3.
Ueber den äußern Anstand.

[8] Eine falsche Vorstellung würde man sich von dem äußern Anstande machen, wenn man glaubte, daß er einzig und vorzüglich nur einem, ausgezeichnet schönem Körperbau zu Theil werden könne. Es ist nicht zu läugnen, daß dadurch ein angenehmer augenblicklicher Eindruck gewonnen wird; aber eben so wenig ist es auch zu läugnen, daß ein bloß schöner Körperbau, wenn ihm die übrigen Vorzüge fehlen, wodurch er sich von einer schönen Puppe unterscheiden muß, mehr nachtheilig, als vortheilhaft werden kann. Bestimmte ein schöner Körperbau nur den äußern Anstand, so müßten Gebrechliche schlechterdings darauf gänzlich Verzicht leisten. Und wie oft zeigt die Erfahrung vom Gegentheil.

Folgende Regeln, die wir nicht in systematischer Ordnung aufstellen wollen, werden meinen jungen Freunden zu einer kleinen Anleitung dienen können.[9]

Man beobachte seinen Körperbau, seine Gestalt unpartheyisch. Ich fürchte nicht, daß ich zu jungen Herren spreche, die nun augenblicklich vor den Spiegel hineilen, und mit mädchenhafter Eitelkeit ihr Gesichtchen, ihre Gestalt betrachten, und, von ihrem lieben Ich geschmeichelt, sich für Schönheiten halten, oder sich ärgern werden, daß sie nicht so schön sind, als sie es wohl seyn möchten. Die dieses thun, sind auf dem geraden Wege, sich lächerlich zu machen; denn nun kommen sie aus aller Fassung, sich mit denjenigen Augen betrachten zu können, die schlechterdings – zu dieser unpartheyischen Prüfung nöthig sind. Die Spiegel sind bey Mannspersonen weit schlimmere, hinterlistigere Vertraute, als bey dem weiblichen Geschlecht. Leider! giebt es solcher ekelhafter Jünglinge eine Menge, die sich bey der Gelegenheit, wenn sie sich die Halskrause umbinden, eine ziemliche Zeit nehmen, um nebenbey ihr schönes, weißes Gesichtchen, ihre Augen, ihre Zähne bewundern zu können. Begeistert nur[10] von diesen Vorzügen eilen sie in Gesellschaft, und man merkt ihnen sogleich ihr narrenmäßiges Studium ab. Es kann sodann nicht fehlen, man greift sie bey dieser Schwäche an, und macht sie lächerlich. Besonders sind junge Frauenzimmer darinnen sehr scharfe Beobachterinnen solcher lächerlicher Gecken; sie brechen in laute Lobeserhebungen aus, und wer dann noch so albern ist, und ihre Schalkheit nicht für das nimmt, was sie wirklich ist, der gebe sich nur geradezu verlohren. Ich kenne Jünglinge, die von dieser unglücklichen Sucht zwar befallen wurden, aber schnell sich davon zu heilen verstanden. Und doch blieben sie noch lange der Gegenstand des weiblichen Spottes, weil Frauenzimmer den ersten Eindruck schwerer vergessen, als die Männer.

Es bedarf keines Spiegels, um wissen zu können, ob man von großer Gestalt sey, festen, starken Gliederbau habe, u.s.w.; oder ob man schwächlich, klein, gebrechlich sey, u.s.f. Und hat man diese Kenntniß von sich[11] selbst, so muß man seinen Körper darnach behandelen, ihm bald mehrern Willen lassen, ihn bald wieder einschränken.

Vorzüglich muß man auf seinen Gang Acht haben. So hatte sich ein langbeiniger junger Mann einen trippelnden Schritt angewöhnt, und wer ihn gehen sah, mußte ihm fast ins Gesicht lachen. Ein Anderer hinwiederum wußte, daß er sehr klein sey, er wollte sich gern größer sehen. Er nahm den Schuhmacher zu Hülfe, und was die höhern Absätze nicht vermochten, das bewirkte er, wie er glaubte, glücklich, wenn er mehr auf den Zehen gieng, wie andere Leute. Wem die Natur lange Beine gab, der mache größere Schritte, wenn er allein geht; und langsam gehe er, wenn er Gesellschafter an seiner Seite hat, die kurzbeiniger gebaut sind. Wer klein ist, der versuche nicht durch Mittel zu scheinen, als er ist, die es auf den ersten Blick verrathen, daß er in den Kleinen gerne groß ausartet. Zwingt also, Jünglinge, nie die Natur[12] zur Unnatürlichkeit. Berichtiget auch hier euer Gefühl des Schicklichen. Ihr werdet sonst affektirt, und nichts ist widerlicher, als Affektation. Wer groß, stark, festgebaut, dick ist, muß seinen Körper anders tragen, als wer schmächtig, hager, mittlerer Statur ist; und nach seinem Körperbau richte sich auch der Kleinere.


Aus dem Gang eines Menschen, so sagt schon ein uraltes Sprichwort, erkennt man öfters sehr leicht seinen Charakter. Gehe nicht einwärts mit den Füßen; eben so wenig hacke, schleudere und wirf sie hinterwärts und hinaus; die Kniee lasse weder zu weit vorsinken, noch zwänge sie zurück, daß du nicht wie ein Steifbeiniger aussiehest. Dein Haupt richte gerade, frey, aber strecke es nicht gewaltsam empor; eben das gilt auch, wie du deine Brust tragen sollst. Die Schultern zwinge nicht empor, damit der Kopf in diesen nicht wie in einem Sack stecke. – Dieses möchten[13] Hauptregeln seyn, wie man seinen Körper tragen soll.

Bey der Aufmerksamkeit auf seinen Körper gehe man nicht zur ängstlichen Kleinlichkeit über, weil man dann sehr leicht affektirt; eine allzu große Sorge für das Kleinliche bringt oft eben das hervor, was eine gänzliche Vernachlässigung zur Folge hat.

So viel vom Körper überhaupt.

Jetzt noch einige Bemerkungen über die einzelnen Theile desselben, die unserm äußerlichen Betragen vortheilhaft seyn können.

Das Gesicht ist des menschlichen Körpers edelster Theil, weil es der Hauptsitz seines Geistes ist, und gleichsam ein Aushängeschild zu seyn scheinet, was wir von einem Menschen denken und halten sollen. Eine einnehmende Physiognomie gewinnt den Menschen schnell; und er untersucht nicht erst lange, was es ist, das ihn so unwiderstehlich an Diesen oder Jenen hinzieht, und was es ist, das ihn[14] hinwiederum vom Andern zurückschreckt, dem diese angenehme Gesichtsbildung abgeht. Menschen, die von der Natur hintangesetzt, eine auffallende Physiognomie erhielten, haben daher sehr darauf zu sehen, das alles auf eine gute Weise zu mindern. Vielen gelingt es sogar, daß sie durch ihr ununterbrochenes Bemühen, durch eine heimliche Anstrengung, durch die Kunst endlich doch der Natur den Sieg abgewinnen. Nie aber müssen sie der Natur alleine zu große Gewalt anlegen, und durch Kunst ihr so lange zusetzen, bis sie sich bequemt, und endlich ekelhaft, zurückstoßend, oft lächerlich werden muß.

Unsere Gesichtszüge ganz und bleibend umzuformen, möchte allerdings ein Unternehmen seyn, woran auch die größeste Kunst endlich scheitern müßte. Für einige Stunden, wenn wir in einer ungestörten Lage bleiben, wo uns nichts Fremdartiges aus derselben wieder herausreißt, dieses oder jenes Gesicht nachzuahmen und die völlige Aehnlichkeit herauszubringen,[15] sind zwar mögliche, aber äußerst seltene Talente, wenn man nicht etwann die Gesichtsmahlerey dabey zu Hülfe nimmt, wie das auf dem Theater Statt finden kann. Vielleicht gab es in der ganzen Welt nur einen Garrick, der diese fast unbegreifliche Kunst besaß. Johnson war gestorben. Man verlangte nach seinem Tode ein Gemählde von ihm. Nie hatte sich dieser mahlen lassen. Garrick, von einer äußerst lebhaften Einbildungskraft ergriffen, formt sein dem Originale von Natur so unähnliches Gesicht um, und stellt Johnsons Gesicht in seinem eigenen Gesicht so täuschend und so wahr vor, daß der Mahler keinen Augenblick anstand, ihn zu bitten, daß er ihm sitzen möge. Das Gemählde ward so sprechend ähnlich, daß es ein Jeder, der auch Johnson nicht genauer kannte, sogleich für Johnsons Bildniß hielt. – Wenn nicht ein allzugroßes Risico dabey obwaltete, wenn zweytens nicht ein ganz vollendeter Geschmack und eine Resignation seines lieben Selbst beynahe sondergleichen[16] dazu gehörte, so würde ich dieses Studium allen jungen Menschen anempfehlen; so aber muß ich es mehr widerrathen, weil ich voraussehe, daß es unter Tausenden nicht einem ganz gelingen möchte, und die Uebrigen der Gefahr sich aussetzten, lächerlich zu werden. Allenfalls sey es denen erlaubt, in dieser Sache etwas leisten zu können und zu dürfen, die leichtbewegliche Gesichtsmuskeln haben, und die also ohne große Anstrengung diesen Zweck erreichen können. Sobald aber diese Anstrengung zur Aengstlichkeit wird, so lasse ab; selbst dann lasse ab, wenn deine Freunde eine Art ängstlichen Bestrebens, oder linkischen Wesens an dir bemerken, wenn es dir auch selbst wirklich nicht so schwer, so ängstlich würde, als es ihnen schien. Denn alles, was du in solchen Fällen unternimmst, muß auf Andere einen angenehmen Eindruck machen, und kannst du das nicht erreichen, so bleibe, wie du bist, mein junger Freund. Man wird dich in deiner natürlichen[17] Art höher schätzen, als in deinen selbst nicht ganz unglücklichen Erkünstlungen.

Das glücklichste Mittel, meine jungen Leser! seinen Gesichtszügen einen regelmäßigen, angenehmen Ausdruck zu geben, ist vorzüglich dieses: Veredeln sie ihr Herz, lassen sie in solchem keine unordentliche, Tugendwidrige Leidenschaften die Oberhand gewinnen, so wird auch ihr Gesicht von jenen auffallenden, die Liebe und die Achtung edler Menschen von sich entfernenden Gesichtszügen frey seyn. Beleben ihre Seelen die schönen Tugenden, die sanftern Gefühle der allgemeinen Menschenliebe, des Edelmuths, des Biedersinns, der treuen Anhänglichkeit an Allem, was wahr, gut, recht und schön ist, der Wohlthätigkeit, des uneigennützigsten Wesens, o so kann es nicht fehlen, alles dieses wird aus ihren Gesichtszügen wiederstrahlen. Ihre Mitmenschen werden sie lieb gewinnen; sie werden, indem sie den innerlichen Seegen von diesen herrlichen Eigenschaften empfinden, auch von[18] außen her sich Achtung, Theilnahme, Liebe, Schutz gewinnen. – So treu sich Wollust, Neid, Geitz, Rachsucht, Menschenhaß, Stolz in unsern Gesichtszügen ausprägen, so kenntlich diese sich ausdrücken, eben so kenntlich machen sich jene edlern Gefühle und Tugenden. Gesetzt auch, es wäre ihnen von der Natur der treue Abdruck ihrer Tugend und trefflichern Eigenschaften in ihrem Gesicht verweigert worden, sie dürften nicht auf die Regelmäßigkeit einmal, geschweige denn auf Schönheit ihrer Gesichtszüge überhaupt Anspruch machen können, so wird ihr inneres Bewußtseyn doch endlich die Oberhand gewinnen, man wird lieber ihren tugendhaften Blick, ihre Aeußerung des Wohlwollens und aller der schon genannten edeln Eigenschaften wahrnehmen, ihm Aufmerksamkeit zollen, als jenes schöne Gesichtchen bewundern, das weiter nichts als schön ist. Eine unläugbare Wahrheit bleibt es, der Charakter des Herzens wird endlich auch Charakter des Gesichts. Die Empfindungen der edelsten[19] Tugenden des Menschen werfen ihren Zauber auf dasselbe und ersetzen jene Kleinigkeiten reichlich, die man an der Schönheit preist. Charakter, fester Charakter müssen sie jedennoch worden seyn, nicht aber untermischt, bald mit diesen bald mit jenen abwechselnden Empfindungen. Bey dieser Gelegenheit will ich nur anmerken, daß es eben dadurch so viel unbestimmte, wechselnde Physiognomieen in der Welt und unter den Menschen giebt, weil sie ihren Empfindungen, Leidenschaften nicht treu bleiben, bald dieser bald jener die Oberhand lassen. Man wird ziemlich sicher gehen, wenn man sie nach dieser Maxime beurtheilt. Seht und erkennt ihr den Stolzen, den Neidischen, den Rachsüchtigen, den Menschenhasser in seinen Gesichtszügen, weil diese Laster die herrschenden, die unvertilgbaren, die immer obenaufschwimmenden Empfindungen seines Herzens sind, auch dann noch es bleiben, wenn er sich verläugnen will; warum sollten die edlern Charaktere nicht eben so sichtbar seyn können? und warum sollte man[20] nicht den herrschenden Geist des Unbestimmten sogleich auf seinem Gesicht auffinden? Manche der Leidenschaften können nie verläugnet werden, ihr Haupt-Charakter wird immer der hervorstechendste bleiben, und wenn sie die Zauberkunst, mit ihren Gesichtsmuskeln umzugehen, noch so hoch gebracht hätten. Der Erfahrene sieht dieses Gaukelspiel, ahndet den Inhalt desselben gar bald, und nimmt es für das, was es werth ist. Auch der Unerfahrene, zwar eine kleine Zeit getäuscht, kömmt ihm endlich auf die Sprünge, und macht die Entdeckung zwar etwas später, als jener; aber er macht sie doch. Kurz, wo der Grund nicht gut ist, da wird das Gebäude nicht haltbar. Darum rathe ich dem Jünglinge, um sich schon danernd und fest bey allen edeln und rechtschaffnen Menschen, ja selbst bey denen, die solches nicht sind, durch seinen äußerlichen Anstand in Hinsicht seines Gesichts und seiner Bildung zu empfehlen, auf die reine Quelle zurückzugehen, und diese Quelle führt die[21] Aufschrift: Sey unveränderlich wahr in deinem Herzen, deinen Empfindungen, so wird diese Wahrheit in alle Linien deiner Gesichtsbildung hinüberdringen. Handelst du wider die Wahrheit, soll deine Miene im Widerspruch stehen, so glaube, daß auch die schönste Lüge einen häßlichen Scheinwerth hat, und daß sie bald genug entdeckt, endlich mit Schimpf und Schande lohnt. –

Gewisse Krankheiten hinterlassen bisweilen Furchen, bisweilen gar eine Totalumändrung des Gesichts. So haben die Pocken sehr oft schon das freundlichste Gesicht verdorben; den Augen ihr Feuer, beynahe alles das genommen, was man Charakter nennt; haben einen schiefen Mund hinter sich gelassen; haben die Haut so verzerrt, daß kein Ausdruck auf derselben mehr erscheinen kann, was in unserm Herzen vorgehet, was wir denken, was wir empfinden.1 Andere Krankheiten hinterlassen[22] wieder ein gewisses grämliches Wesen, das wir, trotz aller unsrer Mühe, nicht hinwegzwingen können, auch dennoch bleibend ist, wenn wir uns wohl befinden, unser Geist heiter, unsere Seele vergnügt und zufrieden ist. Besonders sind Patienten, die öfters von der gelben Sucht befallen werden, die immer in der Gefahr gichtischer Zufälle leben, dem Uebel ausgesetzt, daß ihre Gesichtszüge verändert erscheinen; manche Theile des Gesichts sind verzerrt, manche Parthieen der Haut zusammengezogen u.s.w. Verständige Menschen bedauern sie, und muthen ihnen nicht zu, Mittel zu ergreifen, die zwar die Flecken decken,[23] den Schaden etwas verkleinerter darstellen und sie weniger ins Auge fallend machen könnten, aber für sie von den traurigsten Folgen seyn würden. Man achtet um so weniger auf diese nicht widrig, sondern nur befremdend, höchstens etwas unangenehm gewordenen Gesichtszüge, weil solche Personen dieses durch ihren Geist zu vergüten wissen, und uns ihr Herz so schätzbar machen können, daß wir sie lieben würden, wenn wir uns auch die Augen verbinden lassen müßten.

Der aber würde nun wohl äußerst gegen den äußerlichen guten Anstand sündigen, der einen ekelerweckenden, sichtbaren Schaden an seinem Körper trüge, und Andern zumuthen wollte, daß er in ihrer Gesellschaft erscheinen könne, ohne ihn zu bedecken, zu verbergen.

Und nun, Jünglinge! weil ich hier einmal bey jenen bedauernswürdigen Personen verweilte, die durch eine unschuldige Krankheit das Angenehme, Bedeutende ihrer Gesichtszüge einbüßen mußten; nun noch ein Wort für Euch[24] insbesondre. Viele von Euch verwüsten mit unverantwortlichem Leichtsinn die herrlichsten Kräfte, die ihnen die Natur schenkte, um ihnen ihrer Seits zu zeigen, wie glücklich sie sie machen wollte. Sie durchschwelgen die Nächte; treiben durch unsinniges Tanzen mit ihrem Körper die schädlichste Kurzweil; halten nächtliche Trinkgelage, wobey meistentheils unzüchtige, den Körper und Geist durch Wollustgefühle vergiftende Lieder gesungen, öfters sogar tobend laut geschrieen werden; ergeben sich den unsittlichsten und ungesundesten Buhldirnen; verwandeln das schöne Gefühl der ersten unschuldigen Liebe in die schändlichste, tödtendste Geilheit – und glauben sich bey diesen entehrenden Handlungen für Menschen halten zu dürfen, die da wüßten, was Lebensfreude und der ächte Werth des Lebens sey. – Und die Thörichten fühlen nicht, was jene schlechte Eigenschaften ihnen für offene Steckbriefe in das Auge, auf ihre Wangen, auf ihre ganze Gestalt heften – die den Charakter des Wüstlings,[25] der sich erst um seine Gesundheit, und dann auch um seine Ehre bringt, treu genug schildern, und wenn er seine Verbrechen noch so sehr im Stillen trieb. Nichts ist trauriger und ekelhafter, als solch ein junger Mensch, der sich so zerstört hat, und nun wie ein Mensch aussieht, der aus dem Grabe emporstieg, da er doch lieblich wie die Rose, und stark wie die Eiche seyn könnte. Ich kenne Opfer eines solchen Leichtsinns, die zur Tugend zurückgekehrt sind; aber die Zeichen ihrer ehemaligen schändlichen Aufführung bleiben noch lesbar auf ihrer Stirn, in ihren Augen, auf ihren Wangen, selbst wenn sie auch Greise wurden; die Folgen davon pflanzen sich oft sogar auf Kind und Kindeskinder fort. Ach, glaubt es, das herrliche Bild der Unschuld ersetzt euch kein andres, wenn ihr es einmal auf diese Weise verlohren habt. Ruhet nicht das Kennzeichen der unverletzten Reinheit eurer Sitten auf eurer ganzen Gestalt, tragt ihr die Unschuld nicht mehr in euren Augen, (Heucheley derselben[26] hilft euch nichts, und mahlt nur einen der schwärzern Züge mehr in euer Bild) o dann, wäret ihr selbst mehr noch, als ein Adonis an Gestalt und lieblichem Wesen, so wird euch das Alles nicht schützen können. Es wird euch doch an der vorzüglichsten Eigenschaft fehlen, bey edeln und verständigen Menschen euer Glück zu machen. Immer wird euer Herz aus euerm äußerlichen Anstande hervorleuchten; euer Unwesen wird eine unvertilgbare Schrift seyn, die man auch noch in euerm Greisenalter leserlich finden wird. Nur das Bewußtseyn unverletzter Unschuld und reiner Sitten giebt dem Jünglinge die das Herz so schnell hinreißende Eigenschaft, Wohlwollen und Liebe sich zu erwerben. Ohne dieses ist alles Andre Flitterstaat, der in sein Nichts sehr bald zusammensinkt. Und wenn eure eigene Wohlfahrt euch nicht lieb seyn sollte, so bedenkt doch, wie schwer die Verachtung lastet, die euch eure Mitmenschen bezeigen werden. – Möchte doch dieser Grund von euch beherziget werden! –[27]

