Der Glanzpunkt im weiblichen Leben und das rechte Benehmen in ihm.

[134] »Freudvoll und leidvoll,

Gedankenvoll sein,

Hangen und bangen

In schwebender Pein,

Himmelhoch jauchzen,

Zum Tode betrübt,

Glücklich allein ist

Die Seele, die liebt.«

Goethe.


Wir sind hier zu dem Zeitpunkt im Leben der Jungfrau gekommen, welcher wohl mit Recht als der wichtigste und bedeutungsvollste bezeichnet wird, denn es hängt in den meisten Fällen von ihm das Glück ihrer ganzen Zukunft, das Wohl und Wehe ihres Lebens ab. Ich meine das Erwachen der Liebe im jungen Herzen!

Freundschaft entsteht und verbindet sich nach und nach im milden Glanz des innigen Vertrauens, die Liebe aber entsteht oft plötzlich im Herzen und bindet zwei verwandte Seelen im ersten Augenblick des Sehens und Nähertretens für die Ewigkeit.


»Die Liebe bricht herein wie Wetterblitzen,

Die Freundschaft kommt wie dämmernd Mondenlicht;

Die Liebe will erwerben und besitzen,

Die Freundschaft opfert, doch sie fordert nicht.«

Emanuel Geibel.


Die wahre Liebe entsteht nur zwischen zwei Herzen, die sich gegenseitig finden, die sich in näherer Verbindung,[134] in gegenseitigem Kennenlernen immer fester vereinigen und sich veredelnd ergänzen. Glückliche Liebe ist der Lichtpunkt, ist die Wonnezeit des weiblichen Daseins. Sie hebt das Herz zu Gott empor, sie erweckt neue, bisher ungeahnte, heilige Gefühle in ihm, sie verschönt nicht bloß das Innere, sondern auch die äußere Erscheinung, gibt Zeugnis von dem göttlichen Strahl, der sich herabgesenkt auf eine dafür empfängliche Menschenseele. Aus dem seelenvollen Blick des Auges leuchtet der innere Jubel, die volle Seligkeit des Herzens macht sich Luft in beredter Sprache; wie so manches der Prosa sonst gehörende Mädchenherz wird poetisch, wird empfänglich für die Poesie der Dichter, eine stille, seelenvolle Verklärung verbreitet sich über das ganze Wesen derjenigen, welche der Liebe zum erstenmal ihr noch unschuldvolles Herz erschließt.

Das ist nicht die rechte Liebe, die das Herz eng und egoistisch macht, die es nur in dem erwählten Gegenstand allein sein Glück finden läßt. Die Liebe soll wie das Sonnenlicht sein; tausend neue, bisher ungekannte Knospen und Triebe sollen sich erschließen im Herzen der Jungfrau durch ihren Glanz, und mit um so zarterer, von ihren Strahlen durchwärmter Glut soll sie nicht engherzig nur einzig und allein den geliebten Gegenstand umschließen, sondern für Eltern und Geschwister, für Verwandte und Freunde frische, neu angeregte Zuneigung empfinden.

Ach, aber nicht immer weckt schon ein warmer Strahl der Sonne diese Rosen der Liebe im Mädchenherzen auf. Auch über den Himmel einer jungen Mädchenseele, den die Liebe erhellte, ziehen oft trübe Wolken und Ungewitter und zerstören das knospende Leben und knicken die zarten Blüten einer ersten liebevollen Neigung.

Möge es dann ein stiller Schmerz sein, den sie trägt, möge er ihr Leben nicht verbittern, sondern im Gegenteil eine veredelnde Kraft an ihr vollbringen. Kein tiefes Gemüt wird eine früh verblühte Neigung je vergessen, es wird die Erinnerung an ihre glücklichen Stunden mit hineinnehmen in spätere Jahre, ein schönes golddurchleuchtetes Morgenrot, das wohl am Himmel des Lebens erloschen ist, aber im Herzen sanft leuchtend fortlebt.
[135]

»Was vergangen, kehrt nicht wieder,

Ging es aber leuchtend nieder,

Leuchtet's immer noch zurück.«


Und wie so manches Herz, das später in glücklicher Harmonie seine Lebensaufgaben findet und löst, spricht dennoch in der Erinnerung an seine erste Jugendliebe Victor von Scheffels Worte nach:


»Behüt' dich Gott, es wär' zu schön gewesen,

Behüt' dich Gott, es hat nicht sollen sein.« –


Der Mann ist der Handelnde, er darf suchen und wählen, darum läßt er die Jungfrau auch oft lange in Ungewißheit darüber, ob seine Neigung für sie auch eine dauernde sei; er prüft sich selbst; wenn er es ernst meint und die hohe Wichtigkeit der entscheidenden Lebensfrage erkannt hat, so geht er mit seinem Herzen zu Rate, ehe er spricht.

In stiller, stummer Resignation stehe die Jungfrau vor ihm; selbst wenn sie die innigste Liebe für ihn fühlen sollte, verrate sie ihm dieselbe nicht, enthülle sie ihre mädchenhaften Gefühle nicht seinem Blick. Wenn sie so unbedacht ist, es zu thun, wird sie ihn dadurch eher abstoßen als anziehen, denn kein Mann heiratet ein Mädchen aus Mitleid. Wenn er eine Neigung in ihr entdeckt, die in seinem Herzen für sie entweder gar nicht vorhanden oder noch nicht in ihm zur Reise und Entscheidung gekommen ist, wird der ehrenwerte Mann sich von ihr zurückziehen, ihr auf zarte, schonende Weise zu verstehen geben, daß sie nicht zu hoffen hat.

Sie ertrage dann ihre Täuschung mit der ganzen Würde ihres Geschlechtes, sie rufe den rechten Stolz zu Hilfe und besiege mit ihm den Schmerz der bitteren Entsagung, sie lasse den Gegenstand ihrer Liebe selbst, sie lasse ebensowenig die gesellschaftlichen Kreise, in denen sie sich bewegt, es ahnen, wie tief er ihr geht.

Es gibt auch unedle Männer, die mit einem Mädchenherzen ihr Spiel treiben, die es immer wieder durch Zeichen der Zuneigung an sich zu fesseln suchen, um es dann wieder loszulassen.

Hat man in solcher Herzlosigkeit an euch gefrevelt, meine Jungfrauen, und wird euch diese Grausamkeit klar,[136] der ihr schöne Träume zum Opfer gebracht, habt dann selbst die Kraft, euch von ihnen loszureißen, zeigt dann dem Manne im stolzen Bewußtsein weiblicher Hoheit, daß er euer nicht wert ist.

Aber auch wenn der Mann von dem sittlichen Ernst seiner Neigung durchdrungen ist, gibt es oft zwingende Verhältnisse, die ihn lange zurückhalten von der Bewerbung um die Hand einer Dame. Ost vergehen Monate, oft auch sogar Jahre der Ungewißheit, in denen das Herz, freudvoll und leidvoll bewegt, hofft und zagt, glaubt und fürchtet, bis endlich unter Hangen und Bangen der beglückende Tag der Entscheidung naht und die durch lange Trübsal nur noch fester vereinigten Herzen sich zum ewigen Bunde zusammenfinden.

Jede selbstsüchtige Regung soll weichen vor dem veredelnden Gefühl echter Liebe. Die Liebe will opfern, sie will geben, nicht empfangen, sie hat keinen Eigenwillen, sie möchte alle Tugenden besitzen, um sich des geliebten Gegenstandes wert zu machen, ihre weibliche Hingebung demütigt sich in nachgiebigem Sinn vor dem Geliebten.

Nicht wichtig genug könnt ihr sie aufnehmen, meine teuren jungen Freundinnen, diese Blütezeit der Liebe.

Der Friede eures Herzens, euer Lebensschicksal hängt von der Wahl des Lebensgefährten ab, den ihr erwählt.

Ihr gebt schöne, euch lieb und vertraut gewordene Verhältnisse auf, ihr verlaßt Eltern und Geschwister, ihr folgt dem Gatten, ihr geht an seiner Seite oft hinaus in die weite Ferne, in ganz neue, unbekannte Verhältnisse tretet ihr ein. Wohl glaubt ihr mit Recht, daß andere durch die Liebe geheiligte Freuden euch dort erwarten, aber ihr dürft auch der Sorgen nicht vergessen, die der wichtige Lebensabschnitt mit sich bringen wird, und die der treue Gatte wohl mit euch gemeinsam tragen, euch aber nicht davor schützen kann. Laßt nicht äußere, weltliche Beweggründe euch verführen bei der Wahl eines Gatten; fragt zuerst danach, ob er Kraft und den rechten Willen dazu hat, mit euch den Lebensweg zu wandeln, der zu Gott führt.

Schönheit und Reichtum sind vergängliche Güter. Irdischer Besitz ist eine schöne Mitgabe, man kann sich die äußere Umgebung mit seiner Hilfe leichter und lieblicher[137] gestalten, aber zum inneren Glück, zum Frieden einer gottseligen Ehe kann er nichts beitragen. Ein leichtsinniger, treuloser Gatte, und besäße er alle Schätze der Welt, kann eine liebende Gattin nicht glücklich machen. Sie vertraut ihm nicht bloß ihr irdisches Lebensglück, sie gibt nicht bloß äußerlich ihren Namen an ihn hin, um fortan den seinen zu führen, sie stellt auch ihre unsterbliche Seele unter seinen Einfluß.

Die Liebe kann hohe, segensreiche Gefühle in euch wecken, heilige Tugenden in euch entfalten, aber euch auch in Irrtümer und Sünden hineinführen, die zu eurem zeit lichen und ewigen Verderben beitragen.

