4. Dictat vom November 1885.

[55] Ich bin in dem Jahre geboren, in welchem der Friede von Basel geschlossen worden ist, der erste Versuch einer Abkunft zwischen dem durch die Revolution umgestalteten Frankreich und dem preußischen Staate, der die conservativen Principien der europäischen Welt in sich trug; mehr ein Versuch der Verständigung, als ein Friede, bei dem die beiden entgegengesetzten Elemente ein Jahrzehnt einander gegenüber bestanden. Man verzeihe mir, wenn ich meine geringfügige Existenz mit den großen Angelegenheiten der Welt in Verbindung bringe; aber anders ist es einmal nicht: jedermann lebt unter dem Einfluß der Gestirne, welche die Welt beherrschen. Das erste Jahrzehnt meines Lebens brachte ich in dem Frieden zu, den das Kurfürstenthum Sachsen, welchem der Ort meiner Geburt angehörte, damals nach innen und außen genoß; es war mit Preußen in engen Bund getreten. Es war ein Stillleben einziger Art, in welches jedoch die Beziehungen zu der literarischen Bewegung jener für Deutschland classischen Epoche zuweilen hereinspielten. Ich besinne mich, daß eines Tages ein Hausgenosse, den ich gern besuchte, mich vor ein Bild, das unter dem Spiegel hing, führte, um mir zu sagen, der Mann, den es darstellte – es war Schiller –, sei eben gestorben. Er bezeichnete ihn als den größten Mann in Deutschland. Das Jahr 1806 erlebte ich in voller Besinnung des Geistes. Ich erinnere mich sehr wohl, wie zuerst ein preußisches Reiterregiment vor dem Städtchen vorüberzog, denn der eigentliche Durchzug wurde vermieden. Auch die Husaren, die am Orte lagen, rüsteten sich, ins Feld zu rücken; alles erwartete eine allgemeine Entscheidung. Am 14. October hatte man eine Ahnung von[56] der Schlacht von Auerstädt. Wir Knaben liefen auf das Hohenroth, eine benachbarte Anhöhe; einige von uns gruben sich in die Erde und meinten da wirklich Kanonendonner zu vernehmen. Ich bekenne: ich habe nichts gehört. Aber nur zu bald bekamen wir die Entscheidung zu erfahren. Das erste Zeichen davon gab eine lange Reihe von Wagen, besonders mit Damen besetzt, die den Rückzug angetreten hatten; dann trafen Flüchtlinge ein, die mein Vater in das Wohnhaus aufnahm und an unserer runden Tafel bewirthete. Gleich darauf aber erschienen die ersten Franzosen. Wie man an den preußischen Reitern die Todtenköpfe bewundert hatte, so erregten nun die französischen Chasseurs die Aufmerksamkeit der Jugend. Man fing an, Preußen und Sachsen zu unterscheiden und die Niederlage als eine eigentlich preußische anzusehen. Wovon man keine Ahnung haben konnte, das war nun doch geschehen: die Entscheidung zwischen den beiden großen Elementen der Welt war erfolgt. Sachsen wurde im ersten Augenblick doch nur mäßig davon betroffen.

Für mich waren die Jahre gekommen, in denen ich meine Studien über den Horizont des Rectors und Kantors von Wiehe erhob. Ich besuchte nacheinander die beiden Klosterschulen Donndorf und Pforte, die noch ganz den alten Stil des Unterrichts an sich trugen, aber mir eine neue Welt öffneten, in der ich athmete und lebte. Die Weltereignisse fanden auch hier einen gewissen Widerhall. Während wir uns in Donndorf mit den Sagen der homerischen Welt beschäftigten, machten doch auch die Napoleonischen Proclamationen, die wir zu lesen bekamen und die wir zuweilen auf den Schiefertafeln nachkritzelten oder nachahmten, den größten Eindruck. Was dann dort begonnen war, setzte sich in Pforte in höherem Tone fort. Ich kann nicht beschreiben, wie viel ich der Schulpforte zu danken habe; nicht gerade dem Unterrichte selbst, aber dem Geiste, der über der Anstalt schwebte und in die Tiefe der classischen Studien versetzte. Ich habe da den größten Theil der Dichter des Alterthums in beiden Sprachen durchgelesen, unter der Führung eines jungen Lehrers auch die Tragiker; selbst Pindar habe ich berührt. Virgil wußten mehrere von uns in ganzen Büchern herzusagen. Unter den Historikern war der vornehmste von allen auch der erste, mit dem wir Bekanntschaft machen konnten. Darauf folgte dann der große Umschlag des Napoleonischen Gestirns im Jahre 1812. Ich studierte eben den Agricola des Tacitus, als die populären Bewegungen, welche die Niederlage der Franzosen herbeirief, bekannt wurden. Ich wurde frappirt von der Identität der Gesichtspunkte, welche Tacitus der Königin Boadicea zuschreibt. Der[57] innere Bezug des Entferntesten zu dem Nächsten und die Gleichförmigkeit zwischen der Ausübung der Gewalt und der Empörung dagegen traten mir vor die Augen. Der erwähnte Freund und Lehrer stimmte mir mit der Bemerkung zu: so ist es auch. Wir erhoben uns zu allgemein historischen Anschauungen, jenseits der Motive, die den Tag bisher beherrschten. Vor unseren Augen, in unserer Nähe sollte nun der große Kampf ausgefochten werden, der über die Welt entschieden hat. Wir sahen Napoleon in der Mitte seiner Generale und Marschälle vor dem Klosterthore vorüberziehen. Bald darauf wurde die Schlacht von Lützen geschlagen; noch einmal triumphirte das revolutionäre und imperialistische Princip. Aber mit welchem Eifer wurden zugleich die Nachrichten von den Rüstungen der Verbündeten bewillkommt! Wir begrüßten die ersten Kosaken, die sich auf der Straße blicken ließen, als Verkündiger einer nahenden Erlösung von dem Drucke, den jetzt alle empfanden. Nur zu lange zögerte auch uns die Entscheidung, bis dann die Schlacht von Leipzig erfolgte, von der wir die erste Kunde aus dem Munde des Generals Thielmann vernahmen, der dort vor den jungen Leuten, die sich am Thore versammelten, den unvergleichlichen Sieg mit den Ziffern der Verluste von Todten und Gefangenen verkündigte, die uns in Staunen versetzten und die Sympathien um so mehr erweckten, da ja Thielmann selbst zu den Verbündeten übergetreten war. Nach einigen Tagen sahen wir nun auch das französische Heer, das bisher immer nach dem Osten vorgerückt war, jetzt nach Westen zurückfliehen. Es bedeckte die Höhen wieder, wie zuvor. Bei dem Paß von Kösen kam es zu einem Zusammentreffen beiderseitiger Geschütze. Mit welchem Staunen sah der Mathematicus der Schule, der liebenswürdige alte Professor Schmidt, der in Napoleon den Mann einer göttlichen Mission erblickte, die rückgängige Bewegung des Heeres, wiewohl er ihn darum nicht aufgab! Dadurch war nun das Weltgeschick entschieden. Die Macht der alten Zustände, wie sie durch die Jahrhunderte hervorgebracht worden, kam wieder zu Tage und jedermann empfand, daß die Zukunft der Welt darauf beruhte, wie weit die Reaction vordringen, wo sie ihre Grenze finden würde. Bei der Abkunft von Paris kam es zu Tage, daß die revolutionäre Invasion abgewendet sei, aber die constitutionelle Reform, die doch auch revolutionäre Elemente in sich trug, bestehen würde.