Ohne ein eitler Geck zu seyn, kann man in seinen Gesichtszügen dasjenige ausforschen, was Andern anstößig vorkommen möchte, und was wir sehr leicht von ihnen erfahren werden, wenn sie unser Eigendünkel nicht zurückschreckt. Man suche dann das Tadelhafte zu verbessern, suche das Fehlerhafte zu vermeiden, setze an die Stelle des Nichtempfehlenden das Empfehlungswürdigere, gebe dem Müssigen, dem Unwirksamen, ein geistigeres Leben, und dem Allzuthätigen gemäßigte Ruhe. – Dabey aber will ich meinen jungen Lesern empfehlen, daß sie bey diesen Ausforschungen nicht ins Kleinliche, kindisch Aengstliche verfallen mögen, denn sie könnten dadurch in den Verdacht der Eitelkeit gerathen. Solch eine Zudringlichkeit ist Andern lästig, und ihnen selbst nachtheilig. Man macht die Menschen oft durch eine drollige, gutmüthige Laune offenherziger, und wenn man besonders in einer solchen Stimmung sich über diesen oder jenen Theil seines Körpers eine Lobrede[28] hält, so erfähret man am ersten die Wahrheit. So hatte sich ein junger Mensch gewisse Verzuckungen im Gesicht angewöhnt; man hatte ihn darauf aufmerksam gemacht, und er suchte sich es wieder abzugewöhnen. Nicht recht gewiß, ob er des kleinen Uebelstandes ganz los sey, wollte er hören, was Andere bemerkt hätten. Er war in einer muntern Gesellschaft; ganz unvermerkt lenkte er sein Gespräch auf verschiedene Fehler, die die Menschen in ihrem äußerlichen Betragen zeigten. »Da lob ich mich doch, setzte er mit einer kleinen lustigen Poltronerie hinzu: ich bin doch so frey davon, als man sichs denken kann. Zwar ehedem verzuckte ich auch das Gesicht ein wenig; aber das sind Kleinigkeiten, die man in einem Augenblick ablegt. Meine Verzuckungen waren zwar das Werk einer kleinen Grazie; aber andre Leute sahen sie mit andern Augen an, und ich thats ihnen zu Gefallen.« »Bst! bst! rief ein junges Frauenzimmer aus dem Zirkel. Nicht groß gethan. Wir sind noch nicht so[29] weit. Vor einer Stunde sahe ich nur erst noch ein gewisses etwas von« – (und hier verzog sie das Gesicht, wie es der junge Freund ehemals häufiger, jetzt zwar weniger, aber es immer noch verzuckte.)

Daraus zog er sich die Lehre, daß er seinen Zweck noch nicht ganz erreicht habe, und daß er nun immer noch mehr Aufmerksamkeit auf sich selbst wenden müsse.

Der Spiegel ist zu solchen Abgewöhnungen auf keinen Fall ein schickliches Mittel; denn, wenn man vor ihn hintritt, so ist man zu aufmerksam dabey auf sich selbst. Und gesetzt, man arbeitete und setzte sich vor den Spiegel, um sich selbst ganz unvermuthet zu ertappen, so ist und bleibt der Zweck verfehlt, weil unsre üble Angewohnheit das Werk eines Augenblicks ist, und folglich nicht sogleich erhascht werden kann. Dafür wähle man sich einen der treuesten, der redlichsten seiner Freunde, und empfehle ihm ein Zeichen, das er sogleich geben muß, sobald er uns auf diesem Fehler ertappt.[30]

Man bestrebe sich, alle seine Gesichtsmuskeln, und Gesichtszüge in seine Gewalt zu bekommen; und um sie zu seinem jedesmaligen Zweck um so leichter behandeln zu können, gewöhne man sich zu einer jeden Bewegung, die man mit ihnen vornehmen will. Man verstehe mich aber nicht falsch, und glaube, daß man ein Grimassirer werden solle. Grimassen sind Unanständigkeiten, entehren den menschlichen Körper; folglich können sie von keinem vernünftigen Menschen empfohlen werden. Auch lasse man sich nicht dahin verleiten, diese Geschicklichkeit zu mancherley Betrügereyen zu nützen, die einem jungen Menschen schlechterdings nicht erlaubt werden können. Wer lachen kann, wenn er will; wer weinen kann, wenn man es haben will; wer sein Gesicht in jede Lage bringen kann, die man von ihm verangt, ist ein Possenreißer, der sich endlich doch mit seinen tausend Künsten in den Augen der Verständigen verächtlich machen wird, und wenn er sie auch einige Augenblicke mit seinen[31] Fratzen belustigen könnte. Ich nehme davon die Schauspieler aus, die sich mit diesem Gewerbe ihr Brod verdienen, und alles scheinen müssen, was ihnen ihre Rolle vorschreibt, wenn sie es auch in ihrem übrigen Leben nicht sind. Und doch entwürdigen stch die wahren Künstler dieser Art, und wenn sie auch die hochkomischen Rollen spielen, durch Possenreißerey nicht, und ahmen nur menschliche Charaktere in ihren Geberden nach. Wer sich und sein Gesicht wider seine Ueberzeugung mißbraucht, und könnte er den größesten Vortheil dadurch haben, ist ein schlechter niederträchtiger Mensch. Das klingt etwas hart; aber es ist und wird nicht anders.

So viel über Gesichtszüge, Gesichtsbildung überhaupt. Nun einige Bemerkungen insbesondere noch über die Augen, und ihren Gebrauch.

Das Auge ist gemeinhin schon das Empfehlungsschreiben für den ganzen Menschen. »In dem Auge liegt[32] der Charakter des Menschen. Aus den Augen strahlt das Herz wieder.« Das sind alles Redensarten, die wir täglich hören, und die uns Bürgen für die Wahrheit derselben seyn können. Ein freyes, offnes Auge ist das Wahrzeichen eines redlichen, schuldlosen Herzens. Diese Bemerkung muß zwar dahin eingeschränkt werden, daß auch Betrüger, schlechte Menschen, sehr oft ein freyes, offenes Auge zeigen. Noch mehr, sie berufen sich wohl darauf, und glauben durch diese Verstellungskunst glücklich genug zu täuschen. Sollte also wohl kein Unterschied zwischen dem offenen, freyen Auge eines redlichen, braven Mannes, und dem verstellten freyen, frechen Blick eines schuldigen, elenden, betrügerischen Menschen obwalten? – O ja. Das Auge des Schuldlosen wird immer ruhig bleiben. Das Auge hingegen des Schlechten wird einem scharfen Beobachter bey einer längern Untersuchung nicht entgehen. Er wird bald das Gespannte in demselben bemerken, seine Anstrengung[33] wird sichtbar werden. Lange wird der elende, versuchte Betrüger sich in seiner Gewalt haben. Aber man starre ihn ununterbrochen fort an, und er wird zaghafter werden, wenigstens wenn man endlich den Punkt seiner Schlechtheit trifft. Ist er auch da noch keck genug, so spanne man einige Augenblicke die bisher gezeigte Aufmerksamkeit ab, blicke von ihm weg; aber unvermuthet und schnell treffe unser Auge wieder auf ihn – er wird sich sammeln wollen, man lasse ihm keine Zeit – und es kann nicht fehlen, er wird seine Augen nicht in die vorige Ruhe bringen können, und endlich verdutzt werden.


Man strenge nie seine Augen zu gewaltsam an, sondern überlasse solche sich selbst. Zu große Anstrengung fügt den Augen selbst Schaden zu, und macht eine widrige Wirkung. Sobald dem Auge seine natürliche Gelassenheit fehlt, so fehlt ihm sein ganzer Reitz.[34]

Wenn man sein Auge noch so sehr in der Gewalt hat, und es fehlt im Herzen, so wird man alle Kunst vergebens anwenden; es wird sich immer im Widerspruch mit uns selbst zeigen. Wahrheit des Herzens muß zum Grunde liegen, wenn man das Zutrauen edler Menschen auch durch den Blick gewinnen will. Herrscht in deinem Herzen Ruhe, Ordnung, tugendhaftes Gefühl, so wird sich das alles in deinem Blicke wieder äußern; herrscht das Gegentheil von dem Allen darinnen, so wird dein Wille zu schwach seyn, es dem ruhigen erfahrenen Beobachter verhehlen zu wollen. Ich spreche hier nicht von den stillen sschuldlosen Leiden über ein uns betroffenes Unglück. Blickt man durch deine Augen in dein Herz, so wird man diese deine dir schwer werdende Selbstverläugnung edel finden, und sie nicht verkennen. Hegtest du aber im Innern Unruhe, Angst, Besorgniß über irgend eine niedrige Handlung, die du begangen hast, und willst durch deine Schein-Ruhe nur täuschen, junger Freund![35] so wird dieses dein Versteckensspielen dir selbst noch mehr Unruhe machen, und in den Augen Andrer wirst du, wenn sie dir auf die Spur kommen, sehr zu deinem Nachtheile gehandelt haben; du wirst tief in dem dir erzeigten Wohlwollen sinken. Nur in einem einzigen Falle wird dir es die Klugheit erlauben, dich ruhiger zu stellen, als du wirklich bist, wenn du dich unter unedlen Menschen befindest, die dir ein gehabtes Unglück gönnen und ohne Hehl ihrer Schadenfreude den Weg öffneten.

Des Jünglings schönste Zierde ist Bescheidenheit. Auch diese zeigt sich vorzüglich in den Augen. Der Blick des Bescheidenen ist nicht fordernd, und zeigt sich ohne Anspruch. Läßt man seinen Verdiensten Gerechtigkeit wiederfahren, so dankt sein Blick mit einer stillen, festen, aufmerksamen Miene, fern von jenem einfältigen Lächeln der Selbstgefälligkeit, des Forderns nach mehreren Lobeserhebungen; aber auch eben so entfernt von jenem schüchternen Blick, der gleichsam darniedergedonnert zur Erde[36] sinkt, und sich nicht wieder emporzukommen getraut. Wer bey dem Bezeigen irgend einer Zufridenheit, bey irgend einem Lobe mit einem feststolzen Blick im Zirkel umherschweift, um gleichsam anzufragen, ob sein Lob auch alle gehört haben, der zeigt in dem nämlichen Augenblicke, in welchem man ihn dieser Auszeichnung würdig hält, sich ihrer gänzlich unwürdig. Auch ist Jünglingen, die sich dieser Unart theilhaftig machten, schon oft von erfahrenen Männern zu ihrer Beschämung auf der Stelle das wieder entzogen worden, was man ihnen zu geben willens war, fast schon gegeben hatte. Damon war ein solcher junger Mensch. Hofrath G. begann schon, ihm seine Zufriedenheit zu bezeigen. Der Vordersatz war da. Damon blickte selbstggefälig im Zimmer umher, hörte kaum mehr, was der Hofrath sprach. Sein Auge verrieth, daß ihm noch nicht genug geschähe, daß ihm nur karge Gerechtigkeit wiederführe. Das war dem Hofrath unangenehm, auch wohl unerwartet. Schnell lenkte[37] er wieder ein. Sein Nachsatz brachte eine ganze Litaney hervor. Wie mit Wasser übergossen stand der arme Mensch jetzt da, und hätte jetzt lieber alle gebeten, Augen und Ohren zu verschließen, statt daß er sie alle einige Minuten vorher aufgefordert hatte, ihre Aufmerksamkeit zu verdoppeln. Er verdiente das allgemeine Gelächter, das jetzt in der ganzen Gesellschaft entstand.


