5. Positive Ideen sozialer Neugestaltung

[322] Daß dem Wunschland der Fabel und Komödie tatsächlich im Volke vorhandene Ideen der Teilung und Ausgleichung entsprachen, läßt schon die Ruhelosigkeit erwarten, die wir als Grundstimmung der radikalen Demokratie kennen lernten. Für sie ist ja die Projektenmacherei recht eigentlich charakteristisch und der große Satiriker der komischen Bühne hat daher gerade auch diesen Zug des Volksgemüts herausgegriffen, um darauf eine seiner genialsten Schöpfungen aufzubauen: die Komödie von der Gründung der Vogelstadt, des Wolkenkuckucksheims.

»Jeder« – sagt ein klassischer Schilderer der Stimmung, der diese[322] köstliche Phantasie poetischen Ausdruck verleiht – »jeder, dem es daheim nicht gefällt, malt sich ein Utopien auf seine Weise. Jeder spekuliert, wie es besser sein müßte, sein könnte. Jeder ist ein Weltverbesserer, ein Held, der eine neue Ära gründen wird, ein Narr auf eigene Hand!« Eine Stimmung, die so, wie das hellenische Volksnaturell einmal war, gewiß nicht bloß in Athen zahlreiche Vertreter gehabt hat. Wenn man im Hinblick auf das deutsche Geistesleben gesagt hat, daß hier die äußeren Hemmungen des nationalen Organismus die Innerlichkeit der Gedankenwelt überwuchern ließen und der Ideologie freie Bahn gaben, daß die abstrakte Anschauung der Wirklichkeit, die Neigung zur Konstruktion einer Welt, wie sie sein sollte, und der Glaube, daß ein kräftiger Entschluß zur Ausführung dieser Gedanken ausreiche, in ungesunder Weise die Vorstellungen unseres Volkes in all seinen Schichten beeinflussen, so gilt das noch ungleich mehr für das Griechentum.

Die Helden des aristophanischen Stückes, die auswandern, um eine bessere Existenz zu suchen, und dabei ins Land der Vögel geraten, auf jene Höhen, wo sonst der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual,723 – der Aristokratenfresser »Hoffegut«724 und sein Genosse »Ratefreund«,725 der »ganz Projekt, ganz Spekulation« ist, sie sind typische Charakterfiguren, die, wenn auch in possenhafter Übertreibung, echte Züge des Volksgeistes widerspiegeln.

Wie viele mögen damals die Frage an das Schicksal gestellt haben, welche die Genossen dem Kuckuck vorlegen:


»Könntest du uns nennen die wohlige Stadt,

Wo man weich und warm in der Wolle sitzen und wohnen kann?«726


Und wie viele hätten auf die Gegenfrage:


»Was für eine Stadt denn wünscht ihr am liebsten euch?«727


von diesen ihren Träumen sagen können, was Hoffegut von seiner leiblichen Wanderschaft nach der »Stadt des Glückes« bemerkt:728[323]


»Wir suchen nach einem unbekümmerten Stückchen Welt,

Dort hingestiftet zu leben bis an ein selig End',«729


nach einem Land, wo »der Mensch ohne Geldbeutel zu leben hat«730 und sich um die Bezahlung von Schulden nicht zu sorgen braucht, wo mit dem Gelde auch »eine Menge von Trug und Falschheit aus dem Leben hinweggenommen« ist;731 kurz, wo es mit den Genossen in allem besser bestellt sein wird, als im Staate der Wirklichkeit.732

Die Gesellschaft Wolkenkuckuckheims wird allerdings nicht näher geschildert.733 Doch werden wir von dem Dichter später dafür entschädigt durch die Satire, die er der sozialpolitischen Projektenmacherei in seiner Kommunistenkomödie gewidmet hat. Er spielt hier auf Projekte der »Teilung« an, welche die Demagogen in die Masse schleuderten, und gibt selbst einige Proben, die ja in der Form, wie er sie vorbringt, Eigentum des Poeten, d.h. als humoristische Persiflage zu nehmen sind, mit denen aber die tatsächlich betriebene Kapitalistenhetze nachweislich das gemein hat, daß auch sie Teilung der Güter, »den Aderlaß der Reichen, die Transfusion des Überschusses der Parvenüs und Geldprotzen in den blutleeren Körper der Armut als das einfach und sicher wirkende, notwendig zu verschreibende Rezept« zur Heilung der sozialen Übelstände anpries.734

Versetzen wir uns in die Volksversammlung, wie sie in den Ekklesiazusen[324] geschildert wird!735 Zuerst tritt ein Redner auf, der alsbald heruntergeschrieen wird.


