10.


[169] Daß es in einem solchen Kreise galt, alle Kräfte des Geistes und Körpers für seine Künstlerehre einzusetzen, wurde mir gleich bei meinem Eintritte zur innigsten Ueberzeugung[169] und ich spreche es unumwunden aus: die olympische Rennbahn in Wien forderte keine größeren Anstrengungen, als Breslau in jener Zeit seiner Kunstblüte.

Alsbald empfand ich das Bedürfniß, alle bedeutenderen Rollen einem eingehenden Nachstudium zu unterziehen, um mir selbst an diesem neuen Platze zu genügen.

Vor Allem war dies bei Hamlet der Fall, den ich hier zum ersten Mal in der Urgestalt studierte und darstellte. Abermals holte ich mein Evangelium, Schinck's Broschüre, hervor, verglich sie nach allen Seiten und fand auch jetzt, daß der Mann den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.

Jeder Schauspieler wird natürlich das System verfolgen, eine Rolle zuerst nach den äußeren Umrissen zu beurtheilen und anzulegen. Wenn man eine neue Rolle die ersten Male durchliest, hält man sich selten bei Einzelstellen auf, um erst das Bild des Ganzen in sich festzustellen. Dann erst fängt man an, dem Einzelnen Aufmerksamkeit zu schenken und Stellen von Bedeutung in Harmonie mit dem Gesammtbilde aus zuarbeiten. Nie aber konnte ich mich entschließen, bei großen Vorwürfen mich in eine kleinliche Detailmalerei zu verlieren. Sobald mein Bild im Ganzen fertig war, bewirkte das ruhige Urtheil und der innere Funke wie von selbst die Anordnung der einzelnen Theile und das Grübeln nach Wirkungen und Schlaglichtern hat mir keine meiner bedeutenderen Rollen verunziert.

Namentlich bei Shakespeare'schen Rollen habe ich vermieden, mich in solches Grübeln zu verlieren. Was mir während des Studiums auf eine vernünftige und logische Art[170] erklärbar war, das suchte ich niemals künstlich zu erklären und das Nächstliegende behielt ich gewöhnlich bei. Shakespeare hat es selbst nicht anders gemacht. In späteren Jahren hat es mich oft lächeln gemacht, welchen tiefen Sinn so mancher spitzfindige Forscher dieser oder jener Stelle Shakespeare's beilegen zu müssen glaubte, um das Genie noch genialer und den Unsterblichen noch unsterblicher zu machen.

Shakespeare braucht die Bemühungen dieser Herren nicht. Wenn eine seiner Gestalten »guten Morgen« sagt, so meint sie damit durchaus nichts Anderes. Shakespeare ist eben dadurch so groß geworden, daß er jedem Gedanken den natürlichsten Ausdruck gegeben hat.

»Othello« sollte noch mit Devrient als Jago einstudirt werden, aber sein Abgang kam dazwischen und die Rolle ging an seinen Nachfolger Stawinsky über.

Othello war mir vor vielen Rollen ein Gegenstand des interessantesten Studiums. Dieses Bild einer treuherzigen, fast etwas beschränkten Natur, dieser Kampf und Untergang der rohen Kraft gegen List und Tücke, diese großartige Sinnlichkeit, die nur ungestüm lieben und hassen kann, beschäftigte mich in der anregendsten Weise und standen mir unter allen Shakespeare's Charakterdramen »Macbeth«, »Othello« und »Lear« obenan, so schien mir selbst unter dieser Trias »Othello« mit seinem strammen dramatischen Bau, der selbst den modernen Theaterverhältnissen so vollständig anpaßt, den ersten Platz einzunehmen.