Läßt ein Vornehmer oder dein Vorgesetzter deinen Verdiensten Gerechtigkeit wiederfahren, so verneige dich ehrerbietig, sanft, und dein Auge schlage langsam zur Erde nieder. Hat er ausgesprochen, so erhebe mit deiner Gestalt sich zugleich dein Auge, und dein Blick verrathe ihm, daß dich sein Beyfall rühre, daß du ihn als eine Ermunterung, nicht als Verdienst betrachtest, und daher dir alle Mühe geben werdest, seines Zutrauens noch würdiger zu werden. Die Bescheidenheit giebt unsern Verdiensten nur erst den wahren Glanz.[38]

Ein heiterer Blick steht jedem Menschen, vorzüglich aber einem Jünglinge sehr wohl an, und er wird immer ziemlich sicher darauf rechnen dürfen, die Herzen seiner Mitmenschen damit gewinnen zu können. Aber dieser Blick darf nur bescheiden seyn, nicht Frechheit, nicht Leichtsinn zum Charakter haben. Der heitere Blick kündiget ein mit sich und Andern zufriedenes Herz an, und wer reines uneigennütziges Wohlwollen gegen seine Mitbrüder zeigt, wird ein Gleiches von ihnen zu erwarten haben. Dieser heitere Blick muß aber die Grenzen kennen, um sich nicht in Regionen zu verirren, wo er einen unangenehmen Eindruck befürchten könnte, befürchten müßte. Vorzüglich muß das Gefühl des Schicklichen hierbey zu Rathe gezogen werden.

An der Stelle, wo drückende Leiden, wo nagender Kummer, laute Klagen herrschen, da mildere deinen heitern Blick, gieb dir die Miene des Theilnehmenden, und deine stillere Heiterkeit laß nur einzig den Traurigen ahnden,[39] daß in dir die Hofnung lebe, ihr Loos werde sich noch zu ihrer Zufriedenheit ändern können.

Viele junge Menschen hegen den verkehrten Wahn, man müsse, um Traurige und Leidende zu zerstreuen, Kurzweil treiben, Narrenspossen ihnen vormachen. Klüger, einem edleren Charakter angemessener ist es, man fügt sich in die Charaktere solcher Leidenden, nimmt herzlichen Antheil, läßt ein sanftes Auge zu ihnen sprechen, und klagt mit ihnen, als daß man sie anstrengen, fast zwingen will, urplötzlich zu unserer lustigen Laune überzugehen, und alles zu vergessen, was sie bedrückt. – Wer sich bey solchen Personen, bey solchen Scenen eine allzu heitere Miene, die an Lustigkeit, wohl gar an Leichtsinn grenzet, erlaubt, wird ganz sicher sehr wenig Dank einerndten. –

Wenn du aber selbst Kummer hast, wenn dich körperliche oder Seelen-Leiden betrüben, und du hast dabey einen heitern, sanften, die Duldung eines edeln Herzens verrathenden Blick, der, weil er selbst leidet, nicht will,[40] daß seine Leiden auch auf Andere Einfluß haben sollen, o, dann rechne um desto sicherer auf die Theilnahme derer, deren Theilnahme dich vergnügen, und die gewiß alles Mögliche anwenden wird, dir diese Leiden erträglicher zu machen.

Es stehet gewissermaßen in unserer Gewalt, unserm Auge einen heitern Blick anzugewöhnen, wenn wir selbst von der Natur ein düsteres, finsteres Auge erhalten hätten. Dieses Studium empfehle ich jungen Menschen, die in der Welt ihr Glück machen wollen, vorzüglich. Um aber diese Gewalt ausüben, mit Vortheil sich derselben bedienen zu können, muß man vorher das Herz zu angenehmeren Stimmungen vermögen, und wenn man dieses nicht ganz umstimmen kann, ihm doch eine Haltung auf eine bestimmte Zeit geben. Denn, wirkt das Herz nicht mit, soll es dem Auge nur allein überlassen bleiben, so wird es entweder zur Karrikatur, oder trägt die erzwungene Lüge zu deutlich an sich.[41]

Besonders ist jungen Menschen bey den Großen dieser Welt eine heitere, sich immer treu bleibende Miene eine vorzügliche Empfehlung. Sie sorgen, das ist bekannt, daß sie Jeden so geschwind als möglich sich vom Halse schaffen, der in ihnen irgend eine unangenehme Empfindung erwecken könnte.


Ein düsterer Blick, das ist ja in unserer täglichen Erfahrung gegründet, hat allemal etwas Zurückstoßendes. Man schreibt ihm die nicht günstigsten, ehrendsten Ursachen zu, und sucht den Grund davon in seinem Herzen auf, weil man das Auge einmal für den Dollmetscher des Herzens erkläret hat. In einzelnen Fällen mag man sich wohl irren. Regeln werden aber von den mehrern Erfahrungen abgezogen, und nicht von einzelnen Fällen, die nur eine Ausnahme machen. Darum hat jeder junge Mensch um so ernstlicher an sich zu arbeiten, durch die Kunst und durch die Aufmerksamkeit auf sich selbst das zu erlangen, womit ihn die[42] Natur vernachlässigte. Aber dieser Kunst bediene er sich mit der größesten Behutsamkeit, damit er nicht ins Lächerliche gerathe, und seinen natürlichen trüben, finstern Blick mit einem unanständigen Feuchzen, Grinzen, Flennen vertausche. Man zwinge das Auge nicht mit einemmal, sondern gewöhne es nur nach und nach zu dieser Umänderung. Kann man diesen Sieg nicht über sich erhalten, fühlt man, daß man durch die angewendeten Mittel das Uebel eher vermehren, als mindern könnte, so stehe man ab, und laure auf einen günstigern Zeitpunkt. Unsere Gliedmaßen, wer sich nur beobachten will, sind zu der einen Zeit der Gewandheit fähiger, als zu einer andern. Diese Bemerkung gilt auch von unsern Augen. Was du aber gar nicht von ihnen erhalten kannst, das ersetze durch Artigkeit in deinem Betragen, durch die Heiterkeit deiner Worte und Gesinnungen. Dein düsteres, trübes Auge wird sodann nur auf eine kurze Zeit für Andre zurückschreckend seyn; man wird nach und nach[43] zutraulicher werden, und am Ende gar nicht mehr dein Auge in Erwägung ziehen.

Wer nicht heiter seyn kann, suche wenigstens freundlich zu seyn. Soll der heitere Blick in das Scherzhafte übergehen, so hat man sehr an sich zu halten, daß er nicht in das Gebiete der Ausgelassenheit gerathe. Sogar der kleinste erlaubte Muthwille muß von Güte des Herzens zeigen, muß unser Wohlwollen gegen Andre nicht verdächtig machen, immer nur angenehme Empfindungen bey Andern hervorbringen. Bewirkt er das nicht, so ist er nicht von reiner Art, wird Neckerey, der der Verdruß gewöhnlich auf der Ferse nachfolgt. Ein scherzhafter Blick hat den Reitz des Angenehmen. Der muthwillige Blick erzeugt nicht selten Unwillen.

Eine ängstliche, sich bis auf das Innerste des Herzens verrathende Miene entehrt den Mann, weil man Muth und Standhaftigkeit von ihm fordert.[44]

Ein empfindelndes Gesichtchen macht den Mann lächerlich, weil er weibisch dadurch wird. Empfindsam soll der Mann seyn, er darf dieses auch zeigen, denn es ehrt sein Herz; aber zu Empfindeley darf er sich selbst nicht durch sein Mädchen, durch seine Frau verleiten lassen. Auf einen solchen Beyfall Verzicht zu leisten, muß er stark genug seyn können.

Um deinem Auge das möglichste Interesse zu geben, vereinige folgende einzelne Züge zu dem schönen Charakter des Ganzen. Dein Blick schweife nie über die bestimmten Grenzen der Ehrbarkeit, denn nur die Ehrbarkeit und die Reinheit unserer Empfindungen geben der Heiterkeit eine wahre Würde; sie zeugt vom sittlichen Gefühl, und wir entwürdigen uns nie durch einen uns entehrenden Beyfall über Zweydeutigkeiten, Zoten; sie schützt uns aber auch zu gleich, daß wir diese nicht zur Unzeit mit verhöhnendem, verachtendem Blick ahnden, wenn es nicht unser Beruf ist, oder unsere Unschuld in den Augen[45] Anderer verdächtig gemacht werden könnte. Dein Blick äußere ununterbrochen und ungestört gegen Andere eine lebhafte, mit einer lieblichen aus dem Herzen hervorströmenden Gefälligkeit verbundene Aufmerksamkeit; er sey offen, leicht beweglich, um Jedem ein Gnüge zu leisten, ihm das und so viel geben zu können, als er von dir fordern kann; nie senke er sich auf die Erde herab, wenn man Auge in Auge sich fassen soll; er sey aber auch nie starr, nie gleichsam tödtenwollend; aber eben so wenig streif er leichtsinnig, flatterhaft mit jedem Augenblick bald da, bald dorthin umher; er sey allgemein wohlwollend, duldend bald, und bald wieder theilnehmend; immer bescheiden, genüglich, nie kokett; stets sey er wohlgeordnet, nach den sich ihm darstellenden Verhältnissen; verschmähe den Leidenden nicht, und flöße ihm durch seine Sanftheit Milderung seines Elendes und die Hoffnung des Trostes ein, und verlasse die Mittelstraße auch in der Gesellschaft derer nicht, die ihn durch eine ausgelassene Freude[46] seiner selbst vergessen machen wollen; dein Zeichen des Beyfalls, der Zufriedenheit, der Zustimmung fremder Meynungen habe nichts von dem Anstrich des Kriechenden, des Ekelhaften; so wie es immer wohlwollend, gefällig bleiben muß, wenn man abschlägliche Antwort sogar auf Dinge ertheilen muß, die die Unverschämtheit fordert. Diese einzelnen Züge in ein Ganzes verwebt, wird, wenn du dir es ganz zu eigen gemacht hast, dich des Charakters eines artigen Mannes in Hinsicht des äußerlichen Anstandes und besonders deines Auges – würdig machen.