In dieser Zeit bezog ich die Universität Leipzig. Es machte mir doch Eindruck, wissenschaftliche Vorträge im Zusammenhang zu vernehmen; philosophische und hierauf historische Studien kamen erst jetzt an die Reihe. Es ist wahr, was man öfter gesagt hat, daß ich die[58] Universität früher als gewöhnlich bezog, um mehr Zeit und Raum für meine eigenthümlichen Studien zu finden. Selbst die Vorlesungen Gottfried Hermann's konnten mich doch nicht vollkommen befriedigen, da er auf die Metrik einen Werth legte, den ich niemals recht begriffen habe. Unvergeßlich aber sind mir seine Vorlesungen über Pindar, den ich nun erst verstehen lernte, über Hesiod und die griechische Mythologie und beinahe am meisten die Vorlesung über die griechische Grammatik, welche ein volles Verständniß der Gesammtheit der Sprache athmete, eine logische Begründung der grammatischen Regeln enthielt, die den Geist befriedigt. Die Vorlesungen Krug's waren mir durch dialectische Bestimmtheit nützlich, aber mich dürstete, von dem Kantianer zu Kant selbst und dessen berühmteren Nachfolgern überzugehen; ich schaffte mir Kant's Kritik der reinen Vernunft an und studierte viel bei meiner Lampe. Den größten Eindruck machte mir Fichte, freilich am meisten dessen populäre Schriften, die mit Religion und Politik in Verbindung stehen. Den Reden an die deutsche Nation widmete ich eine unbegrenzte Bewunderung. Noch immer aber stand ich der Historie ziemlich fremd gegenüber. In den Handbüchern sah ich nur eine Unzahl von Notizen, deren Unverständlichkeit und Dürre mich abschreckte. Den größten Einfluß auf meine historischen Studien hatte dann Niebuhr's römische Geschichte. Die Nachahmungen und Wiederholungen aus Livius und Dionysius und die Darstellungen Niebuhr's selbst, die an manchen Stellen einen echt classischen Geist athmen, flößten mir die Ueberzeugung ein, daß es auch in neuerer Zeit Historiker geben könne. Ueber allem schwebte in jener Epoche der Name Goethe, der auch selbst eine moderne Classicität in das Leben und die Studien eingeführt und zur Bildung des nationalen Sinnes in dieser Beziehung unendlich viel beigetragen hat; er stand damals im Zenith seines Ruhmes. Ich war unter meinen Commilitonen sein größter Bewunderer, aber ihn nachzuahmen hätte ich schon damals nicht den Muth, noch auch den rechten Impuls gehabt: er war mir wirklich zu modern. Schon damals suchte ich nach älterer, noch mehr in der Tiefe der Nation liegender sprachlicher Form. Ich ergriff Luther, zuerst nur, um von ihm Deutsch zu lernen und das Fundament der neudeutschen Schriftsprache mir zu eigen zu machen; aber zugleich wurde ich dann doch von dem großen Stoff und seiner historischen Erscheinung selbst ergriffen. Im Jahre 1817 habe ich wirklich den Versuch gemacht, Luther's Geschichte in seiner Sprache zusammenfassend darzustellen. Man begreift, daß mich da auch die theologischen Fragen in tiefer Seele beschäftigten. Die theologischen Studien hatte ich nie aufgegeben.[59] Die kirchenhistorischen Vorlesungen von Tzschirner gehörten zu denen, denen ich das meiste verdankte. Und wenn ich fortfuhr, griechische Autoren zu übersetzen, so fügte ich dem auch Verdeutschungen des hebräischen Textes hinzu.

Aus diesen incohärenten, aber in jedem Fache eifrigen Studien riß mich dann eine Berufung an das Gymnasium von Frankfurt a.O., die ich einem trefflichen Philologen, der mit mir im philologischen Seminare unter Christian Daniel Beck gearbeitet hatte und sehr früh zum Director des Frankfurter Gymnasiums erkoren worden war, verdankte. In dieser Hinsicht war zwischen Preußen und Sachsen kein Unterschied; aber in jeder anderen Beziehung ist es doch die größte Veränderung, die ich überhaupt erlebt habe, daß ich aus dem gesellschaftlichen Leben in Leipzig in eine ansehnliche preußische Stadt überging; wie denn auch Thüringen und meine Vaterstadt mit Preußen vereinigt worden waren. Das öffentliche Leben war ein durchaus verschiedenartiges. In Frankfurt herrschten noch die Erinnerungen an die letzten Kriege vor, welche selbst die Tischgespräche beherrschten. Eine andere geistige Atmosphäre, die nicht verfehlen konnte, mich anzuziehen und zu fesseln. Ich komme hier auf meine Unterscheidung der verschiedenen Richtungen des europäischen Geistes zurück. Preußen gehörte der monarchischen und conservativen Richtung an, die aber durch die großartigen Neuerungen, welche die Siege vorbereitet hatten, doch wieder gemäßigt und in sich selbst mit heterogenen Elementen erfüllt war. Jedermann weiß, wie lebendig die Wogen der Gegensätze in den Jahren 1819, 1820, 1821 aufeinanderstießen. Mein jüngerer Bruder, der mir bald nach Frankfurt folgte, schloß sich an Jahn und die Gesinnungen an, welche mit dem Turnwesen vereinigt waren. Auch ich kam ihnen sehr nahe, bin aber ihnen nie beigetreten. Meine Studien hatten indessen eine positive Richtung genommen; ich war nun ganz Historiker geworden, wozu mein Amt mir den nächsten Anlaß gab. Aber vom ersten Augenblick an verband ich die historischen Studien mit eigenthümlicher Forschung und Aneignung. Ich habe damals zuerst die griechischen und lateinischen Historiker durchgelesen, und zwar im größten Umfang, und fügte sie nun in meine Erzählungen ein, was diesen denn eine ungewohnte Farbe gab und mir einen gewissen Beifall erwarb.

Aber bei dem Alterthum konnte ich nicht stehen bleiben. Die öffentlichen Zustände selbst veranlaßten mich, in die neuere Zeit fortzuschreiten. Niemand könnte sich einen Begriff davon machen, wie sehr mich eben die Zeiten des Uebergangs aus dem römischen Weltalter[60] in das germanische ergriffen und festhielten. Mit einer Art von Entzücken las ich die von Hugo Grotius zusammengestellten Berichte über die Zeit, die man die der Völkerwanderung genannt hat, und die folgende. Ich hatte das Glück, eine große Bibliothek benutzen zu dürfen, die von einem Bibliothekar der Frankfurter Universität zusammengebracht war und damals nicht mehr benutzt wurde. Ich konnte in ihr die authentischen Denkmäler aller Jahrhunderte nach und nach benutzen, so daß ich von den Streitigkeiten des Momentes unabhängiger wurde, als andere. Und noch ein anderes Moment kann ich nicht versäumen zu erwähnen. In den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts machte sich die Ueberzeugung Bahn, daß nur ein tieferes Eingehen in die Grundlagen der Staaten und Reiche der Zukunft genügen könne. Die romantisch-historischen Arbeiten Walter Scott's, die in alle Nationen und Sprachen Eingang fanden, trugen hauptsächlich dazu bei, die Theilnahme an dem Thun und Lassen der vergangenen Zeiten zu erwecken. Auch für mich hatten sie Anziehendes genug und ich las mehr als eins dieser Werke mit lebendiger Theilnahme; aber ich nahm auch Anstoß an denselben. Unter anderem verletzte es mich, wie er Quentin Durward Karl den Kühnen und Ludwig XI. behandelt, ganz im Widerspruch mit der historischen Ueberlieferung, selbst im Einzelnen. Ich studierte Commines und die gleichzeitigen Berichte, die den neuen Ausgaben dieses Autors beigefügt sind, und überzeugte mich, daß ein Karl der Kühne, ein Ludwig XI., wie sie bei Scott geschildert wurden, niemals existirt hatten. Das wußte der würdige und gelehrte Autor wohl auch selbst; aber ich konnte ihm nicht verzeihen, daß er in seine Darstellungen Züge aufgenommen hatte, die vollkommen unhistorisch waren, und sie doch so vortrug, als glaube er daran. Bei der Vergleichung überzeugte ich mich, daß das historisch Ueberlieferte selbst schöner und jedenfalls interessanter sei, als die romanische, Fiction. Ich wandte mich hierauf überhaupt von ihr ab und faßte den Gedanken, bei meinen Arbeiten alles Ersonnene und Erdichtete zu vermeiden und mich streng an die Thatsachen zu halten.

