Erster Theil

angefangen den 9. Novemb. 1749.

[1] § 1. Da ich, nach erhaltenen Gebrauch meiner Vernunft, und überstandenen Ausschweifungen1 der Jugend, mich jederzeit beflissen, nach dem Zeugniß meines Gewissens vor Gott zu wandeln, und Trotz denen, die mir aus lauter Gewissenhaftigkeit, ein Gewissen abzusprechen suchen, alle meine Handlungen so einzurichten beflissen gewesen, daß ich mir, wissentlich, nichts vorzuwerfen haben möchte; so würde mir es, in Betracht der Nichtigkeit menschlicher Dinge, ganz gleichgültig seyn, ob man von mir und meinen Begebenheiten in der Nachwelt was zu sagen wissen würde, oder nicht. Der Trost eines guten Gewissens vor Gott, und das Zeugniß vernünftiger und tugendliebender Menschen, daß ich mich nicht als ein unnüzes Glied der menschlichen Gesellschaft in meinem Leben aufgeführt, würde mir, falls Verstorbene noch einige Empfindung von den Nachreden der Lebenden haben, Zufriedenheit genug verschaffen, mein Leben, nach vollendeten Lauf desselben mit aller Freudigkeit zu beschließen.

§ 2. Da es aber einer höheren Macht, ohn alles mein Denken beliebet, mich im Leben weit bekannter werden zu lassen, als tausend andere, meines gleichen, auch alle bisher vorgefallene Umstände deutlich genug zu erkennen geben, daß man meiner auch nach dem Tode nicht so bald vergessen werde; so habe ich mich, in Betracht der vielfältigen falschen Nachrichten, die man bereits bei meinem Leben, ohne Scheu, in die Welt hinein fliegen lassen, nach langen Widerstreben,[1] endlich nicht entbrechen können, selber etwas von meinem Leben, Handlungen und Schrifften aufzusezen, damit zum wenigsten die, so mich in meinen Umständen aufs genaueste gekennet, und mir selbst, als wahre Freunde, zu vielen meiner Handlungen behülflich gewesen, nach meinem Tode nicht den Vorwurf leiden möchten, daß sie Gesellen eines Mannes gewesen, den der größte Theil der Menschen nicht werth geachtet, daß ihn der Erdboden trage.

§ 3. Ich läugne nicht, daß ich diese Arbeit ungern übernehme, weil ich wider Willen, manches werde sagen müssen, das eben nicht ein jeder gerne hören möchte. Aber weil man mich, so zu reden, beym Haaren darzuziehet, indem man mich eines Theils durchaus Todt haben will, und wohl zehnerley Arten des Todes schon erdacht, die mich den Augen meiner Freunde entrissen haben sollen, auch unter Begünstigung dieser Lügen, kein Bedenken trägt, das allerverlogenste und unstatthafteste Zeug von der Welt unter die Leute zu bringen; andern Theils aber, wenn man ja in einen und andren Umständen noch die Wahrheit trifft, doch in den meisten Andern derselben widerum verfehlet, und bloß nach Maaßgebung desjenigen Leistens von mir raisonniret, nach welchem man selber zugeschnitten: so hat mirs endlich lieb oder leid seyn mögen diß Geschäffte vorzunehmen, es hat doch nicht von mir vermieden werden können, wo ich nicht zugeben wollen, daß sich noch mehr Hungerleider auf mein Conto lustig machen, und endlich so viel lügenhafte Lebensbeschreibungen von mir, in die Welt ausfliegen lassen sollten, als Evangelia von dem Herrn Jesu vorhanden.

§ 4. Es werden mir's also die Herrn Pressen Beschauer, die dergleichen ungegründete Nachrichten, ohne weitere Untersuchung von mir drucken lassen, nicht übel nehmen, wenn ich die merkwürdigsten Umstände meines Lebens, auch ohne ihre Erlaubniß, selber aufseze, und solche dem Schicksale überlasse, das meine übrigen Schriften bisher zum Vorschein gebracht. Dieses mag damit thun, was es will, so wird mir genug seyn, die Wahrheit geschrieben zu haben, wenn sie auch gleich nur unter meinen Freunden verborgen bleiben sollte.2

§ 5. Die Haupt-Ursache, die mich dißmal bewogen, die Feder anzusezen, ist eine kleine Schrifft von drey Bogen, die der Welt mein Leben und Schrifften unter folgenden Titul bekannt zu machen sucht:[2]

Des berichtigten Johann Christian Edelmanns Leben und Schriften, dessen Geburth und Familiae, welcher in Weißenfels gebohren und in Jena Theologiam studiret, solche aber verlassen; dargegen die Spötterey der Christlichen Religion, der heiligen Schrift und der Geistlichkeit ergriffen. Frankfurth 1750 in 8.

Eigentlich kamen diese Blätter schon im vorigen (oder besser zu reden, in eben dem 1749sten) Jahre zum Vorschein, in welchen ich die Feder zu dieser Arbeit angesezt. Es ist mir aber dato der Verfasser derselben noch unbekannt und also kann ich nicht sagen, ob er unter die armen, oder unter die reichen Sünder zu zehlen sey. Ein Sünder ist er gewis, weil er ein Christ ist, und wir werden aus der Betrachtung seiner Schrifft deutlich sehen, daß er diesen heiligen Character männlich zu behaupten weiß.

§ 6. Ich weiß nicht, ob Er das Wort berichtigt, auf dem Titelblatte mit Fleiß, oder aus Versehen, oder aus Unwissenheit, nur mit einem schlechten J drucken lassen: das aber weiß ich gewis, daß ich bisher bin genug berichtet, und dadurch berichtiget, oder deutscher zu reden berechtiget worden, die merkwürdigsten Umständen meines Lebens selber aufzusezen, um dadurch zu zeigen, daß ich mich derselben, in so weit sie mit der Wahrheit übereinkommen, ihres üblen Geruchs wegen weit weniger zu schämen, als irgend ein Biblischer Heiliger, sonderlich der H. David der seinigen, indem er aus leicht zu errathenden Ursachen, von sich selber bekennet, daß seine Wunden vor seiner Thorheit gestunken hätten.

Es ist ein Glück vor mich, daß diejenigen, die mich so vielfältig berochen haben wollen, mich so weit noch nicht haben berichtigen können, man solte sonst wohl sehen, daß man mich dem H. David eben nicht an die Seite gesetzet haben würde, doch ich begehre eine so stinckigte Ehre auch im geringsten nicht, sondern lasse mir genügen, daß meine Beriecher selber schon so kräftig stincken, daß man ihnen gern ausweicht, wenn sie unverhofft zu nahe kommen. Wer ist mehr berüchtiget, als diese heilige arme Sünder-Gesellschaft? Sind das nicht ihre Brüder und Glaubens-Genossen, die den lieblichen Geruch ihrer Heiligkeit noch am Galgen und auf den Rädern ausduften? Man urtheile also von ihren zurückgelassenen, und bis zum Rabenstein getreuen Freunden, so wird man finden, daß sich gleich und gleich gerne noch weiter gesellen würde, wenn die Gerechtigkeit nicht zur Sicherheit der menschlichen Gesellschaft eine Trennung verursachte.

§ 7. Aber wo gerathe ich hin? Was habe ich unter diesen Heiligen zu thun? Ich, der ich nicht werth bin, mich den geringsten, geschweige mit dem h. Paulo, den vornehmsten unter den Sündern[3] zu nennen? Verzeihet, geliebte Sünder, dem Unvermögen, das mir mein Schöpfer, Ihn zu beleidigen, beygeleget hat. Ich erkenne, daß ich zu wenig bin, es Euch in diesem Stücke gleich zu thun: Aber da ihr einen so großen Vorzug vor mir besizet, so dünkt mir, ihr verkleinert denselben, wenn ihr mich einen berüchtigten nennt. Denn es kann euch ja aus h. Schrift nicht unbekannt seyn, daß der bekannte Mörder Barrabas, Euer würdiger Bruder, da Er doch nur einen Menschen ermordet, von dem heil. Geiste vor einen fast rüchtigen Menschen erkläret wird. Nun ist ja, seit mehr als anderthalbtausend Jahren, Weltbekannt, daß ihr nicht allein, nach dem Exempel dieses eures Bruders, viele tausend Menschen, ums Glaubens Willen, um das Leben gebracht, sondern ihr scheuet euch auch nicht auf den heutigen Tag noch zu bekennen, daß ihr euren Gott ermordet, wenn ihr singet:


Was ist die Ursach aller solcher Plagen?

