Gleichmüthigkeit.

[90] Die Menschen sind wahrhaftig wie ein Rohr, das der Wind hin und her beweget, wie der Herr dies Gleichnis braucht. Es mag nur ein kleiner Windstoß kommen, so lassen sie sich gleich beugen und verwandeln. Heute kommt ein guter Tag, und da wissen sie ihre Freude gar nicht zu bändigen und zu sättigen. Da heißt es: Laßt uns fröhlich und guter Dinge seyn. Da ist man stolz, trotzig, hoffärthig, aufgeblasen, vergisset Gottes und seines Wortes, macht sich aus keinem Menschen etwas. Aber schaut, wie es morgen ist! Morgen kommt Trübsal und Noth. Ach da wird man kleinlaut, verzagt[90] unwillig und verdrießlich. Es vergeht alle Lust zu leben und zu arbeiten. Gott und Menschen ist man da Feind. O welch ein gar wunderlich Ding ist der Mensch, wenn er nicht göttliche Weisheit und Erkenntniß hat! Nicht verschieden ist er von dem kleinsten Kinde, das in einer Stunde sich freuet und lacht, und in der andern wehklagt und jammert. Ja noch schlimmer ist er, denn man weiß ja doch nicht immer, was den kleinen Würmlein fehlet, wenn sie schreien und weinen. Darum ist es eine gar gute, edle Sache, zu allen Zeiten, Tagen und Stunden gleichen Sinn und Gedanken zu behalten. Betrachte diese Kunst und Tugend an unserm Herrn und Erlöser, der nie anderes Sinnes ward, seine Feinde und Widersacher mochten ihn loben oder tadeln, schmeicheln oder höhnen, ihn zum König ausrufen und ein Hosianna anstimmen, oder ihn ans Creuz schlagen. Gehe hin und thue desgleichen!

Quelle:
[Verfasser von Luthers Leben]: D. Martin Luthers Sittenbuch. Leipzig 1794, S. 90-91.
Lizenz:
Kategorien: