Edelmanns zweiter Aufenthalt in Berlin.

[454] Was Edelmann veranlaßt habe Hamburg wieder zu verlassen, darüber lassen sich nur Vermuthungen aufstellen, zumal da er wenigstens jetzt in Berlin sich verpflichten mußte, nichts drucken zu lassen.1 Ich denke, daß ihm die Verborgenheit, in der er sich in Hamburg befand, drückend wurde, die Furcht entdeckt zu werden mußte um so[454] größer werden, da im Jahr 1750 wirklich ein Kaiserliches Decret gegen ihn erschien, von welchem Pratje aus dem Altonaischen Staatspostreuter vom J. 1750 No. 77 aus Frankfurth mittheilt: »Nachdem von J.K. Maj. die von dem bekannten J.C. Edelmann herausgegebenen Schriften, nämlich dessen sogenanntes Glaubensbekenntniß, Moses mit aufgedecktem Angesicht und die Epist. St. Harenbergs als ärgerliche und gottlose Schriften, schon gegen Ausgang des verflossenen Jahres (1749) allergnädigst aufgegeben, auch derselbe von einem löblichen Kaiserl. Bücher-Commissariat öffentlich verbrennen zu lassen requiriret worden, und dann ein hochlöbl. Stadtmagistrat unterm 30. April jüngsthin in Conformität dessen ein Conclusum abgefaßt; als ist am verwichenen Sonnabend am 9ten dieses (Maimonaths) die Execution dessen mit gewöhnlichen Solennitäten und unter erstaunlichem Zulauf durch des Scharfrichters Hände, Vormittags um 9 Uhr vollzogen, und vermittelst eines bebestellten Notarii mit Zeugen, um ein förmliches Instrument darüber zu verfertigen, der ganze Actus genau beobachtet worden.«

Sollte Edelmann vielleicht das Erstemal nur versuchsweise oder von seinen Freunden eingeladen um sie zu besuchen in Berlin gewesen seyn, so nahm er nun gegen Ende des Jahres 1749 seinen bleibenden Wohnsitz daselbst. In diese Zeit fällt wahrscheinlich die auf Edelmann bezügliche Aeußerung Friedrich II, welche Pratje aus den vergnügten Abendstunden Thl. II. p. 104 anführt »hat man mich recht berichtet, so haben Ihro K. Maj. von Preußen als man einst von Edelmanns freien Aufenthalt in dero Ländern geredet, sich also herausgelassen: Man dürfe sich nicht wundern, daß er Edelmann einen freien Aufenthalt in seinen Ländern gestatte, da er viele andere Narren in denselben zu dulden sich genöthiget sähe.« Wogegen die Anmerk. berichten »Von der Antwort, die Ihro K. Maj. von Preußen wegen Edelmanns Aufenthalt in Berlin von sich gegeben haben sollen, ist der Hr. Pratje abermahls nicht recht berichtet: Nicht so wie Hr. Pratje diese Antwort anführet, sondern so soll sie ausgefallen seyn: Ihro Königl. Maj. müßten so vielen Narren in dero Landen freyen Aufenthalt verstatten, warum sie einem vernünftigen Manne nicht auch ein Plätzchen vergönnen sollten? Welche Antwort am wahrscheinlichsten und der bekannten Gemüthsart dieses großen Königs am gemäßesten wollen wir unsere Leser beurtheilen lassen.« – Von Edelmanns Aufenthalt in Berlin theilt Pratje in der ersten Auflage nur noch einige Nachrichten aus einem Briefe vom 2ten April 1750 mit: »Wie man hier wissen will, so soll dieser rasende Edelmann sich jetzt obnweit Berlin auf einem Landhause[455] aufhalten, welches eines Predigers Sohn aus der Stadt gehört, der daselbst ein sehr unordentliches Leben führen soll. Die Anmerk. berichten: p. 40 bringt Hr. Pratje abermahl sehr falsche Nachrichten von den Lebensumständen des E. zu Markte. Falsch ist erstlich, daß Edelm. eine halbe Meile von B. seine Wohnung aufgeschlagen haben sollte. Denn Sparrens Weinberg, auf welchen Er eine Zeitlang gewohnt, liegt kaum einen Büchsenschuß von B. Falsch ist ferner, daß dieses Landhaus eines Predigers Sohn zugehören sollte. Denn dessen Besitzer heißt W. Noch falscher und recht boßhaft erlogen ist, daß dieser Predigers-Sohn auf diesem Landhause ein sehr unordentliches Leben führen sollte. Denn Er hat in der Stadt sein eigen Haus, in welchem vielleicht ordentlicher gelebt wird, als in manchem Priesterhause.« Hiermit stimmt ziemlich zusammen, was die Acta ecclesiastica T. XVIII. p. 969 aus der 2ten Auflage Pratjes melden: »der vornehmste Gönner, den Edelmann in Berlin gefunden, soll der Herr von Steinburg seyn, ein Sohn des ehemaligen reformierten Hofpredigers Heinr. Aug. von Steinburg, der von gutem Vermögen seyn und sich öffentlich für die Gottesverläugnung erklärt haben soll. Dieser hat dem Edelmann zu seinem Unterhalt theils in der Stadt, theils in der dortigen Nachbarschaft auf dem Lande sehr viel hergegeben. Wenigstens soll er ihn wöchentlich einmal an seinen Tisch ziehen. Außerdem soll ihm auch der Marggraf von Schwed eine jährliche kleine Pension ausgesetzt haben. Er hält sich noch (1754) in Berlin auf. Er logirt auf dem Wilhelmsplatz in der Frau Präsidentin von Osten Behausung.« Pratje hat aus den Hamb. Berichten 1751 p. 769 eine Nachricht über Edelmann aufgenommen, die übergangen werden könnte, wenn ihr nicht wegen der Berichtigungen in der Anmerk. eine Stelle zu gönnen wäre. Es heißt da nämlich: »Edelmann lebt noch, aber in obscuro, vor dem Thore, in Elend und Verachtung, und da er vor den Juden nicht sicher ist, welche der Verspottung Mosis wegen, äußerst auf ihn erbittert sind, und ihm daher schon mehrmals nachgestellt haben; so siehet man sein Zimmer allenthalben bewafnet, und er trauet kaum seinen besten Freunden, die ihn besuchen«. Dann fügt Pratje hinzu: »So naget ein verzagtes Gewissen diesen frechen Verächter schon auf Erden.« Dagegen schildern die Anmerkungen seine Umstände folgendermaßen: »Obgleich seine mißgünstigen von seinen gegenwärtigen Umständen nicht die beste Beschreibung machen, so sind sie doch so gut, als Er sie sich jemals wünschen kann und es ist so wenig wahr, daß Er in obscuro vor dem Thor in Elend und Verachtung lebe, daß Er vielmehr fast[456] mitten in der Stadt an ehrwürdigem Ort, in erwünschtem Zustande und Hochachtung bey allen vernünftigen öffentlich leben und deren Umgang zu seinem nicht geringen Vergnügen genießen darf. Das Lächerlichste, was der Herr Pratje bey der Gelegenheit aus den Hamb. Berichten anführt, ist wohl, daß er nach dem, ihm vorgeschriebenen Evangelium, glaubet, Er müsse sich vor den Nachstellungen der Juden fürchten, und deswegen sein Zimmer nur nicht allenthalben bewaffnet halten, sondern auch seinen besten Freunden nicht trauen. Nichts ist wohl jemals erlogener gewesen als dieses.

