[75] Im Anfange christlicher Gemeinschaften feierten die Christen des ersten Jahrhunderts der christlichen Zeitrechnung alle diejenigen Feste, welche die Juden feierten. Sie waren zum Theil aus dem Judenthume zum Christenthume übergegangen, und konnten sich lange Zeit nicht gänzlich vom Judenthume losmachen. Selbst die Apostel hielten auf die jüdischen Feste. So wurde das Passafest, das Pfingstfest und andre Feste mehr gefeiert. Nur nach und nach fingen die Christen an, sich vom Judenthume zu entfernen, die jüdischen Gebräuche abzuschaffen, und die Feste, die sie aus dem Judenthume mit herüber genommen hatten, in christliche Feste zu verwandeln. Sie behielten zwar die angenommenen Feste selbst bei, widmeten sie aber dem Andenken irgend einer wichtigen Begebenheit der christlichen Religion. So wurde aus dem Passafeste das Osterfest zum Andenken der Auferstehung Christi, aus dem Pfingstfeste (diesem Erntefeste der Juden) das Fest der Ausgießung des heiligen Geistes, aus der Feier [75] des Sonnabends, der Sonntag, weil er durch die an diesem Tage geschehene Auferstehung des Herrn für die Christen ein sehr wichtiger Tag war. Da viele der ersten Christen auch unter den Heiden lebten, und auch viele von diesen aus dem Heidenthume zum Christenthume übergegangen waren: so gab dies Gelegenheit, viele heidnische Feste mit anzunehmen und ihnen sowohl, als den an denselben üblichen Gebräuchen, eine den christlichen Begriffen gemäße Deutung zu geben. So entstand das Weihnachtsfest, welches offenbar eine Nachahmung der Saturnalien der Römer war, Mariä Lichtmeß u.a.m. Und da in der Folge der Zeit die christliche Religion auf den Thron kam, und die Geistlichen ihre Macht und Ansehn so sehr ausbreiteten, so war man darauf bedacht, der christlichen Religion mehr äußern Glanz und Würde zu geben: und das um so viel mehr, da dieser äußere Glanz zugleich auf die Geistlichkeit einen neuen Schimmer warf. Man suchte also jede Gelegenheit in der Geschichte der Religion auf, und machte sie durch ein Fest merkwürdig, und wo die wahre Geschichte nicht [76] hinreichte, mußten erdichtete Erzählungen, die man den leichtgläubigen und unwissenden Laien sehr leicht glaublich machen konnte, Gelegenheit zu neuen Festen geben. So entstand in der Folge das Fest der Reinigung Mariä, Mariä Heimsuchung, das Fest der Himmelfahrt Mariä, Allerseelen, Allerheiligen, Kreuzerfindung u.a.m.

Die vorzüglichsten, von den Christen der katholischen und protestantischen Kirche gefeierten, Festtage sind folgende:

Quelle:
[Anonym]: Sitten, Gebräuche und Narrheiten alter und neuer Zeit. Berlin 1806, S. 75-77.
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