War ich nun hierbei auf die gleichzeitigen Autoren und ihre Autorität angewiesen, so zeigte sich auch da eine analoge Schwierigkeit. Zunächst bei einer Vergleichung zwischen den beiden vornehmsten Autoren über die Anfänge der neueren Geschichte, denen ich mich nunmehr zuwandte, Guicciardini und Jovius, fand ich soviel Abweichungen, die sich nicht mehr ausgleichen ließen, daß ich nicht wußte, welchem ich mich am meisten anschließen sollte. Jovius ist bei weitem[61] gegenständlicher und verräth im Einzelnen mannigfaltige gute Informationen; dagegen ist Guicciardini über die Politik der Zeit bei weitem unterrichteter und unterrichtender. Es war aber ebensowenig möglich, zwischen ihnen zu wählen, als sie zu vereinigen, wenn man auf die Wahrheit selbst Bedacht nehmen wollte. Nun wurden aber noch viele andere Autoren dieser Epoche genannt, bei denen sich eine eigenthümliche Kunde voraussetzen ließ, so daß sie nothwendig herbeigezogen werden mußten, um festen Grund und Boden zu gewinnen. Wenn sich dann herausstellte, daß Guicciardini, bei weitem der talentvollste von allen, doch wieder auch mit denen nicht übereinstimmte, auf der anderen Seite sie geradezu ausgeschrieben hatte, so ergab sich, daß eine Kritik der Geschichtschreiber dieser Epoche unumgänglich nothwendig war. Selbst auf einige deutsche Autoren desselben Zeitraums mußte ein ähnlicher Versuch erstreckt werden; er ergab, daß der berühmte Bericht des Sleidanus über die Kaiserwahl Karls V. doch nur einer einseitigen, großentheils erdichteten Erzählung entnommen war, daß dieser Schriftsteller die echten Urkunden, aus denen sich eine gründliche Kenntniß der Begebenheiten gewinnen läßt, gar nicht einmal gekannt hat. Ich habe hier weder auf Niebuhr, der eigentlich mehr der Tradition einen Sinn verschaffen will, noch vollends auf Gottfried Hermann, der die Autoren im Einzelnen kritisirt, Rücksicht genommen, obwohl ich mir bei großen Männern dieser Art Beifall versprach. Das Verfahren ist auf einem eigenen Wege ohne alle Anmaßung, durch eine Art Nothwendigkeit entstanden; und für die Epoche, die ich zunächst behandelte, genügte es auch ziemlich. Die Briefe Ludwigs XII., die vorlängst bekannt geworden, gaben einen sicheren Faden für die Beurtheilung der wichtigsten politischen Entscheidungen. Eben da aber, wo diese aufhören, mußte auch ich abbrechen.

Ich trat im Jahre 1824 mit meinem ersten Buche, »Geschichten romanischer und germanischer Völker«, hervor, die in ihrer eigenartigen Schreibart mancherlei Anstoß erregten; wie ich denn auch bekennen muß, daß die Ausdrucksweise französischer und deutscher Chronisten sich darin wiederfand, während die aus den classischen Studien herübergenommenen schwierigen Constructionen nicht selten die Wortfügung beherrschten. Aber auf der anderen Seite fand doch die Methode der Forschung, der Inhalt der Darstellung soviel Anerkennung, daß ich diesem Buche meine Berufung an die Universität Berlin im Frühjahr 1825 verdanke. Ich spreche hier nicht von meinen ersten Versuchen auf dem Katheder, aus denen man nur zu bald abnahm, daß ich den Boden, auf dem ich mich bewegen sollte, nicht kannte. Doch sind sie[62] keineswegs unglücklich abgelaufen; ich gewann damit Freunde genug und auch ziemliche Auditorien. Ich bleibe nur bei dem Fortgang der Studien stehen. Da sich mir schon für die Fortsetzung des begonnenen Werkes ergeben hatte, daß ich ohne handschriftliche Quellen nicht weiter vorschreiten könne, so hielt ich es für geboten, eine große Sammlung handschriftlicher Reliquien aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die sich in der Bibliothek von Berlin fanden, zu durchforschen. Eine eigentliche Fortsetzung des begonnenen Buches ließ sich auch damit nicht bewerkstelligen; aber sie eröffneten mir eine neue Welt. Eine so reiche Kunde über die Staaten und Fürsten des 16. Jahrhunderts, als die hier dargebotene, hatte ich niemals erwartet. Ich fand es rathsam, einige Kapitel der Geschichte des 16. Jahrhunderts nach diesen Kundgebungen zu bearbeiten. So erschien im Jahre 1827 das Buch: Fürsten und Völker von Südeuropa. Ich muß bekennen, daß der Umgang mit Männern und, ich darf es nicht verschweigen, auch mit Frauen von universaler Bildung formell großen Einfluß auf mich ausgeübt hat. Die Atmosphäre der Hauptstadt wirkte in dieser Hinsicht noch mehr auf mich, als der Aufenthalt in einer Provinzialstadt. So kam es denn, daß in dem neuen Buche vieles von dem vermieden wurde, was in dem ersten beschwerlich gefallen war. Es fand in den höchsten Kreisen in Deutschland die beste Aufnahme und selbst den Beifall der gelesensten französischen Autoren.

Nun aber konnte ich dabei nicht stehen bleiben; denn leicht ließ sich ermessen, daß jene Berliner Sammlung, so voluminös sie ist, doch gegen den Stoff, welchen italienische Bibliotheken und Archive liefern mußten, nur sehr unbedeutend sein konnte. Ich fand die nothwendige Unterstützung, um mich zur Hebung dieses Schatzes selbst auf den Weg zu machen. Wenn ich mich dabei zunächst nach Wien wandte, so geschah das, weil ein guter Theil des Archives von Venedig in Folge der Occupation dieser Stadt nach Wien übergeführt worden war und sich in dem dortigen Archiv in der That befand. In der heutigen Zeit hat man keine Idee mehr davon, wie schwer es damals war und wurde, Zutritt in die Archive zu finden. Fürst Metternich hat sich ein unsterbliches Verdienst erworben, daß er mir auf den Rath des geistvollen Gentz die Erlaubniß zur Benutzung des Archives gab, die ich dann nicht verfehlte gründlich auszubeuten. Ich fand daselbst einen reichen Schatz venetianischer Relationen und das große Tagebuch des Marino Sanudo im Original. Doch war ich auf das Archiv nicht beschränkt. In der Bibliothek des Hofes fand sich eine ansehnliche Anzahl venetianischer Relationen, bezüglich auf die Türkei und[63] auf Deutschland. Ich durchsuchte sie mit dem einmal angeregten Fleiße – denn ich stieß von Tag zu Tag auf Neues, Unerwartetes, Belehrendes – auf das emsigste. Zu gleich aber war der Aufenthalt in Wien, der sich vom October 1827 bis zum October 1828 erstreckte, in jeder anderen Weise ergiebig. Den schriftlichen Informationen reihten sich mündliche an. An Wuk Stepanowitsch, dem gelehrtesten aller Serben, die damals lebten, fand ich einen Freund, der mir seine Sammlung zu der serbischen Geschichte mittheilte. Sie ergriff mich durch die lebendige Information über ein Ereigniß von allgemeinster historischer und politischer Bedeutung in der Tiefe des Geistes und Herzens. Im Sommer 1828 habe ich daraus die Geschichte der Revolution in Serbien zusammengestellt, bei der mir die Beihilfe unvergeßlich ist, die mir der damalige Mittelsmann deutscher und slavischer Gelehrsamkeit, Kopitar, geleistet hat.