Ach! meine Sünden haben Dich geschlagen.

Ich, ach Herr Jesu, habe dis verschuldet,

Was Du erdultet.


Da also unter allen Völkern, die jemals auf Erden gelebet, noch keins so weit berüchtiget worden, daß es seinen Gott ums Leben gebracht haben sollte, so scheinet ihr eurem Vorzuge allerdings nichts geringes zu vergeben, wenn ihr einem einzelnen Freygeiste, der nicht einmal in Willens hat, seinen Gott nur im mindesten zu beleidigen, den Titul eines berüchtigten beyleget; Es ist glaublich, daß diese Benennung, von Leuten unter Euch herkomme, die ihre eigene Vortrefflichkeit noch nicht kennen: Mir aber will gebühren einem jeden das seine zu lassen, deswegen begebe ich mich hiemit willig eines Tituls der mir nicht gebühret, und erkenne ohne Complimenten, daß er Euch allein κατ᾽ ἐξοχὴν und vorzüglich vor andern berüchtigten zukomme. Es wird es auch der Augenschein bald geben, wenn ich in dem Verfolg meiner Begebenheiten bald zeigen werde, daß ich gar nichts unternommen, was mich eines solchen Vorzugs würdig machen könnte.

§ 8. Es würde diese Arbeit zwar freilich in einer ganz andern Gestalt erschienen seyn, wenn ich mit derselben nach meiner eigenen Einrichtung hätte verfahren können: da ich mir aber, um die Unrichtigkeit oben erwähnter Schrift desto besser widerlegen zu können, den Plan zum Muster sezen müssen, den der Verfasser derselben beliebet, so wird man vorlieb nehmen, wenn ich sie so gut liefere, als sie nach obiger Vorschrift hat gerathen wollen.

§ 9. Ich will mich bei dem Titul derselben nicht weiter aufhalten,[4] sonst könnte ich, in Ansehung der mir schuld gegebenen Spötterey der Christlichen Religion, zeigen, daß ich theils mit denen, die diese Gemüthsstellung an mir tadeln, einerley Handlung verrichtet, wenn die Rede von Verspottung anderer Religionen ist, die sie bisweilen noch ärger durch die Hechel ziehen, als ich die Christliche, theils könnte ich darthun, daß ich an der Christlichen auch nichts weiter verspottet, als den Aberglauben derselben. Hingegen die Liebe, worzu sie mit so großer Parade ermahnet, aber nicht ausübet, und ohne welche doch keine Religion einiger Betrachtung werth, aus allen meinen Kräften zu erheben und aufrecht zu halten gesucht. Es wird aber bey Beleuchtung mehr erwähnter Blätter, schon an Ort und Stelle etwas umständlicher von dieser Materie zu sprechen seyn, und also wende ich mich, ohne weiteren Umschweif, zur Untersuchung derselben. Der Text davon lautet, nach Maaßgebung des Verfassers, von Wort zu Wort, wie folget.

Fußnoten

1 Der Ausdruck scheint nicht so stark genommen werden zu müssen, wenigstens hat Edelmann uns kein Beispiel davon erzählt.


2 Edelmann durfte nämlich während seines Aufenthalts in Berlin nichts drucken lassen.


Quelle:
Edelmann, Johann Christian: Selbstbiographie. Berlin 1849 (Faksimile-Nachdruck Stuttgart, Bad Cannstatt 1976).
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Selbstbiographie
Joh. Chr. Edelmann's Selbstbiographie Geschrieben 1752: Herausg. Von C. R. W. Klose (German Edition)
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