18) Der Lästerer und der Verleumder.

[87] Die Lästersucht setzt den Menschen, selbst wenn er der guten Gesellschaft angehört, zu dem Range eines schwatzhaften, gemeinen Weibes herab.

Leider ist dessenungeachtet die Lästersucht in der Welt nur zu verbreitet, und auch die gebildeteren Stände sind davon nicht frei, ja, man möchte beinahe sagen, daß sie sogar vorzugsweise an diesem Gebrechen leiden, da Lästersucht ohne einen gewissen Grad der Bildung zur nackten Verleumdung wird.

Man suche sich immer so spät als möglich aus einer gemischten Gesellschaft zu entfernen, denn dieß ist das einzige, obgleich immer noch nicht vollkommen sichere Mittel, der Lästersucht der Zurückbleibenden zur Nahrung zu dienen.

Daß man die Lästersucht in der Gesellschaft duldet, kömmt daher, weil sie die Boshaften ebenso unterhält, wie die Dummköpfe.

Es giebt keine schlimmere Lästersucht als die, welche sich unter dem Scheine der Güte oder des Mitleids verbirgt.

»Der gute Herr N.N.«, beginnt der gutmüthige Lästerer, »er thut mir außerordentlich leid, denn ich schätze und liebe ihn wahrhaft; aber sollten Sie wohl glauben, daß« – und nun hat die Lästerung ihren freien Lauf.

Ein Ehrenmann glaubt das Böse von Andern erst dann, wenn er darüber Gewißheit oder Ueberzeugung[87] erlangt hat, und selbst in diesem Falle wird er es lieber verschweigen, als weiter zu verbreiten bemüht sein.

Nichts trägt zur Verderbniß der Gesellschaft mehr bei, als die Duldung der Lästersucht, und dieß gilt sowohl von der Gesellschaft im Allgemeinen, als von einzelnen geselligen Kreisen.

Es giebt Leute, welche nur deßhalb lästern, weil sie ihre Zunge nicht im Zaume zu halten wissen, und die dabei weit entfernt sind, das Uebel zu ahnen, das sie anstiften können. Man könnte glauben, sie hätten sich vorgenommen, für boshaft zu gelten, obgleich sie es in der That nicht sind.

Die Lästersucht ist in der Regel die Tochter des Müssigganges und der Unwissenheit. Ein thätiger Mensch wird etwas Besseres zu thun wissen, als seine Zeit zu Lästerungen zu verwenden, und ein Mensch von Geist und Kenntnissen findet die Lästersucht, zu welcher weder der Eine, noch die Anderen erforderlich sind, unter seiner Würde.

Die Verleumdung ist mit der Lästerung nahe verwandt, aber die schlimmere Schwester von Beiden; denn während die Lästersucht sich mehr an die Wahrheit hält, macht die Verleumdung sich kein Gewissen daraus, bis zur Verzerrung zu entstellen, oder sogar zu erfinden, wenn sich kein wirklicher Stoff bietet.

Der Verleumder ist daher ein Nichtswürdiger, den man überall fortjagt, wo man ihm die gleißnerische Larve vom Gesichte gezogen hat.

Die Verleumdung ist ein moralischer Meuchelmord, wer aber möchte in seinem Umgange einen Meuchelmörder dulden?

Ein Bandit tödtet durch einen Dolchstoß, ein Verleumder aber ermordet durch die Stiche seiner Zunge. Der Unterschied ist in dem Erfolge oft nicht groß; der Bandit aber bedarf zu seiner Mordthat des Muthes und er kann dafür zur Strafe gezogen werden; der Verleumder dagegen tödtet feig aus dem Hinterhalte und geht straffrei aus.[88]

Quelle:
Fresne, Baronesse de: Maximen der wahren Eleganz und Noblesse in Haus, Gesellschaft und Welt. Weimar 1859, S. 87-89.
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