§. [245] 270.

Um nun diese Kraft-Entwickelung am besten zu bewirken, wird ein kleiner Theil der zu dynamisirenden Substanz, etwa Ein Gran, zuerst durch dreistündiges Reiben mit dreimal 100 Gran Milchzucker auf die unten158 angegebne Weise zur millionfachen Pulver-Verdünnung[245] gebracht. Aus Gründen die weiter unten in der Anmerkung angegeben sind, wird zuerst Ein Gran dieses Pulvers in 500 Tropfen eines, aus einem Theile Branntwein und vier Theilen destillirtem Wasser[246] bestehenden Gemisches aufgelöst und hievon ein einziger Tropfen in ein Fläschchen gethan. Hiezu fügt man 100 Tropfen guten Weingeist159 und giebt dann dem, mit seinem Stöpsel zugepfropften Fläschchen, 100 starke Schüttelstöße mit der Hand gegen einen harten, aber elastischen Körper160 geführt. Dies ist die Arznei im ersten Dynamisations-Grade, womit man feine Zucker-Streukügelchen161 erst wohl befeuchtet162, dann schnell auf Fließpapier ausbreitet, trocknet und in einem zugepfropften Gläschen aufbewahrt, mit dem Zeichen des ersten (I) Potenz-Grades.[247] Hievon wird nur ein einziges163 Kügelchen zur weitern Dynamisirung genommen, in ein zweites, neues Fläschchen[248] gethan (mit Einem Tropfen Wasser, um es aufzulösen) und dann mit 100 Tropfen guten Weingeistes auf gleiche Weise, mittels 100 starker Schüttel-Stöße dynamisirt. Mit dieser geistigen Arznei-Flüssigkeit werden wiederum Streukügelchen benetzt, schnell auf Fließpapier ausgebreitet, getrocknet, in einem verstopften Glase vor Hitze und Tageslicht verwahrt und mit dem Zeichen des zweiten Potenz-Grades (II.) versehen. Und so fährt man fort, bis durch gleiche Behandlung Ein aufgelöstes Kügelchen XXIX mit 100 Tropfen Weingeist, mittels 100 Schüttel-Stößen, eine geistige Arznei-Flüssigkeit gebildet hat, wodurch damit befeuchtete und getrocknete Streukügelchen den Dynamisations-Grad XXX erhalten. Durch diese Bearbeitung roher Arznei-Substanzen, entstehen Bereitungen, welche hiedurch erst die volle Fähigkeit erlangen, die leidenden Theile im kranken Organism treffend zu berühren und so durch ähnliche, künstliche Krankheits-Affection dem in ihnen gegenwärtigen Lebensprincipe das Gefühl der natürlichen Krankheit zu entziehen. Durch diese mechanische Bearbeitung, wenn sie nach obiger Lehre gehörig vollführt worden ist, wird bewirkt, daß die, im rohen Zustande sich uns nur als Materie, zuweilen selbst als unarzneiliche Materie darstellende Arznei-Substanz, mittels solcher höhern und höhern Dynamisationen, sich endlich ganz164 zu geistartiger Arznei-Kraft[249] Kraft subtilisirt und umwandelt, welche an sich zwar nun nicht mehr in unsere Sinne fällt, für welche aber das arzneilich gewordene Streukügelchen, schon trocken, weit mehr jedoch in Wasser aufgelöst, der Träger wird und in dieser Verfassung die Heilsamkeit jener unsichtbaren Kraft im kranken Körper beurkundet.


