An öffentlichen Orten.

[165] Es giebt selbst unter den höheren und gebildeteren Ständen Menschen, welche glauben, an öffentlichen Orten könnten sie sich von dem Zwange freisprechen, den sie sich in Gesellschaften durch die Beobachtung der Anstandsregeln auferlegen müssen. Namentlich findet man unter den jüngeren Männern diese Meinung verbreitet und sie lassen sich dadurch zu einer Ungezwungenheit verleiten, die nicht selten in Ungezügeltheit ausartet und von ihrer Erziehung und Bildung einen sehr nachtheiligen Begriff giebt.

Kann man sich auch natürlich an öffentlichen Orten in Beziehung auf seine Umgebungen mehr Freiheit gestatten, als in einem geschlossenen Gesellschaftskreise, so darf man doch die Vorschriften des guten Tones und der feinen Lebensart nie ganz aus den Augen setzen, oder man darf sich nicht darüber beschweren, wenn man seinem Stande nach für so gemein und ungebildet gehalten wird, als man sich seinem Benehmen nach zeigt.

Gegen die Personen, mit denen man durch Wahl oder Zufall an öffentlichen Orten Tischgenosse ist, hat man sich in jeder Beziehung ganz so aufzuführen, als ob man mit ihnen in einer Gesellschaft wäre, und hier besonders zeigt sich der Mann von Lebensart durch die Ungezwungenheit und Natürlichkeit seiner Artigkeit gegen die Herren und seiner Galanterie gegen die Damen. Wir halten es daher nicht für nöthig, hier für einzelne Fälle und Beispiele Regeln aufzustellen; denn was in den einzelnen Abschnitten unserer kleinen Schrift gesagt ist, das findet hier auf eine oder die andere Weise seine Anwendung.

Quelle:
Fresne, Baronesse de: Maximen der wahren Eleganz und Noblesse in Haus, Gesellschaft und Welt. Weimar 1859, S. 165-166.
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