»Nach diesem betrat Euaion, der geniale Kopf,

Die Bühne, unangezogen, wie's den meisten schien.

Er selber wenigstens sagte, 'nen Mantel hab' er nicht;

Und hielt 'ne höchst populäre736 Redefolgender Art:

Ihr seht, ich selbst entbehre auch des wahren Wohls,

Des Wohls für vier Stateren! Doch ich sag' es euch,

Wie ihr des Staates und der Bürger Wohlfahrt machen könnt.

Denn leihen um die Zeit der Wintersonnenwende nur

Die Walker einen Mantel jedem, der keinen hat,

So leidet künftig keiner von uns an Schnupfen mehr.

Wer nichts von Bett, Steppdecke, Schafpelz hat daheim,

Der möge reinlich abgebadet schlafen gehn

Bei einem Kürschner, der, wenn er ihm in Winterszeit

Die Türe weist, drei Pelze Strafe zahlen muß.«


Darauf der uns wohlbekannte Blepyros:


»So wahr Dionysos, herrlich das! und wider ihn

Stimmt sicher niemand, fügt er folgendes noch hinzu:

Es soll der Vorkosthändler drei Rationen Brot

Tags jedem Armen reichen oder es geht ihm schlecht.

So hätten wir doch auch von Nausikydes737 was!«


Man hat mit Recht bemerkt, daß, wenn hier ein bestimmter Großkapitalist namhaft gemacht wird, dem man eine solche neue Art von Liturgie ansinnt, dies einigermaßen an die bekannte Anekdote von 1848 erinnert, da die beiden Vagabunden zu Rothschild kamen, um mit ihm zu teilen.738 Ein derartiger Proletarierkommunismus, der gerade auf das, was er jeweilig am nötigsten braucht, und gegen diejenigen, die er im Besitz desselben sieht, seine begehrlichen Wünsche richtet, entspricht in der Tat einem echt volkstümlichen Empfinden. Ebenso ist die Illusion, die dabei zugrundeliegt, Ausdruck einer tatsächlich weitverbreiteten Anschauungsweise. Man denke an die optimistischen Teilungsprojekte, die ein Aristoteles den Führern der Demokratie vorlegt, und an seinen Vorschlag, die Besitzenden möchten die durch die Aufteilung öffentlicher Mittel nicht genügend befriedigten Armen »unter sich verteilen«, um sie ökonomisch selbständig zu machen! Eine Idee, die unverkennbar durch den Glauben eingegeben ist, als ob auf diese Weise wirklich die Armut aus der Welt geschafft werden könnte; und als[325] ob es gar nicht vorkommen könnte, daß der Proletarier das ihm angebotene Wohlergehen durch Arbeit mit Hohn zurückweist!

Kehrt doch dieser Glaube ganz ähnlich im christlichen Sozialismus wieder! Ich erinnere z.B. an die Behauptung des Lukas, daß es in der christlichen Urgemeinde infolge der Selbstentäußerung der Besitzenden niemand gegeben habe, der Mangel litt;739 und an die Erklärung des großen Kanzelsozialisten Johannes Chrysostomos, daß der Pauperismus jeden Augenblick beseitigt werden könnte, wenn nur alle die, die über ihre Notdurft besäßen, die Darbenden unter sich verteilen und gruppenweise die Versorgung der einzelnen übernehmen würden!740

Kurz alles spricht dafür, daß die aristophanische Satire auf derartige Projekte einen sehr realen Hintergrund hat; und ebenso gewiß ist es, daß die Steigerung, die sie bei ihm durch die Prophetin des Zukunftsstaates erfuhren, sich nicht bloß in der Seele des Dichters vollzogen hat. Denn der Übergang von diesem partiellen Kommunismus zu dem ganzen, alle Güter und alle einzelnen in einer großen Gemeinschaft zusammenschließenden Kommunismus ist ein so völlig naturgemäßer und naheliegender, daß er von den Konsequenten damals gewiß ebenso gemacht worden ist, wie von dem eben genannten letzten großen Sozialisten des Griechentums.741

Zu demselben Ergebnis mußten diejenigen gelangen, welche die damals von der sozialen Demokratie tatsächlich erhobenen Ansprüche in ihre letzten Konsequenzen verfolgten. Es sind die alten, schon im 6. Jahrhundert auftauchenden, aber seit der Wende des 5. und 4. Jahrhunderts immer häufiger und leidenschaftlicher werdenden Forderungen der Schuldenaufhebung (χρεῶν ἀποκοπή) und Bodenteilung (γῆς ἀναδασμός).