Möchten doch diese ernsten Gedanken sich zuweilen in euer Herz senken, meine lieben, jungen Freundinnen, wenn ihr euch in allzu sorgloser Fröhlichkeit dem Wonnetraum eurer Neigung hingebt. Sie sollen ihn nicht verdüstern; jedes treue Gemüt wird ihn euch ja gern in vollen Zügen trinken lassen, den berauschenden Becher der Liebe, aber der Sinn soll geheiligt und verklärt werden durch ernst mahnenden Zuruf; Kraft und Mut sollt ihr gewinnen in der Ueberzeugung, daß dem fröhlichen Rausch die ernsten Taae folgen, die nicht ausbleiben, auch in dem glücklichsten Leben nicht! –

Das äußere Benehmen der sein gebildeten Jungfrau dem Gegenstand einer stillen Neigung gegenüber bewege sich zart und wohlanständig in den erlaubten Formen angemessener Schicklichkeit. Hier, in dem Fall besonders, wo das Herz sie treibt, sich dem Mann liebenswert zu zeigen, den sie gewinnen möchte, vermeide sie jeden Schein von Koketterie, gebe sie sich in seinem Beisein so harmlos, so natürlich wie möglich; sie verscheuche ihn auch nicht durch unzeitige Schüchternheit oder versuche es, unter kalt abweisender oder wohl gar mürrischer Außenseite die Gefühle des Herzens zu verbergen. All diese unnatürlichen Versuche werden ihn eher von ihr entfernen als anziehen. Sie suche seine Nähe nicht auffallend und geflissentlich, sie lasse sich im Gegenteil von ihm suchen, denn der Mann will nicht, daß ihm die Jungfrau das Werben um sich allzusehr erleichtert; er begehrt weibliche Zurückhaltung, und mädchenhafte Schüchternheit entzückt ihn.[138]

Ein Mädchen, daß sich schon vor der Verlobung von ihrem Bewerber oft küssen läßt, verliert leicht seine Achtung; es gibt so viele andere beredte Zeichen, welche die Brücke bilden, auf der sich liebende Herzen begegnen. Eine selbstgepflückte Blume hat ihre beredte Sprache, ein bedeutungsvoller Blick non Auge zu Auge, ein tiefgefühlter Händedruck sind Boten der stummen Gefühle, welche es noch nicht wagen, sich in ausgesprochenen Worten zu offenbaren.

Wie recht hat Jean Paul, wenn er schreibt:

»Wer kann es sagen, warum der Druck einer geliebten Hand mehr innige Zauberwärme in die Seele sendet als selber ein Kuß, wenn nicht etwa die Einfachheit, Unschuld und Festigkeit des Zeichens es thut.«

Auch im Vertrauen ihrer Herzensneigung an andere sei die gebildete Jungfrau sehr vorsichtig. Daß sie ihre erwachenden Gefühle in das Herz einer treuen Mutter, einer liebenden Pflegerin ergießt, welche an ihr Mutterstelle vertreten hat, wie gut steht ihr dies an, und wohl ihr, wenn gerade in diesem wichtigsten, entscheidungsreichsten Zeitpunkt ihres Lebens ältere, erfahrene Personen ihr ratend und warnend zur Seite stehen.

Sehr oft haben aber junge Freundinnen nicht die rechte diskrete Art und Weise, ein Verhältnis zart und schonend zu teilen, das noch in der Knospe schlummert, das noch nicht sich zur gereiften Blüte entfaltet hat. Wie sehr oft haben neugierige Blicke und Fragen, haben unzeitige, voreilige Neckereien dazu beigetragen, eine noch unausgesprochene Neigung gänzlich zu zerstören.

Also auch hierin Vorsicht, meine jungen Damen. Vertraut euch, wenn das volle Herz es nicht lassen kann, etwa der liebsten, der bewährten Freundin, aber laßt ja nicht eine jede, mit der ihr im freundschaftlichem Verkehr steht, in euer Inneres blicken; prüft lieber zuerst, ob sie auch geeignet dazu ist, das mit euch zu empfinden und noch als ein Geheimnis zu bewahren, was jetzt euer höchstes Gut ist.

Prüft auch das eigene Herz, ich kann es euch nicht dringend genug sagen, prüft es täglich vor Gott, ob der erwählte Gegenstand eurer Neigung auch der rechte, würdige sei, und wenn ihr es glaubt, daß die reine, lautere, echt[139] weibliche Liebe zu ihm es ist, die euch beseelt, wenn ihr ihn als würdig zu erkennen meint, so erwartet im frommen, demütigen Ernst die Entscheidungsstunde, erwartet sie von der Lippe des Geliebten, die heilige Frage, welche er an euer Herz thun wird, und es sage dann das eure mit den herrlichen Worten Ruths (Kap. 1, 16–17):

»Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch.

Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.

Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben sein.«

Quelle:
Ernst, Clara: Der Jungfrau feines und taktvolles Benehmen im häuslichen, gesellschaftlichen und öffentlichen Leben. Mülheim 3[o.J.]., S. 134-140.
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