Edelmanns 2ter Aufenthalt in der Gegend von Hamburg.

[449] Wo Edelmann sich im Jahr 1748 aufgehalten mit Sicherheit zu bestimmen, ist mir so wenig gelungen, als wodurch und wann er veranlaßt sey, Berlin zu verlassen.1 Er scheint jedoch wenigstens gewöhnlich in der Nähe von Hamburg bei Freunden sich aufgehalten zu haben. Seine im Jahr 1748 und 1749 geschriebenen und gedruckten Arbeiten sind M. unterzeichnet. Die Acta ecclesiastica XVIII p. 967 geben aus Walpurgens cosmotheologischen Betrachtungen p. 465 an, daß Edelmann 1749 sich zu Waldheim aufgehalten habe. Gewiß ist es jedoch, daß wir ihn 1749 in Hamburg wieder finden und daß er noch in demselben Jahr in Berlin einen bleibenden Aufenthalt nahm. Bevor wir jedoch sein Leben weiter verfolgen sind die Streitschriften des Jahres 1748 zu erwähnen, denn in diesem Jahr scheint die Theilnahme am weitesten verbreitet gewesen zu seyn. Zunächst erschien des hiesigen Seniors Fr. Wagner Schrift: die Wahrheit und Göttlichkeit der heil. Schrift und christl. Religion wider J. Chr. Edelmanns vornehmste Getichte und Einwürfe durch Beleuchtung eines einigen Hauptspruches der h. Schrift vorläufig gerettet. Das Buch erschien in drei Abtheilungen 1748 und 1749. Eine an dere Schrift, ebenfalls von einem Hamburger, ist: Die Nichtigkeit der Gründe, womit der Antichrist jetziger Zeiten J. Chr. Edelmann seinen Irrthum, daß Jesus nicht eigentlich der Sohn Gottes sei, zu schmücken sucht, von M. Chr. Ziegra. Hamburg 1748. Wichtiger war eine Schrift, welche in Wittenberg erschien: Joh. Georg Pfotenhauers Vollständige Widerlegung des Edelmannschen Glaubensbekenntnisses, worin zugleich eine französische freidenkerische Schrift, die unter 2 Titeln bekannt gewesen, untersucht und beurtheilt wird. Diese französische Schrift ist des Varenne La vraie religion, demonstrée par l'ecriture sainte, traduite de l'Anglois de Gilbert Burnet à Londres 1745 oder Examen de la religion – attribué a Mr. de St. Evremont. Pfotenhauer sucht[449] nämlich auch die Entstellung und den Mißbrauch mit den angeführten Quellen nachzuweisen.

Edelmann beschäftigte sich indessen auch ernstlich mit seiner Vertheidigung, und arbeitete zunächst die andere Epistel St. Harenbergs aus, eine Widerlegung des 2ten Theiles der geretteten Religion vom Probsten Harenberg. Die Epistel ist eine fortgesetzte, Erläuterung und Vertheidigung seiner pantheistischen Lehre. Edelmann erklärt ausdrücklich, daß er nur den ersten Theil Harenbergs, der 15 Briefe enthielt, gelesen (der 2te, der 1748 erschien, enthielt noch 30 Briefe) und sich auf Beantwortung der übrigen nicht einlassen werde. Doch fügt er noch eine kurze Beurtheilung aller Hauptgegner hinzu, sowie Aeußerungen einiger Freunde. Diese ist datirt M.d. 3ten October 1748, aber nie gedruckt. Die Anmerk. zu Pratje p. 195 (211) bemerken: »Es würde auch dessen Antwort auf seinen 2ten Brief schon in Druck erschienen seyn, wenn Er sich noch so gestellet fände, daß Ihm die Wespen, in deren Nest Er gestöhret, nicht um den Kopf schwärmen könnten.« Es folgt bei der andern Epist. an St. Harenberg ein P.S., unterschrieben Finis d. 22. Septemb. Anno 1756: Dies Datum kann sich aber nur auf die Abschrift beziehen, denn der Anhang zeigt, daß es unmittelbar nach der Epistel selbst abgefaßt ist. Das P.S. bezieht sich nämlich auf eine Recension seiner ersten Epistel St. Harenbergs, die in No. 83 der Hamburg. Berichte von gelehrten Sachen d. 18. Octob. 1748, W. unterzeichnet, erschienen war. Edelmann schreibt sie dem Senior Wagner zu.

