5.


[122] Lieber Leser! Ich habe im Anfange dieser Abtheilung eine kurze Darstellung von den vaterländischen Reisegelegenheiten beim Beginne dieses Jahrhunderts zu geben versucht. Ich könnte jetzt ein zweites Capitel dieser Leidensgeschichte niederschreiben Ich war nun doch eine Respec tsperson geworden, war Familienvater und Schauspieler in Amt und Würden. Ich reiste daher nicht mit der »Ordinairen«. Meine Gesinnungen und Empfindungen waren mit der Gage gestiegen. Ich konnte sagen: Omnia mea mecum porto; denn ein geräumiger Lohnwagen, dieses Linienschiff des Festlandes, nahm mich mit Frau, Kind, Magd und Koffern in seine rasselnde Behausung auf. Während einer wenig merkwürdigen, aber desto langweiligeren Fahrt bugsirle mich mein Rosselenker durch des heiligen römischen Reiches Streusandbüchse, wie bekanntlich Friedrich der Große selbst die Mark Brandenburg getauft hatte, und ich erblickte zum ersten Male Berlin, Eucharis unter den deutschen Städten damaliger Zeit.

Ich machte Rast, um wenigstens flüchtig die interessante[122] Metropole Preußens kennen zu lernen, die kaum erst die Trauer überwunden hatte über den schmerzlichen Verlust der angebeteten Königin Louise.

Mich interessirte natürlich vor Allem das Theater. »Der Geizige« war angekündigt und Iffland spielte den Kammerrath Fegesak. Meine Jugenderinnerungen erwachten mit überströmender Gewalt und ich eilte in das Schauspielhaus, schon im Voraus im Genusse schwelgend. Ja es war noch ein hoher, seltener Genuß, aber konnte ich mir's verbergen? Sechs Jahre lagen dazwischen und die beginnende Kränklichkeit des Künstlers ließ den glühenden Bewunderer aus Leipzig, der nun selbst Schauspieler geworden war, schon hier und da Lücken bemerken. Wie aber diese Lücken ausgefüllt wurden, war eine neue Quelle des Studiums für mich. Wer nicht hinter die Coulissen blickte, konnte eine Schmälerung des Totaleindruckes kaum empfinden.

Als Liebhaberin im Stücke figurirte eine liebliche Kunstnovize, kaum aus dem Ei gekrochen, Dem. Düring. Bald verwandelte sich dieser Name in einen anderen, dessen Doppelklang durch ganz Deutschland hallte: Stich-Crelinger! wer hat der Trägerin nicht gehuldigt?

Meine Verbindlichkeiten in Königsberg gestatteten mir leider nicht, Berlin in geistiger Beziehung kennen zu lernen und ich mußte mich mit einer oberflächlichen Besichtigung begnügen.

Mit meiner Abfahrt von Berlin fingen meine eigentlichen Reiseplagen an. Vierzehn Tage meines Lebens mußte ich hingeben, um von Berlin bis Danzig zugelangen![123] Den jüngeren Generationen muß diese haarsträubende Thatsache ein unvermeidliches Gelächter erpressen. Heutzutage kommt man in derselben Zeit von Wien bis New-York. Vierzehn Nachtquartiere mußte ich überstehen, die immer bedenklicher wurden, je mehr die deutsche Sprache in slavische Laute umschlug. Mitunter ließ sich ein leiser Schauder nicht unterdrücken, wenn körperliche Ermattung die bittere Nothwendigkeit auferlegte, ein Bett aufzusuchen. Ich habe auch an mehr als einer solchen gastlichen Stätte den verzweifelten Ausweg ergriffen, mich lieber auf eine Tischplatte auszustrecken, ein Gepäckstück zum Kopfkissen und meinen Mantel zur Bettdecke zu erheben. Und zu allen diesen Beschwerden ein einjähriges Kind mit seinen tausendfachen Bedürfnissen und eine Frau in vorgerückter Schwangerschaft, die vor jedem Stein im Wege zitterte! Ein reizendes Bild!

Columbus kann nicht viel größeres Entzücken empfunden haben, da vom Bord der »Pinta« der Jubelruf »Land!« erscholl, als ich beim Anblick der Festungswerke von Danzig. Aber ein Augenblick hatte bereits alle Erinnerungen an die erlittenen Strapazen ausgelöscht: der erste Anblick des baltischen Meeres!

Da lag sie vor mir, die märchenhafte, dunkelflutige Ostsee, von welcher Dichter und Geographen mir schon so viel erzählt hatten! Ich sah im Geiste Gustav Adolf landen, um meiner Kirche Freiheit zu erfechten, ich sah Carl X. auf ihrer Eisfläche Schlachten schlagen und seine Schaaren in das Herz von Dänemark führen, ich sah Carl XII. in das Wasser springen, um eben dieses Dänemark zu züchtigen![124]

Wer aber beschreibt meine Ueberraschung, als mir auch hier wieder Ringelhardt entgegenkommt. Meine Freude war so groß, daß ich seiner Hiobspost kaum Aufmerksamkeit schenkte, denn von ihm sollte ich als erste Neuigkeit in Danzig erfahren, daß das Schütz'sche Directionsunternehmen in Königsberg ein ziemlich tamultuarisches Ende gefunden habe.

