[139] Wenn man durch seine Geburt, durch sein Amt, oder durch seine Verdienste an den Hof berufen oder bei irgend einer Gelegenheit seinem Monarchen oder irgend einem Mitgliede von dessen Familie, oder auch einem fremden Fürsten, vorgestellt wird, muß man mit der ängstlichsten Pünktlichkeit, ja mit einer gewissenhaften Genauigkeit, alle Vorschriften der Etikette befolgen, welche noch heutzutage an manchen Höfen mit der größten Strenge beobachtet wird, obgleich an andern Höfen und namentlich bei gewöhnlichen Gelegenheiten, in dieser Beziehung eine beinahe bürgerliche Freiheit herrscht.
Der Ceremonienmeister oder der Hofmarschall, welchem die Vorstellung obliegt, wird es zwar an ausführlichen Instructionen nicht fehlen lassen, denn diese Herren sind zu sehr von der Wichtigkeit alles Dessen überzeugt, was in ihr Departement einschlägt; allein der gänzliche Neuling könnte sich unmöglich auf einmalige Unterweisung alles Das merken, was ihm eingeschärft wird, und wir halten es daher für zweckmäßig, hier schon vorläufig einige Winke zu geben.
Vor der hohen Person, welcher man präsentirt wird, sind drei Reverenzen zu machen.
Die Haltung, sowie die ganze Person, bezeichne die Ehrerbietung, welche man vor seinem Fürsten, dem Beherrscher seines Vaterlandes, hat.[139]
Man darf den Monarchen nie mit Sie anreden, sondern stets nur mit Ew. Majestät oder dem entsprechenden anderweitigen Titel, Hoheit, Durchlaucht etc.
Wenn man mit seinem Fürsten spricht, darf man die Handschuhe eben so wenig anbehalten, wie in der Kirche.
In den höchsten Regionen der menschlichen Gesellschaft muß man es mehr, als irgendwo anders, verstehen, artig, höflich und anständig zu sein. Man muß daher viel beobachten, wenig sprechen, im höchsten Grade bescheiden, verschwiegen und zuverlässig sein, darf aber nicht glauben, durch übertriebene Schmeicheleien seine Huldigung darbringen zu können.
Wird man einem regiereuden Fürsten oder einem Prinzen aus regierendem Hause präsentirt, so darf man nie zuerst das Wort ergreifen, sondern man muß abwarten, bis man angeredet wird, und sich dann auf die geforderten Antworten oder die allernothwendigsten Auskünfte und Auseinandersetzungen beschränken.
Wird man nach dem Gespräche durch eine Bewegung des Kopfes oder der Hand entlassen, so muß man sich von der hohen Person entfernen, ohne derselben den Rücken zu zeigen.
Bei Hofbällen oder andern Hoffesten muß man die üblichen Toilettevorschriften genau befolgen, und wenn man damit an einem fremden Hofe nicht vertraut ist, sich genau danach erkundigen.
Die Gesetze der Etikette sind nirgend strenger zu beobachten, als in den höchsten Regionen, die dem Hofe nahe stehen, wenn sie auch nicht unmittelbar selbst ihn bilden, und begeht man hier Verstöße dagegen, so kann man sich dadurch leicht seine Carriêre für die ganze Lebenszeit verscherzen. Wer in den feinen Kreisen nur einmal sich mit solcher Ungeschicklichkeit oder so unpassend benimmt, daß man geneigt ist, ihn für einen Tölpel, einen Bauer zu halten, dem wird es außerordentlich schwer, oft sogar ganz unmöglich werden, sich wieder zu rehabilitiren. Wer daher dem Zwange der Etikette nur seltener[140] sich unterwerfen muß und dieß deßhalb nur mit Widerstreben thut, vielleicht weil ihm manche der Gebräuche als lächerlich erscheinen, der füge sich gleichwohl aus Lebensklugheit und tröste sich dabei mit dem Sprichwort:
Unter den Wölfen muß man mit heulen.