Othello fühlt, was er dem Staate gilt und daß er durch Liebe das schönste Weib verdient. Seine einfache, schmucklose Erzählung[171] im Senat schildertzugleich sein ganzes Wesen. Im Rechte des Besitzes anerkannt, in glücklicher Sinnlichkeit aufgelöst, übernimmt er spielend den Befehl im Ottomanenkriege, denn Desdemona darf ihn begleiten. Ein Sturm beendigt zwar den Krieg, aber er droht auch den Liebenden den Untergang. Noch erhitzt von dieser überstandenen Gefahr, schließt er die Gerettete in die Arme. Es gibt nichts Rührenderes, als diesen schlichten, muthigen Krieger beim Wiedersehen tändeln und »fast faseln« zu hören. Nun winkt ihm die Stunde des süßesten Erdenglückes; mitten aus seinem Wonnetaumel wird er aufgestört. Man läutet Sturm, ein wüster Raufhandel findet statt. Aufgeregt und zornflammend tritt er zwischen die Kämpfenden und – Cassio ist der Schuldige. Zerstreut und selig träumend sucht er am nächsten Morgen sein Täubchen auf und sie bittet für Cassio. Da naht der tückische Jago und warnt ihn vor – Cassio. Cassio und immer Cassio! Der Funke glimmt! Und doch, er kann's nicht glauben! Der letzte Lichtblick fällt in seine Seele. Ein paar hämische Winke des Verräthers genügen, um diesen letzten Sonnenstrahl in ewige Nacht zu begraben. Mit der wachsenden Leidenschaft flieht das Urtheil. Die nächstliegende Wahrheit begreift er nicht, alberne Zufälligkeiten werden zu Beweisen. Stolz, Trotz und Haß zerren an seinem Geiste, überreizte Phantasie zeigt ihm die scheußlichsten Bilder, die Nerven reißen und es wirft den Starken nieder wie ein Weib. Und dafür muß sie sterben. Die Stimme der Wahrheit versteht er nicht mehr. Die Unbefangenheit der Unschuld erscheint ihm als unsittliche Frechheit und er kann sich so weit vergessen, nach dem geliebten Bilde zu schlagen. Das[172] Aeußerste ist geschehen, alle Schranken brechen. Er muß die beschimpfen, die er angebetet. Der ehemals besonnene Mann wird zum wilden Thiere. Sinnliches Wohlgefallen macht ihn weinen, daß er so viel Reiz zerstören soll, aber der Name Cassio macht ihn wieder stark zur gräßlichsten Mordthat. Nun ist er ein Verbrecher und aus moralischer Feigheit sucht er im ersten Augenblicke seine That zu verbergen. Aber das Bedürfniß, Desdemona schuldig zu wissen, treibt ihn, seine That zu gestehen und daß sie als Lügnerin zur Hölle fuhr. Und doch ist sie unschuldig. Ueber dieser Gewißheit bricht die titanische Natur zusammen. Der herzzerreißendsten Klage folgt der Entschluß und mit männlichem Stolz, mit eisernem Trotze gegen sein Mißgeschick gibt er sich den Tod.

Diese einzelnen Fäden sind so fein und kunstreich aneinandergeknüpft, daß sie zu dem wunderbarsten Gewebe sich gestalten, aus welchem man dennoch wieder jedes einzelne Fädchen deutlich durchschimmern sieht. In dem Bilde Othello's hat Shakespeare am vollendetsten die Aufgabe des Genius gelöst, mit den einfachsten Mitteln die furchtbarsten Wirkungen zu erzielen.

»Othello« hatte auf das Breslauer Publicum und namentlich auf den Theil der feineren Kunstkenner einen so bedeutenden Eindruck hervorgebracht, daß Rohde sich nicht lange versagen konnte, an den »Macbeth« zu gehen und zwar nicht in Schiller's Bearbeitung, sondern ebenfalls nach dem Urtexte in der Uebersetzung des jüngeren Voß.

Das Hauptmotiv, die damals allgemein in Anwendung gestandene Schiller'sche Bearbeitung des »Macbeth« nicht zu[173] geben, fand Rohde in Schiller's fremdartiger Behandlung der Hexen. Von der Kritik wurde dieser Theil der Bearbeitung als ein Mißgriff bezeichnet, wozu Schiller lediglich durch seine ideale Richtung verführt worden sei. Letzteres glaube ich selbst. Ihm drängte sich in Shakespeare's Hexen ein Eindruck des Unschönen auf, den er nie vertrug, und diese Empfindlichkeit seiner ästhetischen Begriffe ließ ihn das Treffende und die Tiefe der Hexenerscheinung völlig übersehen. Hierin hat ihn der von ihm so hart beurtheilte Bürger an Verständniß weit überflügelt. Bürger's Bearbeitung der Hexenscenen machte mir stets einen gewaltigen Eindruck. Im Uebrigen kann sich natürlich Bürger's nüchterne Uebertragung mit Schiller's Schwung nicht messen.

