Verhalten gegen Verstorbene.

[239] Todte muß man mit sonderlicher Zucht und Ehre begraben. Vor diesen haben die Christen auf allen Aeckern, Gärten und Häusern Begräbnisse gehabt, hernach sind aber sonderliche Oerter und Kirchhöfe dazu verordnet worden. Und solche Ehre muß sein um der Hofnung der Auferstehung willen, auf daß es die Gestalt nicht habe, als stürben wir dahin, wie das Vieh. Aber doch kann ich dabei Gepränge und Pracht nicht leiden, sintemal es dem Todten einerlei ist, ob er in einen Sack gehüllt wird, oder ein seidenes Kissen unter sich habe. Da machen sie mit den Todten so viel Aufwand und Kosten, daß sich oft hundert Arme davon nähren[239] könnten. Ihr Thoren, gebt es doch den Lebendigen, so verdienet ihr ein Gottes-Lohn, aber die Todten wissen es euch keinen Dank, sintemal es ihnen nichts nützet. – das Andenken der Todten mußt du zwar ehren, und sie nicht sobald vergessen, zumal wenn sie gute wackere Christen gewesen sind, und auch dir gutes gethan haben, mit Worten oder That. Aber da vergißt man ihrer gar bald, und thut auch nicht, was sie haben wollten, sondern prasset und schmauset von dem, was sie zurück gelassen haben. Du Sohn oder Tochter, gehe und tritt noch an das Grab deines verfaulten Vaters und Mutter, und gedenke der guten Lehren, die sie dir gaben, und folge ihnen noch im Grabe. Das ist das beste Gedächtnis, in dem du sie haben kannst. – Es ist auch bei den Heiden verboten gewesen, als eine verdammte Untugend, den Verstorbenen übel nachzureden. Salomo spricht auch, daß nach dem Tode Liebe und Haß aufhöre. Den mau thut den Todten weder Gutes noch Böses, weil sie es nicht können empfinden. Aber die Liebe verbeut doch, Böses zu reden, so kein sonderlicher[240] Nutzen für alle daraus entsteht. So lange sie leben, da wagen sie es nicht, sondern bücken sich und heucheln. Aber wenn sie todt sind, da geht das Reden an. Dazu kommt, daß sie vieles auf die Todten schieben, was sie selbst verbrochen haben. Warum sagt ihr aber das nicht, da er lebet, da könnte er sich doch verantworten. – Es ist auch Unrecht, daß man nicht nach ihrem Willen thut, so sie etwas löbliches gewollt haben. Aber da werden Ausreden und Vortheile gebraucht, und es geschieht nicht, was der Todte gewollt hat. – Die Exempel in der heil. Schrift beweisen auch, daß es nichts böses sei, wenn man sich bekümmert und betrüber um derer willen, die uns absterben. Wiewohl wir allzumal sterben müssen, und Gott weder Zeit noch Stunde vorschreiben sollen, so will er doch unsere Natur uns nicht ausreißen, sondern läßet es gerne zu, wo wir uns betrüben über den Tod unserer Lieben. Aber wo du nicht Maaß setzest der Traurigkeit, so thust du Sünde und hast Unglauben gegen Gott, der auch die Todten beherrschet und regieret. – Noch muß ich sagen, daß es sündlicher Glaube[241] ist, die Todten um Rath fragen zu wollen, oder sich vor ihnen zu fürchten. Das brauchst du nicht, die Todten lassen dir gewiß Ruhe, wo du nur vor den Lebendigen Friede hättest. Darum sollst du alles Gespuck der Geister froh und fröhlich in den Wind schlagen, und dich nicht vor ihnen fürchten, sondern dich nur allein an Gottes Wort halten, nach welchem du überall getrost sein kannst.

Quelle:
[Verfasser von Luthers Leben]: D. Martin Luthers Sittenbuch. Leipzig 1794, S. 239-242.
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