älteren nationalen Anschauungen und Heiligthümer mit den schmiegsamen Gestalten des griechischen Olymp verquickend sie äußerlich einigermaßen hellenisirt, zum Beispiel den griechischen Gott der Unterwelt, [584] den Pluton unter dem bis dahin wenig genannten ägyptischen Götternamen Sarapis in den Landescultus eingeführt und auf diesen dann den alten Osiriscult allmählich übertragen496. So spielten die echt ägyptische Isis und der pseudo-ägyptische Sarapis in Alexandreia eine ähnliche Rolle wie in Syrien der Belos und der Elagabalos, und drangen auch in ähnlicher Weise wie diese, wenngleich weniger mächtig und heftiger angefochten, in der Kaiserzeit allmählich in den occidentalischen Cultus ein. In der bei Gelegenheit dieser religiösen Gebräuche und Feste entwickelten Unsittlichkeit und der durch priesterlichen Segen approbirten und stimulirten Unzucht hatten beide Städte sich einander nichts vorzuwerfen. – Bis in späte Zeit hinab hat der alte Cultus in dem frommen Lande Aegypten seine festeste Burg behauptet497. Die Restauration des alten Glaubens sowohl wissenschaftlich [585] in der an denselben sich anlehnenden Philosophie wie auch praktisch in der Abwehr der von den Christen gegen den Polytheismus gerichteten Angriffe und in der Wiederbelebung des heidnischen Tempeldienstes und der heidnischen Mantik hat ihren rechten Mittelpunkt in Alexandreia. Als dann der neue Glaube auch diese Burg eroberte, blieb die Landesart sich dennoch treu; die Wiege des Christenthums ist Syrien, die des Mönchthums Aegypten. Von der Bedeutung und der Stellung der Judenschaft, in welcher ebenfalls beide Städte sich gleichen, ist schon in anderer Verbindung die Rede gewesen (S. 489). Von der Regierung ins Land gerufene Einwanderer wie die Hellenen, standen sie wohl diesen nach und waren kopfsteuerpflichtig wie die Aegyptier, aber hielten sich und galten mehr als diese. Ihre Zahl betrug unter Vespasian eine Million, etwa den achten Theil der Gesammtbevölkerung Aegyptens, und wie die Hellenen wohnten sie vorzugsweise in der Hauptstadt, von deren fünf Vierteln zwei jüdisch waren. An anerkannter Selbständigkeit, an Ansehen, Bildung und Reichthum war die alexandrinische Judenschaft schon vor dem Untergang Jerusalems [586] die erste der Welt; und in Folge dessen hat ein guter Theil der letzten Acte der jüdischen Tragödie, wie dies früher dargelegt worden ist, auf ägyptischem Boden sich abgespielt.

Alexandreia wie Antiocheia sind vorzugsweise Sitze der wohlhabenden Handel- und Gewerbetreibenden; aber in Antiocheia fehlt der Seehafen und was daran hängt, und wie rege es dort auf den Gassen herging, sie hielten doch keinen Vergleich aus gegen das Leben und Treiben der alexandrinischen Fabrikarbeiter und Matrosen. Dagegen hatte für den Lebensgenuß, das Schauspiel, das Diner, die Liebesfreuden Antiocheia mehr zu bieten als die Stadt, in der ›niemand müßig ging‹. Auch das eigentliche vorzugsweise an die rhetorischen Exhibitionen anknüpfende Litteratentreiben, welches wir in der Schilderung Kleinasiens skizzirten, trat in Aegypten zurück498, wohl mehr im Drang der Geschäfte des Tages als durch den Einfluß der zahlreichen und gut bezahlten in Alexandreia lebenden und großentheils auch dort heimischen Gelehrten. Für den Gesammtcharakter der Stadt kamen diese Männer des Museums, von denen noch weiter die Rede sein wird, vor allem wenn sie in fleißiger Arbeit ihre Schuldigkeit thaten, nicht in hervorragender Weise in Betracht. Die alexandrinischen Aerzte aber galten als die besten im ganzen Reich; freilich war Aegypten nicht minder die rechte Heimstätte der Quacksalber und der Geheimmittel und jener wunderlichen civilisirten Form der Schäfermedi cin, in welcher fromme Einfalt und speculirender Betrug sich im Mantel der Wissenschaft drapiren. Des dreimal größten Hermes haben wir schon gedacht (S. 580); auch der alexandrinische Sarapis hat im Alterthum mehr Wundercuren verrichtet als irgend einer seiner Collegen und selbst den praktischen Kaiser Vespasian angesteckt, daß auch er die Blinden und Lahmen heilte, jedoch nur in Alexandreia.