Allerdings liegt diesen Forderungen nicht immer eine kommunistische oder sozialistische Tendenz zugrunde. Bei der Schwere der Krisen, wie sie in der Natur der Stadtstaatwirtschaft lagen, und bei der oft exorbitanten Höhe der Zinsforderungen konnte es wohl vorkommen, daß radikale Eingriffe in die Kreditverhältnisse durch eine wirtschaftliche Notlage erzwungen wurden, in welchem Falle auch auf seiten der Verschuldeten die Forderung eines Schuldenerlasses nicht grundsätzlich antikapitalistisch zu sein brauchte.742 Und was die Aufteilung von Grundbesitz[326] betrifft, so ist sie häufig nur die Folge von Konfiskationen, wie sie in den Parteikämpfen der Griechen an der Tagesordnung waren, entsprechend dem Grundsatz, daß das Eigentum der Besiegten dem Sieger gehöre; oder es handelt sich um Entschädigung von Bürgern, die aus der Verbannung heimkehrten, oder um Neuaufnahme von Bürgern, denen auf Kosten der alten Bevölkerung Land angewiesen ward, u. dgl. m.743

Aber nicht minder gewiß ist es, daß die beiden Forderungen immer mehr und immer allgemeiner recht eigentlich die proletarisch-antikapitalistische Parole in dem Kampf »gegen Armut und Reichtum« geworden sind.744 Hier will man nicht mehr eine momentan drückend empfundene Last, sondern die ökonomische Abhängigkeit vom Kapital überhaupt loswerden. Hier handelt es sich um eine grundsätzliche Bekämpfung des Reichtums als des Feindes der Freiheit und Gleichheit, die man auch im Wirtschaftsleben, besonders in der Verteilung des Grundes und Bodens herstellen will, von dessen Bebauung und Ausnützung ja in erster Linie das Wohlbefinden des Volkes abhängt. Eine Tendenz, die besonders da deutlich zum Ausdruck kommt, wo die Bodenaufteilung sich nicht auf Landzuweisungen an die Armen auf Kosten der Besitzenden oder politischer Gegner beschränkt, sondern eine Neuverteilung des gesamten Bodeneigentums überhaupt und zwar auf dem Fuße der Gleichheit gefordert und durchgesetzt wird. Hier wird die Gesellschaft auf eine neue Grundlage gestellt.

Diese sozialdemokratische Auffassung des γῆς ἀναδασμός findet sich scharf und klar formuliert in der Erklärung des syrakusanischen Demagogen Hippon, der das Volk zur Neuverteilung des Bodens aufrief, weil »die Gleichheit (des Besitzes) der Anfang der Freiheit, die Armut aber für die Besitzlosen der der Knechtschaft« sei.745

Man sieht: was der Autor der »Theoretischen Sozialökonomik«746 vom[327] St. Simonismus und L. v. Stein gesagt hat, daß hier »die Bedeutung der durch den Unterschied des Besitzes bedingten sozialen Abhängigkeitsverhältnisse einen Hauptpunkt des Systems bildet«, das gilt auch für dieses antike Sozialprogramm. Und wenn nach derselben Sozialökonomik »die moderne Welt erst nach der Verwirklichung der Prinzipien der ›staatsbürgerlichen‹ Freiheit und Gleichheit das volle Gewicht der Tatsache empfinden und zum wissenschaftlichen Ausdruck bringen konnte, daß im Leben der Gesellschaft Unfreiheit und Ungleichheit solange fortbestehen, als es Reiche und Arme gibt«,747 so zeigt die Argumentation des genannten Demagogen, daß auch in der freien staatsbürgerlichen Atmosphäre des antiken Staates die Empfindung für diese Tatsache eine äußerst lebhafte war.

Hier wird über das die Eigentumsfrage unberührt lassende politische Freiheits- und Gleichheitsprinzip der bürgerlichen Demokratie grundsätzlich hinausgegangen und die Frage aufgeworfen: Wie steht es mit der tatsächlichen Verwirklichung der Freiheit und Gleichheit unter der Herrschaft des Eigentums und der bestehenden Eigentumsordnung? Und die Erkenntnis, daß diese Eigentumsordnung mit der ersehnten sozialen Freiheit und Gleichheit unvereinbar war, führt zu einer grundsätzlichen Negation derselben, zur Forderung der wirtschaftlichen Emanzipation durch den sozialen Umsturz und eine Neuverteilung des Eigentums, wie sie ja nicht bloß der γῆς ἀναδασμός, sondern auch die Schuldenannullierung enthielt.