Im Jahr 1749 machten in Hamburg die Anhänger oder Freunde Edelmanns ihrem Zorn auf eine Weise Luft, die das Einschreiten der weltlichen Macht zur Folge hatte. In der Neuen Gelehrten Zeitung, die mit dem Jahr 1749 von Altona nach Hamburg verpflanzt und vom Rector Strodtmann in Harburg redigirt ward, erschien in No. 58 und 59 eine Anzeige vom Tode Edelmanns nebst Deutschen und Lateinischen Lobgedichten auf ihn, in welchen die Religion und Geistlichkeit, auch einzelne Geistliche so heftig angegriffen wurden, daß sich der Senat veranlaßt sah, jene beiden Nummern öffentlich verbrennen zu lassen durch Henkers Hand auf dem ehrlosen Block, die Zeitung zu verbieten und, weil der Redacteur in Harburg lebte, der Hannoverschen Regierung davon die Anzeige zu machen. Das am 16. August publicirte Decret lautet: Notification: »Demnach in dem 58. und 59. Stücke der zu Anfang dieses Jahres hieselbst herausgekommenen neuen gelehrten Zeitungen, respective p. 461–464 und 468–472 bei Gelegenheit des angeblich verstorbenen Joh. Chr. Edelmanns ein Schreiben nebst 4 theils lateinischen theils deutschen[450] Gedichten enthalten ist: in welchen allen nicht nur viele rechtschaffene Theologen aufs freventlichste verunglimpfet und angegriffen, sondern auch die größesten und abscheulichsten Gotteslästerungen und Religions-Spöttereyen mit der ersinnlichsten Ruchlosigkeit ausgestreuet: solchergestalt aber die kundbaren Reichsgesetze, wie nicht weniger die allhier zum öfteren wiederholeten und geschärften Verordnungen und Mandate höchst sträfflich gekränket worden sind: als hat E. hochedler Rath keinen Umgang nehmen wollen, obberührte 2 Stücke wegen der gedachtermaaßen darin befindlichen ärgerlichen Ausdrücke, für die gräulichsten Schmäh- und Lästerschriften hiermit öffentlich zu erklären und selbige des Endes den bösartigen Verfassern zu immerwährender Schande durch den Frohn auf dem ehrlosen Blocke verbrennen zu lassen. Decretum in Senatu Hamburg. den 15. Aug. 1749.

Die Nachricht von Edelm. Tode nebst den Gedichten soll gleichzeitig in dem Beitrage zu den Erlangschen gelehrten Anmerk. XXXV Woche p. 542 u. ff. 1749, auch durch Hrn. Simonetti wie ein Phönir aus der Asche im 70sten Stück der Berlinischen wöchentlichen Berichte von 1749 und zum Theil einige Tage nach der Verbrennung in der Wandsbecker Zeitung abgedruckt seyn. Das Manuscript war von einem Pseudonym Hieronymus Günther2 eingesandt, und von Strodtmann, nachdem er nur den harmlos klingenden Eingang gelesen, sogleich an den Verleger geschickt und, da dieser nicht zu Hause gewesen, in die Druckerei gegeben. Doch ward diese Entschuldigung nicht als genügend angesehen und Strodtmann seines Amtes entsetzt, später jedoch in Osnabrück als Rector wieder angestellt. Auf die damals geäußerte Hoffnung, daß der Verfasser entdeckt werden möchte, bemerken die Anmerk. zu Pratje: »Es wird auch dies Geheimniß wohl eben so wohl unentsiegelt bleiben, als das Buch mit den 7 Siegeln, ungeachtet man lieset, daß sie ein erwürgtes Lamm schon längst entsiegelt haben soll. Es dürfte sich also der H. Strodtmann wohl vergebens bemühen, das Kind, dessen Nahmen ihm dato noch ein Geheimniß ist, künftig bey seinem wahren Namen zu nennen.

