Viertes Kapitel.
[209] Festvorstellungen. – Der maskierte »Maskenball«. – Ballette eigener Komposition. – Immermann. – Graffs Jubiläum. – Schillerfest in Stuttgart.

Eine gute alte Sitte, die sich in Weimar fortgepflanzt hatte, war, die Geburtstage des Herrscherpaares durch neue dramatische Werke im Theater zu feiern; dadurch wurde auch dem Publikum die erwünschte Gelegenheit geboten, den Hochverehrten Huldigung und Liebe durch freudigen Zuruf auszudrücken. Schiller und Goethe traten fast stets an solchen Tagen mit neuen Werken hervor. Später mußte man zu fremden Schöpfungen greifen, und die Wahl war für die Intendanz und Regie keine leichte Aufgabe, um so schwerer, als die beiden Geburtstage so dicht aufeinander folgten; der Karl Friedrichs fiel auf den 2., der seiner Gemahlin[209] auf den 16. Februar. Bisher hatte man an dem einen ein Schauspiel oder eine leichte komische Oper, an dem andern eine große Oper gegeben. Im Jahre 1836 jedoch kam zum 2. Februar »Das eherne Pferd« und zum 16. »Der Maskenball« unter dem veränderten Titel »Die Ballnacht« zur Aufführung. Letztere bot große Schwierigkeiten dar, denn nichts Geringeres als der ganze tragische Schluß, der Mord Gustavs III., mußte wegen des festlichen Tages und wegen der Gefeierten wegfallen. Mein Kollege Seidel unternahm es, die Umwandlung zu vollbringen, den »Maskenball« gleichsam zu maskieren. Er versetzte die Handlung um ein paar Jahrhunderte zurück und aus Schweden nach Siebenbürgen; Gustav III. wurde in einen Stephan Bathori, Ankarström in Juranicz, Melanie in Elisa umgetauft.

Die Umänderung hatte Hummel sehr wirksam komponiert und darin dem Fürsten ein reizendes Cantabile gegeben. Der Maskenzug und das Ballett bildeten den Schluß der Oper, die solchen Beifall fand, daß sie im ersten Jahre achtmal wiederholt wurde, ein für Weimar außerordentlicher Erfolg. Als Kaiser Nikolaus im Jahre 1838 mit seiner Gemahlin in Weimar verweilte, ließ er sich die Oper dreimal vorführen und wünschte eine Abschrift der Weimarischen Einrichtung für Petersburg, die auch in prachtvollem Einband Sr. Majestät zu Füßen gelegt wurde. Man gratulierte uns bereits zu den goldenen Dosen, die der Kaiser für uns bestimmt hatte, aber sie sind wahrscheinlich die Haupttreppe hinab- und die Hintertreppe wieder hinausgegangen.

Unser Großherzog Karl Friedrich fand Gefallen an kleinen Balletten, und da kein Überfluß an solchen vorhanden war, kam ich dem Wunsch des Intendanten nach und versuchte mich auch in dieser Gattung der Komposition. Das erste dieser Art, was ich schrieb und das man der Handlung nach, welche ich unterlegte, ebenso sehr eine Pantomime nennen[210] konnte, betitelte ich »Ein Stündchen vor dem Maskenballe«. Da es dem Großherzog und dem Publikum gefiel und öfter wiederholt wurde, ließ ich später noch ein zweites folgen: »Nymphe und Schmetterling«, welches ebenfalls günstig aufgenommen wurde.

Immermanns letzte Tragödie »Ghismonda, oder die Opfer des Schweigens« wurde am 16. Juni 1837 zum ersten Male in Weimar aufgeführt. Die Darsteller taten, was in ihren Kräften stand, den Intentionen des Dichters nachzukommen und das treffliche Werk dem Publikum würdig vorzuführen, trotzdem aber konnte das Stück nur einen sogenannten succès d'estime erringen.

Immermann hatte auch mit seinen anderen Tragödien auf der Bühne kein Glück. So erging es seinem »Tal von Ronceval«, das zu Anfang der zwanziger Jahre Regisseur Weidner in Frankfurt eingerichtet und mit größter Liebe und Sorgfalt zur Aufführung gebracht hatte; ja sein in vielem Betracht ganz herrliches Werk »Andreas Hofer« hatte kaum ein besseres Schicksal, obwohl er selbst es später unter dem Titel »Das Trauerspiel in Tirol« eigens für die Bühnenaufführung umarbeitete und man da und dort bis in die neueste Zeit ähnliche Versuche damit gemacht hat. Den besten Erfolg erzielte noch sein allerliebstes, seines Lustspiel »Die schelmische Gräfin«.

Man würde doch wohl unrecht tun, wenn man den Grund dieses Mißlingens nur in der Unempfänglichkeit des Publikums suchen wollte. Immermanns dramatische Werke, obgleich gehaltvoll in ihrem Wesen, sind doch in einer Weise ausgearbeitet und selbst angelegt, welche nur selten und in einzelnen Stellen eine fortreißende Wirkung hervorzubringen vermag. Darum war nicht das Drama, sondern die epische Dichtung das Feld, auf dem Immermanns herrliches Talent sich am freiesten und schönsten entfalten konnte und zum Entzücken[211] des deutschen Volkes auch in seinen Romanen und Epen, zu denen man den tiefsinnigen »Merlin« trotz der dramatischen Form wohl mit rechnen darf, entfaltet hat. Leider nur zu kurze Zeit! War es ihm doch nicht einmal vergönnt, sein unvergleichliches Werk »Tristan und Isolde« zu vollenden!

Im September 1838 erfreute er Weimar mit seinem Besuche. Ich war sehr begierig, den Mann kennen zu lernen, von dessen Theaterleitung in Düsseldorf ich so viel Rühmliches und auch Sonderbares gehört, was mir in späteren Jahren durch seine »Memorabilien« bestätigt wurde. Dort sagt er, daß er seinen Schauspielern die Rollen hätte vorbuchstabieren müssen, wenn er eine gute Vorstellung habe ermöglichen wollen. So arg mag es wohl nicht gewesen sein. Ich gebe zu, daß manche seiner Mitglieder zu früh der Schule entlaufen oder gar nicht hineingegangen sind. Aber er hatte unter seinem Personal auch einen Porth, der mit Recht den Ruf eines tüchtigen Künstlers in ganz Deutschland besaß. Er hat mit jenen Worten wohl nur sagen wollen, daß er die Seele des Ganzen gewesen sei, und das glaubt man ihm gern; aber daß er seinen Geist auf ihn umgebende leere Flaschen tropfenweis gezogen, möchte ich doch bezweifeln. Diese kleine Schwäche des geistvollen Mannes kannte ich damals noch nicht und hatte nur den lebhaften Wunsch, seine persönliche Bekanntschaft zu machen, wozu mir denn auch in dem Hause des Kanzlers Friedrich von Müller Gelegenheit wurde. Hatte mich der Dichter entzückt, so nahm mich jetzt der liebenswürdige joviale Mann durch sein freundliches Wesen und Entgegenkommen nicht minder ein. Er las uns den »Hamlet« vor, und ich muß sagen, daß die Charakteristik des Claudius vollendet war; auch die Auffassung des Hamlet war teilweise sehr gelungen, weniger die des Polonius, den er zu sehr als Spaßmacher, nicht genug als den in höfischer[212] Etikette ergrauten, schmiegsamen, selbstgefälligen, aber seinen und lebensklugen Staatsmann hinstellte. Vortrefflich las er die Totengräberszene.

Im Jahre 1839 besuchte er abermals Weimar und stellte seine junge Frau, die Tochter meines Jugendfreundes Eduard Niemeyer, seinen Weimarischen Freunden vor. Anläßlich dieses Besuches las er bei Friedrich von Müller Shakespeares »Julius Cäsar«. Sein Vortrag erinnerte mich lebhaft an den Goethes, wenn er in der Rhetorik die Lichtpunkte bei seinen Schülern mehr hervorgehoben haben wollte. Immermanns Organ war gewaltig, dabei aber höchst klangvoll; wenn er die ganze Kraft seiner Stimme gebrauchte, klirrten fast die Fenster und manche Zuhörerin von nicht sehr starken Nerven, namentlich auch die junge Frau des Dichters selbst, fuhr erschrocken zusammen.

Wer hätte ahnen können, daß dieser vollkräftige Mann nach kaum einem Jahr ein Raub des Todes sein würde! Und doch war es so. Immermann starb am 25. August 1840.

Die Nachricht von dem Dahinscheiden des Mannes, den wir so hoch verehrten und liebten, schmerzte uns tief. Der Lorbeer, den ihm die Mitwelt um das Haupt geschlungen, wird auch bei der Nachwelt weitergrünen. – –

Der Frühling desselben Jahres brachte uns Schauspielern ein seltenes Fest im Theater. Unser würdiger Veteran Graff, der erste Darsteller des Götz von Berlichingen, Wallenstein, Attinghausen usw., feierte am 10. April 1839 das fünfzigjährige Jubiläum seiner theatralischen Laufbahn. Er hatte dazu den Kriegsrat Dallner in Ifflands »Dienstpflicht« gewählt, und der alte Mann führte seine Aufgabe so kräftig und warm durch, daß er von dem zahlreich versammelten Publikum mit Beifall, Kränzen und Blumen überschüttet wurde. Er war nach Eßlair der beste Dallner, den ich je gesehen. Von unserem gütigen Fürsten wurde er[213] an diesem Freudentage mit der goldenen Verdienstmedaille geschmückt, die Frau Großherzogin ließ ihm ein sehr wertvolles Andenken zustellen, seine Kollegen und Freunde überreichten Liebesgaben. Es war ein Tag der Freude für ihn und uns alle. Er wirkte noch einige Zeit, wenn auch nur in kleinen Rollen, mit, bis er im Jahre 1841 mit der Rolle des Abbe in »Der Taubstumme« von Kotzebue gänzlich von der Bühne Abschied nahm.

Das Jahr 1839 sollte mir und meinem Kollegen Durand die Teilnahme an noch einem Feste bringen, welches man vielleicht nicht mit Unrecht das erste deutsche Nationalfest nennen könnte.

Schillers Statue, von Thorwaldsen modelliert und von Stiglmaier in Erz gegossen, wurde in Stuttgart aufgestellt und am Vorabend seines Todestages, am 8. Mai, enthüllt. Das dortige Schillerkomitee hatte an alle Hof- und großen Stadttheater Einladungen zu dieser Feier ergehen lassen. Durand und mir wurde die Auszeichnung zuteil, vom Großherzog als Deputierte unseres Theaters entsendet zu werden.

Mit einer bedeutenden Summe aus der großherzoglichen Schatulle und einem bequemen Reisewagen aus dem fürstlichen Marstall versehen, fuhren wir am 2. Mai aus Weimars Mauern und bei rauhem Wetter über den zum Teil noch mit Schnee bedeckten Thüringerwald. Im Meininger Tale herrschte dagegen schon der milde Frühling, wir hörten im Schloßgarten die Nachtigallen schlagen, und das Maintal prangte im vollen Blütenschmuck. Wir kamen am 5. Mai in Stuttgart an. Das Schillerkomitee hatte uns im »König von England« ein Zimmer vorbehalten, aus dessen Fenstern wir den größten Teil des Festplatzes übersehen konnten. Mitbewohner unseres Gasthofs waren der Oberförster Karl von Schiller mit seiner Gemahlin und seinem zwölfjährigen Sohne, der Appellationsgerichtsrat Ernst von Schiller mit Frau und[214] Tochter, Herr von Gleichen-Rußwurm, der Schotte Bruce, der Schillers »Don Carlos« ins Englische übertragen hatte und die meisten Dramen Schillers auswendig zu wissen schien; denn so oft jemand den Anfang einer Schillerschen Rede zitierte, brachte er sie ohne Anstoß zu Ende. Er kam mir darin vor wie Zelter, dem es ein Greuel war, wenn eine musikalische Phrase nicht zu Ende gebracht wurde, und der einst, als er hinter einem Berliner Schusterjungen herging, der fort und fort »Schöner grüner, schöner grüner Jungfernkranz« sang und diesen Anfang immer wiederholte, voll Ärger mit seiner Baßstimme einfiel: »veilchenblaue Seide! veilchenblaue Seide!« worauf der Junge sich umdrehte und sagte: »Hör'n Se mal! Wenn Sie den Jungfernkranz singen wollen, fangen Se sich 'n och an!«

Als Vorfeier des Festtags wurden am 6. Mai »Wallensteins Lager« und die »Glocke« mit Musik von Lindpaintner, am 7. »Die Piccolomini« und endlich am 8. »Wallensteins Tod« gegeben. Alle drei Vorstellungen lieferten viel Anerkennungswertes; die schwächste war »Wallensteins Lager«. Man hatte es wirklich ärmlich in Szene gesetzt. Die Introduktion »Es leben die Soldaten«, die Schiller und Goethe kurz vor der ersten Aufführung in Weimar hinzugefügt hatten, blieb weg. Das Reiterlied wurde von nur zwei Sängern gesungen. Der Schauspieler, welcher den ersten Kürassier gab, ging während seiner Reden, die Pickelhaube mit einem großen Federbusch im Arme, an der Front der Soldaten im Proszenium mit gespreizten Schritten auf und ab und machte stets, wenn er die Schlußworte ins Publikum hineingeschleudert hatte, eine Schwenkung nach dem Hintergrunde, um seinen Zweck, die Hände der Zuschauer in Bewegung zu setzen, zu erreichen. Wir trugen allerdings ein anderes Bild dieses Meisterwerks im Herzen, das unser unvergeßlicher Oels uns eingeprägt hatte.[215]

Es war wahrlich höchst betrübend, daß von allen deutschen Theatern nur das Weimarsche bei diesem deutschen Feste vertreten war. Mannheim hatte, wahrscheinlich aus ökonomischen Rücksichten, den Regisseur Moritz in Stuttgart beauftragt, und doch hätte Mannheim es als Ehrenpunkt betrachten sollen, Abgeordnete zu senden, da es den wohlverdienten Ruhm genießt, dem dramatischen Schaffen Schillers die erste Stätte bereitet zu haben.