Obgleich der Platz, welchen Alexandreia in der geistigen und litterarischen Entwickelung des späteren Griechenlands und der occidentalischen [587] Cultur überhaupt einnimmt oder einzunehmen scheint, nicht in einer Schilderung der örtlichen Zustände Aegyptens, sondern nur in derjenigen dieser Entwickelung selbst entsprechend gewürdigt werden kann, ist das alexandrinische Gelehrtenwesen und dessen Fortdauer unter dem römischen Regiment eine allzu merkwürdige Erscheinung, um nicht auch in dieser Verbindung in seiner allgemeinen Stellung berührt zu werden. Daß die Verschmelzung der orientalischen und der hellenischen Geisteswelt neben Syrien vorzugsweise in Aegypten sich vollzog, wurde schon bemerkt (S. 455); und wenn der neue Glaube, der den Occident erobern sollte, von Syrien ausging, so kam die ihm homogene Wissenschaft, diejenige Philosophie, welche neben dem Menschengeist und außerhalb desselben den überweltlichen Gott und die göttliche Offenbarung anerkennt und verkündet, vorzugsweise aus Aegypten, wahrscheinlich schon der neue Pythagoreismus, sicher das philosophische Neujudenthum, von dem früher die Rede war (S. 496) so wie der neue Platonismus, dessen Begründer, der Aegyptier Plotinos, ebenfalls schon (S. 455) erwähnt ward. Auf dieser vorzugsweis in Alexandreia sich vollziehenden Durchdringung der hellenischen und der orientalischen Elemente beruht es hauptsächlich, daß, wie dies in der Darstellung der italischen Verhältnisse näher darzulegen ist, der dortige Hellenismus in der früheren Kaiserzeit vorzugsweise aegyptische Form trägt. Wie die an Pythagoras, Moses, Platon anknüpfenden altneuen Weisheiten von Alexandreia aus in Italien eindrangen, so spielte die Isis und was dazu gehört die erste Rolle in der bequemen Modefrömmigkeit, welche die römischen Poeten der augustischen Zeit und die pompeianischen Tempel aus der des Claudius uns zeigen. Die aegyptische Kunstübung herrscht vor in den campanischen Fresken derselben Epoche wie in der tiburtinischen Villa Hadrians. Dem entspricht die Stellung, welche das alexandrinische Gelehrtenwesen in dem geistigen Leben der Kaiserzeit einnimmt. Nach außen hin beruht dasselbe auf der staatlichen Pflege der geistigen Interessen und würde mit mehr Recht an den Namen Alexanders anknüpfen als an den Alexandreias; es ist die Realisirung des Gedankens, daß in einem gewissen Stadium der Civilisation Kunst und Wissenschaft durch das Ansehen und die Machtmittel des Staats gestützt und gefördert werden müssen, die Consequenz des genialen Moments der Weltgeschichte, welcher Alexander und Aristoteles neben einander stellte. Es soll hier nicht gefragt werden, wie [588] in dieser mächtigen Conception Wahrheit und Irrthum, Beschädigung und Hebung des geistigen Lebens sich mit einander mischen, nicht die dürftige Nachblüthe des göttlichen Singens und des hohen Denkens der freien Hellenen einmal mehr gestellt werden neben den üppigen und doch auch großartigen Ertrag des späteren Sammelns, Forschens und Ordnens. Konnten die Institutionen, welche diesem Gedanken entsprangen, der griechischen Nation unwiederbringlich Verlorenes nicht oder, was schlimmer ist, nur scheinhaft erneuern, so haben sie ihr auf dem noch freien Bauplatz der geistigen Welt den einzig möglichen und auch einen herrlichen Ersatz gewährt. Für unsere Erwägung kommen vor Allem die örtlichen Verhältnisse in Betracht. Kunstgärten sind einigermaßen unabhängig vom Boden, und nicht anders ist es mit diesen wissenschaftlichen Institutionen, nur daß sie ihrem Wesen nach an die Höfe gewiesen sind. Die materielle Unterstützung kann ihnen auch anderswo zu Theil werden; aber wichtiger als diese ist die Gunst der höchsten Kreise, die ihnen die Segel schwellt, und die Verbindungen, welche in den großen Centren zusammenlaufend diese Kreise der Wissenschaft füllen und erweitern. In der besseren Zeit der Alexandermonarchien hatte es solcher Centren so viele gegeben als es Staaten gab, und dasjenige des Lagidenhofs war nur das angesehenste unter ihnen gewesen. Die römische Republik hatte die übrigen eines nach dem andern in ihre Gewalt gebracht und mit den Höfen auch die dazu gehörigen wissenschaftlichen Anstalten und Kreise beseitigt. Daß der künftige Augustus, als er den letzten dieser Höfe aufhob, die damit verknüpften gelehrten Institute bestehen ließ, ist die rechte und nicht die schlechteste Signatur der veränderten Zeit. Der energischere und höhere Philhellenismus des Caesarenregiments unterschied sich zu seinem Vortheil von dem republikanischen dadurch, daß er nicht bloß griechischen Litteraten in Rom zu verdienen gab, sondern die große Tutel der griechischen Wissenschaft als einen Theil der Alexanderherrschaft betrachtete und behandelte. Freilich war, wie in dieser gesammten Regeneration des Reiches, der Bauplan großartiger als der Bau. Die königlich patentirten und pensionirten Musen, welche die Lagiden nach Alexandreia gerufen hatten, verschmähten es nicht die gleichen Bezüge auch von den Römern anzunehmen; und die kaiserliche Munificenz stand hinter der früheren königlichen nicht zurück. Der Biblio thekfonds von Alexandreia und der Fonds der Freistellen für Philosophen, Poeten, Aerzte und [589] Gelehrte aller Art499 so wie die diesen gewährten Immunitäten wurden von Augustus nicht vermindert, von Kaiser Claudius vermehrt, freilich mit der Auflage, daß die neuen claudischen Akademiker die griechischen Geschichtswerke des wunderlichen Stifters Jahr für Jahr in ihren Sitzungen zum Vortrag zu bringen hatten. Mit der ersten Bibliothek der Welt behielt Alexandreia zugleich durch die ganze Kaiserzeit einen gewissen Primat der wissenschaftlichen Arbeit, bis das Museion zu Grunde ging und der Islam die antike Civilisation erschlug. Es war auch nicht bloß die damit gebotene Gelegenheit, sondern zugleich die alte Tradition und die Geistesrichtung dieser Hellenen, welche der Stadt jenen Vorrang bewahrte, wie denn unter den Gelehrten die geborenen Alexandriner an Zahl und Bedeutung hervorragen. Auch in dieser Epoche sind zahlreiche und achtbare gelehrte Arbeiten, namentlich philologische und physikalische, aus dem Kreise der Gelehrten ›vom Museum‹, wie sie gleich den Parisern ›vom Institut‹ sich titulirten, hervorgegangen; aber die litterarische Bedeutung, welche die alexandrinische und die pergamenische Hofwissenschaft und Hofkunst in der besseren Epoche des Hellenismus für die gesammte hellenische und hellenisirende Welt gehabt hat, knüpfte nie auch nur entfernt sich an die römisch-alexandrinische. Die Ursache liegt nicht in dem Mangel an Talenten oder anderen Zufälligkeiten, am wenigsten daran, daß der Platz im Museum vom Kaiser zuweilen nach Gaben und immer nach Gunst vergeben ward und die Regierung damit völlig schaltete wie mit dem Ritterpferd und den Hausbeamtenstellungen; das war auch an den älteren Höfen nicht anders gewesen. Hofphilosophen und Hofpoeten [590] blieben in Alexandreia, aber nicht der Hof; es zeigte sich hier recht deutlich, daß es nicht auf die Pensionen und Gratificationen ankam, sondern auf die für beide Theile belebende Berührung der großen politischen und der großen wissenschaftlichen Arbeit. Diese stellte wohl für die neue Monarchie sich ein und damit auch ihre Consequenzen; aber die Stätte dafür war nicht Alexandreia: diese Blüthe der politischen Entwickelung gehörte billig den Lateinern und der lateinischen Hauptstadt. Die augustische Poesie und die augustische Wissenschaft sind unter ähnlichen Verhältnissen zu ähnlicher bedeutender und erfreulicher Entwickelung gelangt wie die hellenistische an dem Hof der Pergamener und der früheren Ptolemaeer. Sogar in dem griechischen Kreise knüpfte, so weit die römische Regierung auf denselben im Sinne der Lagiden einwirkte, mehr als an Alexandreia sich dies an Rom an. Die griechischen Bibliotheken der Hauptstadt standen freilich der alexandrinischen nicht gleich und ein dem alexandrinischen Museum vergleichbares Institut gab es in Rom nicht. Aber die Stellung an den römischen Bibliotheken öffnete die Beziehungen zu dem Hofe. Auch die von Vespasian eingerichtete von der Regierung besetzte und besoldete hauptstädtische Professur der griechischen Rhetorik gab ihrem Inhaber, wenn er gleich nicht in dem Sinne Hausbeamter war wie der kaiserliche Bibliothekar, eine ähnliche Stellung und galt, ohne Zweifel deßwegen, als der vornehmste Lehrstuhl des Reiches500. Vor allem aber war das kaiserliche Kabinetssecretariat in seiner griechischen Abtheilung die angesehenste und einflußreichste Stellung, zu der ein griechischer Litterat überhaupt gelangen konnte. Versetzung von der alexandrinischen Akademie in ein derartiges hauptstädtisches Amt war nachweislich Beförderung501. Auch abgesehen von allem, was die griechischen Litteraten sonst allein in Rom fanden, genügten die Hofstellungen und die Hofämter, um den angesehensten von ihnen den Zug vielmehr dahin zu geben als an den ägyptischen ›Freitisch‹. Das gelehrte Alexandreia dieser Zeit ward eine Art Wittwensitz der[591] griechischen Wissenschaft, achtungswerth und nützlich, aber auf den großen Zug der Bildung wie der Verbildung der Kaiserzeit von keinem durchschlagenden Einfluß; die Plätze im Museum wurden, wie billig, nicht selten an namhafte Gelehrte von auswärts vergeben und für das Institut selbst kamen die Bücher der Bibliothek mehr in Betracht als die Bürger der großen Handels- und Fabrikstadt.


Die militärischen Verhältnisse Aegyptens stellten, eben wie in Syrien, den Truppen daselbst eine zwiefache Aufgabe: den Schutz der Südgrenze und der Ostküste, der freilich mit dem für die Euphratlinie erforderlichen nicht entfernt verglichen werden kann, und die Aufrechthaltung der inneren Ordnung im Lande wie in der Hauptstadt. Die römische Besatzung bestand, abgesehen von den bei Alexandreia und auf dem Nil stationirten Schiffen, die hauptsächlich für die Zollcontrole gedient zu haben scheinen, unter Augustus aus drei Legionen nebst den dazu gehörigen nicht zahlreichen Hülfstruppen, zusammen etwa 20000 Mann. Es war dies etwa halb so viel, als er für die sämmtlichen asiatischen Provinzen bestimmte, was der Wichtigkeit dieser Provinz für die neue Monarchie entsprach. Die Besatzung wurde aber wahrscheinlich noch unter Augustus selbst um ein Drittel und dann unter Domitian um ein weiteres Drittel vermindert. Anfänglich waren zwei Legionen außerhalb der Hauptstadt stationirt; das Hauptlager aber und bald das einzige lag vor den Thoren derselben, da wo Caesar der Sohn den letzten Kampf mit Antonius ausgefochten hatte, in der danach benannten Vorstadt Nikopolis. Diese hatte ihr eigenes Amphitheater und ihr eigenes kaiserliches Volksfest und war völlig selbständig eingerichtet, so daß eine Zeit lang die öffentlichen Lustbarkeiten von Alexandreia durch die ihrigen in Schatten gestellt wurden. Die unmittelbare Bewachung der Grenze fiel den Auxilien zu. Dieselben Ursachen also, welche in Syrien die Disciplin lockerten, die zunächst polizeiliche Aufgabe und die unmittelbare Berührung mit der großen Hauptstadt, kamen auch für die aegyptischen Truppen ins Spiel; hier trat noch hinzu, daß die üble Gewohnheit den Soldaten bei der Fahne das eheliche Leben oder doch ein Surrogat desselben zu gestatten und die Truppe aus diesen Lagerkindern zu ergänzen bei den makedonischen Regimentern der Ptolemaeer seit langem einheimisch war und [592] rasch auch bei den Römern sich wenigstens bis zu einem gewissen Grade einbürgerte. Dem entsprechend scheint das aegyptische Corps, in welchem die Occidentalen noch seltener dienten als in den übrigen Armeen des Ostens und das zum großen Theil aus der Bürgerschaft und dem Lager von Alexandreia sich recrutirte, unter allen Armeecorps das am wenigsten angesehene gewesen zu sein, wie denn auch die Offiziere dieser Legion, wie schon bemerkt ward, im Rang denen der übrigen nachstanden.

Die eigentlich militärische Aufgabe der ägyptischen Truppen hängt eng zusammen mit den Maßregeln für die Hebung des aegyptischen Handels. Es wird angemessen sein beides zusammenzufassen und zunächst die Beziehungen zu den continentalen Nachbaren im Süden, sodann diejenigen zu Arabien und Indien im Zusammenhang darzulegen.

