8.


[149] Gleich am ersten Tage meiner erneuten Wirksamkeit machte ich die für mich im höchsten Grade interessante Bekanntschaft Kotzebue's, der den vordringenden Russen auf dem Fuße folgte und auf jede Weise Polemik gegen die Franzosen und ihren Kaiser zu treiben anfing. Eine der ersten etwas wässerigen Früchte dieses Dranges war die mehr als matte Satyre: »Der Flußgott Niemen und Noch Jemand,« worin ich den Flußgott Niemen zu repräsentiren hatte. Der politische Witz war Kotzebue's schwächste Seite; hier arbeitete er mit sehr grobem Pinsel, wie denn überhaupt große Feinheit seine Sache nicht war. Wenn er Lachen oder Rührung beabsichtigte,[149] so galt es ihm ziemlich gleich, wer und wie man lachte oder weinte; wenn er nur seinen Zweck erreichte. Wer ihn tadelte, war sein Feind und eine Ausstellung verzieh er lange nicht! Kotzebue mit seinem lebhaften, nur allzu reizbaren Naturell wirkte übrigens sehr anregend auf die Theaterverhältnisse ein und trug nicht wenig zur Belebung des Repertoires und zur geistigen Hebung der Darstellung bei. Daß seine Gegenwart die Vorführung seiner Dramen mehr als zweckdienlich in den Vordergrund stellte, war zu erwarten. »Die Sonnenjungfrau,« »Rolla's Tod,« »Ubaldo« und die meisten seiner Ritterstücke mußte ich nun durchmachen.

Ich verkehrte ziemlich viel mit Kotzebue in Gesellschaften, auch promenirten wir häufig im Königsgarten, wobei er sehr interessant über Theater und Literatur zu sprechen wußte, obgleich er die wenigsten seiner vortrefflichen Ansichten auf seine eigenen Producte übertrug.

Mir machte er über verschiedene meiner Heldenrollen die Ausstellung, daß ich sie mitunter zu weich hielte, und seine Bemerkungen hatten die Folge, daß ich wirklich bei vielen Rollen den Grundton etwas fester anschlug.

Zum Verwundern und wider Vermuthen behauptete sich das Königsberger Theater in diesen schweren Zeiten, mitten unter den Stürmen, die uns umbrausten.

Begünstigt von der tief innersten Gährung im preußischen Volke, welches von dem Streben beseelt, der erniedrigenden Fremdherrschaft zu entspringen, seine unwürdigen Ketten bereits krampfhaft schüttelte, drang das russische Cabinet immer heftiger in Friedrich Wilhelm III., die kühne[150] That seines Generals York zu der seinigen zu machen und an der Seite des befreiten Rußland mit gewaffneter Hand dem Weltunterdrücker entgegenzutreten.

Die Lage Friedrich Wilhelms war eine bedenkliche. Seine Länder, die bereits so viel gelitten, hatten im Falle der Weigerung Rußlands racheschnaubende Schaaren als Feinde zu erwarten und konnten nach der beispiellosen Niederlage des Eroberers nicht einmal auf eine nachdrückliche Abwehr der Russen von Seite Frankreichs rechnen; schloß er sich dagegen Rußland an, so kostete ihm das Mißlingen dieser Auflehnung gegen Napoleon unfehlbar seine Krone.

Er hatte nur zu wählen zwischen einer schmachvollen Existenz oder einem Kampfe um Tod und Leben.

Das Murren und der Thatendurst seines Volkes ließ ihm nicht lange freie Wahl und im Vertrauen auf den unbändigen Kriegsmuth der Preußen faßte er den edlen Entschluß des Helden: »Alles für Ehre und Freiheit!«

Scharnhorst verschaffte ihm die Mittel dazu.

Im Frieden von Tilsit mußte sich Preußen der unerhörten Bedingung des übermüthigen Siegers fügen, nie mehr als 40.000 Mann unter Waffen zu halten. Scharnhorst faßte den ersten Gedanken zu dem heutigen Wehrsysteme Preußens. Die preußische Armee wurde durch Entlassung der älteren Soldaten zum Scheine auf 40.000 Mann reducirt. Nach einem Jahre wurde der größte Theil dieser geringen Armee durch neue Recruten ersetzt. Nun wurde Jahr für Jahr der militärisch-eingeübte Theil nach Hause geschickt und neue Truppen abgerichtet. Unbegreiflich war es, daß die französischen[151] Militär- und Aufsichtsorgane die Gefahr dieser Maßregel nicht erkannten. Ein Gott hatte sie in Sicherheit gewiegt.