Ich ging an das Studium Macbeth's mit großem Enthusiasmus. Dieses mächtige und so menschlich wahre Bild einer großen Natur, die, von dem Bewußtsein ihrer Kraft mißleitet, in Verirrung, Verbrechen, Entartung umschlägt und endlich in wilder, sinnloser Raserei untergeht, muß eine lebhafte Phantasie ungewöhnlich erhitzen. »Macbeth« und »Lear« sind für mich das Höchste, was ein Dichtergenius zum Vorwurf wählen kann, aber bei »Macbeth« vor vielen anderen bedeutenden Bühnencharakteren hielt ich es für nothwendig, die großartigsten Contouren zu wählen und in der Detailausführung möglichst einfach und fast herb zu bleiben.

Mit Macbeth's Erscheinung beginnt zugleich seine geistige und moralische Verirrung. Er hat eine zweifach drohende Gefahr von seinem Vaterlande mit allem Aufwand eines persönlichen Heldenmuthes abgewendet, der ihn neben Achilles[174] stellt. In wilder Erregtheit kommt er aus der siegreichen Schlacht. Er fühlt sich als den gewaltigsten Mann Schottlands und – »was kann ich Alles erreichen,« spricht sein Ehrgeiz, der unzertrennlich von Heldenkraft und Heldenthat ist. Von der überstandenen Gefahr erhitzt, ist seine Phantasie doppelt wirksam und für besondere Eindrücke leichter zugänglich. Da tritt ihm die Hexenerscheinung entgegen, der sinnliche Ausdruck der wirren Gedanken, die seine Seele erfüllen. »Glamis, Cawdor! König! – König!« Die unglaublichste Aussicht bietet sich seinem heftig arbeitenden Geiste. Und er ist wirklich Glamis und Cawdor. Das Größte steht noch aus. Aber seine bessere Natur weist die finstere Vorstellung zurück. »Will mich das Glück zum König, wohl, so mag das Glück mich krönen ohne mein Bemühen. Komme, was kommen mag, die Zeit durchrennet auch den rauh'sten Tag.«

Nun aber soll ein Anderer, der noch nichts geleistet hat, einen Vorzug haben vor den Adelsrechten, die andere Wohlverdiente wie Sterne umschimmern. Das Gift schleicht in seine Seele. »Prinz von Cumberland, das ist ein Stein im Wege, wo mein Fuß hinüberspringen oder straucheln muß. Ihr Sterne, zündet euren Glanz nicht an, kein Licht erblicke meinen düstern Plan. Schleuß, Auge, dich, daß durch die Hand geschehe, was mit Entsetzen nur das Auge sähe!« Mit dieser vor dem Geiste aufsteigenden Wolke tritt er vor seine Gattin. Ueber die Vorstellung, welcher ein Weib, nur das nächste schimmernde Ziel vor Augen, bereits Worte geben kann, ist sein kämpfender Geist noch nicht im Stande, sich mitzutheilen.[175]

»Wir sprechen mehr davon.« Hiermit bricht er ein Gespräch ab, wofür seine Pläne noch nicht reif sind.

Aber schon in seinem Selbstgespräche ist der vorherrschende Gedanke: »Wär's mit der That abgethan nur für diese Zeit, wegspringen wollt' ich über's künftige Leben; doch solche Thaten richten sich schon hier.« Mit der Furcht vor der zeitlichen Vergeltung erwacht noch einmal sein Gewissen; er malt sich das Abscheuliche solcher That, das Verderbliche solchen Ehrgeizes, der sich im Ziel überspringt und jenseits niedertaumelt. »Laß' uns nicht weitergeh'n in dieser Sache.« Er möchte noch einmal umkehren, aber schon den nächsten Vorstellungen der Lady setzt er nur noch das niedere Bedenken entgegen: »Wenn's mißlänge?« Nach dem plumpen Rathe, die Schuld auf die berauscht gemachten Kämmerer zu schieben, ruft er in vermeinter Sicherheit aus: »Gebier' mir keine Töchter!« Er ist entschlossen.