Wie sich versteht, verlor ich dabei meinen Hauptzweck nicht aus den Augen. Im October 1828 reiste ich nach Venedig ab. Mein erster venetianischer Aufenthalt dauerte bis Februar 1829. Ich ging dann nach Florenz. Am 22. März sah ich den ersten grünen Strauch in der römischen Campagna. In Rom blieb ich, nicht jedoch ohne einen Ausflug nach Neapel zu machen, bis zum April 1830. Nochmals führten mich dann meine Studien nach Florenz zurück, wo ich noch die letzten Zeitungen über die Bewegung, die der Julirevolution voranging, zu lesen bekam. Ich ließ mich dadurch in meinem Vorhaben nicht irren, welches gerade jetzt die größte Wichtigkeit bekam; denn erst nach der Hand hatte ich die Erlaubniß erhalten, das venetianische Archiv in Venedig selbst zu benutzen; hier erst bekam ich die ganze Reihe der venetianischen Relationen, die ganz unbemerkt dalagen, zu Gesicht und konnte sie nach Herzenslust benutzen. Niemals habe ich mehr gelernt und gedacht, niemals mehr eingeheimst, als in der zweiten Hälfte des Jahres 1830 und in der ersten des Jahres 1831. Ich will mich jedoch jetzt diesen Erinnerungen nicht hingeben, in der Hoffnung, über meinen italienischen Aufenthalt künftig einen näheren Bericht zu erstatten. Hier will ich nur von meiner Berührung mit dem großen Zwiespalt, der die Welt erfüllte, sprechen.

Ueber meinen Aufenthalt in Frankfurt a.O. brauche ich in dieser Hinsicht nicht ausführlich zu sein. Es waren das die Zeiten, in welchen das Resultat der vorangegangenen Jahrzehnte, der Sieg der Verbündeten und des Princips der Legitimität über die autonomen Gewalten, den größten Widerspruch fand, von dem nun auch ein Gymnasiallehrer nicht unberührt bleiben konnte. Gerade die Körperschaft,[64] der ich angehörte, wurde in denselben hineingezogen. Ich war nie Mitglied der Burschenschaft gewesen. Durch meinen Bruder, der in Jena studiert hatte, kamen mir aber doch die Unabhängigkeitsgedanken der Jugend und die germanische Tendenz derselben unendlich nahe. Der Ausbruch revolutionärer Bewegungen, die in Italien und Spanien hervorbrachen, erweckte ein lebhaftes Für und Wider in der damaligen Gesellschaft. Was hätte aber mehr die Geister erfüllen und anregen können, als die Erhebung der Griechen gegen das Joch der Türken? Ich will nicht leugnen, daß die Studien über das osmanische Reich, die dann im ersten Bande der Fürsten und Völker mitgetheilt wurden, auf diesen Anregungen beruhen; hauptsächlich liegen sie in einigen Anmerkungen über das Fortleben der griechischen Welt unter dem türkischen Joche zu Tage. Ebenso ging es mir in Berlin mit der Geschichte der Revolution überhaupt; ich wurde von der Gesellschaft, der ich nahe stand, in der man die communistische Zeitschrift Globe und alle Denkwürdigkeiten, die auf die Revolution Bezug hatten, eifrig studierte, entschieden nach dieser Seite hin gedrängt. Das Ergebniß war, daß ich im Jahre 1827 die vornehmsten echten Denkwürdigkeiten dieser Epoche selbst in die Hand nahm. Aber nicht genug; ich vertiefte mich in den Moniteur, so daß ich mit den Urhebern der revolutionären Bewegung gleichsam persönlich bekannt wurde. Ich lernte nicht allein die Motive, die sie kundgaben, sondern auch die Tendenzen, die ihnen vorschwebten, besser kennen, als wenn ich mich erst an Autoritäten zweiter Hand gewandt hätte. In mir selbst kam ich über das Problem – ob die Revolution ein allgemeines, Geist und Gemüth mit Nothwendigkeit bestimmendes und eine unbedingte Theilnahme erforderndes Interesse in sich habe, oder ob es ein Ereigniß sei, das, wie andere, seine eigenthümlichen Wurzeln in den Thatsachen hatte und aus Verflechtungen hervorging, die auch andere hätten sein können – zur Entscheidung. Ich erkannte die unendliche Bedeutung für die Welt und für jeden Einzelnen, die darin liegt, lebendig an, versöhnte mich aber doch mit den entgegengesetzten Bestrebungen der von der Bewegung nicht ergriffenen europäischen Welt. In meinen Papieren finden sich noch Versuche der Kritik über die wichtigsten biographischen Denkmale der Epoche. Genug, ich gelangte unter den eifrigsten Studien zu einer beide Seiten in sich begreifenden Auffassung, die mir eine gewisse innere Ruhe gab, welche von den Tagesbegebenheiten nicht erschüttert werden konnte.