Anfangs Februar 1813 verließ der König mit seinem Hofe und allen Regierungsorganen Berlin und erließ am 9. Februar aus Breslau seine berühmte Proclamation: »An mein Volk!«

Die Wirkung war eine ungeheuere und vielleicht ohne Gleichen in der Weltgeschichte.

Es gehört zu den schönsten Erinnerungen meines Lebens, daß es mir vergönnt war, zum Theile ein Augenzeuge dieser erhebenden Geschichtsepoche Preußens gewesen zu sein.

Die Begeisterung schlug in wilde Flammen aus und grenzte an Trunkenheit. In den kleinsten Orten bildeten sich Militärdepôts, welche den herbeiströmenden Freiheitskämpfern kaum Genüge leisten konnten. Wer über eine geringe Barschaft verfügen konnte, equipirte sich selbst. Vom Reichsten bis zum Aermsten wurden die schwersten materiellen Opfer gebracht, um die Kriegscassen zu füllen. Keiner wollte sich vom Heerdienste zurückweisen lassen. Jünglinge, kaum dem Knabenalter entwachsen, Kaufleute, welche ihre Comptoirs, Advocaten, welche ihre Kanzleien verließen, Hof- und Regierungsräthe, welche ein halbes Leben im Actenstaube zugebracht hatten, selbst des Künstlervolkes bunte Schaar, Alles eilte den preußischen Fahnen zu.

Unser Regisseur Weiß, der Mediciner gewesen, aber nicht graduirt war, promovirte in der größten Schnelligkeit und ging als Militärarzt zur Armee ab.[152]

Allerorten wirbelte die Trommel, tönten die Hörner und vom sechzehnten bis fünfzigsten Jahre exercirte die männliche Bevölkerung vom Morgen bis zum Abend. Es gab keine zagenden Mütter, keine trauernden Gattinnen, keine verzweifelnden Bräute, keine weinenden Kinder. »Ehre und Freiheit!« Der Ruf des Königs war in Jedermanns Munde. Der Knabe klagte, daß er kein Mann sei, und das Frauengeschlecht trauerte nur darüber, daß die Natur sie vom Erlösungswerke ausschloß. Auch ist es ja bekannt genug, daß einzelne Enthusiastinnen sich in Männertracht hüllten, um Wunden und Tod mit ihren Landsleuten zu theilen.

Schon am 27. März 1813 erfolgte die Kriegserklärung Preußens an Frankreich.

Als sie nun hinausgezogen waren diese Todesfreudigen unter dem Geläute der Glocken und den Segenswünschen der Zurückbleibenden, wie begierig verschlangen die Letzteren alle Zeitungen, um ihre Herzen über das Allgemeine und über den Einzelnen zu beruhigen. Jeder, der damals zwischen Weichsel und Elbe athmete, war mit Leib und Seele ein Preuße, welches Land ihn auch geboren haben mochte!

Die Tage von Lützen bis Bautzen, die Zeiten des Waffenstillstandes durchlebte man wie auf der Folter.

»Wenn nur Oesterreich sich erklärte,« war der Gedanke, der in jeder Brust herrschte.

Da endlich erscheint das kaiserliche Manifest vom 12. August 1813 und neuer Jubel begrüßte diese außerordentliche Zeitung, welche dem gewagten Schritte Preußens erst festen Boden verlieh. Niemand war darüber in Zweifel,[153] daß Preußen und Rußland allein zuletzt doch vielleicht unterlegen wären, Oesterreich aber verdoppelte nicht nur die Macht der Verbündeten, es verdreifachte dieselbe, weil nur seinem gewichtigen Beispiele der Rheinbund nachfolgte.

Auf Napoleons großsprechende Drohung: »Der erste französische Marschall, der in Berlin einrückt, ist König von Preußen!« antworteten Friedrich Wilhelms Heldenheere mit den Tagen von Großbeeren, Katzbach, Kulm, Dennewitz und Wartenburg, bis endlich auf Leipzigs Feldern der Uebermuth des Eroberers so tödtlich heimgesucht wurde, daß er sich moralisch und politisch nicht wieder erholte.