Aber wenn auch die Augen die empfehlenden Vorsprecher seyn wollen, so bedürfen sie jedoch der Augenbraunen, der Stirne, des Mundes zu ihren Gefährten, um nicht etwas Nothwendiges zu wünschen lassen.

Es ist wirklich auffallend, daß die meisten Menschen ihre Augbraunen so wenig zu behandeln verstehen. Sie liegen gleichsam todt, ohne Leben, einer ununterbrochenen Unachtsamkeit[47] überliefert, da. Und doch sind sie durch die Mitwirkung ihrer kleineren Nüancen dem Auge so vortheilhaft! So nimmt eine zu scharf hinaufgezogene Augbraune dem Augapfel zwar seine leichte, angenehme Bewegung, sie giebt aber auch dem Auge eine wirkende Kraft, wenn wir zu einem überraschten Erstaunen hingerissen werden. Gehörig benutzt, macht sie dann Eindruck, ob es gleich nicht zu läugnen ist, daß sich dieses leicht übertreiben läßt, und der kleinste Grad dieser Uebertreibung ist von widerlicher Wirkung und entstellt uns. So ziehen viele Menschen ihre Augbraunen beynahe in eine gerade Linie, und geben einen bizarren Anblick, der, wenn er noch gut genug ist, wenigstens in das Abentheuerliche fällt. Eine starke zu tief liegende Augenbraune macht das offenste Auge duckmäuserisch, das heiterste finster. Eine zu scharf gegen die Stirn hinaufgezogene Augbraune verliert ihre schöne Wölbung, bekommt Winkel, und das ganze Gesicht erhält ein befremdendes[48] Ansehen. Man wundert sich über manches Menschen Augen, wenn man sie bey einer nähern Untersuchung für sich einzeln bestehend, sanft, feurig, sogar wohl schön finden muß, und weiß sich es nicht zu erklären, warum sie gerade das Gegentheil von dem Allen sind, wenn man mit dieser einzelnen Untersuchung fertig ist, und den Eindruck des Ganzen berechnet. Beobachtet dieses Menschen Behandlung seiner Augenbraunen, und ihr werdet finden, daß sie es sind, die dem schönen, dem sanften, dem feurigen Auge so nachtheilig werden.

Borstige Augenbraunen entstellen außerordentlich, geben ein wildes, menschenhassendes Ansehen, besonders wenn sie recht schwarz sind. Sie sind zu bändigen, wenn man dieses widersträubende Haar alle Morgen früh mit etwas Speichel bestreicht, und sie in Ordnung legt. Sie gewöhnen sich endlich an den Weg, den man ihnen anweiset. Leichter gelingt indessen dieses Verfahren bey den blonden, weichern Augenbraunen.[49]

So ist auch eine runzliche, faltenreiche Stirne meistentheils unser eigenes Werk, und stammt nicht selten von unsern ersten Kinderjahren her. Solch eine in Falten gefurchte Stirne widerstreitet der Schönheit, und ist in den Jahren des Jünglings durch unablässige Aufmerksamkeit auf sich wieder zu ihrer natürlichen Glattheit zu bringen. In dem Alter höherer Mannbarkeit sind die Furchen zu tief geworden, die Einschnitte, so sehen sie wenigstens aus, zu halsstarrig, und man muß sie lassen, wie sie nun einmal sind. Viele Menschen halten eine mit Falten überdeckte Stirn für eine Zierde, weil sie glauben, das gäbe ihnen ein wichtiges Ansehen; allein sie irren sich, und wer einen richtigen Begriff, ein wahres Gefühl für Schönheit hat, wird über ihren Wahn lächeln. Warum sehnen sich solche Menschen, als Jünglinge, schon nach dem, was den meisten Menschen im Alter, im spätesten Alter, noch zu früh kommt? –[50]

Auch der Mund kann sehr viel zur Veredlung des Gesichts beytragen. Es ist nicht unter der Würde des Mannes, auch hierauf seine Aufmerksamkeit zu verwenden. Ein proportionirter Mund, der in gehörigem Verhältniß und Ebenmaaß der übrigen Gesichtstheile stehet, ist allerdings eine Zierde. Viele Menschen vernachlässigen diese Zierde, schätzen sie gering, und halten diesen Vorzug für Unbedeutenheit. Viele Eltern nehmen bey der physischen Erziehung ihrer Kinder beynahe gar keine Rücksicht auf den Mund. Alles ist an dem Kinde zart, und der Bildung fähig. Kinder, die einen proportionirten Mund von der Natur erhielten, brachten ihn aus seinem schönen Ebenmaaße durch unartiges, oft wiederholtes Aufsperren desselben; andere wieder waren so gierig, daß sie so ungeheure Bissen bey dem Essen nahmen, daß sich der Mund endlich darnach fügen und aus seinem richtigen Ebenmaaße weichen mußte. In den ältern Jahren haben[51] sie darüber so manche spöttelnde Bemerkung von Muthwilligen anzuhören.

Es ist und bleibt wahr, ein allzu großer, weiter Mund kann ein übrigens sehr interessantes Gesicht verderben. Indessen, wer sonst darauf Acht haben will, der kann vieles thun, um diesen Uebelstand, wenn gleich nicht ganz wegzuschaffen, ihn doch weniger in die Augen fallend zu machen. Nur muß er, was er zur anscheinlichen Verkürzung desselben beginnt, nicht mit kleinlicher Aengstlichkeit unternehmen; nicht ziererisch seyn; nicht jene lächerliche Schüchternheit verrathen, die glaubt, man werde ihn wie einen falschen Münzer bestrafen, wenn man ihn entdecke. Sieht man seinen Bemühungen einen männlichen Ernst, nicht eine weibische Eitelkeit an, so wird man ihm dieses nicht verdenken, man wird sie für eine Wirkung seiner Achtung ansehen, die er dem äußerlichen guten Anstande schuldig zu seyn glaubt.

Bey einer überraschenden Freude, bey dem unerwarteten Schreck, bey der[52] Traurigkeit, bey dem Schmerz, bey der Bewunderung, bey dem Staunen, bey dem Lautauflachenmüssen hat man seiner immer wahrzunehmen, wenn man es nicht versehen und den äußerlichen guten Anstand beleidigen will. Bey allen diesen heftigern Gemüthsbewegungen soll er sich nicht ganz aus seiner Lage bringen lassen, und doch bildet er, ehe wir es uns versehen, eine Verzerrung, die ihm nachtheilig werden muß. Selbst dem Schrey des lautesten körperlichen Schmerzes sind gewisse Grenzen angewiesen. Auch bey dem kleinen, aber doch bedeutendem Lächeln spielt der Mund seine Rolle, und wird der schelmischste, heiterste Blick nicht durch einen kleinen Zug von ihm unterstützt, so thut das bey weitem nicht die angenehme Wirkung, als wenn er diesen Blicken seine Beyhülfe schenkt. Aber diese Beyhülfe muß äußerst anspruchlos und leicht vorübergehend geschehen, wenn sie von Nutzen seyn soll; fällt sie jedoch zu sehr auf, so wird sie am Ende gar Uebelstand.[53]

Wer das Unglück hat, daß nur die Stifte noch von seinen Zähnen in dem Munde stehen, der wird, um den übeln Anblick zu mildern, mit seinen Lippen diesen Uebelstand zu bedecken suchen müssen; seinen Lippen muß er die möglichste Gewandheit geben, und das wieder mit einer Leichtigkeit geschehen lassen können, als wäre diese schnelle, nichts Widriges an sich tragende Bewegung gleichsam die Natur; er muß sich dabey nichts Linkisches zu Schulden kommen lassen, und nicht in Verlegenheit gerathen, wenn er es ja einmal versehen, und dieses unangenehme Schauspiel Preis geben sollte.

Besonders kann beym Essen und Trinken, und – lachen sie nicht, meine jungen Freunde – auch selbst beym Küssen der Mund sich gewisser Unanständigkeiten erlauben, die äußerst auffallend werden, und wohl gar Ekel erregen können.

Ich wünsche, daß sie hierdurch aufmerksam gemacht worden wären, diesen von Vielen[54] für unbedeutend gehaltenen Gegenstand auch als einen Theil des äußern Anstandes behandeln zu lernen. Alles, was der Mund wider den guten äußern Anstand unternimmt, ist zu auffallend, als daß es noch einer nähern Beschreibung bedürfe.

Diesen Bemerkungen über die Gesichtsbildung füge ich noch das bey, was allgemein für unanständig gehalten, und wowider sehr häufig von jungen Menschen verstoßen wird.

Man glaubt sich als einen viel umfassenden Geist anzukündigen, wenn man durch seine Blicke eine gewisse Abwesenheit des Geistes affektirt. Das auf einen Fleck hingeheftete Auge gehört nur für die Einsamkeit deines Zimmers, nicht für den Umgang mit Menschen. Und wenn selbst dieser Blick nicht erkünstelt, wenn er Wahrheit wäre, wenn du von ihm überrascht würdest, so hat er etwas Unanständiges, und es ist deine Schuldigkeit, dich entweder so schnell als möglich wieder zu sammeln,[55] oder dich zu entfernen. Merkt man dir es aber ab, daß er nur affektirt sey, so kannst du sicher darauf rechnen, daß du dich damit lächerlich machen wirst.

Viele nehmen eine geheimnißvolle Miene an, um sich das Ansehen des Wichtigen zu geben; aber – man entdeckt ihn gar bald, und das, was man gegen ihn empfindet, grenzt so ziemlich nahe an Verachtung. Er selbst aber thut sich auch dabey den größesten Schaden, denn diese Form drückt sich sehr leicht in seine Gesichtsmuskeln bleibend ein, schleicht in die übrigen Bewegungen seines Körpers hinüber, und es theilt sich ihm der Anstrich von Verstecktheit, Hinterlist, Argwohn, Mißtrauen endlich so mit, daß die Kunst zu seiner zweyten Natur werden will. Und welcher Charakter ist der menschlichen Gesellschaft anstößiger, als der versteckte, hinterlistige, argwöhnische, mißtrauische?