Aegypten reicht nach Süden, wie schon bemerkt, bis zu der Schranke, welche der letzte Katarrakt unweit Syene (Assuân) der Schiffahrt entgegenstellt. Jenseit Syene beginnt der Stamm der Kesch, wie die Aegypter sie nennen, oder, wie die Griechen übersetzen, der Dunkelfarbigen, der Aethiopen, wahrscheinlich den später zu erwähnenden Urbewohnern Abessiniens stammverwandt und wenn auch vielleicht aus der gleichen Wurzel wie die Aegyptier entsprungen, doch in der geschichtlichen Entwickelung als fremdes Volk ihnen gegenüber stehend. Weiter südwärts folgen die Nahsiu der Aegypter, das heißt die Schwarzen, die Nubier der Griechen, die heutigen Neger. Die Könige Aegyptens hatten in besseren Zeiten ihre Herrschaft weit in das Binnenland hinein ausgedehnt oder es hatten wenigstens auswandernde Aegyptier hier sich eigene Herrschaften gegründet; die schriftlichen Denkmäler des pharaonischen Regiments gehen bis oberhalb des dritten Katarrakts nach Dongola hinein, wo Nabata (bei Nûri) der Mittelpunkt ihrer Niederlassungen gewesen zu sein scheint; und noch beträchtlich weiter stromaufwärts, etwa sechs Tagereisen nördlich von Chartum, bei Schendi im Sennaar, in der Nähe der früh verschollenen Aethiopenstadt Meroe finden sich Gruppen freilich schriftloser Tempel und Pyramiden. Als Aegypten römisch ward, war es mit dieser Machtentwickelung längst vorbei und herrschte jenseit Syene ein aethiopischer Stamm unter Königinnen, die stehend den Namen oder den Titel Kandake führten502 und in jenem einst aegyptischen Nabata in Dongola [593] residirten; ein Volk auf niedriger Stufe der Civilisation, überwiegend Hirten, im Stande ein Heer von 30000 Mann aufzubringen, aber gerüstet mit Schilden von Rindshäuten, bewehrt meist nicht mit Schwertern, sondern mit Beilen oder Lanzen und eisenbeschlagenen Keulen; räuberische Nachbaren, im Gefecht den Römern nicht gewachsen. [24. 23] Diese fielen im J. 730 oder 731 in das römische Gebiet ein, wie sie behaupteten, weil die Vorsteher der nächsten Nomen sie geschädigt hätten, wie die Römer meinten, weil die aegyptischen Truppen damals großentheils in Arabien beschäftigt waren und sie hofften ungestraft plündern zu können. In der That überwanden sie die drei Cohorten, die die Grenze deckten und schleppten aus den nächsten aegyptischen Distrikten Philae, Elephantine, Syene die Bewohner als Sclaven fort und als Siegeszeichen die Statuen des Kaisers, die sie dort vorfanden. Aber der Statthalter, der eben damals die Verwaltung des Landes übernahm, Gaius Petronius vergalt den Angriff rasch; mit 10000 Mann zu Fuß und 800 Reitern trieb er sie nicht bloß zum Lande hinaus, sondern folgte ihnen den Nil entlang in ihr eigenes Land, schlug sie nachdrücklich bei Pselchis (Dakke) und erstürmte ihre feste Burg Premis (Ibrim) so wie die Hauptstadt selbst, die er zerstörte. Zwar erneuerte die Königin, ein tapferes Weib, im nächsten Jahre den Angriff und versuchte Premis, wo römische Besatzung geblieben war, zu erstürmen; aber Petronius brachte rechtzeitig Entsatz und so entschloß sich die Aethiopin Gesandte zu senden und um Frieden zu bitten. Der Kaiser gewährte ihn nicht bloß, sondern befahl das unterworfene Gebiet zu räumen und wies den Vorschlag seines Statthalters ab die Besiegten tributpflichtig zu machen. Insofern ist dieser sonst nicht bedeutende Vorgang bemerkenswerth, als gleich damals der bestimmte Entschluß der römischen Regierung sich zeigte zwar das Nilthal, so weit der Fluß schiffbar ist, unbedingt zu behaupten, aber von der Besitznahme der weiten Landschaften am oberen Nil ein für allemal abzusehen. Nur die Strecke von Syene, wo unter Augustus die Grenztruppen standen, bis nach Hiera Sykaminos (Maharraka), das sogenannte Zwölfmeilenland (Δωδεκάσχοινος) ist zwar niemals als Nomos eingerichtet und nie als ein Theil Aegyptens, aber doch als zum Reiche gehörig betrachtet worden; und spätestens unter Domitian wurden selbst die Posten bis nach Hiera Sykaminos vorgerückt503. Dabei ist es im Wesentlichen [594] geblieben. Die von Nero geplante orientalische Expedition (S. 393) sollte allerdings auch Aethiopien umfassen; aber es blieb bei der vorläufigen Erkundung des Landes durch römische Offiziere bis über Meroe hinauf. Das nachbarliche Verhältniß muß an der aegyptischen Südgrenze bis in die Mitte des dritten Jahrhunderts im Ganzen friedlicher Art gewesen sein, wenn es auch an kleineren Händeln mit jener Kandake und mit ihren Nachfolgerinnen, die längere Zeit sich behauptet zu haben scheinen, später vielleicht mit anderen jenseit der Reichsgrenze zur Vormacht gelangenden Stämmen, nicht gefehlt haben wird. Erst als daß Reich in der valerianisch-gallienischen Zeit aus den Fugen ging, brachen die Nachbaren auch über diese Grenze. Es ist schon (S. 570) erwähnt worden, daß die in den Gebirgen an der Südostgrenze ansässigen früher den Aethiopen gehorchenden Blemyer, ein Barbarenvolk von entsetzlicher Roheit, welches noch Jahrhunderte später sich der Menschenopfer nicht entwöhnt hatte, in dieser Epoche selbständig gegen Aegypten vorging und im Einverständniß mit den Palmyrenern einen guten Theil Oberaegyptens besetzte und eine Reihe von Jahren behauptete. Der tüchtige Kaiser Probus vertrieb sie; aber die einmal begonnenen Einfälle hörten nicht auf504, und Kaiser Diocletianus entschloß [595] sich die Grenze zurückzunehmen. Das schmale Zwölfmeilenland forderte starke Besatzung und trug dem Staate wenig ein. Die Nubier, welche in der libyschen Wüste hausten und besonders die große Oase stetig heimsuchten, gingen darauf ein ihre alten Sitze aufzugeben und sich in dieser Landschaft anzusiedeln, die ihnen förmlich abgetreten ward; zugleich wurden ihnen sowohl wie ihren östlichen Nachbaren, den Blemyern, feste Jahrgelder ausgesetzt, dem Namen nach um sie für die Grenzbewachung zu entschädigen, in der That ohne Zweifel als Abkaufsgelder für ihre Plünderzüge, die natürlich dennoch nicht aufhörten. Es war ein Schritt zurück, der erste, seit Aegypten römisch war.

Von dem kaufmännischen Verkehr an dieser Grenze ist aus dem Alterthum wenig überliefert. Da die Katarrakten des oberen Nils den unmittelbaren Wasserweg sperrten, hat sich der Verkehr zwischen dem inneren Africa und den Aegyptiern, namentlich der Elfenbeinhandel in römischer Zeit mehr über die abessinischen Häfen als am Nil hin bewegt; aber gefehlt hat er auch in dieser Richtung nicht505. Die auf der Insel Philae zahlreich neben den Aegyptiern wohnenden Aethiopen sind offenbar meistens Kaufleute gewesen und der hier vorwaltende Grenzfrieden wird das Seinige beigetragen haben zum Aufblühen der oberaegyptischen Grenzstädte und des aegyptischen Handels überhaupt.

Die Ostküste Aegyptens stellt der Entwickelung des Weltverkehrs eine schwer zu lösende Aufgabe. Der durchgängig öde und felsige Strand ist eigentlicher Cultur unfähig und in alter wie in neuer Zeit eine Wüste506. Dagegen nähern die beiden für die Culturentwickelung der alten Welt vorzugsweise wichtigen Meere, das mittelländische und [596] das rothe oder indische sich einander am meisten an den beiden nördlichsten Spitzen des letzteren, dem persischen und dem arabischen Golf; jener nimmt den Euphrat in sich auf, der in seinem mittleren Lauf dem mittelländischen Meere nahe kommt; dieser ist nur wenige Tagemärsche entfernt von dem in dasselbe Meer fließenden Nil. Daher nimmt in alter Zeit der Handelsverkehr zwischen dem Osten und dem Westen überwiegend entweder die Richtung auf dem Euphrat zu der syrischen und der arabischen Küste oder er wendet sich von der Ostküste Aegyptens nach dem Nil. Die Verkehrswege vom Euphrat her sind älter als die über den Nil; aber die letzteren haben den Vorzug der besseren Schiffbarkeit des Stromes und des kürzeren Landtransports; die Beseitigung des letzteren durch Herstellung einer künstlichen Wasserstraße ist bei dem Euphratweg ausgeschlossen, bei dem ägyptischen in alter wie in neuer Zeit wohl schwierig, aber nicht unmöglich befunden. Sonach ist dem Land Aegypten von der Natur selbst vorgeschrieben die Ostküste mit dem Nillauf und der nördlichen Küste durch Land-oder Wasserstraßen zu verbinden; und es gehen auch die Anfänge derartiger Anlagen bis zurück in die Zeit derjenigen einheimischen Herrscher, welche zuerst Aegypten dem Ausland und dem großen Handelsverkehr erschlossen. Auf den Spuren, wie es scheint, älterer Anlagen der großen Regenten Aegyptens Sethi I und Rhamses II begann der Sohn Psammetichs König Necho (610-594 vor Chr.) den Bau eines Kanals, der in der Nähe von Kairo vom Nil abzweigend eine Wasserverbindung mit den Bitterseen bei Ismailîe und durch diese mit dem rothen Meer herstellen sollte, ohne indeß das Werk vollenden zu können. Daß er dabei nicht bloß die Beherrschung des arabischen Golfs und den Handelsverkehr mit den Arabern in das Auge faßte, sondern das persische und das indische Meer und der entlegenere Osten bereits in den Horizont dieses Aegyptierkönigs getreten waren, ist deßwegen wahrscheinlich, weil derselbe Herrscher die einzige im Alterthum ausgeführte Umschiffung Africas veranlaßt hat. Außer Zweifel ist dies für König Dareios I., den Herrn sowohl Persiens wie Aegyptens; er vollendete den Kanal, aber, wie seine an Ort und Stelle aufgefundenen Denksteine melden, ließ er ihn selbst wieder verschütten, wahrscheinlich weil seine Ingenieure befürchteten, daß das Meerwasser, eingelassen in den Kanal, die Gefilde Aegyptens überschwemmen werde.