Schütz, der ehemals als Professor in Halle jedenfalls mehr an seinem Platze gewesen sein mochte, als nun in schauspielerischer Wirksamkeit, litt als Director an der unglücklichen Krankheit, das Beste immer selbst spielen zu wollen. Das Publicum schien von vielen seiner Leistungen eine minder günstige Meinung zu hegen, und so bereiteten ihm die Königsberger manche unangenehme Erfahrung auf offener Scene. Statt der gebieterischen Stimme des Publicums zu weichen, ließ er sich aus Unmuth und Trotz zu einer unwürdigen Uebereilung hinreißen.

Die Kotzebue'sche Posse: »Des Esels Schatten« wird zur Aufführung gebracht. Der Gegenstand besteht, wie man weiß, aus der bekannten Episode in Wieland's »Abderiten«, wornach ein Eseltreiber, der seinen Esel zur Reise vermiethet hat, darüber einen Rechtsstreit beginnt, weil der Reisende bei der Hitze des Tages sich in dem Schatten des Esels ausruht, und dafür nicht besonders bezahlen will. Die Einwohner von Krähwinkel, welche für und gegen die Schattenfrage sich entscheiden, spalten sich in zwei Parteien, in jene der »Esel« und jene der »Schatten«. Schütz hatte die Rolle des Advocaten Lungenheld, des Vertreters der Schatten, an sich genommen, und nachdem während seines Vortrages verschiedene mißbilligende[125] Aeußerungen gethan worden waren, so wagte er aus Empfindlichkeit und beleidigter Eitelkeit das Aeußerste; bei den Schlußworten der Vertheidigungsrede: »Und somit wird denen Eseln ein ewiges Stillschweigen auferlegt,« hatte er nämlich die unerhörte Unverschämtheit, sich mit einer unzweifelhaften Geste gegen die Zuschauer zu wenden.

Die Wirkung war außerordentlich. Unter einem stürmischen Wuthausbruche des Auditoriums verließ er die Bühne und sogleich auch das Theatergebäude. Was aber die Erbitterung auf den höchsten Grad steigerte, war der zweideutige Muth, daß Schütz wenige Tage nach diesem Attentat auf die Unverletzlichkeit des Publicums als Graf Balken in der »Schachmaschine« wieder auftreten zu können glaubte. Bei seinem Erscheinen empfing ihn ein Hagel von Mißlauten, Verwünschungen und selbst von Projectilen aller Gattungen, wozu sich der donnernde Zuruf gesellte: »Auf die Kniee! Abbitten!« Allein der Trotzige zog es vor, die Bühne ohne Befriedigung des gerechten Unwillens zu verlassen.

Er mußte nun auf Anordnung der Behörden auch von der Direction zurücktreten und die Gesellschaft erhielt die Erlaubniß, auf eigene Rechnung weiter zu spielen.

Unter diesen Verhältnissen war es mir daher mehr als erwünscht, daß mir Director Hürey ein längeres Gastspiel in Danzig anbot, mit welchem ich natürlich die Absicht eines Engagements verband.

Der Erfolg war ein so vortheilhafter, daß Hürey mir auch wirklich eine Anstellung offerirte.[126]

Ich hatte gar nicht mehr auf Königsberg reflectirt und eben wollte ich den neuen Contract unterschreiben, als mir die Nachricht zukam, daß Schütz bei der Uebergabe der Geschäfte die Einhaltung meines Contractes bei der Interimsverwaltung durchgesetzt hätte, und daß ich in Königsberg stündlich erwartet würde. Ich erkannte mich dadurch als gebunden, und behielt mir Hürey's freundliches Anerbieten für die nächst mögliche Gelegenheit vor.

Also noch einmal in die Lohnkutsche!

Wir befanden uns im December, und um die Reise namentlich aus Rücksicht für den körperlichen Zustand meiner Gattin so schnell als möglich zu beenden, fuhr ich über die frische Nehrung, was allein zwei Tage in Anspruch nahm und nicht ohne Unbequemlichkeit war. Man mußte nämlich streckenweise im Wasser fahren und die gegen die Düne brandenden Meereswellen sausten mit unheimlichem Geräusche unter dem Wagenkasten durch und hemmten nicht selten den freien Tritt der Pferde. Längs der Nehrung befanden sich weder bewohnte Ortschaften noch Wirthshäuser. Zur Fütterung mußten die Pferde auf der Landseite über den Damm hinab nach einer bewohnten Stätte geführt werden. Erst auf der Hälfte des Weges erreichten wir eine Unterkunft für die Nacht. Am zweiten Tage dagegen hörten alle menschlichen Spuren auf und wir mußten eben so lange fahren, bis wir am Ende der Nehrung nach der Straße e inbogen und in bewohnte Gegenden kamen.

Es war um die Mitte December 1811, als ich endlich mit Familie und Hausrath in Königsberg eintraf, um von den Reisestrapazen in bequemen Winterquartieren auszuruhen.[127]

Quelle:
Anschütz, Heinrich: Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken. Wien 1866, S. 122-128.
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