Viele glauben, ein immer freundliches Gesicht, das sehr oft in das Grinsende, Feuchzende[56] übergehen muß, weil es erzwungen und nicht freywillig ist, könne ihnen Herzen gewinnen; – man irrt aber, denn der Verständige, der Menschenkenner faßt sehr bald ein gerechtes Mißtrauen gegen solche Personen. Sie schaden sich also dabey mehr selbst, als sie andern nützen. Auch hält man dieses immerwährende feuchzende Lächeln für das Kennzeichen jener Einfalt, die man zur Belustigung, freylich nicht auf die edelste Art, nach einer gemeinen, aber sehr richtigen Redensart, zum Hänschen braucht. –

Viele haben die Unart an sich, die Augen nicht frey und offen empor halten zu können. Ein Blick aufwärts, und sodann mit ihm gleich wieder zur Erde nieder, das ist ihre Weise. Man hält das für ein Wahrzeichen eines bösen Gewissens. Sie müssen daher sich einer langen Prüfung unterziehen, ehe man von dem Gegentheil überzeugt wird. Oft findet man, daß Leute, die sich diese Unart angewöhnt haben, doch sehr gute Menschen seyn können.[57] Warum will man uns nun in die Verlegenheit setzen, ihnen unrecht zu thun, da es nur einer kleinen Aufmerksamkeit gegen sich bedarf, diese üble Angewohnheit sich wieder abgewöhnen zu können.

Das sogenannte Augenfippern, wo die Wimpern und Augenlieder sich unaufhörlich schnell auf und nieder bewegen, ist ebenfalls sehr übelanständig. Ist man auf dem Wege, sich es anzugewöhnen, so eile man ja, dieser Unart wieder los zu werden, weil es, je länger man es treibt, sich desto schwerer wieder abgewöhnen läßt. Ist eine Augenschwäche die Ursache davon, so verhehle man das nicht, damit man dich nicht verkenne, und es nur der Angewohnheit zuschreibe.

Noch eine Unart ist das Blinzeln mit dem Auge, das beynahe zu einer Modeunart geworden ist. Man scheint sich seiner gesunden Augen zu schämen, damit man nur eine Ausflucht hat, um die Thorheit der Lorgnette etwas rechtfertigen zu können. Gesunden Augen[58] sind die Lorgnetten gefährlich, und machen uns bey vernünftigen Leuten lächerlich, und wenn sie noch mehr von der Mode geheiligt worden wären. Wer zuvor zum Schein nur blinzelt, muß hinterher in der That blinzeln lernen. Ist die Grazie, mit der man seine Lorgnette zu halten pflegt, wohl ein preiswürdiger Tausch für ein Paar gesunde Augen? Und bleiben die blinzelnden Augen nicht ein Uebelstand? Ich kenne solche Thoren, die sich ihre Augen so sehr verdorben haben, daß sie selbst den Regen mit der Lorgnette beobachten – wenn sie sehen wollen, ob es auch wirklich regne.

Es ist kaum so toll zu denken, was sich nicht bisweilen Menschen angewöhnen können. So hatte ein junger Mensch gehört, daß eine lange, etwas krumm gebogene Nase auf einen vorzüglichen Geist hindeute, und ein Stückchen höherer Schönheit sey. Zum Unglück hatte er eine Stumpfnase. Das war ihm empfindlich, da er sich als großer Geist dachte, und nun gerade[59] die fatale Stumpfnase das Gegentheil anzeigen sollte. Er hatte gehört, daß die Nase ein sehr lenk- und biegsames Wesen sey. Was zu thun! Er zupft und zupft das Stumpfnäschen, bis es wirklich eine andere Form annimmt, aber leider! leider gar nichts von der großen Adlernase hat, und dagegen das Ansehen einer verpfuschten Nase bekömmt. Er vertraut einigen seiner Freunde diese Procedur, und diese, nicht verschwiegen genug, bringen das, was sie hörten, ins Publikum. Und nun hat der arme Narr nicht nur die verfumfeyte, sondern sogar noch die kränkendsten Spöttereyen zum Besten.

Auch die Hände und Arme können sogar wider den guten Anstand sündigen. Zu dicht an den Körper angeschmiegt beydes Hände und Arme zu tragen, daß man einem großen Wickelkinde ähnlich sieht, das giebt einen ängstlichen Anblick, und gereicht dem ganzen Körper, er sey noch so schön gebildet, zum Nachtheil. Leben, ruhiges Leben, angenehme[60] gemäßigte Thätigkeit muß in jedem Gliedmaße unsers Körpers sich bewegen, sonst geht ihnen alles Schöne verloren. Ein Arm, der unthätig in gerader Linie an dem Körper herabhängt, hört auf, ein schönes Glied des menschlichen Körpers zu seyn, und wird – ein Klotz. Es sind ja mit dem Arm und mit den Händen hunderterley, immer abwechselnde, veränderte Bewegungen zu machen, warum ihnen also einen solchen Zwang anthun? – Viele hinwiederum trauen sich gar nicht einmal, ihre Hände sehen zu lassen, haben solche beständig in den Taschen. Spötter, leichtfertige Menschen könnten das sehr leicht so deuten: sie traueten entweder den übrigen Menschen nicht, und glaubten ihr Eigenthum in Gefahr; oder sie hätten ungesunde, mit einer Krankheit behaftete Hände, die, wenn sie solche sehen ließen, andern ekelhaft werden könnten. Eben so unanständig dieses Händeeinstecken, dieses Anklemmen der Arme ist, eben so unanständig ist das Schleudern mit den Armen, das Fechten[61] mit den Händen. Alles Gewaltthätige bey den Bewegungen des menschlichen Körpers schadet an der Schönheit und auch wohl gar dem bloß Anständigen. Das Schleudern, das Fechten in die Luft der Arme und Hände sind gewaltthätige Bewegungen, eben so gut, als das schnelle Laufen, wobey der körperliche Anstand schlechterdings verlieren muß. Einen widerlichen Anblick giebt jedesmal der Arm, wenn er einen Winkel macht. Dieses gilt jedoch nicht nur vom Arme allein, sondern auch von dem Tragen und der Haltung des ganzen Körpers. Die Wellenlinie ist bekanntermaßen für die Schönheitslinie anerkannt worden; diese nehme man sich immer zum Maaßstab, und man wird nie irren, ausgenommen, man mache sich bey ihrer Anwendung einer läppischen, kleinlichen Aengstlichkeit schuldig, wobey man auch mit dem besten Willen über die Schnur hinaustreffen, und die Sache mehr schlecht, als gut machen wird.[62]

Auch die Sprache gehört zum äußerlichen guten Anstand.

Die Bildung ihres Sprachtons, junge Freunde, liege ihnen ebenfalls ob. Ich muß ihnen bey diesem Gegenstande eine größere Aufmerksamkeit anempfehlen, weil ich bemerkt habe, daß wider nichts, was zum äußern Anstande gehört, so sehr gefehlt, nichts so sehr vernachlässiget wird, als eben dieses so nützliche Studium. Wie oft hörete ich nicht folgende Erklärungen: Ach was da, ich rede wie mir der Schnabel gewachsen ist – der natürliche Ton ist der beste, u.s.w.

Man thut sich aber unvermeidlichen Tort, und ich wünsche, daß sie diese Vorurtheile ganz aufgeben möchten. Vielleicht verdienen folgende Regeln von ihnen beobachtet und in Ausübung gebracht zu werden.

So viel ist allerdings wahr, daß es nicht in unserer Gewalt stehet, den von der Natur erhaltenen Sprachton umändern zu können, ihn aber verbessern, das können wir allerdings.[63] Der Sprachton bildet sich nach unserm Sprachorgan. Alle Mannspersonen, vorzüglich aber diejenigen, die groß und stark sind, und haben einen kindischen Sprachton, was meist Fehler des Organs ist, sind wirklich zu bedauern. Ihnen ist zu rathen, daß sie sprechen, wie es die Natur haben will. Große Anstrengungen würden das Uebel nur ärger machen, und einen kreischenden Ton herausbringen, der noch widerlicher seyn möchte, als ihr einfaches bestimmtes Naturorgan. Einer hat eine heisere, Einer eine hellere Sprache; der Eine spricht stärker, der Andere schwächer; des Einen Stimme ist fettig, dumpfig; des Andern sonorer, reiner, lieblicher. Etwas wird immer davon zurückbleiben, und man wird die Natur in diesen Fehlern nicht völlig ausrotten, nicht bis auf die kleinste Unbemerklichkeit umschaffen können. Ist es aber Sängern und Sängerinnen möglich, theils durch physische Mittel, theils durch Kunst ihre Stimme zu verbessern, warum sollte der Sprecher anstehen, von diesen[64] Mitteln Gebrauch zu machen? Nehmen sie die Erfahrungen dieser Künstler zu Hülfe, versuchen sie eben diese Mittel, wenn sie überzeugt sind, daß man ihnen die Wahrheit gesthet; auch dürfen sie einen Arzt um Rath fragen. Wenden sie sich aber weder an einen Charlatan, der ihnen schädliche Mittel empfehlen würde, noch an einen von jenen Aerzten, von dem sie fürchten müssen, eine solche Frage entehre seine Kunst. Er möchte das Lappalien, unbedeutende Dinge nennen; denn auch manche große Aerzte verkennen die Würde, den Umfang der erhabenen, im Großen wie im Kleinen sich gleichbleibenden, Arzneykunde.

