Einladungen

[274] zu denselben beschäftigen, und zwar die Fragen beantworten:

Wen sollen wir einladen? und:

Wie sollen wir einladen?

»Wir müssen eine Gesellschaft geben, wir sind es dem und dem und jenem schuldig,« sagt die Frau Kommerzienrätin. Sie ist es verschiedenen Bekannten, »schuldig«, sie einzuladen, weil diese sie eingeladen haben; aus diesem Grunde erfolgt die Einladung an Hauptmann A.s, Dr. B.s, Kapellmeister C.s, Assessor D.s u.s.w. Die verschiedensten Menschen aus den verschiedensten Kreisen, mit den verschiedensten Berufsarten und Interessen werden da zusammengewürfelt, vielleicht auch noch ein paar Mr. und Mrs. dazwischen, die nur sehr wenig Deutsch verstehen; sie müssen sich aber zusammen vertragen, denn man ist ihnen allen eine Einladung »schuldig« und will die Schuld abtragen. Ob sie zusammen passen, sich zusammen amüsieren werden, danach fragt man nicht!

Das ist entschieden ein Mißgriff. Man soll nur diejenigen Personen in eine Gesellschaft zusammenführen, welche nach gesellschaftlicher. Stellung wie nach ihrer Bildung zusammen passen, welche Berührungspunkte miteinander haben. Freilich, bei sehr großen Gesellschaften, von fünfzig und sechzig Personen, braucht man es nicht so genau zu nehmen, da bilden sich in dem großen Kreise durch Wahlverwandtschaft wieder kleine Kreise; wo aber nicht mehr als zwölf bis achtzehn Personen bei einander sind, sollte man obige Rücksicht stets walten lassen.

Sehr verkehrt jedoch erscheint es uns, die beiden Geschlechter im geselligen Verkehr zu scheiden, wie dies leider[274] bei uns in Deutschland, und zumal im Süden und Westen unseres Vaterlandes meist der Fall ist. Die Frauen gehen in ihre Kaffees und Thees, die Herren in ihre Klubs und Restaurants, und beide Teile leiden darunter. Denn wie im täglichen Leben bei der Arbeit, so haben sie sich bei der Erholung auch gegenseitig zu ergänzen. Der Mann liefert die ernsteren Unterhaltungsstoffe, hält die zur Flüchtigkeit geneigte schönere Hälfte bei dem Gegenstande fest; die Frau fügt seiner Gediegenheit die Anmut hinzu, sie verhindert, daß die Gründlichkeit in Pedanterie ausarte, sie belebt das Gespräch durch seine Bemerkungen, ja, schon durch ihren lauschenden Blick, ihr beistimmendes Lächeln. Und während sie so den männlichen Ernst mildert, fesselt sie unmerklich aber doch unwiderstehlich den männlichen Freiheitsdrang, der sich nur zu leicht durch Formlosigkeit kundgibt. Das allzukühne Wort erstirbt unter ihrem Blick, die Haltung, die Bewegung verliert das zu Ungebundene, Nachlässige, das der Mann im Arbeitszimmer oder im Kreise seiner Freunde sich angewöhnt:


»Wo Sittlichkeit regiert, regieren sie,

Und wo die Frechheit herrscht, da sind sie nichts.«


Gewiß, wir wollen dem Manne weder seine Klubs, noch einer Frau ihre »Kränzchen« mit ihren Freundinnen wehren, zumal wenn letztere einem bestimmten Zwecke, sei es einem geistigen oder wohlthätigen, dienen, denn beide bedürfen des Verkehrs mit ihresgleichen, ihren Genossen; aber die eigentlichen Gesellschaften sollten soviel wie möglich beide Geschlechter vereinen. Sind sie doch, selbst in der Familie, bei der Arbeit meist getrennt: der Mann durch seinen Beruf in seinem Studierzimmer, oder gar außer dem Hause, die Frau in der Wirtschaft und der Kinderstube beschäftigt; da müßte die Erholung wenigstens gemeinsam sein. Das[275] Familienleben würde dadurch entschieden gewinnen, und die Geselligkeit erst dann ihren wahren Zweck erreichen, nämlich den: ein Findemittel der Herzen und ein Bindemittel der Geister zu sein.

Warnen möchten wir auch vor der Manie, die manche Menschen haben, vornehme oder berühmte Gäste einzuladen. Diese »Lionhunters« (Löwenjäger), wie Dickens seine Repräsentantin der Species in den, »Pickwickiern« nennt, verfallen überall, wie in dem Buche, dem Fluche der Lächerlichkeit, und der Herr Graf oder der berühmte Dichter, welcher sich herabgelassen hat, der Einladung Folge zu leisten, ist gewöhnlich der erste, welcher sich über den Wirt lustig macht. Nein! seien wir immerhin, wenn unsere Stellung das erlaubt, etwas wählerisch in unserm Umgang, halten wir uns nicht für verpflichtet, jeden einzuladen, den wir zufällig kennen lernen, aber drängen wir uns niemand auf, bleiben wir in unserer Sphäre und lassen uns mehr durch ethische und geistige Rücksichten, als durch den Glanz eines Namens bestimmen.