Der Wettkampf der Lagiden und der Seleukiden, welcher die [597] Politik der nachalexandrischen Zeit überhaupt beherrscht, war zugleich ein Kampf zwischen dem Euphrat und dem Nil. Jener war im Besitz, dieser der Prätendent; und in der besseren Zeit der Lagiden ist die friedliche Offensive mit großer Energie geführt worden. Nicht bloß wurde jener von Necho und Dareios unternommene Kanal, jetzt der ›Fluß Ptolemaeos‹ genannt, durch den zweiten Ptolemaeer Philadelphos († 247 vor Chr.) zum ersten Mal der Schiffahrt eröffnet, sondern es wurden auch an den für die Sicherheit der Schiffe und für die Verbindung mit dem Nil am besten geeigneten Puncten der schwierigen Ostküste umfassende Hafenbauten ausgeführt. Vor allem geschah dies an der Mündung des zum Nil führenden Kanals, bei den Ortschaften Arsinoe, Kleopatris, Klysma, alle drei in der Gegend des heutigen Suez. Weiter abwärts entstanden außer manchen kleineren Anlagen die beiden bedeutenden Emporien Myos Hormos, etwas oberhalb des heutigen Kosêr, und Berenike im Trogodytenland, ungefähr in gleicher Breite mit Syene am Nil so wie mit dem arabischen Hafen Leuke Kome, von der Stadt Koptos, bei der der Nil am weitesten östlich vorspringt, jenes 6-7, dieses 11 Tagemärsche entfernt und durch quer durch die Wüste angelegte mit großen Cisternen versehene Straßen mit diesem Hauptemporium am Nil verbunden. Der Waarenverkehr der Ptolemaeerzeit ist wahrscheinlich weniger durch den Kanal gegangen als über diese Landwege nach Koptos.

Ueber jenes Berenike im Trogodytenland hinaus hat sich das eigentliche Aegypten der Lagiden nicht erstreckt. Die weiter gegen Süden liegenden Ansiedelungen Ptolemais ›für die Jagd‹ unterhalb Suâkin, und die südlichste Ortschaft des Lagidenreichs, das spätere Adulis, damals vielleicht ›Berenike die goldene‹ oder ›bei Saba‹ genannt, Zula unweit des heutigen Massaua, bei weitem der beste Hafen an dieser ganzen Küste, sind nicht mehr gewesen als Küstenforts und haben mit Aegypten nicht in Landverbindung gestanden. Auch sind diese entlegenen Ansiedelungen ohne Zweifel unter den späteren Lagiden entweder verloren gegangen oder freiwillig aufgegeben worden, und war in der Epoche, wo die römische Herrschaft eintritt, wie im Binnenland Syene, so an der Küste das trogodytische Berenike die Reichsgrenze.

In diesem von den Aegyptiern nie besetzten oder früh geräumten Gebiet bildete sich, sei es am Ausgang der Lagidenepoche, sei es in der ersten Kaiserzeit ein unabhängiger Staat von Ausdehnung und Bedeutung. [598] derjenige der Axomiten507, entsprechend dem heutigen Habesch. Er führt seinen Namen von der im Herzen dieses Alpenlandes acht Tagereisen vom Meer in der heutigen Landschaft Tigre gelegenen Stadt Axômis, dem heutigen Axum; als Hafen dient ihm das schon erwähnte beste Emporium an dieser Küste, Adulis in der Bucht von Massaua. Die ursprüngliche Bevölkerung dieser Landschaft mag wohl das Agau gesprochen haben, von welcher Sprache sich noch heute in einzelnen Strichen des Südens reine Ueberreste behaupten und die dem gleichen hamitischen Kreise mit den heutigen Bedscha, Dankali, Somali, Galla angehört; der ägyptischen Bevölkerung scheint dieser Sprachkreis in ähnlicher Weise verwandt wie die Griechen mit den Kelten und den Slaven, so daß hier wohl für die Forschung eine Verwandtschaft, für das geschichtliche Dasein aber vielmehr allein der Gegensatz besteht. Aber bevor unsere Kunde von diesem Lande auch nur beginnt, müssen überlegene semitische zu den himjaritischen Stämen des südlichen Arabiens gehörige Einwanderer den schmalen Meerbusen überschritten und ihre Sprache wie ihre Schrift dort einheimisch gemacht [599] haben. Die alte, erst lange nach römischer Zeit im Volksgebrauch erloschene Schriftsprache von Habesch, das Ge'ez oder, wie sie fälschlich meist genannt wird, die äthiopische508 ist rein semitisch509 und die jetzt noch lebenden Dialekte, namentlich das Tigriña sind es im Wesentlichen auch, nur durch die Einwirkung des älteren Agau getrübt. – Ueber die Anfänge dieses Gemeinwesens hat sich keine Ueberlieferung erhalten. Am Ausgang der neronischen Zeit und vielleicht schon lange vorher herrschte der König der Axomiten an der africanischen Küste etwa von Suâkin bis zur Straße Bab el Mandeb. Einige Zeit darauf – näher läßt sich die Epoche nicht bestimmen – finden wir ihn als Grenznachbar der Römer an der Südgrenze Aegyptens, auch an der anderen Küste des arabischen Meerbusens in dem Zwischengebiet zwischen dem römischen Besitz und dem der Sabaeer in kriegerischer Thätigkeit, also nach Norden mit dem römischen Gebiet auch in Arabien sich unmittelbar berührend, überdies die africanische Küste außerhalb des Busens vielleicht bis zum Cap Guardafui beherrschend. Wie weit sich sein Gebiet von Axomis landeinwärts erstreckt hat, erhellt nicht; Aethiopien, das heißt Sennaar und Dongola, haben wenigstens in der früheren Kaiserzeit schwerlich dazu gehört; vielmehr mag zu der Zeit das Reich von Nabata neben dem axomitischen bestanden haben. Wo uns die Axomiten entgegentreten, finden wir sie auf einer verhältnißmäßig vorgeschrittenen Stufe der Entwickelung. Unter Augustus hob sich der ägyptische Handelsverkehr nicht minder wie mit Indien so mit diesen africanischen Häfen. Der König gebot nicht bloß über ein Heer, sondern, wie dies schon seine Beziehungen zu Arabien voraussetzen, auch über eine Flotte. Den König Zoskales, der in Vespasians Zeit in Axomis regierte, nennt ein griechischer Kaufmann, der in Adulis gewesen war, einen rechtschaffenen und der griechischen Schriftkundigen Mann; einer seiner Nachfolger hat an Ort und Stelle eine in geläufigem Griechisch verfaßte Denkschrift aufgestellt, die seine Thaten den Fremden erzählte; er [600] selbst nennt sich in derselben einen Sohn des Ares, welchen Titel die Könige der Axomiten bis in das vierte Jahrhundert hinab beibehielten und widmet den Thron, der jene Denkschrift trägt, dem Zeus, dem Ares und dem Poseidon. Schon zu Zoskales Zeit nennt jener Fremde Adulis einen wohlgeordneten Handelsplatz; seine Nachfolger nöthigten die schweifenden Stämme der arabischen Küste zu Lande wie zur See Frieden zu halten und stellten eine Landverbindung her von ihrer Hauptstadt bis an die römische Grenze, was bei der Beschaffenheit dieser zunächst auf Seeverbindung angewiesenen Landschaft nicht gering anzuschlagen ist. Unter Vespasian dienten Messingstücke, die nach Bedürfniß getheilt wurden, den Eingeborenen statt des Geldes und circulirte die römische Münze nur bei den in Adulis ansässigen Fremden; in der späteren Kaiserzeit haben die Könige selber geprägt. Daneben nennt der axomitische Herrscher sich König der Könige und keine Spur deutet auf römische Clientel; er übt die Prägung in Gold, was die Römer nicht bloß in ihrem Gebiet, sondern auch in ihrem Machtbereich nicht zuließen. Es giebt in der Kaiserseit außerhalb der römisch-hellenischen Grenzen kaum ein anderes Land, welches in gleicher Selbständigkeit dem hellenischen Wesen bei sich eine Stätte bereitet hätte wie der Staat von Habesch. Daß im Lauf der Zeit die einheimische oder vielmehr aus Arabien eingebürgerte Volkssprache die Alleinherrschaft zurückgewann und das Griechische verdrängte, ist wahrscheinlich theils auf arabischen Einfluß zurückzuführen, theils auf den des Christenthums und die damit zusammenhängende Wiederbelebung der Volksdialekte, wie wir sie auch in Syrien und in Aegypten fanden, und schließt nicht aus, daß die griechische Sprache in Axomis und Adulis im 1. und 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung eine ähnliche Stellung gehabt hat wie in Syrien und in Aegypten, so weit es eben gestattet ist Kleines mit Großem zu vergleichen.