Eine angenehme, liebliche Stimme ist ein holdes Geschenk der Natur; und zwiefach mehreren Werth hat dieses Geschenk, wer sie ganz in seiner Gewalt hat, sie verstärken, sie schwächen, sie jeder seiner Leidenschaften, Empfindungen anpassen, und selbst schon durch diese Stimme eben so gut durch den Zauber der Worte, als mit einer die Seele entzückenden Melodie[65] auf Geist und Herz wirken kann. Warum hat das Nämliche, von zweyen gesagt, von dem einen mehr, von dem andern weniger Wirkung? –

Wer eine zu starke Stimme hat, der lerne sie moduliren. So traf ich jüngst einen jungen Menschen, etwas über funfzehn Jahr alt. Er war klein, hager, wie das Männchen im Monde. Und diese kleine Figur donnerte mit einer Baßstimme, die gewaltig war. Er that sich auf diese Stimme sehr viel zu gute, und strengte sich noch obendrein dazu an. Seine Töne glichen einem Schrey. Was waren die Folgen davon? Man konnte sich des Lachens kaum dabey enthalten, aus solch einem Männchen solch eine Stimme zu hören, die für den stärksten Mann noch zu stark war. Besser hätte dieser junge Mann gethan, er hätte diese seine Stimme gemäßiget, er würde dem Gelächter entgangen seyn. Alle Mannspersonen, vorzüglich aber diejenigen, die groß und stark sind, und haben einen kindischen[66] Sprachton, was meist Fehler des Organs ist, sind wirklich zu bedauern. Ihnen ist zu rathen, daß sie sprechen, wie es die Natur haben will. Große Anstrengungen würden das Uebel nur ärger machen, und einen kreischenden Ton herausbringen, der noch widerlicher seyn möchte, als ihr einfaches bestimmtes Naturorgan. – Ich brauche dabey nichts weiter zu bemerken, und es wird ihnen leicht seyn, mehrere Folgerungen für andere Fälle aus dieser Bemerkung zu ziehen. Fülle der Stimme ist etwas ganz anders, als Gewalt und tosendes Geschrey.

Wer sich fühlt, daß er nicht deutlich, nicht artikulirt spreche, weil seine Sprachorgane nicht biegsam genug sind, der versuche folgende Mittel: Er gehe oft in das Freye hinaus, rufe die einzelnen Sylben der Wörter laut und langsam nach einander, und er wird finden, daß sich dieser Fehler bessere, wenn er eine Zeitlang unermüdet darinnen fortfährt, und nicht etwann von einigemalen schon Wunder verlangt.[67] Demosthenes, der griechische berühmte Redner, wird von Allen als ein Muster aufgeführt, wie weit man es in dieser Kunst bringen könne. Was wirklich eine Unmöglichkeit schien, ward bey ihm zur Möglichkeit.

Ein nicht minder bewährtes Mittel, Stimm und Sprache zum deutlichern Artikuliren zu gewöhnen, ist folgendes: man lese einem seiner Freunde wenigstens täglich eine Stunde lang mit lauter Stimme aus einem Buche vor. Aber nur einem Freunde ist es zuzumuthen, daß er uns eine Stunde lang geduldig zuhören wird; denn in den erstern Stunden ist solch eine Vorlesung nicht die lieblichste Musik. Auch wähle man zu dieser Lektüre nur gewisse Schriften anfangs, die sich vorzüglich durch die Leichtigkeit ihres Styls empfohlen haben. Will man wissen, wie weit man es gebracht habe, so wähle man dann zu dieser Uebung diejenigen Schriften, deren Verfasser Muster der holprichten, rauhen, geradebrechten Schreibart sind, wie solche vor zehn oder zwölf Jahren in so[68] vielen Romanen und Gedichten, worinnen die Wörter wie eine Reihe von Invaliden da standen, Mode war. Glaubt man sich nun so gebessert zu haben, daß man eines fernern Zurufers nicht mehr bedürfe, so nehme man diese Uebungen des Lautlesens für sich allein vor; man werde gleichsam sein eigener Zuhörer.

Um mit seiner Sprachart nicht anzustoßen, lerne man seine Muttersprache richtiger, als es gewöhnlich geschieht. Unser Sprachgebäude ist freylich noch nicht ganz ausgebaut, und läßt noch manchen Zweifel übrig; auch ist man seiner Sache noch nicht so gewiß und fest, daß wir, im Ganzen genommen, feste Regeln hätten. Es hängt also noch von der Willkühr ab. Selbst ein Adelung lebt noch in seiner so vorzüglichen Sprachkenntniß mit sich sehr oft im Widerspruch. Jene classische Reinigkeit ist für das mündliche Gespräch von uns Deutschen noch nicht zu fordern. Aber sich solche Sprachfehler erlauben, die bisweilen gar Zweydeutigkeiten, Zoten werden können, beleidiget den[69] Anstand. So gieng es jüngst einem Berliner Fräulein. Sie war auf der Leipziger Messe. Abends spielte auf der Straße ein Leyerkasten. »Ach wie schön,« sagte das Fräulein, »o daß der Mann so schnell vorübergeht!« Da hast du einen Gulden, sagte die gnädige Mama, geh und laß dich leyern.« Der Mann kam, und spielte. Das Fräulein kam froh aus dem Nebenzimmer zurückgesprungen: »Gnädige Mama,« ruft sie ihr entgegen, »haben sie es gehört? Ich habe mich leyern lassen.«

Verzeihen sie, meine Leser! daß ich ihnen ein solches Exempelchen erzählte. Es war für mich schneidend. Allein, um der Wahrheit einen Sieg abzugewinnen, um Andere aufmerksam zu machen, muß man öfters auffallend seyn. Wider den Gebrauch des mir und dir, sie und ihnen und hundert solcher dergl. Redensarten, wird nicht selten auch von Männern und Damen gefehlt, die sich sehr viel auf ihre übrige Bildung zu gute thun. Auch ist es sehr auffallend von vornehmen, auf Bildung und guten[70] Ton Anspruch machenden, Männern den Provinzial-Dialekt zu hören, wie man das z.E. besonders von dem Böhmischen und Oesterreichischen hohen und niedrigen Adel zu hören gewohnt ist. Dem gemeinen Mann vergiebt man das; von Herren und Damen klingt so etwas hingegen einem gebildeten Ohre sehr widerlich. Doch solche Vernachlässigungen rächen sich scharf genug, wenn man auch nur dabey mehr denken als sprechen darf. Der Ausdruck des guten gesellschaftlichen Tons darf sich zwar nicht zu der Region der Büchersprache emporschwingen, aber sie darf auch nicht zu der Sprache des gemeinen, niedrigen Lebens herabsinken.

Wer aus dem gemeinern, niedrigern Stande emporstieg, und kann sich der ihm von Jugend auf angewöhnten Sprache nicht sogleich entwöhnen, der gebe sich zwar alle Mühe, nach und nach sich ihrer zu entledigen, sey aber deshalb nie ängstlich verlegen; denn diese seine Verlegenheit wird ihn zu weit mehreren Fehlern[71] verleiten, als wenn er sich etwas freyer dabey benommen haben würde. Aufmerksam bleibe er immer auf sich, denn je öfterer er sich vernachlässiget, desto entfernter bleibt er von seinem gewünschten Ziel. Wenn er diesen kleinen Uebelstand durch sein übriges anständiges Betragen zu vergüten weiß, so wird man ihm solchen gewiß nicht allzu hoch anrechnen.


Ueberhaupt habe ich bemerkt, daß das Vornehmthun und Vornehmredenwollen die Frauenzimmer, so aus niederm Stande sich zu einem höhern Rang emporschwungen, oft lächerlicher machte, als die Mannspersonen. Die Ursache, warum das geschieht, ist nicht schwer zu errathen.


Auch wünsche ich, daß man in Gesellschaften die eigenen und bestimmten Grenzen des Conversationstons nicht verlasse, und in ein declamatorisches Wesen ausarte. Gesetzte Männer werden nie einen solchen Flug für gut halten. Junge Leute, besonders die sich einbilden,[72] eine schöngeistrische Ader zu haben, regen aber desto schneller ihre Schwingen, fahren in die Höhe hinaus, und stürzen nicht selten gar jämmerlich schnell genug wieder nieder.

Kurz, ein gesellschaftlicher Zirkel darf kein Declamatorium werden. Der junge Graf v.** war mit dieser Unart sehr behaftet, denn er hatte verschiedene Gedichte für einen gewissen Musenalmanach geliefert, und nahm sich deshalb dergleichen Freyheiten unbedingt heraus. Wo er war, da wurde in den wohlklingendsten, oft sehr süßlichen Tiraden declamirt. Man wurde seiner herzlich überdrüssig, wenn er auch bey seinem ersten Versuch nicht ganz mißfallen hatte. »Wie gewöhnen wir nur dem jungen Thoren diese lästige Sucht wieder ab? sagte der alte General S. Schwer wirds halten, das stelle ich mir vor; denn er dünkt sich nicht wenig dabey. – Doch, Kinder, so sagte er zu der übrigen Gesellschaft, es fällt mir noch ein Mittel ein. Hört, sobald er wieder zu declamiren anfängt, so wollen wir[73] Uebrigen alle ebenfalls declamiren.« Man gab ihm Beyfall. Graf v.** kam. Schon sein Antrittscompliment war Declamation. Das Signal ward gegeben. Alle, alle declamirten. Man konnte sich kaum des Lachens enthalten. Der Graf fühlte, was man ihm damit zu verstehen geben wollte, entsagte seiner Declamationssucht, und gestand hinterher freyherzig, daß er nun es selbst finde, daß das Declamiren für den gesellschaftlichen Conversationston gar nicht geeignet sey.

Kürzlich erwähne ich noch von der Stimme überhaupt, daß man eben so gut seinen Sprachton, Stimme u.s.f. verbessern, als ihn aber auch verlieren könne. Man darf nur zum Beyspiel sich sehr stark erhitzen, und schnell darauf kalt trinken, so kann man Zeitlebens davon einen heisern Hals, eine heisere Stimme bekommen. Diese Fälle sind unendlich häufig. Man darf ein zu großer Liebhaber von Gebacknem, von sogenannter brauner Butter seyn, und man kann dadurch eine dumpfere[74] Stimme erhalten. Man darf sich bey Trinkgelagen überschreyen, vielen dergleichen nächtlichen, wiederholten Collationen beywohnen, und es kann die Stimme, die festeste, reinste Stimme auf einmal ganz unvermuthet verlohren werden. Man darf dem Trieb der Wollust als ein Unsinniger fröhnen; und wie bald ist es geschehen, daß man es ihm sein ganzes Leben hindurch anhören wird, welcher Leidenschaft er gefröhnt hatte. Diese Lüste sind ein für allemal fürchterliche Rächer. Fragt manchen Jüngling, wodurch sein schöner, so reiner, so fester Ton verschwunden, und mit einem heisern, schwachen, bebenden so schnell vertauscht worden sey? und redet er zu euch die Wahrheit, so wird er gestehen müssen, daß sie die Folgen seines wüsten, wollüstigen Lebens sind.