Der Tag des Festes erschien, an dem die Hülle, die bis dahin das Meisterwerk Thorwaldsens und Stiglmaiers verbarg, fallen sollte. In Courtoilette, mit dem Festband geschmückt, begaben wir uns um 9 Uhr auf den Festplatz, der ja nur wenige Schritte von unserem Gasthofe sich befand. Wir nahmen die für uns bestimmten Plätze, dicht hinter denen der Schillerschen Familie, auf der Ehrentribüne ein, die sich, der Statue gegenüber, an die alte Eberhardsburg (das sogenannte alte Schloß) lehnte. Es war ein erhabener und erfreuender Anblick, die hohen Gebäude, welche ein Viereck bilden, reich mit Draperien, Blüten und Kränzen geschmückt zu sehen, während aus den Fenstern als schönste Blumen schwäbische Frauen blickten. Außerhalb des mit bretternen Schranken abgesperrten Festplatzes wogte eine unabsehbare Menschenmenge.

Als der prächtige Festzug auf dem Platze angekommen und geordnet war, drängte die außenstehende Menge so gewaltsam gegen die Bretterwände an, daß die Gefahr des Erdrückens drohte, aber beherzte Männer hoben die Pfosten aus, und krachend fiel die Scheidewand zu Boden. Das Bürgermilitär wollte dagegen einschreiten, doch ein Schrei der Entrüstung von allen Tribünen untersagte ihm sein Vorhaben.

Um die Kosten des Monuments zu decken, fehlte allerdings noch eine ziemlich hohe Summe; es war also dem[216] Komitee nicht zu verdenken, daß es den Festplatz hatte absperren lassen, um die inneren Plätze mit einem hohen Eintrittsgeld zu belegen; doch die Not und Gefahr entschuldigten die gewaltsame Änderung.

Die Feier begann mit der Festkantate, gedichtet von Möricke, in Musik gesetzt von Lindpaintner. Am Schluß derselben ertönte die große Glocke vom Turm der altehrwürdigen Stiftskirche, und das Geläute der vier Pfarrkirchtürme der Stadt stimmte ein.

Baumeister Trouet führte den zwölfjährigen Enkel Schillers zum Monument. Kaum hatte der Knabe die Rosahülle berührt, so sank sie zu beiden Seiten herab. In diesem Augenblicke brach die Sonne durch den leichtbedeckten Himmel, und ihre Strahlen legten sich um das geneigte lorbeergeschmückte Haupt des Unvergeßlichen. Alle Köpfe der unabsehbaren Menschenmenge entblößten sich, und eine andachtsvolle Stille, die nur von den ehernen Zungen der Glocken unterbrochen wurde, trat auf einige Momente ein; dann aber brach ein unbeschreiblicher Jubel aus, der von Pauken und Trompeten begleitet war. Das Standbild hatte so viel Leben und Wärme, daß wohl der Gedanke wach werden konnte, es müsse die Hand ausstrecken, um sein deutsches Volk, das ihm so zujauchzte, zu segnen.

Das Rittersche von Silcher komponierte Lied »Was schwellt uns heut so hoch die Brust?« wurde von mehr als tausend Sängern angestimmt. Nach Absingung desselben bestieg Gustav Schwab die Stufen des Monuments und hielt eine hinreißende Rede, die bei seinem kräftigen, schönen Organ auf dem ganzen Platze verstanden wurde. Nach dem Schlusse derselben sangen alle Gesangvereine Schwabens das vom Konrektor Pfaff zu Eßlingen gedichtete Lied »Auf, Brüder, auf, beginnt das Fest der Weihe!« worauf Hofrat von Reinbeck an der Spitze des Komitees, ihm gegenüber der Stadtschultheiß[217] Gutbrod mit dem Stadtrat und Bürgerausschuß, die Stufen des Monuments betraten. Ersterer übergab letzterem ein Dokument mit den Worten:


»Dieses Denkmal der Liebe und Verehrung, die für den berühmten und edlen Sohn Württembergs, unsern unsterblichen Schiller, alle Deutschen durchglüht, steht nach jahrelangem Streben jetzt hier auf dem Schauplatze seiner Jugendbildung in seiner und Deutschlands würdiger Gestalt. Es ist dem Verein, der sich die Errichtung desselben zur Aufgabe gemacht hat, von den Herzen der Deutschen anvertraut, und dieser bestimmt es für ewige Zeiten zu einem unveräußerlichen Eigentum unseres geliebten Stuttgart, und ich bin zu der Ehre beauftragt, im Namen des Vereins dasselbe durch gegenwärtige Urkunde den Händen der Väter dieser Stadt zu übergeben, überzeugt, daß sie dieses Denkmal werden nach Würden zu schätzen und zu schützen wissen.«


Nach einer Erwiderung des Stadtschultheißen Gutbrod umgaben zwei Abteilungen Stadtreiter das Monument als Ehrenwache. Dann wurden noch einige Lieder gesungen, worauf die Sänger auf den Marktplatz zogen und sich von dort aus zum Mittagsmahl in ihre Quartiere oder in öffentliche Gärten begaben.

Man sagte uns, daß von der Eberhardsburg aus der König mit seiner Familie der Feier beigewohnt habe.

Beim Festmahl im Museum sprach unter vielen anderen, die ich nicht alle anführen kann, Wolfgang Menzel zum Andenken Schillers und dessen Genius, der Schotte Bruce nannte in seiner Rede Schiller den reinen, fleckenlosen Dichter der Germanen, und Ernst von Schiller sprach folgende Worte:


»Hochverehrte Versammlung, ich spreche im Namen der Familie Schillers, dessen Andenken heute Württemberg,[218] Deutschland feiern; der Familie Schillers, welche im Geiste ihres verewigten Vaters dankbar die Anerkennung seiner Zeitgenossen und seiner Nachwelt erblickt. Diesem herrlichen Lande verdankte Schiller die wirkungsreichen Jahre seiner Jugend, und wenn auch der fernere Beruf ihn seiner Heimat entzog, so hat er doch niemals die innigste Liebe zu seinem Vaterlande verleugnet. Fest und bieder blieb er ein Württemberger, auch dann, als schon das gesamte Deutschland ihn den Seinigen nannte. Württemberger! An Ihrer Spitze steht ein edler König, der, weise in der Regierung seines Landes, auch den Ruhm eines tapfern, eines großen Feldherrn errungen hat. Und eine ansehnliche Reihe bedeutender Männer ziert dieses Land, sie zieren die gegenwärtige Versammlung. Daher sang Schiller mit Recht:


So manchen Mann, so manchen Held,

Im Frieden gut und stark im Feld,

Gebar das Schwabenland.


Es lebe Württembergs König und sein edles Volk.«


In unserem Gasthaus wieder angelangt, sahen wir uns noch die bengalische Beleuchtung des Standbildes aus unseren Fenstern an. Die glänzende Bronze glühte magisch in dem abwechselnden Weiß- und Rotfeuer. Dann gingen wir in den Speisesaal hinab und brachten noch einen köstlichen Abend, der sich bis weit über Mitternacht verlängerte, mit der Schillerschen Familie, Cornelius, Stiglmaier, Bruce, Lindpaintner u.a. zu. Durand rühmte Karl Schiller gegenüber besonders die Reden von Wolfgang Menzel und Gutbrod beim Festessen, nur wäre ihm der Dialekt des letzteren etwas aufgefallen. Karl erwiderte: »Mein Vater, wann er bös war, hat mit uns akkurat so gesprochen.«

An der Statue haben manche das gebeugte Haupt tadeln wollen, mir erscheint es höchst ausdrucksvoll, sinnend und bescheiden.[219] Auch sagte uns Karl Schiller, daß sein Vater oft diese Stellung im Leben angenommen habe.

Nachdem wir noch ein Frühstück eingenommen, bei dem uns Ernst und Karl Schiller Gesellschaft leisteten, und ein Glas auf das liebe Schwabenland und seine herzgewinnenden Bewohner geleert, sagten wir beiden ein herzliches Lebewohl. Karl besuchte mich, so oft er nach Weimar kam, aber Ernst sah ich nie wieder. Bei unserer Abfahrt ließen wir vor Schillers Denkmal halten, um noch einmal des Meisters Standbild zu betrachten und es tief in unsere Seele einzugraben.

Quelle:
Genast, Eduard: Aus Weimars klassischer und nachklassischer Zeit. Erinnerungen eines alten Schauspielers. Stuttgart 1919, S. 209-220.
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