Von politischen Beziehungen der Römer zu dem Staat von Axomis wird aus den ersten drei Jahrhunderten unserer Zeitrechnung, auf welche unsere Erzählung sich beschränkt, kaum etwas gemeldet. Mit dem übrigen Aegypten nahmen sie auch die Häfen der Ostküste in Besitz bis hinab zu dem abgelegenen und darum in römischer Zeit unter einen eigenen Commandanten gestellten trogodytischen Berenike510. An Gebietserweiterung in die unwirthlichen und werthlosen [601] Küstengebirge hinein ist hier nie gedacht worden; auch kann die dünne und auf der niedrigsten Stufe der Entwickelung stehende Bevölkerung des nächst angrenzenden Gebiets den Römern niemals ernsthaft zu schaffen gemacht haben. Ebenso wenig haben die Caesaren so, wie es die früheren Lagiden gethan hatten, sich der Emporien der axomitanischen Küste zu bemächtigen versucht. Ausdrücklich gemeldet wird nur, daß Gesandte des Axomitenkönigs mit Kaiser Aurelian verhandelten. Aber eben dieses Stillschweigen so wie die früher bezeichnete unabhängige Stellung des Herrschers511 führen darauf, daß hier die geltenden Grenzen beiderseits dauernd respectirt wurden und ein gutes nachbarliches Verhältniß bestand, welches den Interessen des Friedens und vornehmlich dem ägyptischen Handelsverkehr zu Gute kam. Daß dieser, insbesondere der wichtige Elfenbeinhandel, in welchem Adulis für das innere Africa das hauptsächliche Entrepot war, überwiegend von Aegypten aus und auf ägyptischen Schiffen geführt worden ist, kann bei der überlegenen Civilisation Aegyptens schon für die Lagidenzeit keinem Zweifel unterliegen, und auch in römischer Zeit hat dieser Verkehr sich wohl nur gesteigert, nicht weiter geändert.

Bei weitem wichtiger als der Verkehr mit dem africanischen Süden war für Aegypten und das römische Reich überhaupt der Verkehr mit Arabien und den weiter östlich gelegenen Küsten. Die arabische Halbinsel ist dem hellenischen Culturkreise fern geblieben. Es wäre wohl anders gekommen, wenn König Alexander ein Jahr länger gelebt hätte; der Tod raffte ihn weg mitten in den Vorbereitungen die bereits erkundete arabische Südküste vom persischen Meerbusen aus zu umfahren und zu besetzen. Aber die Fahrt, die der große König nicht hatte antreten können, hat nach ihm nie ein Grieche unternommen. Seit fernster Zeit hat dagegen zwischen den beiden Küsten des arabischen Meerbusens ein lebhafter Verkehr über das mäßig breite Wasser hinüber [602] stattgefunden. In den aegyptischen Berichten aus der Pharaonenzeit spielen die Seefahrten nach dem Land Punt, die von dort heimgebrachte Beute an Weihrauch, Ebenholz, Smaragden, Leopardenfellen eine bedeutende Rolle. Daß späterhin der nördliche Theil der arabischen Westküste zu dem Gebiet der Nabataeer gehörte und mit diesem in die Gewalt der Römer kam, ist schon angegeben worden (S. 476). Es war dies ein ödes Gestade512; nur das Emporium Leuke Kome, die letzte Stadt der Nabataeer und insofern auch des römischen Reiches, stand nicht bloß mit dem gegenüber liegenden Berenike in Seeverkehr, sondern war auch der Ausgangspunkt der nach Petra und von da zu den Häfen des südlichen Syriens führenden Karawanenstraße und insofern einer der Knotenpunkte des orientalisch-occidentalischen Handels (S. 479). Die südlich angrenzenden Gebiete, nord- und südwärts von dem heutigen Mekka, entsprachen in ihrer Naturbeschaffenheit dem gegenüberliegenden Trogodytenland und sind gleich diesem im Alterthum weder politisch noch commerciell von Bedeutung, auch dem Anschein nach nicht unter einem Scepter geeinigt, sondern [603] von schweifenden Stämmen besetzt gewesen. Aber am Südende des Busens ist der einzige arabische Stamm zu Hause, welcher in der vorislamischen Zeit zu größerer Bedeutung gelangt ist. Die Griechen und die Römer nennen diese Araber in älterer Zeit nach der damals am meisten hervortretenden Völkerschaft Sabaeer, in späterer nach einer anderen gewöhnlich Homeriten, wir nach der neuarabischen Form des letzteren Namens jetzt meistens Himjariten. Die Entwickelung dieses merkwürdigen Volkes hatte lange vor dem Beginn der römischen Herrschaft über Aegypten eine bedeutende Stufe erreicht513. Seine Heimstatt, das ›glückliche Arabien‹ der Alten, die Gegend von Mocha und Aden, ist von einer schmalen glühend heißen und öden Strandebene umsäumt, aber das gesunde und temperirte Innere von Jemen und Hadramaut erzeugt an den Gebirgshängen und in den Thälern eine üppige Vegetation und die zahlreichen Bergwässer gestatten bei sorgfältiger Wirthschaft vielfach eine gartenartige Cultur. Von der reichen und eigenartigen Civilisation dieser Landschaft geben noch heute ein redendes Zeugniß die Reste von Stadtmauern und Thürmen, von Nutz-, namentlich Wasserbauten und mit Inschriften bedeckten Tempeln, welche die Schilderung der alten Schriftsteller von der Pracht und dem Luxus dieser Landschaft vollkommen bestätigen; über die Burgen und Schlösser der zahlreichen Kleinfürsten Jemens haben die arabischen Geographen Bücher geschrieben. Berühmt sind die Trümmer des mächtigen Dammes, welcher einst in dem Thal bei Mariaba den Danafluß staute und es möglich machte die Fluren aufwärts zu bewässern514 und von dessen Durchbruch und der dadurch [604] angeblich veranlaßten Auswanderung der Bewohner von Jemen nach Norden die Araber lange Zeit ihre Jahre gezählt haben. Vor allem aber ist dieser Bezirk einer der Ursitze des Großhandels zu Lande wie zur See, nicht bloß weil seine Producte, der Weihrauch, die Edelsteine, das Gummi, die Cassia, Aloe, Senna, Myrrhe und zahlreiche andere Droguen den Export hervorrufen, sondern auch weil dieser semitische Stamm, ähnlich wie der der Phoeniker, seiner ganzen Art nach für den Handel geschaffen ist; eben wie die neueren Reisenden sagt auch Strabon, daß die Araber alle Händler und Kaufleute sind. Die Silberprägung ist hier alt und eigenartig; die Münzen sind anfänglich athenischen Stempeln, später römischen des Augustus nachgeprägt, aber auf einen selbständigen wahrscheinlich babylonischen Fuß515. Aus dem Land dieser Araber führten die uralten Weihrauchstraßen quer durch die Wüste nach den Stapelplätzen am arabischen Meerbusen Aelana und dem schon genannten Leuke Kome und den Emporien Syriens Petra und Gaza516; diese Wege des Landhandels, welche [605] neben denen des Euphrat und des Nil den Verkehr zwischen Orient und Occident seit ältester Zeit vermitteln, sind vermuthlich die eigentliche Grundlage des Aufblühens von Jemen. Aber der Seeverkehr gesellte ebenfalls bald sich dazu; der große Stapelplatz dafür ward Adane, das heutige Aden. Von hier aus gingen die Waaren zu Wasser, sicher überwiegend auf arabischen Schiffen, entweder nach eben jenen Stapelplätzen am arabischen Meerbusen und also nach den syrischen Häfen oder nach Berenike und Myos Hormos und von da nach Koptos und Alexandreia. Daß dieselben Araber ebenfalls in sehr früher Zeit sich der gegenüberliegenden Küste bemächtigten und ihre Sprache und Schrift und ihre Civilisation nach Habesch verpflanzten, wurde schon gesagt. Wenn Koptos, das Nil-Emporium für den östlichen Handel, ebenso viel Araber wie Aegypter zu Bewohnern hatte, wenn sogar die Smaragdgruben oberhalb Berenike (bei Djebel Zebâra) von den Arabern ausgebeutet wurden, so zeigt dies, daß sie im Lagidenstaat selbst den Handel bis zu einen gewissen Grad in der Hand hatten; und dessen passives Verhalten in Betreff des Verkehrs auf dem arabischen Meer, wohin höchstens einmal ein Zug gegen die Piraten unternommen wurde517, wird eher begreiflich, wenn ein seemächtiger und geordneter Staat diese Gewässer beherrschte. Auch außerhalb ihres eigenen Meeres begegnen wir den Arabern des Jemen. Adane blieb bis in die römische Kaiserzeit hinein Stapelplatz des Verkehrs einerseits mit Indien, andrerseits mit Aegypten und gedieh trotz seiner eigenen ungünstigen Lage an dem baumlosen Strand zu solcher Blüthe, daß die Benennung des ›glücklichen Arabien‹ zunächst auf diese Stadt sich bezieht. Die Herrschaft, die in unseren Tagen der Imam von Maskat im Südosten der Halbinsel über die Inseln Sokotra und Zanzibar und die africanische Ostküste vom Cap Guardafui südlich ausgeübt hat, stand in vespasianischer Zeit ›von Alters her‹ den Fürsten Arabiens zu: die [606] Dioskorides-Insel, eben jenes Sokotra, gehorchte damals dem König von Hadramaut, Azania, das heißt die Küste Somal und weiter südlich, einem der Unterkönige seines westlichen Nachbarn, des Königs der Homeriten. Die südlichste Station an der ostafricanischen Küste, von welcher die aegyptischen Kaufleute wußten, Rhapta in der Gegend von Zanzibar pachteten von diesem Scheich die Kaufleute von Muza, das ist ungefähr das heutige Mocha, und senden dorthin ihre Handelsschiffe, meistens bemannt mit arabischen Capitänen und Matrosen, welche mit den Eingeborenen zu verkehren gewohnt und oft durch Heirath verknüpft und der Oertlichkeiten und der Landessprachen kundig sind. Die Bodencultur und die Industrie reichten dem Handel die Hand: in den vornehmen Häusern Indiens trank man neben dem italischen Falerner und dem syrischen Laodikener auch arabischen Wein; und die Lanzen und die Schusterpfriemen, welche die Eingeborenen der Küste von Zanzibar von den fremden Händlern kauften, waren Fabrikat von Muza. So ward diese Landschaft, die zudem viel verkaufte und wenig kaufte, eine der reichsten der Welt. – Wie weit die politische Entwickelung derselben mit der wirthschaftlichen Schritt gehalten hatte, läßt sich für die vorrömische und die frühere Kaiserzeit nicht bestimmen; nur so viel scheint sowohl aus den Berichten der Occidentalen wie aus den einheimischen Inschriften sich zu ergeben, daß diese Südwestspitze Arabiens unter mehrere selbständige Herrscher mit Gebieten von mäßiger Größe getheilt war. Es standen dort neben den am meisten hervortretenden Sabaeern und Homeriten die schon genannten Chatramotiten in Hadramaut und nördlich im Binnenland die Minaeer, alle unter eigenen Fürsten.