Oftmals – sagt Plato – versucht man eine gewisse Gleichheit des Besitzes herzustellen, indem man an dem Bodeneigentum rüttelt und die Schulden kassiert, in der Erkenntnis, daß man ohne diese Maßregeln die Gleichheit unmöglich in genügender Weise verwirklichen könnte.748 Als das Ideal eines sozialen Erlösers[328] und Befreiers erscheint derjenige, der es durchzusetzen weiß, daß »die Bürger das Bodeneigentum zusammenlegen und ganz von neuem verteilen, damit alle gleichen Loses und gleicher Stellung miteinander leben«.749

Kein Wunder, daß es in den Augen der Besitzenden nichts Furchtbareres gab, als wenn diese beiden Forderungen auftauchten. Sie werden wohl als das Schlimmste bezeichnet, was man einem Staatsmann vorwerfen kann,750 als die »heillosesten Übel«,751 als die »beiden schlechtesten Akte der politischen Gewalt, die es in der Welt geben kann«.752 Und es kommt wohl vor, daß man, wie z.B. in Athen, die Bürger durch einen Eid verpflichtete, niemals für diese Maßregeln zu stimmen,753 oder daß man jeden Versuch zu ihrer Verwirklichung durch eine feierliche Verfluchung und die Androhung der schwersten Strafen im Keime zu ersticken suchte.754 Es wird als ein unerträglicher Gedanke bezeichnet, daß durch die Neuverteilung des Bodeneigentums »diejenigen, die bisher besaßen, dem, der nichts hatte, gleichgestellt werden sollen«.755

Wie nun aber, wenn selbst diese radikalen Eingriffe in das Eigentum dem Armen nicht die Herrlichkeiten des sozialen Paradieses brachten, die er sich von ihnen versprach?756 Wenn – wie es oft genug vorkam – nicht allgemeiner Wohlstand, sondern allgemeine Verarmung die Folge war,757 oder wenn es sich herausstellte, daß auch auf diesem Wege eine völlige Beseitigung der Klassenunterschiede, ein Zustand, in welchem wirklich »alle in allem gleich« sind,758 nicht zu erreichen war, daß – um[329] das Wort des genannten syrakusanischen Demagogen759 anzuwenden – die Gleichheit des Besitzes höchstens den Anfang der Freiheit und noch lange nicht die volle und dauernde Freiheit bedeutete?

Zwar konnte man ja noch weiter gehen und die teilweise Expropriierung des Kapitals durch den Schuldenerlaß bis zu einer völligen Konfiskation und Neuverteilung des mobilen Vermögens steigern. Ein Gedanke, der in der Tat wenigstens in der Literatur zum Ausdruck kommt760 und von den kommunistischen Proletariern des Aristophanes auf der Bühne ins Werk gesetzt wird.761 Aber hätte selbst die Verwirklichung dieses Gedankens die Ungleichheit mit Stumpf und Stil ausrotten können, wie es damals wohl manche für möglich gehalten haben? Es blieb ja auch dann noch immer ein Element bestehen, welches sofort wieder zersetzend auf die hergestellte Gleichheit wirken mußte: das Institut des individuellen Eigentums. Denn wo Eigentum, da ist Konkurrenz, da behält die Gesellschaft ihren »Kampfcharakter«, und wo Konkurrenz, da ist Ungleichheit.

Die durch »Teilen« erreichbare ökonomische Gleichheit war also stetigem Schwanken ausgesetzt. Sich selbst überlassen, mußte sie durch die innere Logik der ökonomischen Verhältnisse mit Notwendigkeit immer wieder der Selbstauflösung verfallen. Wer also am Institut des Privateigentums festhalten wollte, der mußte auf eine dauernde Verwirklichung der Gleichheit verzichten.