Von Edelmanns Anhängern ward dem Hamburgischen Ministerium vorgeworfen, daß es den Rath zu diesem Schritte veranlaßt. In einem Gedicht, das sich unter den Manuscripten Edelmanns findet, wird geschildert, wie der Senior Wagner deshalb das Ministerium[451] berufen und den Beschluß veranlaßt habe, den Rath durch 2 Deputirte um Verbrennung der Zeitungsblätter zu ersuchen, der Rath aber habe versucht das Ministerium von diesem Beschluß zurückzubringen, weil es ihm nur Vorwürfe bringen würde. Doch das Ministerium habe mit Berufung auf die Reichsgesetze und den Eid des Raths sein Verlangen wiederholt und nun der Senat nachgegeben. Auch sey die Sache am nächsten Bußtage auf den Kanzeln zur Sprache gebracht. Dasselbe berichten die Anmerk. bei Pratje. »Hr. Pratje – hätte nicht verschweigen sollen, daß ein hochedler Rath in Hamburg sehr ungern an diese Execution gegangen, und selbige gern gehindert hätte, wenn Er der heil. Wuth der sanftmüthigen Jünger Jesu nicht hätte nachgeben müssen. Aufs wenigste würde Er sie nicht gehindert haben, Feuer vom Himmel auf diese Zeitung fallen zu lassen, und jedermann glaubt, daß ihnen das beßer angestanden haben würde als da sie ihr Feuer von dem Frohn oder Büttel geborgt, der bey dieser Gelegenheit wohl hätte sagen mögen: Ohne mich könnt Ihr nichts thun!«

Dem scheint nun freilich das Protokoll des Ministeriums vom 15. Aug. 1785 zu widersprechen, wo es heißt: »E.E. Rath hat wegen der lästerlichen Gedichte, die auf Edelm. gemacht und in dem 59sten Stück der neuen Hamb. gelehrt. Zeitungen gedruckt worden, aus eigener Bewegung eine genaue Erkundigung angestellt, die Exemplare confiscirt und bereits beschlossen, dieses Stück als eine Schandschrift durch den Büttel öffentlich verbrennen zu lassen, hat auch die Zeitungen bis auf weitere Verordnung verboten.« – Ueber den Akt selbst und dessen Eindruck haben sich, soviel mir bekannt keine Nachrichten erhalten. Die mir bekannten Blätter schweigen entweder gänzlich oder beschränken sich einfach auf die Angabe der Thatsache, wie die Hamburg. Berichte von Gelehrten Sachen Nr. 65. den 22. August. Die Anmerk. zu Pratje sprechen sich auf folgende Weise aus: »Da diese Schriften den Verfassern derselben zur immerwährenden Schande haben verbrannt werden sollen, so hätte man sie billig kennen sollen. Unbekannte Personen kann man, unserm Bedünken nach, weder Ehre noch Schande anthun. Edelmann, der eben damals nicht weit davon gewesen, wie diese Herrn ihr Licht vor den Leuten leuchten lassen (wie ihn denn einige gar bei der Execution gesehen haben wollen), hat von Glück zu sagen, daß ihr Aug damahls gehalten wor den, daß sie Ihn nicht gekannt, sonst dürfte er wohl mehr als eine Legion Engel zum Beystand nöthig gehabt haben, wenn er mit ganzer Haut hätte davon kommen wollen. Er hatte aber nicht nur das Vergnügen, an dem Tage dieses deutschen Auto da Fé (wie wir sicher[452] wissen) mit seinen Freunden in der Stille sich zu ergötzen, und seiner lieben Feinde Gesundheit zu trinken, sondern lebte auch nach diesem noch über 4 Monathe ganz ruhig unter ihnen, ja das gantze ehrw. Ministerium war Ihm bisweilen so nahe, daß, da sie ihn sonst so stinkend beschrieben, sie unfehlbar zur selben Zeit alle den Schnupfen gehabt haben müssen, daß sie ihn nicht gerochen.« Hierdurch ist nun Edelmanns Aufenthalt in Hamburg oder dessen Umgegend vom August bis wenigstes November 1749 bezeugt. Da nun aber eine am 2. Juni und eine am 3. Novemb. datirte Schrift, so wie die schon obengenannte 2te Epistel St. Harenberg vom 2. Octob. 1748 den Buchstaben M. als Bezeichnung des Orts haben, wo sie geschrieben sind, so muß Hamburg selbst, oder ein Ort in der Nähe gemeint sein, und Edelmann sich in dieser Gegend über ein Jahr aufgehalten haben. Ob M. eine ganz willkürliche Bezeichnung ist, oder einen Ort nennt, wo vielleicht einer seiner Freunde wohnte, oder ein Landhaus hatte, ist wohl schwerlich auszumachen. Mann kann an Müggenburg, Mellenburg oder Mundsberg denken.