Den Arabern Jemens gegenüber haben die Römer die gerade entgegengesetzte Politik befolgt wie gegenüber den Axomiten. Augustus, für den die Nichterweiterung der Grenzen der Ausgangspunct des Reichsregiments war und der die Eroberungspläne seines Vaters und Meisters beinahe alle fallen ließ, hat eine Ausnahme mit der arabischen Südwestküste gemacht und ist hier nach freiem Entschluß angreifend vorgegangen. Es geschah dies wegen der Stellung, welche diese Völkergruppe in dem indisch-ägyptischen Handelsverkehr damals einnahm. Um die politisch und finanziell wichtigste Landschaft seines Herrschaftsgebiets wirthschaftlich auf die Höhe zu bringen, welche seine Vorherrscher herzustellen versäumt hatten oder hatten verfallen lassen, bedurfte er vor allem der Gewinnung des Zwischenverkehrs zwischen [607] Arabien und Indien einer- und Europa andererseits. Der Nilweg concurrirte seit langem erfolgreich mit den arabischen und den Euphratstraßen; aber Aegypten spielte dabei, wie wir sahen, wenigstens unter den späteren Lagiden eine untergeordnete Rolle. Nicht mit den Axomiten, aber wohl mit den Arabern bestand Handelsconcurrenz; sollte der ägyptische Verkehr aus einem passiven ein activer, aus einem indirecten ein directer werden, so mußten die Araber niedergeworfen werden; und dies ist es, was Augustus gewollt und das römische Regiment einigermaßen auch erreicht hat. Im sechsten Jahre seiner Regierung in Aegypten (Ende 729 [25] ) entsandte Augustus eine eigens für diese Expedition hergestellte Flotte von 80 Kriegs- und 130 Transportschiffen und die Hälfte der ägyptischen Armee, ein Corps von 10000 Mann, ungerechnet die Zuzüge der beiden nächsten Clientelkönige, des Nabataeers Obodas und des Juden Herodes, gegen die Staaten der Jemen, um dieselben entweder zu unterwerfen oder wenigstens zu Grunde zu richten518, woneben die dort aufgehäuften Schätze sicher auch in Rechnung kamen. Aber das Unternehmen schlug vollständig fehl, und zwar durch die Unfähigkeit des Führers, des damaligen Statthalters von Aegypten Gaius Aelius Gallus519. Da [608] auf die Besetzung und den Besitz der öden Küste von Leuke Kome abwärts bis an die Grenze des feindlichen Gebiets gar nichts ankam, so mußte die Expedition unmittelbar gegen dieses gerichtet und aus dem südlichsten ägyptischen Hafen die Armee sofort in das glückliche Arabien geführt werden520. Statt dessen wurde die Flotte in dem [609] nördlichsten, dem von Arsinoe (Suez) fertig gestellt und das Heer in Leuke Kome ans Land gesetzt, gleich als wäre es darauf angekommen die Fahrt der Flotte und den Marsch der Truppen möglichst zu verlängern. Ueberdies waren die Kriegsschiffe überflüssig, da die Araber keine Kriegsflotte besaßen, die römischen Seeleute mit der Fahrt an der arabischen Küste unbekannt und die Fahrzeuge, obwohl besonders für diese Expedition gebaut, für ihre Bestimmung ungeeignet. Die Piloten fanden sich nicht zurecht zwischen den Untiefen und Klippen, und schon die Fahrt auf den römischen Gewässern von Arsinoe nach Leuke Kome kostete viele Schiffe und Leute. Hier wurde überwintert; im Frühjahr 730 begann der Zug in Feindesland. Die Araber hinderten ihn nicht, aber wohl Arabien. Wo einmal die Doppeläxte und die Schleudern und Bogen mit dem Pilum und dem Schwert zusammenstießen, stoben die Eingeborenen aus einander wie die Spreu vor dem Winde; aber die Krankheiten, die im Lande endemisch sind, der Skorbut, der Aussatz, die Gliederlähmung decimirten die Soldaten ärger als die blutigste Schlacht, und um so mehr, als der Feldherr es nicht verstand die schwerfällige Heermasse rasch vorwärts zu bringen. Dennoch gelangte die römische Armee bis vor die Mauern der Hauptstadt der zunächst von dem Angriff betroffenen Sabaeer Mariaba. Aber da die Einwohner die Thore ihrer mächtigen heute noch stehenden Mauern521 schlossen und energische Gegenwehr leisteten, verzweifelte der römische Feldherr an der Lösung der ihm gestellten Aufgabe und trat, nachdem er sechs Tage vor der Stadt gelegen hatte, den Rückzug an, den die Araber kaum ernstlich störten und der im Drang der Noth, freilich unter schlimmer Einbuße an Mannschaften, verhältnißmäßig schnell gelang.

Es war ein übler Mißerfolg; aber Augustus gab die Eroberung Arabiens nicht auf. Es ist schon erzählt worden (S. 374), daß die Orientfahrt, die der Kronprinz Gaius im Jahre 753 antrat, in Arabien endigen sollte; es war diesmal im Plan nach der Unterwerfung Armeniens im Einverständniß mit der parthischen Regierung, oder nöthigenfalls nach Niederwerfung ihrer Armeen, an die Euphratmündung zu gelangen und von da aus den Seeweg, den einst der Admiral Nearchos für Alexander [610] erkundet hatte, nach dem glücklichen Arabien zu nehmen522. In anderer, aber nicht minder unglücklicher Weise endigten diese Hoffnungen durch den parthischen Pfeil, der den Kronprinzen vor den Mauern von Artageira traf. Mit ihm ward der arabische Eroberungsplan für alle Zukunft begraben. Die große Halbinsel ist in der ganzen Kaiserzeit, abgesehen von dem nördlichen und nordwestlichen Küstenstriche, in derjenigen Freiheit verblieben, aus welcher seiner Zeit der Henker des Hellenenthums, der Islam hervorgehen sollte.