Jemand einzuladen, der unsern Umgang nicht gesucht hat, würde immer eine Zudringlichkeit sein; handelt es sich aber um eine auf der gesellschaftlichen Stufenleiter bedeutend unter dem Wirte stehende Person, der er durch die Einladung eine Ehre erweisen will, so muß er die Einladung nicht durch den Diener, sondern brieflich oder besser noch persönlich ergehen lassen. Gerade unter uns stehenden Personen gegenüber bedarf es doppelter Höflichkeit und besonderen Zartgefühls.

Die Frage: wie wir einladen sollen? ist leichter zu beantworten, als die nach dem wem? denn hier handelt es sich nur um Formen. Man erläßt die Einladung mündlich oder schriftlich. Die erstere genügt für kleine Gesellschaften, welche nicht über unseren nächsten Bekanntenkreis hinausgehen, doch sei die Hausfrau sorgsam in ihren Instruktionen an das Dienstmädchen, gebe ihr die Namen der[276] Einzuladenden lieber schriftlich und füge die Zeit, wann sie ihre Gäste erwartet, hinzu, damit keine Irrtümer vorfallen. Einladungen wie: »Sie möchten doch morgen zur Frau Müller zum Thee kommen,« sind gar nicht selten, und die Formlosigkeit der Bestellung fällt auf die Herrschaft zurück. Selbst bei diesen mündlichen Einladungen aber thut man gut, sie, wenigstens in der hohen Saison, zwei Tage vor der Gesellschaft zu erlassen, da man sonst nie erwarten kann, eine Zusage von den gewünschten Gästen zu erhalten. Auch gewinnen wir dadurch die Möglichkeit, für etwaige Absagen andere einladen zu können.

Entschieden zweckmäßiger als die mündlichen sind die schriftlichen Einladungen, die man deshalb besonders in größeren Städten meist vorzieht. Es genügt da schon, auf unsere Visitenkarte zu schreiben: »N.N. bitten Herrn und Frau A., ihnen die Ehre (resp. das Vergnügen) ihres Besuchs zum Abendbrot Freitag den 27. d. M. acht Uhr abends zu schenken.« Das erste Wort setzt man meist in die rechte Ecke der Visitenkarte unter den darauf gedruckten Namen und schreibt das übrige auf die andere Seite.

Für große Gesellschaften, wie Bälle oder wichtige Familienfeste bedient man sich gedruckter Einladungsformulare, wie wir solche schon bei Gelegenheit der Hochzeiten erwähnten. Der Name des Einzuladenden kann entweder an der Spitze, oder zuletzt stehen, also:


Herr und Frau X. beehren sich, Herrn Regierungsrat Z. nebst Frau Gemahlin und Tochter zu ihrem am 10. d. M. stattfindenden Balle ergebenst einzuladen.


oder:


Herr und Frau Doktor P. werden gebeten, den am 18. d. M. stattfindenden Ball mit ihrer Gegenwart beehren zu wollen.

Professor N. und Frau.
[277]

Für eine Mittags- oder Abendbrotgesellschaft fügt man die Zeit hinzu und die Buchstaben U.A.w.g. (Um Antwort wird gebeten). Natürlich aber hat der Geladene auch ohne diese direkte Bitte seine Zu- oder Absage dem Wirte einzusenden, und zwar sobald wie möglich.

Diese brieflichen Einladungen sendet man entweder durch einen Diener, oder bei sehr großen Entfernungen per Post; in letzterem Falle aber stets in geschlossenem Couvert und nicht etwa per Postkarte. Hat man einen Bekannten gelegentlich schon mündlich eingeladen, so versäume man dennoch nicht, ihm die formelle Einladung noch zuzusenden.

Je größer eine Gesellschaft ist, um desto früher erläßt man die Einladungen: zu einem Balle, welcher Zeit für die etwa zu beschaffende Toilette erfordert, meist zwei bis drei Wochen vorher, wie bei Hochzeiten; für Soupers und Diners genügen vier bis sechs Tage. Jedenfalls zeigt eine frühe Einladung immer den Wunsch des Wirtes, den Eingeladenen nicht nur eine Aufmerksamkeit zu erweisen, sondern sie wirklich bei sich zu sehen.

Betrachten wir uns nun zuerst die geselligen Vereinigungen im einzelnen, und zwar zuerst die


Quelle:
Calm, Marie: Die Sitten der guten Gesellschaft. Stuttgart 1886, S. 274-278.
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