Ich gehörte nun meiner persönlichen Stellung nach dem System an, welches noch im Besitze der Gewalt war. Aber daß es erschüttert[65] sei, konnte ich mir nicht verbergen. Bei meinem ersten, leider auch letzten Besuche in Prag hörte ich das Brausen der nationalen Bewegung gegen die Wiener Hofburg; ich hörte sogar die Frage, ob es nicht besser wäre, wenn Böhmen sich an Preußen anschlösse. Das meiste aber erfuhr ich in dieser Hofburg selbst oder wenigstens in ihrer unmittelbaren Nähe. Der Hofrath Gentz leitete noch, wie man damals wohl sagte, vom Klepperstalle aus die Politik von Österreich und von Europa. Gentz hatte die große Güte, mir sein Vertrauen zu schenken. Ich besuchte ihn alle acht Tage einmal. Er war bekanntlich kein Mann, der sich in Dunkel verhüllte: er sprach ohne Zurückhaltung und eben darum gut und überhaupt so, daß er sich selbst genügte. Ich wurde nach und nach einer der bestunterrichteten Männer in Wien, was die Tagesbegebenheiten anlangte; aber noch viel tiefer ging der Eindruck, den mir die Mittheilungen von Gentz machten. Er war nicht allein der heftigste Gegner der englischen und französischen Politik, die für Griechenland Partei nahm; bei Canning's Tod fühlte man sich in Wien wie von einem Alp befreit. Davon aber befürchtete man nicht soviel, wie von dem alle Tage anwachsenden Mißverständniß mit Rußland. Gentz wiederholte mir die Eindrücke, die ihm die englischen, hauptsächlich aber die russischen Depeschen machten. Er hat mir damals geradezu gesagt: von Rußland bekomme man Erlasse, wie sie schlimmer von Napoleon nicht ausgegangen wären. Ich habe davon nichts zu Papier gebracht, obwohl ich es vielleicht hätte thun sollen; aber ich würde damit in meine Studien ein falsches Element gebracht haben. Einmal nur habe ich mich in der Mitte derselben zu einem Aufsatze ermannt, in welchem ich die Unvermeidlichkeit einer neuen Revolution betonte, die auf denselben politischen Verflechtungen fußen müsse, wie die erste, obgleich sie die Tiefe der Impulse von damals nicht wiederholen könnte. Als ich nun nach Italien kam, bemerkte ich wohl selbst in Venedig ähnliche Bewegungen, wie dort in Prag; sie waren jedoch nicht eben stark. Im allgemeinen fühlte man sich wohl unter einer gerechten Regierung. Wie hätten sich auch Manifestationen anderer Art selbst einem Prussiano gegenüber, der aber den Tedeschi sehr nahe stand, kundgeben sollen? Viel ungescheuter äußerte man sich in dem übrigen Italien, namentlich in Rom, wo die heftigste Opposition gegen die damalige Regierung unter Leo XII. und Pius VIII., überhaupt aber gegen das Übergewicht des Klerus und der Kardinäle ausgesprochen wurde. Noch unmittelbarer aber berührte mich die öffentliche Meinung in den Salons. Es war die glänzendste Zeit unseres Bunsen, der, in wichtigen Unterhandlungen mit dem päpstlichen[66] Stuhl begriffen, die doch zugleich im Interesse Preußens fußten, Männer der verschiedensten Nationen und Parteien um sich sammelte, so daß ein freier Austausch der Befürchtungen und Hoffnungen zustande kam. Der Gegenstand der öffentlichen Aufmerksamkeit war nun aber die Bewegung in Frankreich, die immer schärfer und drohender wurde. Man hat schon damals die Meinung geäußert, daß es mit den Bourbons in Frankreich ein Ende haben, daß Karl X. nicht vermögen würde sich zu behaupten. War doch Chateaubriand, damals französischer Botschafter in Rom, mit seinem Hofe nicht einverstanden. Aber an eine Modifikation der französischen Regierung, wie er sie beabsichtigte, glaubten die wenigsten. Man zog das Beispiel von England heran. Man glaubte den Sturz Karls X. vorauszusehen, an dessen Stelle der Herzog von Orleans treten werde, wie Wilhelm III. an die Stelle Jakobs II.

Das war mir alles lebendig, als die Revolution in Frankreich wirklich nochmals ausbrach. Ich bekam die Nachricht davon auf der Höhe des Appennin durch ein Zeitungsblatt. Als ich nach Venedig gelangte, war alles vollendet: Karl X. auf der Flucht, der Herzog von Orleans wirklich auf dem Throne.

Auch im Archiv von Venedig, das ich nun besuchte, theilte man den allgemeinen Jubel nicht, mit welchem dieses große Ereigniß aufgenommen wurde. Die Archivare fühlten sich dem Kaiser Franz, der das Archiv – denn unter der Republik gab es kein solches – zuerst vereinigt und in einem stattlichen Neubau hatte aufstellen lassen, zu Dank verpflichtet. Man fürchtete einen allgemeinen Umsturz und auch da ist wohl die Frage erörtert worden, ob die verbündeten Mächte nicht nochmals nach Frankreich ziehen und das bourbonische Regiment wiederherstellen würden. Ich wußte besser, daß ein allgemeiner Umsturz auf der einen Seite nicht zu befürchten, auf der anderen Seite aber auch nicht zu erwarten sei, daß die Mächte zu einer nochmaligen Bekämpfung der Revolution in dieser Gestalt sich vereinigen würden.

König Friedrich Wilhelm III. war der entschiedenste Gegner eines solchen Vorhabens; er wollte das Schicksal der Welt nicht wieder auf der Spitze des Schwertes schwanken sehen: dem Grafen Nostitz, den er damals dem Prinzen Wilhelm zur Seite in die Rheinlande schickte, machte er es zur Pflicht, den Ausbruch eines Krieges zu vermeiden. So stand es nun aber doch, daß die revolutionären Antriebe, welche, keineswegs erstickt, noch immer lebendigen Anklang in den Populationen fanden, durch das französische Ereigniß zum vollkommenen Bewußtsein ihrer Macht gelangten und allenthalben hervorbrachen, während sich[67] die conservativen Principien schon im Gegensatz stark und gewaltig regten.

Es war in diesem Widerstreit, daß ich am 22. März 1831 nach Berlin zurückkam. Die Geister waren in dem lebendigsten Antagonismus begriffen. Man meinte wohl, ich würde nun nichts zu thun haben, als die Schätze mitzutheilen und zu verwerthen, die ich auf der Reise gesammelt hatte. Auch geschah das sogleich durch die Veröffentlichung einer Abhandlung über die Verschwörung gegen Venedig im Jahre 1618, aber freilich an einem einzelnen, beinahe vergessenen Punkte, der sogleich zu bewältigen war. Aber größere Unternehmungen erfordern eine größere Sammlung, die sich namentlich unter den Einflüssen der Berliner Gesellschaft, in die ich nun wieder zurücktrat, nicht erreichen ließ. Die Sympathien mit dem Ereigniß in Frankreich waren so stark und überwältigend, daß ich mich selbst dazu fortreißen ließ, mein Wort hineinzuwerfen.

In Berlin regten sich wie die Sympathien, so auch die Antipathien gegen die Revolution von 1830; aber viele gab es auch, die den äußersten Consequenzen sowohl der revolutionären als auch der antirevolutionären Ideen entgegentraten. Es waren großentheils meine besten Freunde, Männer von intactem Rufe und ungetrübter Intelligenz; an diesen fand ich einen Rückhalt, ohne daß jedoch von einem oder dem anderen ein unmittelbarer Einfluß ausgeübt worden wäre. So wurde ich politischer Schriftsteller, aber auf der Grundlage der Ideen, die sich mir aus Studien der Historie und der Theilnahme am Leben gebildet hatten. Eine Haltung dieser Art konnte aber nicht verstanden werden. Ich hielt mich in einiger Ferne von den Ideen, welche in dem politischen Wochenblatt zu Tage traten und die doch von vielen als rechtgläubig betrachtet wurden. Auf der anderen Seite fühlte man aber auch mehr den Widerstand, den ich der allgemeinen Gültigkeit der revolutionären Idee entgegensetzte. Den ersten galt ich als Ultra, die anderen wollten einen jakobinischen Anflug bei mir bemerken. Mein Sinn war nur, die inmitten der beiden Systeme bereits ausgebildete Haltung des preußischen Staates zu verfechten. Daß ich dem Positiven und Bestehenden mehr zuneigte, als dem wilden Treiben der revolutionären Tendenzen, liegt am Tage, und ich selbst wurde gar bald inne, daß auf diesem Wege doch nichts zur Entscheidung gebracht werden könne, und griff nun wieder zu den Arbeiten, die ich bisher bei Seite gelegt hatte.