Aber gebrochen ward der arabische Handel allerdings, theils durch die weiterhin zu erörternden Maßregeln der römischen Regierung zum Schutz der ägyptischen Schiffahrt, theils durch einen gegen den Hauptstapelplatz des indisch-arabischen Verkehrs von den Römern geführten Schlag. Sei es unter Augustus selbst, möglicher Weise bei den Vorbereitungen zu der von Gaius auszuführenden Invasion, sei es unter einem seiner nächsten Nachfolger, es erschien eine römische Flotte vor Adane und zerstörte den Platz; in Vespasians Zeit war er ein Dorf und seine Blüthe vorüber. Wir kennen nur die nackte Thatsache523, [611] aber sie spricht für sich selber. Ein Seitenstück zu der Zerstörung Korinths und Karthagos durch die Republik, hat sie wie diese ihren Zweck erreicht und dem römisch-ägyptischen Handel die Suprematie im arabischen Meerbusen und im indischen Meere gesichert.

Indeß die Blüthe des gesegneten Landes von Jemen war zu fest begründet, um diesem Schlag zu erliegen; politisch hat es sogar vielleicht erst in dieser Epoche sich straffer zusammengefaßt. Mariaba war, als die Waffen des Gallus an seinen Mauern scheiterten, vielleicht nicht mehr als die Hauptstadt der Sabaeer; aber schon damals war die Völkerschaft der Homeriten, deren Hauptstadt Sapphar etwas südlich von Mariaba auch im Binnenland liegt, die stärkste des glücklichen Arabiens. Ein Jahrhundert später finden wir beide vereinigt unter einem in Sapphar regierenden König der Homeriten und der Sabaeer, dessen Herrschaft bis Mocha und Aden und, wie schon gesagt ward, über die Insel Sokotra und die Küste von Somal und Zanzibar sich erstreckt; und wenigstens von dieser Zeit an kann von einem Reich der Homeriten [612] die Rede sein. Die Wüstenei nördlich von Mariaba bis zur römischen Grenze gehörte damals nicht dazu und stand überhaupt unter keiner geordneten Gewalt524; die Fürstenthümer der Minaeer und der Chatramotiten blieben auch ferner unter eigenen Landesherren. Die östliche Hälfte Arabiens hat beständig einen Theil des persischen Reiches gebildet (S. 350) und niemals unter dem Scepter der Beherrscher des glücklichen Arabien gestanden. Auch jetzt also waren die Grenzen enge und sind es wohl geblieben; es ist wenig über die weitere Entwickelung der Verhältnisse bekannt525. In der Mitte des 4. Jahrhunderts war das Reich der Homeriten mit dem der Axomiten vereinigt und wurde von Axomis aus beherrscht526, welche Unterthänigkeit indeß späterhin sich wieder gelöst hat. Sowohl das Reich der Homeriten wie das vereinigte axomitisch-homeritische stand als unabhängiger Staat in der späteren Kaiserzeit mit Rom in Verkehr und Vertrag.

In dem Handel und der Schiffahrt haben die Araber des Südwestens der Halbinsel auch später noch, wenn nicht mehr den Platz der Vormacht, doch die ganze Kaiserzeit hindurch eine hervorragende Stelle eingenommen. Nach der Zerstörung von Adane ist Muza die Handelsmetropole dieser Landschaft geworden. Noch für die vespasianische Zeit trifft die früher gegebene Darstellung im Wesentlichen zu. Der Ort wird uns in dieser Zeit geschildert als ausschließlich arabisch, [613] bewohnt von Rhedern und Seeleuten und voll rührigen kaufmännischen Treibens; mit ihren eigenen Schiffen befahren die Muzaiten die ganze africanische Ost- und die indische Westküste und verfrachten nicht bloß die Waaren des eigenen Landes, sondern bringen auch die nach orientalischem Geschmack in den Fabriken des Occidents gefertigten Purpurstoffe und Goldstickereien und die feinen Weine Syriens und Italiens den Orientalen, hinwiederum den Westländern die edlen Waaren des Ostens. In dem Weihrauch und den sonstigen Aromen müssen Muza und das Emporium des benachbarten Reiches von Hadramaut Kane östlich von Aden eine Art thatsächlichen Monopols immer behalten haben; erzeugt wurde diese im Alterthum sehr viel mehr als heute gebrauchte Waare wie auf der südlichen arabischen, so auch auf der africanischen Küste von Adulis bis zum ›Vorgebirge der Arome‹, dem Cap Guardafui, aber von hier holten sie die Kaufleute von Muza und sie brachten sie in den Welthandel. Auf der schon erwähnten Dioskorides-Insel war eine gemeinschaftliche Handelsniederlassung der drei großen seefahrenden Nationen dieser Meere, der Hellenen, das heißt der Aegyptier, der Araber und der Inder. Von Beziehungen aber zum Hellenismus, wie wir sie auf der gegenüberliegenden Küste bei den Axomiten fanden (S. 601), begegnet im Lande Jemen keine Spur; wenn die Münzprägung durch occidentalische Stempel bestimmt ist (S. 605), so waren diese eben im ganzen Orient gangbar. Sonst haben sich Schrift und Sprache und Kunstübung, so weit wir zu urtheilen vermögen, hier ebenso selbständig entwickelt wie Handel und Schiffahrt, und sicher ist es dadurch mit bewirkt worden, daß die Axomiten, während sie politisch die Homeriten sich unterwarfen, später aus der hellenischen Bahn in die arabische zurücklenkten (S. 601).

In dem gleichen Sinn, wie für die Beziehungen zu dem südlichen Africa und zu den arabischen Staaten, und in erfreulicherer Weise ist Aegypten selbst für die Wege des Handelsverkehrs zunächst von Augustus und ohne Zweifel von allen verständigen Regenten gesorgt worden. Das von den früheren Ptolemaeern auf den Spuren der Pharaonen eingerichtete Straßen- und Hafensystem war, wie die gesammte Verwaltung, in den Wirren der letzten Lagidenzeit arg heruntergekommen. Es wird nicht ausdrücklich gemeldet, daß Augustus die Land- und die Wasserwege und die Häfen Aegyptens wieder in Stand gesetzt hat; aber daß es geschehen, ist darum nicht minder gewiß.[614] Koptos ist die ganze Kaiserzeit hindurch der Knotenpunct dieses Verkehrs geblieben527. Aus einer kürzlich aufgefundenen Urkunde hat sich ergeben, daß in der ersten Kaiserzeit die beiden von da nach den Häfen von Myos Hormos und von Berenike führenden Straßen durch die römischen Soldaten reparirt und an den geeigneten Stellen mit den erforderlichen Cisternen versehen worden sind528. Der Kanal, der das rothe Meer mit dem Nil und also mit dem mittelländischen Meer verband, ist auch in römischer Zeit nur in zweiter Reihe, hauptsächlich vielleicht für den Transport der Marmor- und Porphyrblöcke von der ägyptischen Ostküste an das Mittelmeer benutzt worden; aber fahrbar blieb er durch die ganze Kaiserzeit. Kaiser Traianus hat ihn erneuert und wohl auch erweitert – vielleicht ist er es gewesen, der ihn mit dem noch ungetheilten Nil bei Babylon (unweit Kairo) in Verbindung gesetzt und dadurch seine Wassermenge verstärkt hat – und ihm den Namen des Traianus- oder des Kaiserflusses (Augustus amnis) beigelegt, von welchem in späterer Zeit dieser Theil Aegyptens benannt wurde (Augustamnica). – Auch für die Unterdrückung der Piraterie auf dem rothen und dem indischen Meer ist Augustus ernstlich thätig gewesen; die Aegypter dankten es ihm noch lange nach seinem Tode, daß durch ihn die Piratensegel vom Meer verschwanden und den Handelsschiffen wichen. Freilich geschah dafür bei weitem nicht genug. Daß die Regierung in diesen Gewässern wohl von Zeit zu Zeit Schiffsgeschwader in Thätigkeit setzte, aber eine ständige Kriegsflotte nicht daselbst stationirte; daß die römischen Kauffahrer regelmäßig im indischen Meer Schützen an Bord nahmen, um die Angriffe der Piraten abzuweisen, würde befremden, wenn nicht die relative Gleichgültigkeit gegen die Unsicherheit der Meere überall, hier so gut wie an der belgischen Küste und an denen des schwarzen Meeres, wie eine Erbsünde dem römischen Kaiserregiment oder vielmehr dem [615] römischen Regiment überhaupt anhaftete. Freilich waren die Regierungen von Axomis und von Sapphar durch ihre geographische Lage noch mehr als die Römer in Berenike und Leuke Kome dazu berufen der Piraterie zu steuern und es mag diesem Umstand mit zuzuschreiben sein, daß die Römer mit diesen theils schwächeren, theils unentbehrlichen Nachbarn im Ganzen in gutem Einvernehmen geblieben sind.