158

Man trägt den dritten Theil von 100 Gran Milchzucker-Pulver in eine glasirte, porcellanene, am Boden mit feinem, feuchtem Sande mattgeriebene Reibeschale und thut dann oben auf dies Pulver Einen Gran von der zu bearbeitenden, gepülverten Arznei-Substanz (Einen Tropfen Quecksilbers, Steinöhls u.s.w.). Der, zur Dynamisation anzuwendende Milchzucker muß von jener vorzüglich reinen Gattung sein, welche an Fäden krystallisirt, in Form rundlicher Stangen zu uns kömmt. Einen Augenblick lang mischt man Arznei und Pulver mittels eines Spatels von Porcellan zusammen und reibt etwa 6, 7 Minuten lang mit dem, unten matt geriebenen, porcellanenen Pistill, die Mischung ziemlich stark; darauf scharrt man vom Boden der Reibeschaale und unten vom ebenfalls unten matt geriebenen Pistill die Masse wohl auf, um sie gleichartig zu machen, binnen etwa 3, 4 Minuten; sechs bis sieben Minuten lang fährt man dann wieder, ohne Zusatz, mit der Reibung in gleicher Stärke fort und scharrt während 3, 4 Minuten vom Boden des Mörsers und unten vom Pistill, das Geriebene auf, worauf man das zweite Drittheil des Milchzuckers hinzuthut, einen Augenblick lang das Ganze mit dem Spatel umrührt, mit gleicher Stärke 6, 7 Minuten lang reibt, darauf etwa 3, 4 Minuten lang wieder aufscharrt, das Reiben 6, 7 Minuten lang ohne Zusatz wiederholt und 3, 4 Minuten lang aufscharrt; ist dies geschehen, so nimmt man das letzte Drittheil Milchzucker, rührt mit dem Spatel um, reibt wieder 6, 7 Minuten lang stark, scharrt während etwa 3, 4 Minuten zusammen und schließt endlich mit der letzten, 6, 7 minütlichen Reibung und sorgfältigsten Einscharrung. Das so bereitete Pulver, wird in einem wohl zugepfropften, vor Sonne und Tageslicht geschützten Fläschchen aufbewahrt, welches man mit dem Namen der Substanz und mit der Aufschrift des ersten Products 100, bezeichnet. Um nun dies Product bis zu 10,000 zu erheben, nimmt man einen Gran des Pulvers /100, trägt ihn mit dem Drittheil von 100 Gran gepülverten Milchzuckers in die Reibeschaale, mischt das Ganze mit dem Spatel zusammen und verfährt dann wie oben angezeigt, indem man jedoch sorgfältig jedes Drittheil zweimal stark verreibt, jedesmal während etwa 6, 7 Minuten und unterdeß während etwa 3, 4 Minuten aufscharrt, bevor man das zweite und letzte Drittheil des Milchzuckers dazuthut. Nach Hinzufügung eines jeden dieser Drittheile, verfährt man auf dieselbe Weise wie zuvor. Wenn alles beendigt ist, thut man das Pulver in ein wohl verpfropftes, mit der Aufschrift /10,000 versehenes Fläschchen. Wenn man nun in derselben Art mit Einem Gran dieses letzten Pulvers verfährt, so erhebt man dasselbe auf I., d.h. auf die millionste Potenz, dergestalt, daß jeder Gran dieses Pulvers den millionsten Theil eines Grans der ursprünglichen Substanz enthält. Demnach erfordert eine solche Pulverbereitung für drei Grade sechsmal 6, 7 Minuten zur Verreibung und sechsmal 3, 4 Minuten zum Aufscharren, was folglich eine Stunde für jeden Grad bedingt. Dann enthält nach der ersten, einstündigen Reibung das Präparat in jedem Grane 1/100, nach der zweiten jeder Gran 1/10,000 und nach der dritten und letzten in jedem Grane 1/1000000 der dazu angewendeten Arzneisubstanz. Mörser, Pistill und Spatel müssen wohl gereinigt sein, ehe die Bereitung einer andern Arznei damit unternommen wird. Mit warmem Wasser woht gewaschen und rein abgetrocknet, werden Mörser, Pistill und Spatel, dann nochmals eine halbe Stunde lang in einem mit Wasser gefüllten Kessel ausgekocht; man müßte denn etwa die Vorsicht so weit treiben wollen, diese Werkzeuge auf Kohlen einer, bis zum Anfang des Glühens gesteigerten Hitze auszusetzen.

159

Womit das Potenzirungs-Fläschchen zu zwei Dritteln angefüllt wird.

160

Etwa auf ein mit Leder eingebundenes Buch.

161

Man läßt sie unter seinen Augen vom Zuckerbäcker aus Stärke-Mehl und Rohr-Zucker verfertigen, und die so verkleinten Streukügelchen mittels der nöthigen Siebe zuerst von den allzu feinen, staubartigen Theilen befreien, dann aber durch einen Durchschlag gehen, dessen Löcher nur solche Kügelchen durchlassen, wovon 100 Einen Gran wiegen, – die brauchbarste Kleinheit für den Bedarf eines homöopathischen Arztes.

