Duldsamkeit gegen fremde Religionsverwandten.

[246] Es ist auch ein sonderliches Stück der christlichen Liebe, daß man sich mit fremden Christengemeinden wohl vertrage. Denn sie dienen ja auch auf ihre Weise Gott, und der Jude dienet Gott auch nach Mosis Weise, wiewohl sie Christus nicht hat gelten lassen, und er viel größer ist, denn Moses. Aber darum sollst du keinen verachten oder hindern, der nicht deines Glaubens ist, sintemal das Exempel Christi selbst uns dazu locket, der mit Samaritern und Pharisäern lebte, und nur auf das Herz sahe, und sie vermahnte und strafte, wo sie unrecht thaten. Aber so eckeln wir uns vor Fremde, hassen und schmähen sie als Hunde, und wollen im Handel und Wandel ihnen nicht so viel trauen, als den andern. Höre, was Paulus schreibt Röm. 14, 3. Welcher isset, der verachte nicht, welcher nicht isset. Denn Gott[246] hat ihn aufgenommen. Wer bist du, daß du einen fremden Knecht richtest? Er stehet oder fällt seinem Herrn. Er mag aber wohl aufgerichtet werden, denn Gott kann ihn aufrichten. So hält es der Apostel für Sünde, wenn du den verachtest oder tadelst, der nicht das glaubet und thut, was du glaubst und thust. Irret er, so irret er Gott, und dem mußt du das Richteramt anheimstellen. – Der Herr Christus lehret auch in der Gleichnisrede von dem Unkraute unter dem Waizen, daß man das Unkraut stehen lassen solle bis zur Erndte. Damit er sagen will, daß man die Irrenden in der Lehre, so wie die wirkliche Sünder gehen lasse. Denn es müssen gar geistliche Herrn sein, die das Unkraut unter dem Waizen erkennen wollen. Wir sollen sie also nicht ausrotten oder vertilgen. Mit Gottes Wort soll man hier allein handeln, denn es gehet also zu in dieser Sache, daß, wer heute irret, kann morgen zurecht kommen. Wer weiß, wenn das Wort Gottes sein Herz rühren wird? Wo er aber vertilget oder verfolgt würde, so wird damit gewehret, daß er nicht kann zurecht kommen,[247] und er wird also dem Worte Gottes entrücket. Daraus merke nun, welche rasende Leute wir sind so lange Zeit gewesen, da wir die Türken mit dem Schwerte, die Irrgläubigen mit dem Feuer, die Juden mit Tödten und Drücken haben wollen zum Glauben zwingen, und das Unkraut ausrotten mit unserer eigenen Gewalt; gerade als wären wir die Leute, die über Herzen und Geister regieren könnten, und wir sie möchten fromm und recht machen, welches doch allein Gottes Wort thun muß. Aber wir scheiden die Leute von dem Worte mit Verfolgen und Morden, daß es nicht kann an ihnen wirken. Denn weltliche Gewalt kann nicht zum Glauben zwingen, auch nicht einmal wehren, daß man nicht verführt werde, welches allein die Prediger thun müssen. Denn falsche Lehre kann man nimmermehr mit Gewalt wehren gehört ein anderer Geist dazu, denn das Schwert. Gottes Wort soll hier streiten. Wenn das nichts ausrichtet, so wirds wohl unausgerichtet bleiben von weltlicher Gewalt, und wenn sie auch alles mit Blut füllen wollte. Irrglaube kann mit keinem Eisen gehauen, mit keinem[248] Feuer verbrennt, mit keinem Wasser ertränket werden. Es ist aber allein das Wort Gottes 2 Cor. 10, 4. Unsere Waffen sind nicht fleischlich, sondern mächtig in Gott, zu verstören allen Rath und Höhe, so sich wider Gottes Erkenntnis auflehnet. Aber da wollen sie falsche Lehre vertreiben und thun nichts, denn daß sie den Widerpart nur stärken, sich selbst verdächtig und jene rechtfertig machen. Lieber, willst du falsche Lehren vertreiben, so mußt du den Grif treffen, daß du sie vor allen Dingen aus dem Herzen reißest. Das wirst du mit Gewalt und Unfreundlichkeit nicht enden, sondern nur stärken. Was hilft dir es denn, so du falsche Lehre in dem Herzen stärkest, und nur auswendig auf der Zunge schwächest und zu Lügen dringest?

Quelle:
[Verfasser von Luthers Leben]: D. Martin Luthers Sittenbuch. Leipzig 1794, S. 246-249.
Lizenz:
Kategorien: