Ein Gymnasiast an seinen Vater.

[155] Mein geliebter Vater!


Obgleich ich von Dir entfernt bin, kann ich doch Deinen Geburtstag1 nicht vergessen. Dieser Tag, der sonst für mich immer ein solcher Freudentag war und der so viele heitere und glückliche Erinnerungen in mir erweckt, wird mir dießmal, wo ich ihn außerhalb des theuren Familienkreises zubringen muß, recht traurig vergehen.

Vergieb mir, mein theurer Vater, diesen gewiß sehr verzeihlichen Schmerz! Ist es doch Deine Zärtlichkeit für mich, die ihn mir bereitet, denn ich bin betrübt darüber, Dir nicht mündlich sagen zu können, wie innig ich Dich liebe. Aber meine Studien halten mich fern von Dir und die Vernunft muß die Gefühle meines Herzens schweigen heißen. Ich werde Dir daher erst in den Ferien meinen Glückwunsch darbringen. Ich will mich darauf durch verdoppelten Fleiß vorbereiten und dahin streben, Dir eine Prämie mitbringen zu können; ich bin überzeugt, daß dieß das liebste Geschenk ist, das ich Dir machen kann. In Erwartung dieses glücklichen Tages nimm, mein geliebter Vater, die Versicherungen meiner innigsten Anhänglichkeit freundlich auf von

Deinem

gehorsamen Sohne

K.

Fußnoten

1 Für Geburtstag kann jederzeit auch Namenstag gesetzt werden, wo dieser und nicht jener gefeiert wird.


Quelle:
Fresne, Baronesse de: Maximen der wahren Eleganz und Noblesse in Haus, Gesellschaft und Welt. Weimar 1859.
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