Wenn nun aber die von der Zeit mit solcher Energie aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis des Eigentums zur Gleichheitsidee und alle Versuche, durch Teilung diese Frage zu lösen, immer wieder die Erkenntnis aufdrängen mußten, daß das Eigentum und die Gleichheit sich ausschließen, daß der unüberwindliche Todfeind der absoluten Gleichheit und der reinen Demokratie eben das Privateigentum ist, was hätte da näher gelegen als der Gedanke: Auch das Eigentum muß verschwinden, damit wir zur Gesellschaft der Gleichen gelangen und damit alles aus dem Wege geräumt ist, was die Gleichheit bedrohen kann. Die auf der Eigentumslosigkeit beruhende Gesellschaftsordnung ist die letzte logische Konsequenz des Prinzips der Nivellierung, des gleichen Rechtes aller auf alle Güter des Lebens. Eine Gesellschaft, in der es insbesondere kein individuelles Bodeneigentum mehr gibt, sondern der[330] Boden und der Genuß seiner Früchte allen gemeinsam ist, in der alle Wirtschaft durch das Gemeinwesen zentralisiert ist, weil nur auf der Basis der Gemeinsamkeit die Konkurrenzlosigkeit und damit die Gleichheit aller erreichbar wird.

Wenn demnach die Gleichheit des Kommunismus als der natürliche Abschluß der von der Idee der Gleichheit beherrschten sozialen Bewegung erscheint, wenn die grundsätzliche Negation des Privateigentums, die Gütergemeinschaft sich als eine mit der Zeit unabweisbare Folgerung aus dieser Idee herausstellt, so bestätigt sich von neuem, daß die Republik der Gleichen, wie sie die Kommunistenkomödie des Aristophanes den Athenern vorführte, ihre Analogien in dem proletarischen Gedankenleben der Epoche gehabt haben muß. Das wie ein großes gastliches Haus sich darstellende Zukunftsreich, das allen ohne Unterschied geöffnet ist, die lockende Ladung: Kommt herbei alle und setzt euch an den Tisch, der für euch alle gedeckt ist, – das sind Träume, die in den letzten Jahrhunderten des Griechentums gewiß nicht bloß der Welt der Bühne angehörten.

Diesen allgemeinen Kommunismus kann man sich dann allerdings in der Art seiner Durchführung und in seinen Zielen sehr verschiedenartig ausgemalt haben.

Daß diejenige Richtung, welche die soziale Emanzipation der Masse in der möglichsten Steigerung des Genusses und der möglichsten Befreiung von der Arbeit sah und die letztere auf die für Gemeingut erklärten beseelten Werkzeuge abgewälzt wissen wollte, in ähnlicher Weise bei dem Traum von der Schlaraffia anlangen mußte, wie Frau Praxagora und die Genossen Ratefreund und Hoffegut, das ist bereits zur Genüge dargelegt. Aber es gab ja daneben noch eine andere Anschauung, die, wie wir sahen, nicht sowohl in dem gleichen Recht auf Genuß, als vielmehr in der gleichen Pflicht zur Arbeit die erste Forderung der sozialen Gerechtigkeit erblickte. Wenn man sich diese Idee und die mit ihr verbundene Überschätzung der Handarbeit bis in ihre äußersten Konsequenzen verfolgt denkt, so ergibt sich ein Bild, welches wieder ganz andere Perspektiven eröffnet. Es taucht vor unseren Augen die Idee der sozialistisch organisierten Arbeitsgenossenschaft auf, die errichtet ist auf dem Prinzip sowohl der gleichen Arbeitspflicht für alle, wie der gleichen Beteiligung eines jeden an jeder Art von Arbeit.

Ob und inwieweit allerdings diese Utopie im eigentlichen Volksbewußtsein Wurzel gefaßt hat, wissen wir nicht. Im allgemeinen hat[331] die Masse kaum je weiter gedacht, als auf die Ausgleichung des Eigentums durch Neuverteilung, so daß die dauernde Beseitigung des Privateigentums selbst schwerlich jemals Parteiparole wurde. Daß aber der Gedanke einer sozialistischen Organisation der Arbeit dem sozialpolitischen Denken des Griechentums überhaupt keineswegs fremd war, werden wir an dem Roman vom Sonnenstaat sehen, der uns diesen Höhepunkt der kommunistisch-egalitären Richtung in typisch reiner Gestalt vor Augen führt. Hier wird – in der Form des Ideals – klar und scharf das letzte Ziel formuliert, das sich die Gleichheitsbewegung setzen konnte: der demokratische Kollektivismus, d.h. die Vergesellschaftung der Produktions- und Konsumtionsmittel auf demokratischer Basis, die radikale Beseitigung jeder kapitalistischen durch die sozialistische Organisation der Wirtschaft, die jeden Bürger zum gesellschaftlichen Arbeiter, zum Teilarbeiter genossenschaftlicher Betriebe macht.762

Quelle:
Robert von Pöhlmann: Geschichte der sozialen Frage und des Sozialismus in der antiken Welt, München 31925, Bd. 1, S. 322-332.
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