Daß der Seeverkehr Aegyptens, wenn nicht mit Adulis (S. 602), so doch mit Arabien und Indien in derjenigen Epoche, welche der Römerherrschaft unmittelbar vorher ging, in der Hauptsache nicht durch die Aegyptier vermittelt ward, ist früher gezeigt worden. Den großen Seeverkehr nach Osten erhielt Aegypten erst durch die Römer. ›Nicht zwanzig aegyptische Schiffe im Jahr‹, sagt ein Zeitgenosse des Augustus, ›wagten unter den Ptolemaeern sich aus dem arabischen Golf hinaus; jetzt fahren jährlich 120 Kauffahrer allein aus dem Hafen von Myos Hormos nach Indien‹. Der Handelsgewinn, den der römische Kaufmann bis dahin mit dem persischen oder arabischen Zwischenhändler hatte theilen müssen, floß seit der Eröffnung der directen Verbindung mit dem ferneren Osten ihm in seinem ganzen Umfang zu. Dies ist wahrscheinlich zunächst dadurch erreicht worden, daß den arabischen und indischen Fahrzeugen die aegyptischen Häfen wenn nicht geradezu gesperrt, so doch durch Differenzialzölle thatsächlich geschlossen wurden529; nur durch die Voraussetzung einer solchen Navigationsacte zu Gunsten der eigenen Schiffahrt konnte diese plötzliche Umgestaltung der Handelsverhältnisse herbeigeführt werden. Aber der Verkehr wurde nicht bloß gewaltsam aus einem passiven in einen activen umgewandelt; er wurde auch absolut gesteigert, theils in [616] Folge der vermehrten Nachfrage im Occident nach den Waaren des Ostens, theils auf Kosten der übrigen Verkehrsstraßen durch Arabien und Syrien. Für den arabischen und den indischen Handel mit dem Occident erwies sich der Weg über Apgypten mehr und mehr als der kürzeste und der billigste. Der Weihrauch, der in älterer Zeit großentheils auf dem Landweg durch das innere Arabien nach Gaza ging (S. 605 A. 2), kam späterhin meistens zu Wasser über Aegypten. Einen neuen Aufschwung nahm um die Zeit Neros der indische Verkehr, indem ein kundiger und muthiger aegyptischer Capitän Hippalos es wagte, statt an der lang gestreckten Küste hin viel mehr vom Ausgang des arabischen Golfs durch das offene Meer geradewegs nach Indien zu steuern; er kannte den Monsun, den seitdem die Schiffer, die nach ihm diese Straße befuhren, den Hippalos nannten. Seitdem war die Fahrt nicht bloß wesentlich kürzer, sondern auch den Land- und den Seepiraten weniger ausgesetzt. In welchem Umfang der sichere Friedensstand und der zunehmende Luxus den Verbrauch orientalischer Waaren im Occident steigerte, lassen einigermaßen die Klagen erkennen, welche in der Zeit Vespasians laut wurden über die ungeheuren Summen, welche dafür aus dem Reiche hinausgingen. Den Gesammtbetrag der jährlich den Arabern und den Indern gezahlten Kaufgelder schlägt Plinius auf 100 (= 22 Mill. M.), für Arabien allein auf 55 Mill. Sesterzen (= 12 Mill. M.) an, wovon freilich ein Theil durch Waarenexport gedeckt ward. Die Araber und die Inder kauften wohl die Metalle des Occidents, Eisen, Kupfer, Blei, Zinn, Arsenik, die früher (S. 574) erwähnten aegyptischen Artikel, den Wein, den Purpur, das Gold- und Silbergeräth, auch Edelsteine, Korallen, Krokusbalsam; aber sie hatten dem fremden Luxus immer weit mehr zu bieten als für ihren eigenen zu empfangen. Daher ging nach den großen arabischen und indischen Emporien das römische Gold-und Silbergeld in ansehnlichen Quantitäten. In Indien hatte dasselbe schon unter Vespasian sich so eingebürgert, daß man es mit Vortheil dort ausgab. Von diesem orientalischen Verkehr kam der größte Theil auf Aegypten; und wenn die Steigerung des Verkehrs durch die vermehrten Zolleinnahmen der Regierungskasse zu Gute kam, so hob die Nöthigung zu eigenem Schiffbau und eigener Kauffahrt den Wohlstand der Privaten.

Während also die römische Regierung ihre Herrschaft in Aegypten auf den engen Raum beschränkte, den die Schiffbarkeit des Nils abgrenzt und sei es nun in Kleinmuth oder in Weisheit, auf jeden Fall mit [617] folgerichtiger Energie weder Nubien noch Arabien jemals zu erobern versuchte, erstrebte sie mit gleicher Energie den Besitz des arabischen und des indischen Großverkehrs und erreichte wenigstens eine bedeutende Beschränkung der Concurrenten. Die rücksichtslose Verfolgung der Handelsinteressen bezeichnet wie die Politik der Republik, so nicht minder, und vor allem in Aegypten, die des Principats.

Wie weit überhaupt gegen Osten der directe römische Seeverkehr gegangen ist, läßt sich nur annähernd bestimmen. Zunächst nahm er die Richtung auf Barygaza (Barôtsch am Meerbusen von Cambay oberhalb Bombay), welcher große Handelsplatz durch die ganze Kaiserzeit der Mittelpunct des aegyptisch-indischen Verkehrs geblieben sein wird; mehrere Orte auf der Halbinsel Gudjerat führen bei den Griechen griechische Benennungen, wie Naustathmos und Theophila. In der flavischen Zeit, in welcher die Monsun-Fahrten schon stehend geworden waren, ist die ganze Westküste Vorderindiens den römischen Kaufleuten erschlossen bis hinab zu der Küste von Malabar, der Heimath des hoch geschätzten und theuer bezahlten Pfeffers, dessen wegen sie die Häfen von Muziris (wahrscheinlich Mangaluru) und Nelkynda (indisch wohl Nîlakantha, von einem der Beinamen des Gottes Shiwa; wahrscheinlich das heutige Nîlêswara) besuchten; etwas weiter südlich bei Kananor haben sich zahlreiche römische Goldmünzen der julisch-claudischen Epoche gefunden, einst eingetauscht gegen die für die römischen Küchen bestimmten Gewürze. Auf der Insel Salike, der Taprobane der älteren griechischen Schiffer, dem heutigen Ceylon, hatte in Claudius Zeit ein römischer Angestellter, der von der arabischen Küste durch Stürme dorthin verschlagen worden war, freundliche Aufnahme bei dem Landesherrn gefunden und es hatte dieser, verwundert, wie der Bericht sagt, über das gleichmäßige Gewicht der römischen Münzstücke trotz der Verschiedenheit der Kaiserköpfe, mit dem Schiffbrüchigen zugleich Gesandte an seinen römischen Collegen geschickt. Dadurch erweiterte sich zunächst nur der Kreis der geographischen Kunde; erst später, wie es scheint, wurde die Schiffahrt bis nach jener großen und productenreichen Insel ausgedehnt, auf der auch mehrfach römische Münzen zum Vorschein gekommen sind. Aber über das Cap Komorin und Ceylon gehen die Münzfunde nur ausnahmsweise hinaus530 und schwerlich hat auch [618] nur die Küste von Koromandel und die Gangesmündung, geschweige denn die hinterindische Halbinsel und China ständigen Handelsverkehr mit den Occidentalen unterhalten. Die chinesische Seide ist allerdings schon früh regelmäßig nach dem Westen vertrieben worden, aber wie es scheint ausschließlich auf dem Landweg und durch Vermittelung theils der Inder von Barygaza, theils und vornehmlich der Parther: die Seidenleute oder die Serer (von dem chinesischen Namen der Seide Ser) der Occidentalen sind die Bewohner des Tarim-Beckens nordwestlich von Tibet, wohin die Chinesen ihre Seide brachten, und auch den Verkehr dorthin hüteten eifersüchtig die parthischen Zwischenhändler. Zur See sind allerdings einzelne Schiffer zufällig oder erkundend wenigstens an die hinterindische Ostküste und vielleicht noch weiter gelangt; der im Anfang des zweiten Jahrhunderts n. Chr. den Römern bekannte Hafenplatz Kattigara ist eine der chinesischen Küstenstädte, vielleicht Hang-tschau-fu an der Mündung des Yang-tse-kiang. Der Bericht der chinesischen Annalen, daß im J. 166 n. Chr. eine Gesandtschaft des Kaisers An-tun von Ta- (das ist Groß) Tsin (Rom) in Ji-Nan (Tongking) gelandet und von da auf dem Landweg in die Hauptstadt Lo-yang (oder Ho-nan-fu am mittleren Hoang-ho) zum Kaiser Hwan-ti gelangt sei, mag mit Recht auf Rom und den Kaiser Marcus Antoninus bezogen werden. Indeß dieser Vorfall und was die chinesischen Quellen von ähnlichem Auftreten der Römer in ihrem Lande im Lauf des 3. Jahrh. melden, wird kaum von öffentlichen Sendungen verstanden werden können, da hierüber römische Angaben schwerlich fehlen würden; wohl aber mögen einzelne Capitäne dem chinesischen Hof als Boten ihrer Regierung gegolten haben. Bemerkbare Folgen haben diese Verbindungen nur insofern gehabt, als über die Gewinnung der Seide die früheren Märchen allmählich besserer Kunde wichen.


Quelle:
Theodor Mommsen: Römische Geschichte. Berlin 1927, Bd. 5, S. 553-620.
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