Der Siegesjubel, der mit jeder Schlacht von einem Ende Deutschlands zum anderen erscholl, blieb nicht ohne Einfluß auf das Theater. Eine immer erregtere Stimmung machte sich in einer fast feierlichen Wechselwirkung zwischen Publicum und Schauspielern geltend. Vaterländische Dramen wurden begehrt und mit besonderer Vorliebe dargestellt. Jede Stelle, die sich mit Recht oder Unrecht auf die Tagesereignisse beziehen ließ, erregte stürmische Demonstrationen, die sich im Schiller'schen »Tell« und in Kleist's »Prinzen von Homburg« bis zu bacchantischem Taumel gipfelten.

Auch in schauspielerischer Beziehung sollte das Jahr 1813 ein für mich bedeutendes Ereigniß in sich schließen.

Ich habe schon früher erwähnt, daß in damaliger Zeit die Mitwirkung von Schauspielern in Singspiel und Oper etwas Gewöhnliches war und diese Wirksamkeit richtete sich natürlich nach dem Umfang der gesanglichen Talente. Ich war nicht ohne musikalische Bildung, besaß eine leidliche Tenorstimme[154] und wurde daher auf dem Gebiete der Schwesterkunst nicht selten verwendet. Ich hatte bereits in der sogenannten Spieloper in größeren Partien mitgewirkt, ich hatte den St. Val in »Fanchon« und den Feldherrn Altamor in »Axur« gesungen.

Nach dem Abgange der bisherigen Vorstände Weiß und Fleischer übernahm Beinhofer die Direction des Theaters.

Eines Abends, als ich eben wieder in der Oper mitbeschäftigt war, kommt Beinhöfer auf mich zu und sagt: »Anschütz, ich habe eine Idee, für die ich mich sehr interessire.«

»Und welche?«

»Ich möchte den ›Don Juan‹ einstudiren.«

»Charmant!«

»Finden Sie?«

»Wie können Sie da einen Mozartianer fragen, wie ich bin? Ich schwelge schon jetzt im Gedanken, die Oper wieder zu hören.«

»Sie wollen zuhören? Sie sollen mitsingen.«

»Ich? was denn?«

»Den Don Juan.«

Ich lachte laut auf.

»Was gibt's denn da zu lachen?«

»Besser doch, ich lache, als wenn Mozart im Grabe weint.«

»Das wird er nicht nöthig haben.«

»Sie wollen sich eben einen Spaß mit mir machen. – Wenden Sie sich an einen Andern.«[155]

»Ich habe keinen Don Juan.«

»Ist das ein Grund, daß ich es sein soll?«

»Das nicht, aber ich habe andere Gründe.«

»Da bin ich begierig.«

»›Don Juan‹ ist zwar eine große heroische Oper, aber der Titelheld selbst ist nach meiner Meinung mehr eine Schauspieler- als eine Sängeraufgabe. Don Juan hat nur wenige Gesangsnummern und die beiden Finale, die man mit einer halbwegs guten Stimme vollständig leisten kann. Sie besitzen eine ausreichende Stimme, die ein tiefer Tenor ist, sie haben musikalische Bildung und werden als Schauspieler der Gestalt eine Bedeutung geben, die ihr selten zu Theil wird.«

»Apage, Versucher!«

»Versuchen Sie es!«

»Vor der Hand will ich mir's nur überlegen.«

»Aber nicht zu lange.«

Beinhöfer's Anforderung beschäftigte mich den ganzen Abend. Gleich am anderen Morgen suchte ich Mosewins auf und erzählte ihm unter Lachen Beinhöfer's Zumuthung.

»Was sagt Ihr dazu?« fragte ich ihn. Wir ihrzten uns.

»Warum nicht? Beinhöfer's Ansichten sind nicht so unrichtig. Man müßte einmal untersuchen, ob Eure Stimme Tiefe und Kraft genug hat, in den Finalen wirksam durchzudringen. Es könnte mir großes Vergnügen machen, neben Euch den Leporello zu singen.«

Es wurden sogleich die Vorbereitungen getroffen. Ich setzte unseren Capellmeister von Beinhöfer's Absicht in Kenntniß. Dieser ergriff die Sache mit großer Lebhaftigkeit und[156] so wurde denn sogleich am Claviere das Studium der Partie begonnen. Es machte mir nicht viel Schwierigkeit, mir den musikalischen Theil einzuprägen, wobei sich Mosewins und die übrigen Mitwirkenden mit großer Aufopferung zu Clavierproben hergaben. Nach einigen Wochen erklärten mich Capellmeister und Collegen für vollständig befähigt, mit der Partie vor das Publicum zu treten.

Mittlerweile hatte ich auch das Textbuch durchstudirt und die ganze Gestalt hatte nun in meiner Phantasie Blut und Leben gewonnen.

So kam der Abend der Aufführung heran, die, wenn ich nicht irre, an Mozart's Todestage stattfand. Nach dem Champagnerliede wurde ich lebhaft applaudirt und errang mit dem tragischen Finale des zweiten Actes einen vollständigen Erfolg. Beinhöfer und Mosewins hatten eine kindische Freude darüber und »Don Juan« wurde im Winter mehrfach wiederholt.

So war ich denn urplötzlich ein Opernsänger geworden. Unsere heutigen Sänger werden vielleicht über mein Wagestück lächeln und ich finde das ebenso begreiflich, als daß kaum ein Schauspieler nach mir dasselbe gewagt hat. Die Ansichten über Operndarstellung und Gesangaufgaben haben sich seit 50 Jahren gewaltig geändert. Damals betrachtete man die Oper als ein Schauspiel mit Gesang, heutzutage ist sie Musik mit Worten.

Diese allmälige Beschränkung der Opernwirkung auf das Gehörorgan hat denn auch die nachtheilige Folge gehabt, daß die Sänger sich immer mehr und mehr entwöhnt haben,[157] die schauspielerische Seite ihres Berufes auszubilden. Endlich reiste diese Bequemlichkeit bis zur göttlichen Faulheit, die Alles geleistet zu haben glaubt, wenn der Ton aus der Kehle ist. Um so strahlender ist der Ruhm, um so frischer sind die Lorbeerkränze, die sich trotz dieser Geschmacksrichtung eine Sonntag, Malibran, Schröder-Devrient, Lind, ein Gerstäcker, Lablache, Roger und Ander erworben haben.

Die Alltagssänger schmollen wohl sogar mit den Triumphen dieser Größen und glauben etwas gesagt zu haben, wenn sie achselzuckend und wie mitleidig ausrufen: »In der Oper will ich Sänger haben und keine Schauspieler.« Zum Daus! Beide muß man haben, oder man hat keines. Wenn ich bloß Töne genießen will, so höre ich mir eine Symphonie oder Kammermusik an, oder ich gehe in den Wald und lausche den befiederten Sängern; aber in der Oper verlange ich eine Darstellung.

Der Neujahrstag 1814 gab mir endlich Frau und Kinder zurück. Feuersbrünste und der drohende Hunger gaben dem General Rapp die Ueberzeugung, daß er sich auf die Dauer nicht mehr behaupten könne und so übergab er Danzig an die Verbündeten.

Auf diese Nachricht eilte ich mit Möller und Angely von Königsberg dahin, um meine Familie in Empfang zu nehmen. Die Armen hatten viel gelitten, denn die einjährige Belagerung hatte sie zuletzt zu den empfindlichsten Entbehrungen und zu den ekelhaftesten Nahrungsmitteln genöthigt. Namentlich auf den Gesundheitszustand meiner ältesten Kinder hatte diese verhängnißvolle Periode den nachtheiligsten Einfluß.[158] Dem größten Mangel entriß sie Hurey, indem er meine Frau in Engagement nahm. Auch hatte letztere an La Roche einen wahrhaft fürsorgenden Freund gefunden, wofür ich ihm noch heute dankbar bin. Aus dem Munde der Meinigen habe ich erfahren, wie der Wackere in einer Periode der Belagerung, wo Jedermann schon selbst mit dem Mangel kämpfte, eines Tages meine Familie mit dem Geschenke eines Töpfchens Linsen überraschte, die er irgendwo aufgetrieben hatte und unter den Kleidern verborgen den Verlassenen zutrug.

Quelle:
Anschütz, Heinrich: Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken. Wien 1866, S. 149-159.
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