Das Nachtgemälde des zweiten Actes ist so wunderbar gedacht, so sein psychologisch entwickelt, daß der begabte Darsteller kaum irren kann. Dieses Wechseln zwischen Zweifel und Trotz, zwischen Muth und Feigheit vor der That, diese fruchtlose Reue, diese Sünderangst, diese gleißnerische Klage gegen die Edelleute nach der That sind mit so meisterhaften Strichen und so überwältigend gezeichnet, daß ein Tragiker von Beruf das Publicum mit sich fortreißen muß.

Der Schlag ist geführt, der Zweck ist erreicht. Die Krone schmückt Macbeth's Haupt. Aber sowie Banquo's Seele erfüllen bereits das ganze Land seltsame Gedanken und Gerüchte, die ihm gefährlich sind. Der Selbsterhaltungstrieb erwacht:[176] »So weit sein, ist noch nichts, doch sicher so zu sein.« Wer zu dem ersten Morde Muth gehabt, den schreckt der zweite nicht. Banquo muß fallen, denn er kennt die Fäden des Geheimnisses und ihm ist für sein Geschlecht die Thronfolge verheißen. Er macht sich zum Gesellen gedungener Mörder und hiermit ist seine moralische Versunkenheit vollständig. Das Bewußtsein seiner Thaten macht ihn zittern vor den Gespensterbildern der Phantasie. Er wird zum Feigling, aber mit der Feigheit ist die Bosheit eng verbunden. Seine eigene Verworfenheit setzt er bei Andern voraus. Der Argwohn macht ihn zum schonungslosen Tyrannen. Aus zauberhaften Hexensprüchen sucht er Sicherheit zu schöpfen. Ihm droht nur Gefahr von einem Manne, den kein Weib gebar, von Wäldern, welche wandeln, und eine Prophezeiung warnt ihn vor Macduff. Was aber braucht er noch zu scheuen? »Nicht Einer ist von ihnen, dessen Haus nicht meinen Horcher heget. Ich stieg einmal so tief hinein in Blut, daß, sollt' ich nun im Waten stillesteh'n, Rückkehr so lästig wird, als Vorwärtsgeh'n.«

Da sein Gewissen Alle fürchtet, so würgt er die Edeln mit Weib und Kindern. Er wird zur wilden Hyäne, zum blutigen Schlächter, denn vor der Vergeltung sichert ihn ein gefeites Leben. Alles Andere wird ihm gleichgiltig; den Tod seines Weibes nimmt er halb in Stumpfheit auf. Die Nichtigkeit des Irdischen ekelt ihn an. – »Aus, aus, du kleine Kerze!« ruft er; »was ist Leben? Ein Schatten, der vorüberstreicht, ein Gaukler, der auf der Bühn' ein Stündlein tos't und ras't und dann nicht mehr gehört wird; 's ist ein Märchen,[177] das uns ein Thor erzählt, voll Schall und Bombast, der nichts bedeutet.«

Da bricht das Gebäude unter ihm zusammen. Der Birnamwald ist gegen ihn in Bewegung. Er will sterben, den Harnisch auf dem Rücken und so tritt ihm Macduff entgegen, der Mann, der vor der Zeit geschnitten ward aus seiner Mutter Leib. Alle künstlichen Zaubersprüche haben ihn betrogen und in wilder Raserei erliegt er seinem abergläubischen Entsetzen.

Macbeth gehört zu den erschöpfendsten Kunstaufgaben, denn dieses ununterbrochene Anwachsen der Leidenschaften bis zum letzten Worte der Rolle darf nie nachlassen, wenn nicht der Eindruck beim Zuschauer erkalten soll.

Macbeth gehört aber auch zu jenen Aufgaben, die der Schauspieler zu seiner eigenen Befriedigung lösen muß und für den kleinen Theil der Kunstkenner. Das große Publicum wird der spröde Gegenstand, mit Ausnahme der Mordscene und des wilden Hinausstürmens zur Schlacht im letzten Acte, nie zu enthusiastischen Beifallszeichen hinreißen.