Das letzte Jahrzent der Regierung Friedrich Wilhelms III. war für die Bewegung der Geister von unendlicher Wichtigkeit. Auf der[68] Universität Berlin trafen die beiden Tendenzen auf einander, jedoch hätte keine sich eines definitiven Sieges zu erfreuen hoffen dürfen. Mir stiegen nun aus dem Studium der mitgebrachten Papiere Arbeiten vor, die diesem Geiste entsprachen. Zuerst die Geschichte der Päpste, von der niemand sagen konnte, ob sie mehr für oder gegen das Papsthum geschrieben sei; sie war weder für noch wider gedacht; sie war nur eben das Resultat grundlegender und unparteiischer Studien. So ist sie auch aufgenommen worden. Doch schien es mir selbst, als ob dem protestantischen Element nicht vollkommene Gerechtigkeit darin widerfahren sei. Nach Vollendung des ersten Werkes ging ich einst mit Savigny in sei nem Garten spazieren; er fragte mich mit herzlicher Theilnahme, was ich nun demnächst unternehmen würde. Ich sprach ihm von der Aufgabe, die ich mir vorlängst gesetzt hatte und die bei einem Besuch in Frankfurt a.M., bei Ansicht der Reichstagsacten in mir mit doppelter Stärke erwachsen war, der Entwickelung des deutschen Reichs zur Zeit der Entstehung des Protestantismus meine Kräfte zu widmen, was denn seinen vollen Beifall hatte. Denn an und für sich mußte ich den Studien aus italienischen Archiven noch andere in den deutschen hinzufügen, in welchen auch diese Seite lebendiger zur Darstellung kam. So voluminös die Sammlungen der Reichstagsberichte, die sich mir in Frankfurt darboten, auch waren, so betrafen sie doch nur das städtische Interesse, was für mein Vorhaben erst in der zweiten oder dritten Stelle stand; bei weitem wichtiger waren die Nachrichten und Reliquien, die ich an den fürstlichen Höfen gesammelt hatte, namentlich die sächsischen, die für die frühere Zeit in Weimar, für die spätere Zeit in Dresden zu suchen waren. Für mich bot ein Besuch in diesen Städten den doppelten Vortheil dar, zugleich die Vergangenheit studieren und auch der Gegenwart an wichtigen Punkten näher treten zu können. Der Besuch in Weimar führte mich an den großherzoglichen Hof, wo damals eine Frau waltete, die zugleich der europäischen Welt angehörte und in die deutsche auf das engste eingriff. Sympathien für Luther fand ich in Weimar nicht; man gab ihm den Verlust des Kurfürstenthums und die Unterordnung unter die albertinische Linie, die doch die jüngere war, noch immer mit einer gewissen Lebhaftigkeit schuld. Unendlich wichtig aber waren die Sammlungen, unschätzbar für die Reichstage unter Maximilian I. Mit dem Studium der alten Zeit verknüpften sich die Beziehungen der neuesten. Und noch weiter sollte mich die Beschäftigung mit der Reformationsepoche führen. Im Jahre 1839 fand ich, daß mir doch neben den reichsständischen Erläuterungen der damaligen Welt nun auch noch eine[69] zuverlässige Kunde über den Mittelpunkt von allem, den kaiserlichen Hof, abging. Ich kann das Vergnügen nicht beschreiben, mit welchem ich in Brüssel die wohlgeordneten Bände in die Hand nahm, in denen die Reliquien des Hauses Österreich in den Niederlanden, namentlich Karls V. behandelt waren. Mein Erstaunen aber und zugleich meine Befriedigung stieg noch in höherem Grade, als mir die noch ungeordneten Materialien aus den letzten Zeiten dieses Herrschers, die man noch besaß, zu Gesichte kamen und zugänglich wurden. Das war es eben, was ich zur Vollendung meines Werkes noch bedurfte. Sie sind später als Korrespondenz Karls V. gedruckt, aber erst, nachdem ich sie bereits benutzt hatte. Die Entdeckung des Neuen giebt auch der Bearbeitung einen besonderen Reiz, selbst wenn man sich bescheidet, dabei nicht stehen bleiben zu können. Der Arbeit gab es nun vollauf, zumal da auch die theologischen Streitigkeiten doch immer ein lebendiges Interesse darboten. Man hat später selbst von befreundeter Seite das Werk über die Epoche der Reformation der Geschichte des Papstthums weit nachstehend gefunden. Ich empfand das selbst: es schien mir unmöglich, aus Reichstagsacten und theologischen Ausführungen ein lesbares Buch zusammenzustellen; aber der Stoff brachte die Form mit sich, und der Zweck war ein ganz anderer. Über die grundlegende Begebenheit der neueren Zeit meinte ich ein grundlegendes Werk abfassen zu sollen. Es kam mir nicht auf Leser aus der großen Welt, sondern auf eine Befriedigung der deutschen Gelehrsamkeit und der deutschen religiösen Überzeugung an. Möge das Werk auch fortan die Beachtung finden, deren es gleich damals würdig gehalten wurde!

Indem ich damit beschäftigt war, war nun aber in Preußen, in Deutschland alles dadurch verändert worden, daß Friedrich Wilelm III. starb. Mit ihm ging der einzige der großen Fürsten zu Grabe, welche noch die Kriege der Restaurationsepoche geführt hatten. Friedrich Wilhelm III. hatte es, wie berührt, hauptsächlich verhindert, daß ein neuer Krieg gegen die Julirevolution unternommen wurde; aber diese hatte auch da durch festen Boden gewonnen, daß sie einen solchen Gegensatz nicht fand, noch zu fürchten brauchte. Und wie nun das Julikönigthum selbst auf einer Vereinbarung der beiden Principien beruhte, die jedoch nur eben eine persönliche war, so daß zwar eine Quasilegitimität zustande kam, die aber nur auf einer Wiederbelebung der revolutionären Ideen und einem Siege derselben beruhte, so waren diese zu einem unendlichen Übergewicht in Europa gelangt. Durch die Presse hatten sie auch Eingang in Deutschland gefunden. Den Gegenstand der Controverse bildete hauptsächlich die Forderung einer Verfassung, kraft welcher[70] die fürstliche Allgewalt durch populäre Kammern beschränkt werden sollte. Man begleitete in Berlin diese Bewegung mit der größten Aufmerksamkeit; sie wurde in allen gesellschaftlichen Gesprächen ventilirt, zumal da die Regierung durch eine frühere Ankündigung für verpflichtet erachtet wurde, zu einem ähnlichen Werke zu schreiten. Friedrich Wilhelm III. hatte sich jedoch gescheut, eine so große Veränderung vorzunehmen, und die persönliche Autorität, die er genoß, hatte selbst alle nachhaltigen Demonstrationen in diesem Sinne verhindert. Von dem neuen Fürsten aber erwartete man eine durchgreifende Entscheidung. Friedrich Wilhelm IV., der die Ideen der Restaurationskriege noch immer aufs lebendigste in sich trug, perhorrescirte alles, was an die Revolution anlautete; selbst das Wort Constitution, das damals mit revolutionären Elementen durchdrungen zur Erscheinung kam, war ihm zuwider. Aber ebenso wenig billigte er das Thun und Treiben einer absoluten Bureaukratie. Seine Idee war, eine ständische Verfassung durchzuführen auf den alten Grundlagen der historischen Entwickelung, aber zugleich einheitlich zusammengefaßt unter dem König selbst.

