Verläugnung seiner selbst.

[99] Die rechte Verläugnung seiner selbst ist, wenn man um Gottes und Jesu willen alles kann sich gefallen lassen und leiden, was uns auch noch so viel Ueberwindung kostet, und wenn man alles kann fliehen und lassen, was uns sonst am liebsten und angenehmsten ist. Da muß uns nichts mehr theuer und lieb sein, wenn wir es um Gottes Willen hingeben sollen. Und gerade was[99] uns am wehesten thut, und wir thun es doch, das ist die schönste Verläugnung. Darum spricht auch der Herr: Wer Vater und Mutter mehr liebet, denn mich, der ist mein nicht werth, das ist, wenn ich mit meinem Wort und Gebot komme, alsdenn müßet ihr alles vergessen, was ihr habt und besitzet in dieser ganzen Welt. Da kommen wohl auch Leute und sagen, sie verläugneten sich selbst, wenn sie Fasten und Gelübde thun. Mit nichten. Das ist nicht die rechte Verläugnung! Sondern so du nur ein Stück Brod hast, und du siehest einen Hungrigen, und du theilest es mit ihm, so du es doch gerne selber essen möchtest. Oder so du einen Unschuldigen hörest spotten und schmähen, und du nimmst dich seiner an und redest für ihn, ob du wohl auch dafür, wie er, geschmähest wirst. Oder so du gerne möchtest einen Groschen für deinen Bauch ausgeben, und es kommt ein Armer und bittet dich flehentlich um etwas, damit er nicht Hungers sterbe, und du reichest ihm den Groschen dar. Oder so du gerne möchtest Schadenfreude haben und von andern böses reden, aber deine Zunge kehret um, und redet[100] gutes. Oder so du dich gerne möchtest rächen und wieder Böses thun, dem, der dir es vorher gethan hat, allein du gedenkest an das Wort: Liebet eure Feinde, segnet die euch fluchen u.s.w. Siehe das ist rechte Verläugnung seiner selbst. Nun sage mir doch, was hast du von dieser Verläugnung wohl bis jetzo gethan. Erforsche dein Herz, und so du dich nicht so verläugnen kannst, so bist du Christi Jünger nicht, und wirst es auch nicht werden. Denn wer sein Jünger sein will, der verläugne sich selbst, und nehme sein Creuz auf sich und folge ihm nach. Sein Creuz nimmst du eben auf dich, dadurch, daß du alles das entbehrest und leidest wie er, so es Gottes Wille und Gebot haben will.

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[Verfasser von Luthers Leben]: D. Martin Luthers Sittenbuch. Leipzig 1794, S. 99-101.
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