Die bedeutendsten Novitäten meiner ersten Breslauer Jahre waren die »Schuld«, das »Käthchen von Heilbronn« und die »Ahnfrau«. Wo wäre der Schauspieler, dessen Jugend in die damalige Zeit fällt und der sich nicht an der Gestalt Oerindurs begeistert hätte?

Müllner's »Schuld« ist heutzutage ein überwundener Standpunct; aber das glänzende Talent, welches aus dem Werke unzweifelhaft spricht, mußte in dem Zeitalter der sogenannten Romantik unwillkürlich fesseln. Das Concentrische in[178] der so rasch sich abwickelnden Handlung, die geheimnißvolle Fabel, der gewaltige Conflict der Leidenschaften und die blühende, wenn auch überladene Diction rissen Schauspieler und Publicum mit sich fort und ließen das Mißratheue, Unwahre und Manierirte in den einzelnen Gestalten übersehen.

Als ich die Rolle in Breslau übernahm, war es mein Bestreben, dem Helden so viel festen Boden zu erobern, als sich thun ließ, ohne den idealen Standpunct des Verfassers zu verrücken, und der Erfolg hat mir bewiesen, daß dieses Festhalten an der im Stücke so oft gepriesenen Männlichkeit Hugo's und die Beschränkung des Hinbrütens auf das geringste Maß die Sympathien für diese Gestalt ungemein erhöhten.

»Das Käthchen von Heilbronn,« das ganz nach Kleist's Original, selbst mit der gewagten Badescene zur Darstellung kam, hatte einen Erfolg, der außerordentlich zu nennen war, namentlich für die Darstellerin der Titelrolle, meine jetzige Frau. Ich kann diese Leistung mit keiner einer anderen Darstellerin vergleichen. Diese Rolle wurzelte so tief in dem ganzen Wesen meiner Frau, daß sie beinahe ein Abdruck ihres eigenen Naturells zu nennen war. Es lag ein Reiz über diesem Gemälde, den nicht eine einzige Schauspielerin zu überbieten vermochte, und diese Leistung hat unbedingt Anspruch, in die Kunstgeschichte überzugehen, wie sie denn auch allerorten und namentlich in Wien zu einer Epoche machenden Erscheinung geworden ist. Diese Rolle steht weit über allen anderen Leistungen meiner Frau und bildet gleichsam ihr künstlerisches Kleinod.

Daß ich neben diesem Käthchen den Grafen vom Strahl[179] mit besonderer Luft und Liebe spielte, hat die Folge bewiesen. Für mich, als Schauspieler, ist die Rolle des Grafen vom Strahl noch deshalb merkwürdig, weil sie Veranlassung war, daß eine der hervorragendsten Heldenrollen des deutschen Theaters in mein Repertoire nie übergegangen ist. Grillparzer's »Ahnfrau« wurde nämlich gleichzeitig einstudirt; – Jaromir ging deshalb an Stawinsky über und ich habe den berühmten Räuberhauptmann nie gespielt.

Man hat damals »die Ahnfrau« häufig eine Nachahmung der »Schuld« genannt. Sie reiht sich allerdings an die Kette der Schicksalstragödien an, aber eine Nachahmung der »Schuld« kann man sie ungefähr mit demselben Rechte nennen, als man Beethoven den Nachahmer seines Musiklehrers nennen würde. Die »Schuld« ist ein Manierdrama und »die Ahnfrau« ist eine Dichterphantasie. Man gebe heute »die Schuld«, so findet sie ein halbleeres Haus und ein lethargisches Publicum, bei der »Ahnfrau« wird das Haus ausverkauft und die Zuschauer lauschen dem grauenhaften Gemälde mit sichtbarem Interesse und erquicken sich an den duftigen Frühlingsblüten wahrer Poesie. Die »alte« Ahnfrau bleibt jung, denn ein Dichter hat sie geschaffen.

Quelle:
Anschütz, Heinrich: Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken. Wien 1866, S. 169-180.
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