162

Man hat ein kleines zylindrisches Gefäß von der Form eines Fingerhutes von Glas, Porcellan oder Silber, mit einer feinen Oeffnung am Boden, worein man die Streukügelchen tut, welche man arzneilich machen will; hierin befeuchtet man sie mit etwas von dem so dynamisirten arzneilichen Weingeiste, rührt sie um, und klopft dann das kleine (umgekehrte) Gefäß, auf das Fließpapier aus, um sie schnell zu trocknen.

163

Als noch nach der anfänglichen Vorschrift immer ein voller Tropfen der Flüssigkeit niedrern Potenz-Grades zu 100 Tropfen Weingeist zum höher Potenziren genommen ward, war dies Verhältniß des Verdünnungs-Mediums zu der, darin zu dynamisirenden Arznei-Menge, (100. zu 1.) viel zu eng beschränkt, als daß eine Menge solcher Schüttel-Schläge, ohne große Gewalt anzuwenden, die Kräfte der angewendeten Arznei-Substanz gehörig und in hohem Grade hätten entwickeln können, wie mich mühsame Versuche davon überzeugt haben. Nimmt man aber ein einziges solches Streukügelchen, wovon 100 einen Gran wiegen, um es mit hundert Tropfen (Weingeist) zu dynamisiren, so wird das Verhältniß wie 1 zu 50,000, ja größer noch, indem 500 solcher Streukügelchen noch nicht völlig Einen Tropfen zu ihrer Befeuchtung annehmen können. Bei diesem ungleich höherm Verhältnisse zwischen Arzneistoff und Verdünnungs-Medium, können viele Schüttel-Schläge des mit Weingeist bis zu 2/3 angefüllten Fläschchens eine bei weitem größere Kraft-Entwickelung hervorbringen. Werden aber bei einem so geringen Verdünnungs-Medium, wie 100. zu 1. der Arznei sehr viele Stöße mittels einer kräftigen Maschine gleichsam eingezwungen, so entstehen Arzneien, welche, vorzüglich in den höhern Dynamisations-Graden, fast augenblicklich, aber mit stürmischer, ja gefährlicher Heftigkeit, besonders auf den schwächlichen Kranken einwirken, ohne dauernde, gelinde Gegenwirkung des Lebensprincips zur Folge zu haben. Die von mir angegebne Weise hingegen, erzeugt Arznei von höchster Kraft-Entwickelung und gelindester Wirkung, die aber, wohl gewählt, alle kranken Punkte heilkräftig berührt. Von diesen weit vollkommner dynamisirten Arzneibereitungen, kann man in acuten Fiebern die kleinen Gaben von den niedrigsten Dynamisations-Graden, selbst der Arzneien von langdauernder Wirkung, (z.B. Belladonne) auch in kurzen Zwischenräumen wiederholen, so wie in Behandlung chronischer Krankheiten am besten mit den niedrigsten Dynamisations-Graden den Anfang machen und wo nöthig, zu den höhern Graden übergehen, den immer kräftiger werdenden, obgleich stets nur gelind wirkenden.

164

Man wird diese Behauptung nicht unwahrscheinlich finden, wenn man erwägt, daß bei dieser Dynamisations-Weise, (deren Präparate ich nach vielen mühsamen Versuchen und Gegen-Versuchen als die kräftigsten und zugleich mildest wirkenden, d.i. als die vollkommensten befunden habe) das Materielle der Arznei sich bei jedem Dynamisations-Grade um 50,000 mal verringert und dennoch unglaublich an Kräftigkeit zunimmt, so daß die fernere Dynamisation der in 125,000,000,000,000,000,000 erst zur dritten Potenz, zum Kubik-Inhalt erhobnen Cardinale, (50,000), wenn man letztere mit sich selbst multiplicirt und so in stetiger Progression bis zum dreißigsten Grade der Dynamisation fortschreitet, einen Bruchtheil giebt, der sich kaum mehr in Zahlen aussprechen lassen würde. Ungemein wahrscheinlich wird es hiedurch, daß die Materie mittels solcher Dynamisationen (Entwickelungen ihres wahren, innern, arzneilichen Wesens) sich zuletzt gänzlich in ihr individuelles geistartiges Wesen auflöse und daher in ihrem rohen Zustande, eigentlich nur als aus diesem unentwickelten geistartigen Wesen bestehend betrachtet werden könne.

Quelle:
Samuel Hahnemann: Organon der Heilkunst. Nach der handschriftlichen Neubearbeitung Hahnemanns für die 6. Auflage, Ulm 1958, S. 245-250.
Lizenz:
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