Da Edelmann nichts drucken lassen durfte und sein persönlicher Umgang nichts auffallendes darbot, (er war nach Pratje weder rauh, störrisch, noch unangenehm, vielmehr freundlich, dienstfertig und gefällig), so hörten die Bewegungen, die er anfangs veranlaßt hatte, in Berlin bald auf, er lebte mit den ihm Gleichgesinnten in aller Stille, mit schriftlichen Arbeiten beschäftigt, er setzte seinen Moses mit aufgedecktem Angesicht fort, schrieb seine Autobiographie und verfaßte einige kleine Sendschreiben an seine Freunde. Als Ort seines Todes nennt Rotermundt in seinen Zusätzen zu Jöchers Gelehrten-Lexicon Berlin, Bruno Bauer dagegen in seiner Geschichte der Politik, Cultur und Aufklärung des 18ten Jahrhunderts Bd. 1 p. 208 läßt ihn auf dem Gute eines Herrn von Cossel im Holsteinischen sterben, ohne übrigens anzugeben, woher er diese Nachricht habe. Sein Todesjahr ist 1767. Sein Tod wurde übrigens in der literärischen und theologischen Welt kaum bemerkt.[457]

Fußnoten

1 Die Anmerk. zu Pratje gestehen dies ein: »Und dieses Verbot hat auch E. nur erwartet, um seinen Herrn Gegnern zu zeigen, daß Er auch schweigen könne, nachdem Er geredet. Wie Er bißher nicht im mindesten selbiges überschritten noch zu überschreiten gedenket, so lange Er sich noch in B. befindet. Dagegen leugnen die Anmerk. an einer andern Stelle p. 40, daß ihm das Bücher schreiben untersagt sey: »Grundfalsch ist demnach abermahls, daß man dem E. wie Er würcklich in Berlin eingezogen, vor seine Person zwar Sicherheit versprochen, dabey aber zugleich von ihm gefordert hätte, seine Lehre nicht weiter auszubreiten, und insonderheit das Bücherschreiben untersagt. Kein Mensch hat Ihn gefragt warum, und wohin Er in B. ziehen wollte? Und die Censur der Bücher ist lange vor seiner 2ten Ankunft in B. bekannt gewesen.«


Quelle:
Edelmann, Johann Christian: Selbstbiographie. Berlin 1849 (Faksimile-Nachdruck Stuttgart, Bad Cannstatt 1976).
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Selbstbiographie
Joh. Chr. Edelmann's Selbstbiographie Geschrieben 1752: Herausg. Von C. R. W. Klose (German Edition)
Selbstbiographie: Geschrieben 1752 (German Edition)