4. Bei den alten Preußen.

[168] In Ansehung des Heirathens und des Ehestandes hatten die alten Preußen ganz besondre Grundsätze und Gewohnheiten. Sie nahmen ihre Weiber nicht nach erhaltener Erlaubniß ihrer nächsten Anverwandten, sondern entführten sie. Zu diesem Geschäfte wurden gemeiniglich zwei Freunde des Bräutigams genommen, und erst dann, wenn die Braut entführt war, wurde bei den Aeltern um sie geworben. Diese gaben aber der Tochter keine Aussteuer mit, sondern der Bräutigam mußte vielmehr seinem künftigen Schwiegervater ein gewisses Heirathsgut zahlen und seine Frau gleichsam von ihm erkaufen. Bei den Hochzeiten selbst wurden gewöhnlich, wenigstens bei den Vornehmern, folgende Ceremonien beobachtet. Ehe die Frau nach dem Hause ihres künftigen Mannes hingeführt wurde, pflegte sie alle ihre Anverwandten zu einem Gastmahle einzuladen. Wenn die Mahlzeit vorbei war, bat sie die Gäste, mit ihr ihre Jungfrauschaft zu beweinen; ließen sich [169] diese dazu willig finden, so fing sie ihr Klagelied mit großer Wehmuth an, und schrie jammernd ungefähr folgende Worte: »Wer, wer wird nun ins künftige meinem Vater und meiner Mutter das Bett machen? Wer wird ihre Füße waschen? Mein liebstes Hündchen! Mein liebstes Hühnchen! Mein liebstes Schweinchen u.s.f., wer wird euch ins künftige speisen?« Hierauf führten die Freunde die Braut zu dem Heerde; da fing sie denn wieder auf die nehmliche Art zu klagen an: »Mein liebes heiliges Feuer! wer wird dir ins künftige Holz zutragen, damit der Vater und die Mutter ihre alten abgelebten Glieder durch deine Wärme erquicken?« Die Verwandten klagten und weinten zwar mit ihr, suchten sie aber doch wieder zu trösten. Unterdessen schickte ihr der Bräutigam einen Wagen, auf dem sie in die Gegend, wo dieser wohnte, hingefahren wurde. Wenn sie sich der Gränze seiner Wohnung näherte, so kam ihr Jemand entgegen, welcher in der Einen Hand einen Feuerbrand, in der andern eine Kanne mit Bier hatte. Er rannte dreimal um den Wagen herum und sprach: »Wie du das Feuer bei [170] deinem Vater bewahrt hast, so wirst du es auch hier thun!« und darauf gab er ihr zu trinken. Der Fuhrmann der Braut war gut angekleidet; wenn er vor das Haus des Bräutigams kam, stürzte er sich wild von dem Pferde hinunter, und während die Gäste schrieen: der Wagentreiber kommt, der Wagentreiber kommt! – lief er ins Haus, und setzte sich mit Einem Sprunge auf einen Stuhl, der bei der Thür stand und mit einem Kissen oder Tuch bedeckt war. Falls er aber nicht mit Einem Sprunge auf dem Stuhl kam, so ward er tüchtig durchgeprügelt und zu einer andern Thür hinausgeworfen. Sprang er hingegen grade herauf, so saß er so lange, bis die Braut herein kam; alsdann wurde diese darauf gesetzt. Hierauf wurde getrunken, und hiernächst die Braut um den Heerd geführt. Sodann wusch man ihr die Füße, und mit diesem Wasser besprengte man die Gäste, das Brautbett, das Vieh und das ganze Haus. War dies geschehen, so band man der Braut die Augen zu, schmierte den Mund derselben mit Honig, und führte sie vor alle Thüren und Höfe, wobei der Führer sagte: »Stoß an!« [171] Hatte sie dies mit dem Fuße gethan, so kam Jemand mit einem Sacke, worin allerlei Getreide war, heraus, beschüttete damit die Braut, und sprach: »Unsre Götter werden dir alles in Ueberfluß geben, wenn du nur in dem Glauben, in welchem deine Vorfahren gestorben sind, bleiben, und deiner Haushaltung mit allem Fleiße und gebührender Sorgfalt vorstehen wirst.« – Hierauf ward gegessen und getrunken. Ehe die Braut zu Bette ging, schnitt ihr ein Freund die Haarlocken ab, die Frauen aber setzten ihr einen breiten Kranz auf, welcher mit einem weißen Tuche benähet war. Diesen Kranz mußte sie tragen, bis sie einen Sohn gebahr. Indem man ihr denselben aufsetzte, ward ihr gesagt: »Die Mädchen, die du trägest, sind von deinem Fleische, bringest du aber einen Knaben zur Welt, so ist die Jungfrauschaft aus.« Am Ende wurde sie zu Bette geprügelt; worauf man ihr und dem Bräutigam gebratene Nieren von Böcken, Ochsen oder Bären in's Bett brachte. Zuletzt wurde die Braut noch von vornehmen Weibern belehrt und unterrichtet, und des andern Morgens alles übrig gebliebene vollends verzehrt.

Quelle:
[Anonym]: Sitten, Gebräuche und Narrheiten alter und neuer Zeit. Berlin 1806, S. 168-172.
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