Edelmann beschäftigte sich in dieser Zeit fleißig mit der Widerlegung seiner Gegner; seine Widerlegungen sind indeß nicht durch den Druck bekannt geworden, vielleicht konnte er keinen Verleger finden. Nachdem er in seiner 2ten Epistel vom Probsten Harenberg Abschied genommen, wandte er sich gegen Pfotenhauer und Wagner. Die erste Schrift ist verloren gegangen, man muß aber eine solche annehmen wegen des Titels der 2ten, dieser lautet: Joh. Chr. Edelmanns 2tes Sendschreiben an seine Freunde, die Geschichte des Varenne und La Serre verfolgend und dem Herrn Senior Wagner einige vorläufige Fragen wegen der Richtigkeit der angegebenen Abschiedsrede Jacobs vorlegend. Unterzeichnet ist diese Schrift: Meiner werthesten Freunde schuldigster Diener J. Chr. Edelmann M. den 2. Juni 1749. Für unsern Zweck ist die Schrift besonders deshalb von Wichtigkeit, weil, wie schon der Titel zeigt, Edelmann nicht nur in verschiedenen Gegenden Anhänger hatte, sondern dieselben auch in ihm und durch ihn zusammenhingen, daß die Gegner leicht veranlaßt werden konnten von einer Secte Edelmanns zu sprechen, seine Freunde aber mit gleichem Recht diesen Vorwurf ablehnten, weil sie Freiheit der Ansicht in Anspruch nahmen, sich nicht zu einer gemeinsamen Lehre bekannten. Der Anfang lautet:


Geliebte Freunde!


»Zusagen macht Schuld, und ich erinnere mich der meinigen wider die Gewohnheit der Schuldner um so viel lieber, je mehr ich mich gegenwärtig im Stande sehe, dieselbige abzutragen. Ich will es[453] ohne viele Umschweife thun und meinen werthesten Freunden nunmehr kürzlich entdecken, was ich von dem wahren Verfasser des vorm Jahr zu Mastricht widerrufen seyn sollenden Buchs Examen de la religion am 15. Mart. 1747 aus Amsterdam von guter Hand empfangen habe.« – Diese Schrift nun giebt nicht nur einen interessanten Beitrag zur Geschichte des dem Christenthum feindlichen Deismus, sondern zeigt zugleich wie damals die Anhänger derselben selbst über die Gränzen Deutschlands hinaus in der innigsten Verbindung standen. Das am Ende seines 2ten Schreibens gegebene Versprechen mehr der Art zu geben, erfüllte sein 3tes Sendschreiben an seine Freunde, darinnen Er seine Gedancken von der Unsterblichkeit der Seelen eröffnete. Dies 3te Sendschreiben ist unterzeichnet »Dero Ergebenster J.C. Edelmann M.d. 3. Novemb. 1749. Der Anfang berücksichtigt die Nachricht von seinem angeblichen Tode: »Wertheste Freunde! Sie hätten mich zu keiner bequemeren Zeit zu einem Beweis von der Unsterblichkeit der Seelen auffordern können, als eben jetzund, da ich nach den gedruckten Nachrichten der Lebendigen wirklich todt bin. Denn nun kann ich Ihnen ohne vieles Kopf-Zerbrechen recht überzeugend darthun, daß mein Leben trotz dem Tode, den man mir auf verschiedene Art angethan, würcklich noch fortdaure.«

Fußnoten

1 Vielleicht sollte sich durch seine Entfernung der Lärm legen, den seine Ankunft in Berlin veranlaßt hatte, vielleicht mochte ihn auch das Verbot etwas drucken zu lassen, um diese Zeit von Berlin treiben; endlich aber kann ihn auch die Einladung eines Freundes wieder in unsere Gegend geführt haben.


2 Der Name kommt noch zweimal p. 77 und 274 bei den Aumerk. zu Pratje, vor, doch ist er nicht Verf. der Anmerk.


Quelle:
Edelmann, Johann Christian: Selbstbiographie. Berlin 1849 (Faksimile-Nachdruck Stuttgart, Bad Cannstatt 1976), S. 454.
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Joh. Chr. Edelmann's Selbstbiographie Geschrieben 1752: Herausg. Von C. R. W. Klose (German Edition)
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