Die Stimme jedes Menschen wechselt von der Kindheit an, bis zum festern Mannesalter, verschiedenemale. Ein Knabe, der in seinem zehnten Jahre einen trefflichen Sopran sang,[75] wird zwischen dem eilften und zwölften Jahre, bald früher, bald später diese Stimme verlieren; die Stimme selbst ist in einer Art schwankender Ungewißheit, sie weiß nicht, soll sie sich zum Alt, oder Tenor entschließen. Bald wird sie Alt, bald wird sie Tenor. Vom Alt wechselt sie oft in einem Jahre schon zum Baß über. Steht sie aber im Tenor, so bleibt sie dann feststehen. Doch sind die Erscheinungen, daß ein Tenorist auch noch eine Baßstimme bekömmt, nicht ganz seltene Fälle. Während der Zeit dieser Stimmenwechselung bitte ich alle junge Leute, äußerst aufmerksam auf sich zu seyn. Viele, viele herrliche Stimmen gehen in dieser wichtigen Periode durch Selbstschuld verlohren. Vorzüglich mögen sie sich dann einer strengen, angemessenen Diät bedienen; allzufette Speisen vermeiden, allem hitzigen Getränk ausweichen, und sich besonders aller unedeln Empfindungen und Leidenschaften enthalten. Mäßigkeit sey ihnen unverletzbare Pflicht. Sie dürfen sich nicht allzuscharf erhitzen,[76] noch weniger darauf trinken. Zu jeder Zeit ist dieses gefährlich; am gefährlichsten in dieser Crisis, die die Natur in Ehren gehalten wissen will. Auch erlaube man sich in dieser Situation kein gewaltsames Schreyen. Jener unverständige Arzt rieth einem Knaben, der seine schöne Sopranstimme in seinem dreyzehnten Jahr verlohr, recht stark zu schreyen, und durch den Schrey die Stimme wieder hervorzuschreyen, wie man bisweilen etwas, das im Halse steckt, hervorzuhusten sucht, und der arme bedauernswürdige Knabe verlohr seine Sprache darüber Zeitlebens.

So viel vor der Hand von dem äußerlichen guten Anstande des Körpers selbst. Nun zu den Regeln, wie man zur Weiterbeförderung dieses guten Anstandes seinen Körper bekleiden und schmücken solle. Auch schon die Kleidung des Menschen kann den guten, den wahren Anstand beleidigen.
[77]

Auch durch seinen Anzug, durch die Bekleidung seines Körpers kann man sein gebildeteres Gefühl für den äußerlichen Anstand zeigen.

Soll ich sie, meine jungen Freunde, wohl erst noch auf die unerläßliche Pflicht der Reinlichkeit aufmerksam machen? Ein unreinliches Gesicht schändet die feinste, weißeste Wäsche, und so im Gegentheil. Wer diese Pflicht gering schätzt, sie hintansetzt, läuft Gefahr, daß man ihn für einen Menschen hält, der in seinen Empfindungen, Handeln, in allem seinen Thun und Lassen, nichts besser ist, als was seine schmutzige Bekleidung verräth. Beobachten sie daher dieses Gesetz nicht nur an ihren festlichern Gewändern, sondern auch selbst an ihren Haus- und Arbeitskleidern. Viele Menschen halten sich, wenn sie sich daheim, allein für sich in ihrer Behausung glauben, nicht hoffen dürfen, besucht zu werden, sehr unreinlich; erscheinen sie aber öffentlich, so können sie nicht reinlich, geputzt genug seyn. Eine falsche Maxime, wie mich dünkt; denn es[78] wird ein hartes Urtheil gemeinhin über den gesprochen, den man in seiner Wohnung schweinisch unreinlich trifft. Das Hauskleid, ein Arbeitskleid entschuldigt ein unvermutheter Besuch sehr gern, und muß es entschuldigen; aber ein schmutziges Hauskleid, ein schmutziges Arbeitskleid bey einer reinlichen Handthierung erhält nie eine volle Verzeihung, so sehr man sich auch entschuldigen möge, so sehr man auch erwiedert: daß es gar nichts zu sagen habe, daß man sich nicht scheniren möge.


Nächst der Reinlichkeit sorgen sie für eine gute Anordnung in ihrem Anzuge.


Alles sey fürs erste knapp, aber nicht prallend knapp, was der Gesundheit schädlich ist, und den Gliedmaßen ein gezwungenes, oft widerliches Ansehen giebt. Herabhängende Strümpfe, wenn man gesunde Beine hat, zeigen von Liederlichkeit, wenigstens nimmt sie der größeste Theil der Menschen dafür. Falsch zugeknöpfte Kleider, Westen, schlecht geschnallte Beinkleider[79] und Schuhe gelten für Kennzeichen der Ruscheley, des zerstreueten, des leichtsinnigen, sich und andere geringschätzenden Menschen.


Zweytens wählen sie mit Geschmack, was und wie sich es gut zusammenschicke, paaren sie nicht eine schlechte Weste mit einem feinen Rock u.s.w. Doch was soll ich ihnen das alles erst genau angeben, da alle dergleichen Dinge sehr schnell, wenn sie erscheinen, geahndet und nicht selten lächerlich gemacht werden.


Ihre Wahl, wenn sie sich die Zeuge zu ihren Kleidern wählen, falle nie weder auf schreyende Farben, wenn sie einfarbige Couleuren suchen, noch auf narrenmäßige Zusammenstellung der Farben unter einander, wenn sie sich zu einem bunten Rock und Weste entschließen wollen. Hauptsächlich nehmen sie darauf Rücksicht, wenn sie Beinkleider zu haben wünschen. Viele junge Leute haben besonders jetzt in dieser Gattung Kleider einen bizarren Geschmack; nicht selten deuten sie damit[80] sehr strafbare Endzwecke an. Die Einfachheit in den Farben verräth den Mann von solidem Geschmack. Obgleich die herrschende Mode das bunte Gewühl von Farben, die oft wider die Regeln des einmal angenommenen Gesetzes wie Farben sich zu Farben schicken, rechtfertigen will, so wird doch der Mann von solidem Charakter jenes ehrwürdige in der Natur der Sache gegründete Gesetz ehren, als der Vorschrift der Mode unterthänig seyn zu wollen. Auch läßt sich Mode und Geschmack recht gut mit einander vereinigen, und man weiß diesem letztern auf eine feine Weise zu huldigen, wenn man sein Gefühl richtiger bestimmt hat, als gewöhnlich, da man nur blind wählt und greift, und nur nach dem Neuesten fragt. Einen Vortheil hat der immer voraus, der bey der Wahl der Farben auf die Farbe seines Gesichts, seines Haars, und der Haut überhaupt Rücksicht nimmt, denn dem Blonden steht das selten, was einen schwarzbraunen Jüngling kleidet; nicht minder hat man[81] auch auf den Charakter der Gesichtszüge dabey zu achten, ob er feyerlich ernsthaft, lächelnd, schäckerhaft, melancholisch, still, leidend u.s.w. sich ausdrücke. Die Beobachtung dieser Regel wird vortheilhafter seyn, als jene, die den zu wählenden Farben zur Bekleidung einen Ausdruck geben, den sie nur selten haben. Bey feyerlichen Gelegenheiten, Ceremonien u.s.w., ist die schwarze Farbe, gleichsam unverletzlich, vorschriftlich die herrschende geworden; trefflich, daß diese Farbe die meisten Menschen wohlkleidet.


Uebrigens wünschte ich aber, daß sie diese ihnen empfohlene Sorgfalt nicht bis zu einer mädchenhaften Aengstlichkeit treiben möchten.


Was den Schnitt ihrer Kleidungsstücken betrifft, verweise ich sie auf einen kleinen Aufsatz, den sie am Ende dieses Werkchens über die Modesucht junger Leute, und über die Ausschweifungen, die sich jetzt so häufig zu Schulden lassen kommen, finden werden.[82]

Diesen meinen Bemerkungen setze ich noch eine hinzu, die den gegebenen an Wichtigkeit nicht nachstehen wird. Kleiden sie sich lieber zu gut, als zu schlecht. Aber überschreiten sie dabey nie ihren Stand, denn dadurch setzt man sich nicht selten einer sehr scharfen Beurtheilung aus, weil man es nur dahin erklärt, daß man mehr scheinen wolle, als man wirklich sey.

Noch weniger aber mache dadurch einen Aufwand, der deine Vermögensumstände überschreitet. Sich deshalb in Schulden stecken, ist eine große Thorheit. Solche Dinge bleiben nicht leicht verschwiegen, denn nichts erhebt seine anfangs heimliche Stimme sehr bald laut und weit umherschallend, als – unbezahlte, schuldiggebliebene Rechnungen. Das aber wird dir kein edelempfindender Mensch zum Nachtheil auslegen, wenn du dir es an delikaterm Essen und Trinken abgehen lässest, wenn du andere zwar kostspielige, aber sehr flüchtige Vergnügungen meidest, um, was dort leicht[83] versplittert seyn würde, sür eine bessere Kleidung anzuwenden. Schon lang ist es ein gemeines Sprichwort: Man sieht mir nicht in den Magen, wohl aber auf den Rock. – Nie kann diese Regel gültiger gewesen seyn, als in unserm Zeitalter, das dem Luxus beynahe zur höchsten Ausschweifung fröhnt.


Wer gar nichts für seinen Körper thun, bloß seinen Geistestalenten die öffentliche Achtung verdankt wissen will, der möchte verdrüßliche Erfahrungen zu machen haben. Die Welt handelt, denkt und empfindet nicht immer so, wie es uns am vernünftigsten scheint, und wie wir es haben wollen. Du kannst ihr Gesetze vorschreiben wollen, und sie wird sie nicht achten; du wirst ihr deinen Unwillen nicht vorenthalten, und sie wird lächeln, und nur thun, was ihr gut dünket.


Aber, indem du zwar von der Nothwendigkeit überzeugt bist, sich so gut zu kleiden,[84] als du kannst, so lasse dir es nicht aus Neid, oder andern Ursachen einfallen, mit denen zu wetteifern, deren Kräfte die deinigen übersteigen. Das unglückliche Demandern- Zuvorthun hat schon manchen unglücklich gemacht.

Fußnoten

1 Manchen Personen stehen die Pockengruben nicht übel, so sehr sie auch der Schönheit Eintrag thun. Es kömmt hauptsächlich darauf an, daß sie nicht zu tief gehen, und den Theilen des Gesichts dabey nicht ganz die Kraft benommen worden ist, die Bewegung der Muskeln zu ihren Absichten gebrauchen zu können. Auch die Art, wie sich die Pockengruben geordnet haben, trägt sehr viel zu dem Besseraussehen bey.


Quelle:
Claudius, G[eorg] C[arl]: Kurze Anweisung zur wahren feinen Lebensart. Leipzig 1800.
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