Ich hatte mit Friedrich Wilhelm IV. in Venedig, wenn ich so sagen darf, Bekanntschaft gemacht; zuerst habe ich ihn auf der Markusbibliothek – es war im Jahre 1828 – gesehen, dann mehr als einmal in dem Hotel Danieli. Er empfing mich als seinen alten Bekannten mit dem Ausdruck der Anerkennung, die für mich so schmeichelhaft war, daß ich sie nicht wiederholen mag, in Bezug auf meine Fürsten und Völker. Er ist seitdem mein gnädiger Herr und Gönner geblieben. Schon zur Seite seines Vaters nahm er eine Stellung ein, die seinem Geist entsprach: ich habe ihn damals von Zeit zu Zeit gesehen, ohne jedoch eigentlich zu seiner intimen Bekanntschaft zu gehören, die mir aber durch Radowitz, Voß und Gerlach sehr wohl bekannt war. Der erste war ein Mann von glänzendem Geist und umfassenden Kenntnissen; der zweite ein Sprößling aus einer alten ministeriellen märkischen Familie, doctrinär, der Landesverhältnisse überaus kundig, brav durch und durch, von ständischen Doctrinen seiner ganzen Stellung nach durchdrungen. Dessen Freund war Gerlach; sie waren einander einmal auf der Universität Heidelberg begegnet, von jenen Gesinnungen, die nach der rechten Seite hin gravitirten, damals durchdrungen, orthodox im religiösen und politischen Bekenntniß; Gerlach hatte die Doctrinen Hallers in sich aufgenommen. Damals waren nun Radowitz und Gerlach nicht am Hofe. Für die Regierung pflog Friedrich Wilhelm IV. besonders mit seinem Generaladjutanten Thiele Berathungen. Von Thiele habe ich nun zu meinem Erstaunen die Anfrage erhalten,[71] ob ich geneigt sei, dem König in seinen ständischen Bestrebungen Rath zu geben und ihm zu dienen. Es gehört wohl zu den wichtigsten Momenten meines Lebens, daß ich darauf mit aller Bescheidenheit doch nur negativ antworten konnte. Denn so genau kannte ich die inneren Zustände der preußischen Provinzen doch nicht, um bei dem Ausbau einer ständischen Verfassung Rath zu geben, der dann auch schwerlich befolgt worden wäre. Ich war noch mit den letzten Theilen der Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation beschäftigt und lebte so vollkommen in dem 16. Jahrhundert, daß ich in die neue Aufgabe mich schwerlich hätte finden können.

Und als ich nun das Werk abgeschlossen hatte, war ich doch wieder in andere Studien gerathen, die mir selbst am nächsten lagen. Einmal fühlte ich selbst den Mangel in meiner allgemeinen historischen Ausbildung, welcher darin lag, daß ich den großen Nationen, die durch Kultur und Macht die größte Rolle auf der Schaubühne der Welt spielten, nicht durch persönlichen Umgang im Kreise derselben näher getreten war. Denn nur so ließ sich der Gedanke einer allgemeinen Umfassung, mit dem ich mich von jeher trug, realisiren. Auf der anderen Seite stand es mir für diese allgemeine Umfassung im Wege, daß ich die Stellung von Preußen selbst nicht gehörig zu würdigen vermochte. Der wichtigste Moment dafür lag darin, daß das doch ziemlich beschränkte Kurfürstenthum Brandenburg zu einer europäischen Macht ersten Ranges geworden sei. Man wußte das wohl im allgemeinen; ich wünschte es mit einer Gründlichkeit und Anschaulichkeit zu entwickeln, wie ich sie überhaupt zu erreichen suchte. Den nächsten Anlaß dazu gab mir aber der erste längere Aufenthalt, den ich im Jahre 1843 in Paris nehmen konnte.

Den Weg dazu hatte mir mein Buch über die Päpste gebahnt, dem ich die Bekanntschaft mit Thiers verdankte; er hatte mir nicht lange vorher die Ehre erwiesen, mir hier in Berlin in der Luisenstraße einen Besuch zu machen, und mir die lebendigste Anerkennung dieser Arbeit ausgesprochen. Ich sah ihn dann in Paris wieder und er trat zu mir in ein freundschaftliches Verhältniß intimster Art, inwiefern ein solches stattfinden konnte zwischen einem Manne, der in den revolutionären Anschauungen erwachsen war und zu ihrer Ausbildung in einer bestimmten Rücksicht das meiste beigetragen hatte, und einem deutschen Gelehrten, der doch mehr der entgegengesetzten Seite angehörte und in dem revolutionären Elemente nur ein Element der Welt erkannte, welches nicht wieder beseitigt werden kann. Thiers war weit entfernt, sich der revolutionären Bewegung hinzugeben; er[72] hatte sich den communistischen Tendenzen mit der öffentlichen Gewalt, die ihm ein paar Jahre lang zufiel, lebhaft und eifrig widersetzt. Auch mit seinem König freilich, der die demokratischen Bestrebungen verabscheute, war er zerfallen. Er lebte in der Mitte von Zuständen, welche die Begründung einer stabilen Regierung auf einer der Revolution entsprechenden Grundlage herbeizuführen suchten. Aber überdies war er ein Mann von Geist; er hatte Sinn dafür, wenn ich das doch für unmöglich erklärte. Er erwartete alles von der Durchführung einer Constitution; ich sagte ihm wohl, man werde nie einen geborenen Fürsten finden, wie das doch bei den Constitutionen vorausgesetzt wurde, der sich diesen Bedingungen vollkommen unterwerfen würde.

Als ich nun zuerst nach Paris kam, hatte ich anfangs die Absicht, die Geschichte der Revolution selbst, für die ich früher mit vorgearbeitet hatte, zum Gegenstand meines Studiums zu machen. Auch fand ich in dem Nationalarchiv mancherlei vor, was unbekannt war, aber zu einer durchgreifenden Bearbeitung des Gegenstandes reichte es bei weitem nicht hin. Und indem ich davon abstand, bot sich mir eine Relation von größtem Werthe dar, die sich auf Preußen selbst bezog.

Es waren die Briefe des französischen Gesandten bei Friedrich dem Großen, Valori, aus denen mancherlei bekannt geworden war, was aber den Reichthum des Inhalts der Briefe selbst kaum ahnen ließ. Der Vorsteher des Archivs der auswärtigen Angelegenheiten, Mignet, der mir ebenfalls viele Freundschaft widmete, nahm keinen Anstand, mir den unbeschränkten Gebrauch derselben zuzugestehen, und ich habe gar manchen Tag von 10–3 Uhr Auszüge daraus gemacht bis zur Ermüdung meiner Hand; denn einer fremden mich zu bedienen, verhinderte damals die strenge Hausordnung des Archivs. Mit einem Reichthum originaler Mittheilungen über Preußen kehrte ich nach Berlin zurück. Und ich hätte vielleicht gut gethan, sie, wie sie waren, der Welt vorzulegen; aber es würde doch nicht von Grund aus belehrend gewesen sein. Wollte ich etwas leisten, so war es unerläßlich, in den preußischen Archiven selbst Aufklärung und Belehrung zu suchen. Diese, die bisher strenge verschlossen gehalten waren, wurden mir bereitwillig geöffnet; nur war ich auch hier auf meine eigene Hand angewiesen. Man hat keinen Begriff davon, wie viel Zeit ein solches Durchforschen einzelner Papiere in Anspruch nimmt. Allein der Gegenstand war eben der, der hauptsächlich meine Wißbegierde reizte und mir auch sonst sehr nahe lag. Herr von Thiele sagte mir wohl, ich würde nun wohl die Kräfte, deren Ursprung ich im 16. Jahrhundert nachgewiesen, hier ins Gefecht führen. Mich belebte noch ein anderer Gesichtspunkt,[73] der schon angedeutete, die Erhebung des Kurfürstenthums Brandenburg zu einer europäischen Macht begreifen zu lernen. Dazu aber war erst der Mann zu schildern, der die militärischen Kräfte gesammelt und den Staat geordnet hatte. Ich wandte mich zu dem Studium der Geschichte Friedrich Wilhelms I. Der erste Band meiner Neun Bücher preußischer Geschichte ist diesem administrativen Schöpfer und Ordner des Staates gewidmet. Er war übel berufen in der preußischen Geschichte; es machte großes Aufsehen, daß ich ihn von einer würdigen und bewunderungswerthen Seite zeigte. Hierauf wandte ich mich zu Friedrich II. und, wie sich versteht, zunächst zu seinem Kampfe mit Oesterreich. In seinem eigenen historischen Werke ist dieser doch nicht mit der Evidenz geschildert, die sich aus den Actenstücken ergab. Zu großem Vortheil gereichte mir, daß ich schon vorher den Briefwechsel Valori's studiert und mir angeeignet hatte.

Meine Arbeit fand zwar vielen Beifall bei den einen, aber auch mannigfaltigen Widerspruch bei den anderen. Indem der König sie zu Gesicht bekam, war er selbst von einem Sturme überfallen, von dem niemand eine Ahnung hatte. Die Stürme des Jahres 1848 gingen noch tiefer als die Revolution von 1830; sie waren zugleich socialer Art. Zunächst warfen sie die von der Julimonarchie eingerichtete, aber nicht fest begründete Ordnung der Dinge aus einander. Dadurch aber, daß ganz Europa in ähnlichen Schwankungen begriffen war, wie die Julimonarchie selbst, wurde der Umsturz derselben unheilvoll für alle übrigen. Es trat ein Moment ein, in dem ein allgemeiner Umsturz vor der Thür zu stehen schien. Friedrich Wilhelm IV. hatte soeben sein Verfassungswerk durch die Berufung des vereinigten Landtags zustande gebracht; allein dem allgemeinen Umsturz gegenüber konnte er sich keinen Augenblick behaupten. Er wurde genöthigt, zu einer zweiten Verfassung zu schreiten, welche den revolutionären Elementen einen breiten Spielraum ließ. Zuweilen bin ich in ziemlich verzweifelten Augenblicken indirect zu Rate gezogen worden; der damalige Flügeladjutant, spätere Feldmarschall Edwin v. Manteuffel bot sich zum Vermittler dar. Und wenigstens soviel habe ich vernommen, daß der König auf seinen Vortrag Rücksicht nahm und sich zu einer festen Haltung ermannte. Er faßte Vertrauen zu mir, weil sich eine oder die andere Voraussagung, zu der ich aber nur durch die vorliegenden Momente bestimmt wurde, z.B. über die Präsidentschaft des jungen Napoleon, bewahrheitete. Seitdem habe ich den König öfter gesehen, als früher, um mich an der Genialität seines Wesens und der Tiefe seiner inneren Impulse, dem niemals getrübten Blick, der[74] sich über die Welt erstreckte, zu erfreuen und zu erbauen. Aber an dem Werke der preußischen Geschichte fortzuarbeiten, wäre mir doch unmöglich gewesen. Die Unruhen, die ich vor mir sah, veranlaßten mich, auf die Studien des Alterthums zurückzugreifen, woraus dann meine Vorlesungen über die Geschichte des Alterthums überhaupt, namentlich von Rom, hervorgegangen sind. Inbezug auf unmittelbare schriftstellerische Thätigkeit konnte ich nun erst auf die Sammlungen zurückgreifen, die ich in Italien gemacht hatte. In dem Conflict der urkundlichen Nachrichten mit den angenommenen Meinungen ist meine Geschichte von Frankreich entstanden, die ich dem König noch vorzulesen in Stand kam; er liebte die Franzosen im allgemeinen und verstand sie auch. Zuweilen habe ich gewünscht, einen oder den anderen Abschnitt ihm noch früher vorgelegt zu haben, so treffend waren seine Bemerkungen. Das muß ich überhaupt sagen: er war ein Mann, von dem man besser wegging, als man gekommen war. Eines Tages trug ich ihm einige Ideen über die englische Geschichte, namentlich die große Katastrophe, die man die Revolution von 1688 nennt, mit einer gewissen Ausführlichkeit vor. Niemals habe ich ihn aufmerksamer gefunden; als ich ihm sagte, diese Begebenheit werde den Gegenstand meines nächsten Werkes ausmachen, rief er mir ein freudig beifälliges Wort zu: »Thun Sie das, vielleicht dringen Sie durch!«

Zwei Jahrzehnte früher hatte ich dem Kronprinzen Maximilian von Bayern, der damals an der Universität Berlin studierte, einige Vorlesungen gehalten, nicht gerade viele, die mir aber seinen Beifall und seine Gunst für das Leben gewannen. Als er in den Verwirrungen der Revolution von 1848, die auch Bayern ergriff, den Thron bestieg und sich einigermaßen befestigt auf demselben fühlte, hatte er die Güte, sich meiner zu erinnern, und bot mir eine sehr ehrenvolle Stellung an. In Genialität des Wesens und Umfang der Vorbildung ließ sich Maximilian II. nicht mit Friedrich Wilhelm IV. vergleichen; aber er war ruhig, still nachdenkend und dann sehr fest. Alle seine Bestrebungen waren auf die Erhebung Bayerns zu einer hohen Kulturstufe gerichtet; er liebte die Wienschaft an sich und in Beziehung auf sein Land. Ich bin ihm nun Dank schuldig, daß er mich auf seinen Reisen im Gebirg, die er im Herbst von Berchtesgaden aus unternahm, heranzog; er eröffnete mir dabei eine Seite der deutschen Natur und Nation, die ich bisher nicht kannte. Seine Gespräche waren immer auf das Allgemeine gerichtet. Aus den Spaziergängen von Berchtesgaden aus ist dann auch der Entwurf zu der akademischen Gesellschaft entstanden, die als Commission bei der bayrischen Akademie[75] der Wissenschaften großes literarisch-historisches Verdienst erworben hat. Hätte Maximilian nur länger gelebt! Politisch kam nichts vor, worüber wir nicht lange Gespräche gepflogen hätten. Er war wohlgesinnt durch und durch; kein Falsch war in ihm. Der mächtigste von den Mittelstaaten zwischen Österreich und Preußen war Bayern. Der König war keineswegs mit der Politik der Staatengruppe, die damals eingeschlagen wurde, einverstanden; aber sein unerwarteter Tod war wohl der erste Moment, der dieses System überhaupt vernichtete. Als der Kampf ausbrach, hätte der König von Bauern wohl niemals sich entschlossen, auf die Seite von Österreich zu treten; es geschah in der Verwirrung, die eben zu jener Zeit ausbrach, als er mit Tode abging. Er hatte noch manches im Sinne, was er wohl durchgeführt hätte, wenn er gelebt; namentlich eine Gesammtakademie für Deutschland für Sprache und Schrift. Aber der Krieg, der dann ausbrach, machte der damaligen Lage überhaupt und jedem Entwurf, der sich daran knüpfen konnte, ein Ende.

Es folgten dann die beiden großen Kriege, welche das Geschick der Welt verändert haben, der österreichisch-preußische und der preußisch-französische, deren vornehmstes Resultat darin liegt, daß die politischen Verhältnisse sich auf einem einheitlich ebenen Boden entwickelt haben. Die universale Aussicht für Deutschland und die Welt hat mich dann veranlaßt, meine letzten Kräfte einem Werk über die Weltgeschichte zu widmen, in dem ich noch begriffen bin.[76]

Quelle:
Ranke, Leopold von: Zur eigenen Lebensgeschichte. Leipzig 1890, S. 55-77.
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