Entfernung von der Heuchelei in der Religion.

[76] Wenn wir darauf merken, gegen welche der Herr Jesus an meisten lehret und prediget, so erfahren wir, daß er sich gegen die Heuchler und Pharisäer am öftersten ereifert, und ihre Schandthaten aufdeckt. Und was ist auch schändlicher als Heuchelei, die böse ist, aber sich gut dünken läßt, und für fromm gehalten seyn will. Solche Leute wollen Gott betrügen, wenn sie es nur könnten. Aber die Menschen können sie betrügen, und stellen sich von aussen gar schön und gut, sprechen lauter hübsche und feine Worte, und inwendig ist ihr Herz voll arger[76] List und Bosheit. Vor den Leuten thun sie nichts böses, beten und singen, daß mans auf der dritten Gasse hört, lassen sich selten in der Kirche fehlen, und machen da solche andächtige Geberden und heilige Blicke, daß man sie für die lieben Engelein selbst halten sollte. Und so wollen sie heimlich und verborgen bleiben unter dem Schein der Heiligkeit, bis sie endlich Gott offenbaret. Denn was gottloses Wesen ist, das will nimmermehr gottlos sein, oder dafür gehalten werden, sondern trachtet darnach, daß es für göttlich und heilig möge gehalten werden, und schmücket darum seinen Gottesdienst also aus. Und doch sind sie nichts mehr als reissende Wölfe in Schaafskleidern, wie die Pharisäer, die alle Tage beteten und fasteten, und dabei Wittwen und Waisen preßten, die Armen verfolgten und alle schändliche Dinge thaten. Nun aber ist Gott der, der die Wahrheit liebet, und dem Gleißen mit allem seinen Ruhme feind ist, und wird ihnen ihre Heuchelei jämmerlich fühlen und empfinden lassen. Dies sagt auch Christus in diesen Worten: es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr, in[77] das Himmelreich kommen. Damit meint er die Heuchler und Scheinheiligen, die den Namen Christi führen und bekennen, und öffentlich vor den Leuten gut sprechen und thun, daß man sie für die besten Christen halten mögte. Sondern die den Willen thun meines Vaters im Himmel. Nur die aufrichtigen Thäter des Wortes wird er in sein Reich aufnehmen, aber zu denen, die allein Hörer des Wortes sind, wird er sagen: Weichet alle von mir ihr Uebelthäter. Da hört ihr es nun, ihr Heuchler und Scheinheiligen, wie ihr Uebelthäter genannt werdet, und welchen Lohn ihr einmal haben werdet. – Man findet wohl noch heutiges Tages manchen, der fleißig betet und singt, aber dabei ruhig zusähe, wenn ein armer Mensch verhungert und erfriert, auch sich kein Gewissen daraus macht, den Nächsten zu bevortheilen und zu betrügen. Das ist rechte Heuchelei vor Gott! du Schalksknecht, meinst du, daß du so Gott angenehm bist, und seinem Zorn entrinnen werdest? Willst du etwas thun, das Gott soll angenehm seyn, so thue es also, daß es aus herzlicher Liebe herfließe. Daß sich die[78] Juden ließen beschneiden, beteten und fasteten viel und andere Werke mehr thaten, war Gott nicht angenehm, denn es gieng nicht vom Herzen nach dem Gebote: Du sollst lieben Gott deinen Herrn von ganzem Herzen. Also auch du, wenn du dich von aussen noch so fromm stelltest, würde dir es nicht helfen, wenn du die Liebe Gottes nicht hättest. Hieraus kannst du leichtlich schließen, daß alle Werke nichts sind, die nicht aus der Liebe kommen, oder die wider die Liebe gehen. Es sollen keine Gesetze gelten, als an welchen man dies Gebot der Liebe übe. Aber so denken die Heuchler nicht. Sie thun alles mit dem Munde, und ihr Herz weiß von allen nichts. Aber was das schlimmste ist, niemand will ein Heuchler sein, da es doch gar so viele sind. Siehe da das rechte Merkmal, ob du es bist oder nicht! Wenn du alles aus wahrer Liebe zu Gott und deinen Nächsten thust, so kannst du gewiß hoffen, daß du es nicht bist. Wo das aber nicht ist, da ist auch lauter Heuchelei. Und da untersuche und prüfe dich ja, ob du es redlich mit deinem Gott meinest, und alles aus Liebe zu ihm und von ganzem Herzen[79] thust, oder nur aus Scheu und Furcht vor den Menschen, daß du bey ihnen einen guten Schein habest. Ein Christ muß also handeln, daß er könne leiden, daß alle Menschen sähen und wüßten, was er im Herzen denkt, also daß er in allen seinem Thun und Wandel nur denke Gott zu preisen und dem Nächsten zu dienen und scheue sich vor niemand, und daß sich ein jeglicher also finden lasse im Grunde des Herzens, wie man ihn ansiehet, und nicht ein Spiegelfechten mache. – Ueberdies ist auch das wahr, daß gerade die Heuchler am mehresten über Bosheit und Sünde schreien, und eine Freude und Lust daran haben, wenn sie von des Nächsten Laster reden und plappern können, da sie doch oft weit ärgere Schelme und Buben sind –

Quelle:
[Verfasser von Luthers Leben]: D. Martin Luthers Sittenbuch. Leipzig 1794, S. 76-80.
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