Werthschätzung seiner selbst.

[54] Es ist gar ein groß Ding mit dem Menschen, und ist nichts geringes ein Mensch zu seyn. Denn gab Gott wohl einer Creatur auf Erden so viel Gnade und Gutes, als uns? Hat er uns nicht vor allen andern werth gehalten? Welches Ding hat einen so künstlichen Leib und Werkzeug als wir? Wem hat er eine Seele angezogen, die Vernunft hat. – Und ist nicht Christus unser Bruder? Ist aber das, so möchte ich gern wissen, was dem Menschen fehlen sollte. Gleichwie es nun zugeht mit leiblichen Brüdern, also gehet es auch hier zu. Leibliche Brüder sitzen in gemeinen Gütern, haben zugleich[54] einen Vater, ein Erbe, sonst wären sie nicht Brüder; also sitzen wir auch mit Christo in gemeinen Gütern, und haben zugleich einen Vater mit ihm, wie er denn spricht: ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. Wenn ich nun an Gott und Christum wahrhaftig glaube, so werde ich theilhaftig aller Güter, so erlange ich Weisheit, Kraft, Unsterblichkeit, Leben und Seligkeit. Ist das nicht eine große erhabene Würde! der Titel, daß wir Christi Brüder sind, ist so hoch, daß ein Mensch sich deshalben nicht genug rühmen und sich hochschätzen darf. Ihr seid theuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knechte, spricht der Apostel. Wer nun sich von der Sünde, von bösen Menschen reizen, locken und unterjochen läßt, der verliert diesen hohen Titel, und schändet sich selbst. – Pfui, ich wollte mich selbst wegwerfen und noch der Sünde dienen, oder etwas thun, was meinen Christennamen verunehrte. Gott hat mich so hoch gewürdiget, und nur ein klein wenig unter die Engel gesetzt, und ich wollte mich durch viehische Lüste und Triebe unter die Thiere setzen.[55] Und was meint ihr nun, die ihr euren Stolz setzet in Ueppigkeit, Pracht, schönen Kleidern, Häusern, Gütern und Feldern, oder in irrdischen Titeln und Ehre? Ist nicht mein Titel und Würdigkeit mehr werth, als euer Stolz, um den ich nicht eine Stunde arbeitete?

Quelle:
[Verfasser von Luthers Leben]: D. Martin Luthers Sittenbuch. Leipzig 1794, S. 54-56.
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