Vorrede.

Bei Verfertigung dieser Arbeit glaube ich meinen Lesern zweierlei Ursachen wegen verantwortlich zu sein.

Zuvörderst des Unternehmens selbst wegen. Und hier hoffe ich am wenigsten Tadel fürchten zu müßen. Luther behauptet immer noch einen vorzüglichen Rang unter seinen Glaubensgenossen, und seine Reden gelten als Aussprüche eines weisen Mannes. Dabei ist sein Vortrag so kraftvoll und kernhaft, so mit Beispielen und Gleichnissen aus dem gemeinen Leben durchwebt, und eben darum so verständlich und deutlich, daß er gewiß seinen Zweck bei den Lesern nicht verfehlen kann. Wer selbst Lehrer der Religion ist, wird in dieser Sache mir gewiß beipflichten. Ich bin Prediger auf einem Dorfe und selbst Zeuge, wie vielen Eindruck einige Stellen aus seinen Schriften, die ich zuweilen zu einem gewissen Behufe in häuslichen Versammlungen vor einigen Gliedern meiner Gemeinde vorlas, auf die Gemüther machten. Hätte ich immer ihren Wünschen folgen wollen, so hätte ich nie aufhören dürfen. Und in der That, wer nicht Luthern selbst gelesen hat, der wird gewiß nicht die Lebensweisheit, die Regeln der Klugheit, die Menge von vernünftigen Gründen und herzlichen Ermahnungen erwarten, als sich wirklich in seinen Werken finden. So viel von dem Unternehmen selbst, das – so hoffe ich – sich gewiß in den Augen eines Kenners rechtfertigen muß.

Nun käme alles auf eine kluge Ausführung desselben an. Denn freilich nicht alles im Luther konnte zu meinem dienen. Er lebte in Zeiten, die von den unsrigen um ein großes verschieden sind, und wurde dadurch zu Aeußerungen veranlaßt, die er sich zu unsrer Zeit nicht erlauben würde. Ich habe daher nur solche Stellen gewählt, die mir brauchbar schienen, und oft eine solche Strenge in der Auswahl bewiesen, daß ich hier und da oft nur eine Zeile aushob, und alles von meiner Absicht ausschloß, was nicht schlechterdings praktischen Nutzen fürs Leben haben kann. Wie wenig mir bei dieser gewiß mühevollen Arbeit das so dürftige und oft ganz unzweckmäßige Register gnügen konnte, wird man bei einer genauen Vergleichung bald finden. Ich habe selbst alle Werke Luthers, wo ich etwas finden konnte, oft mit peinlichem Fleiße, gelesen, und mir die Stellen angezeichnet, die ich brauchen wollte. Auch schmeichle ich mir, keine wichtige Materie in der Sittenlehre, wovon in Luthers Werken etwas aufzufinden ist, übergangen, und alle in einer solchen Ordnung gestellt zu haben, die für die Klasse von Lesern die lichtvollste und natürlichste ist.

So wie ich nun aber sehr gern auf die Hofnung Verzicht thue, daß nicht mancher fleißige Leser Luthers diese und jene Stelle aus dieser Auswahl wegwünschen und eine andere ausgehoben zu sehen wünschen möchte. – Denn wer könnte ganz fehlerfrei wählen? – so bin ich mir doch bewußt, nach Kräften alles gethan zu haben, um auch hierdurch zum Wohl meiner Brüder mitzuwirken, und das Reich der Tugend und einer vernünftigen christlichen Denkungsart zu erweitern.

Quelle:
[Verfasser von Luthers Leben]: D. Martin Luthers Sittenbuch. Leipzig 1794.
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