Das Compliment oder die Verneigung.

[115] Man kann schon bey seinem ersten Eintritt in eine Gesellschaft sich empfehlen, oder mißfallen. Dazu ist eine schickliche, wohlanständige, zwar nach den Regeln der Kunst, aber jedoch nicht gekünstelte Verneigung behülflich. Der erste Eindruck wird auch hier selten zu verscheuchen seyn. Hauptsächlich schadet sich der junge Mensch sehr, wenn er sich bey dieser Bewegung seines Körpers etwas Linkisches zu Schulden kommen läßt. Einem bejahrten Manne vergiebt man dieses weit eher.

Ich will einige Regeln vorschreiben, so gut es mit Worten sich thun läßt, da dieser[115] Gegenstand mehr für das Gebiete der Mahlerey, und der Unterricht darinnen dem Tanzmeister gehört.

Der Körper halte sich nicht zu steif, einem Klotz ähnlich; aber er biege sich auch nicht, wie ein Sprenkel. Bey seiner Verbeugung meide er alles, was einen Winkel bilden und eckicht werden könnte. Der Kopf beginne diese Beugung ganz zuerst, indem er sich aber beugt, drücke sich das Kinn nicht bis auf die Brust herab; ruhe nicht auf der Halsbinde oder Krause. Langsam senke sich dein Auge, nie aber fall es mit einemmale nieder, und indem es sich senkt, richte sich immer noch ein Blick, aber nicht gewaltsam, dem entgegen, dem du dieses Compliment machst. Vermeide, daß sich dein Hinterer hinausstrecke; er muß zurückgezogen bleiben, trotz daß sich dein Rücken beugt. Deine Beine dürfen nicht ausgespreits, lieber etwas näher, als zu entfernt von einander abstehen. Setze dabey deine Füße nicht einwärts. Wenn du das Compliment beginnst,[116] trittst du mit dem rechten Fuße vor, den linken ziehst du ganz gelassen nach. Alles, was sich an dir bewegen muß, bewege sich ungezwungen, nie affektirt. Je größer und vornehmer die Person ist, der du deine Ehrfurcht bezeigen sollst, desto mehr, desto tiefer neige sich dein Haupt und dein Rücken; aber nie so tief, daß dein gezwungener Hinterer mit dem Kopf von vorne eine Parallellinie bilde. Eben so langsam du dich verbeugt hast, so langsam bringst du Rücken und Kopf wieder in die Höhe. –

Gegen Freunde, gegen deines Gleichen verneigst du dich schneller mit dem Rücken sowohl, als mit dem Kopf, und dieser kann alsdenn wohl selbst etwas hastiger wieder emporfahren, als er sich zuvor senkte.

Bey dieser körperlichen Bewegung darf es aber nicht allein sein Bewenden haben. Auch deine Worte müssen die Dolmetscher deiner Empfindung werden, und sich nach dem Gegenstande, vor dem du stehest, richten. Während[117] deiner Verbeugung aber meide, daß du sprechest. Die Worte müssen verhallen, und es ist gewiß keine kleine Unartigkeit, zu irgend Jemandem etwas zu sprechen, das er nicht deutlich vernehmen kann. Man giebt dadurch stillschweigend zu erkennen, daß er es nicht verstehen soll.

Die Worte deines Compliments müssen bestimmt, dein Ausdruck gewählt, und deine Rede nur kurz seyn. Aus diesem wird man leicht abnehmen können, daß jene Unart, die doch so gewöhnlich ist, seine Worte während seines Compliments in den Bart hinein zu murmeln, nicht viel besser als eine Beleidigung seyn könne, wenn man es sonst genau erwägen will. Auch das Unbestimmte, Verworrene in den complimentirlichen Reden ist Leuten von Lebensart und Erziehung wenigstens auffallend, wo nicht gar unangenehm. Man weiß ja, warum man da oder dort erscheinet, was man soll, was man zu suchen hat, warum überlegt man nicht zuvor, was man sagen will? Wer nicht[118] außerordentlich viel Kopf, Uebung, Gegenwart des Geistes besitzt, der gebe sich nie dem Zufall preis, und überlege zuvor, was er zu sagen hat, und wie er es sagen soll. Er braucht es ja nicht wie ein Gebetsprüchlein answendig zu lernen. Wer ein untreues Gedächtniß hat, geräth nur dann sehr leicht in Verlegenheit, bleibt stecken, kann sich nicht sogleich helfen, und macht dem Zuhörer Angst – sich aber, je nachdem der Mann ist, auch wohl gar lächerlich. Ueber dieses darf man nur Ohren und einigen Beobachtungsgeist haben, so kann man vielerley Formulare dieser complimentirlichen Reden von Andern abnehmen, und solche ebenfalls gebrauchen.

Trittst du in einen Zirkel, wo die Gesellschaft mit Damen und Herren gemischt ist, so verneigst du dich zuerst, auf einem Fleck stehen bleibend, gegen die Damen, dann gegen die Herren. Darauf aber gehst du langsam nach den Damen hin, küssest ihnen die Hand, und wenn du damit fertig bist, so verneigst du dich[119] gegen die Herren insbesondere nochmals. Herrscht in diesem Zirkel eine so steife Etikette, und das merkt man bald, daß die Damen sogar nach der Rangordnung säßen, so mußt du schon in einen sauern Apfel beißen, und dem gegebenen Wink aufmerksame Folge leisten. Sitzen sie aber in der Reihe, wie sie gekommen sind, so fängst du bey der nächsten an, und hörst bey der entferntesten auf. Sitzen sie aber so, daß du sie durch deinen Händekuß belästigen möchtest, oder daß du, um ihnen beyzukommen, ganz linkische, unanständige Bewegungen machen müßtest, so laß das Händeküssen gänzlich hinweg.

Fürstinnen lassen sich bisweilen noch den Rock küssen; bey den übrigen hohen Ständen ist diese Sitte verschwunden. Sollte eine vornehme Dame den Wahn hegen, ihre Hand nur dem, der gleichen Standes mit ihr sey, zu küssen erlauben – so verneige dich bloß tief und langsam vor ihr, wenn du diesen Stand nicht erreichst. – Solltest du bisweilen[120] gar nur einen Handschuh küssen müssen, so weigere dich nicht, wenn du voraus sehen kannst, daß man dir diese Enthaltung einer alten Etikette zu einer vorzüglichen Unart anrechnen könnte.

Personen deines Geschlechts küsse beym Empfang in Gesellschaft, und bey dem Abschiedscompliment nur dann, wenn sie deine wahren vertrauten Freunde sind. Bey fremden Personen, die du nicht genau kennest, ist es nicht räthlich.

Sind Personen in der Gesellschaft befindlich, die deinen Stand überreichen, und denen du Ehrerbietung schuldig bist, so unterlaß ebenfalls Kuß und Umarmung deiner Freunde und Vertrauten, um nicht eine Unschicklichkeit zu begehen.

Es ist zur Sitte geworden, aus großen Gesellschaften, ohne Abschied zu nehmen, fortgehen zu können. Nur muß man sich aber ganz heimlich, und nicht mit Geräusch entfernen.

Quelle:
Claudius, G[eorg] C[arl]: Kurze Anweisung zur wahren feinen Lebensart. Leipzig 1800, S. 115-121.
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