XVIII. Die Jahre 1812 und 1813.

[213] Während des Sommers 1812 sammelte ich in Weidling die Materialien zu meiner Geschichte der persischen Redekunst aus allen persischen Dichtern, die in der Hofbibliothek, in der der orientalischen Akademie und in der Rzewuskischen erreichbar waren. Ich las persische Dichter aller Klassen von der Schamane angefangen bis zum winzigsten Diwan. Oft stand ich um zwei oder drei Uhr morgens auf und arbeitete täglich regelmäßig zwölf, manchmal vierzehn Stunden.

In diesem Jahre starb meine jüngste, mit Herrn von Fichtenau vermählte Schwester Mimi. Im September kam Herr von Raab mit seiner Frau und meiner Schwester Nani nach Wien, und in den ersten Oktobertagen fuhren wir zusammen nach Graz zu meinem Vater. Dort überließ ich mich den reinen Freuden des väterlichen Hauses, der freundlichen Aufnahme in die Gesellschaft, des Joanneum, der Natur. Die großartige Einrichtung der Lehranstalt und des Lesevereins im Joanneum, wozu Erzherzog Johann die steirischen Landstände vermocht hatte, gab den anderen Ländern und Ständen das Beispiel, ähnliche Einrichtungen ins Leben zu rufen. Ich zollte der Anstalt meine Bewunderung in sieben siebenzeiligen Strophen, welche im ›Aufmerksamen‹ vom 29. Oktober erschienen.[213]

In diesem Jahre wurde ich zum Korrespondenten des französischen Instituts und der Asiatischen Gesellschaft in Kalkutta ernannt. Im Joanneum lernte ich den Archivar Herrn Wartinger kennen, den Verfasser der ›Kurzgefaßten Geschichte der Steiermark‹. Wartinger war der Sohn eines Bauern in Ligist, von schlichtem Äußern und linkischen Manieren; er verleugnete seine Herkunft gar nicht, war aber auch nicht stolz darauf, daß er sich vom Bauern zum Archivar emporgearbeitet hatte. Er prunkte nie mit seinen Kenntnissen und war viel eher geneigt, sein Licht unter den Scheffel zu stellen. Ich besuchte auch den ›Grafen von St. Leu‹, den Exkönig von Holland, der mich zu Tisch lud und mit mir über französische und deutsche Literatur sprach. Er wurde in der deutschen von Professor Schneller unterrichtet und hatte eine Zeitlang den Antiquar Franz Gäscher als Bibliothekar. Der König sprach mit mir auch über Personen der Grazer Gesellschaft, besonders über die des Hauses Purgstall, über Lotti Werner und Adam Müller. Er gab mir ein in Maroquin gebundenes Exemplar seines Romanes ›Marie‹ für die Kaiserin, das ich an sie zu bestellen übernahm, und mir selbst außer einem Exemplar dieses Romanes sein Werk über den Reim im Französischen und seinen nicht glücklich ausgefallenen Versuch ungereimter französischer Verse. Die Gräfin Purgstall und andere Persönlichkeiten der Gesellschaft schilderten den Exkönig als wohltätig, wankelmütig und sehr fleißig, durch sein Benehmen als König und seinen Charakter gewiß der schätzbarste der Brüder Napoleons. Nach Wien zurückgekehrt, entledigte ich mich meines Auftrages an die Kaiserin und schickte den Roman mit einem Brief von mir an den Grafen Sickingen. Er gab den Brief der Kaiserin zu lesen, weil darin einige Bemerkungen über meine Sinekure und über die vom Kaiser mit keinem Merkmale allerhöchsten Wohlwollens ausgezeichnete Widmung der ›Topographischen Ansichten‹ standen.

Bald hernach bot sich mir eine andere Gelegenheit, mich der Kaiserin in Erinnerung zu bringen. Reinhard hatte mir einen Brief Goethes mitgeteilt, worin dieser von dem Glücke, das ihm durch die Huld der Kaiserin in Karlsbad[214] zuteil geworden, begeistert schrieb. Ich teilte diesen Brief dem Grafen Sickingen für die Kaiserin mit und schrieb auch Reinhard darüber. Goethe äußerte sich in der Antwort, daß er, ›wiewohl was immer er an Reinhard schreibe, eigentlich nur zwischen ihnen beiden meine, er ihm doch das einem Dritten gegebene Recht, an dem Briefwechsel, wie etwa an einem Gespräche teilzunehmen, gerne zugestehe‹. Hierauf teilte mir Reinhard eine neue, die Kaiserin betreffende Stelle eines Briefes Goethes mit der ausdrücklichen Bedingung mit, ›daß sie zwischen uns bleibe‹. (Vgl. die Briefe Reinhards im Anhang.) Reinhard war damals französischer Gesandter in Kassel. Im Dezember war ich wieder in der Stadt und steckte tief in gewohnter Arbeit. Wieder versuchte ich mich in dramatischer Kunst, diesmal mit dem Singspiel ›Anahid‹.

Dem Grafen Metternich überreichte ich eine diplomatische Arbeit, ein Memoire über alle zwischen Österreich und der Pforte bestehenden Handels- und Friedensverträge, in welchem alle Verhältnisse der beiden Mächte, nach Rubriken geordnet, schematisch erörtert und beleuchtet waren. Dieses Memoire fiel wie alle früheren in Hudelists Hände, der, unwissend wie er war, es nötig brauchte und später dem Grafen Lützow gab, als dieser als Internuntius nach Konstantinopel kam. Der Minister nahm das Memoire gnädig an und lud mich zu Tisch.

Mein Werk über die Staatsverwaltung und Staatsverfassung des Osmanischen Reiches begann ich zu dieser Zeit, zu dem ich mich durch eifriges und umfangreiches Quellenstudium vorbereitet hatte. Manches, die Osmanen Betreffendes fand ich in den Werken des Prince de Ligne, der mir die Gesamtausgabe geschenkt hatte.

Am Ostersonntag speiste ich beim Grafen Apponyi mit dem Propst Hoeck, dem Direktor der orientalischen Akademie, und wir besprachen die Herausgabe des neuen Meninski, an der alle Zöglinge teilnahmen. Wir kamen auch auf das noch immer fehlende Onomastikon zu sprechen und über die Art, wie diese Arbeit zu beginnen und in wieviel Zeit sie zu vollenden wäre. Wir alle hielten die Herausgabe dieses Onomistikons für eine Ehrenschuld der Regierung.[215]

Die Gründung einer Akademie der Wissenschaften, die im historischen Archiv Hormayrs besprochen worden, war dem Leibarzt des Kaisers, Dr. Stifft, welcher das Vertrauen des Kaisers in allen wissenschaftlichen Fragen besaß, ein Dorn im Auge. Ich sagte meinem Chef, der damals selbst mit der Idee umging, daß solange Stifft etwas zu sagen habe, die Sache rein unmöglich sei. Um diese Zeit schrieb mir mein gelehrter Freund, der Bischof Muenther: ›Warum hat die Kaiserstadt noch keine Akademie der Wissenschaften, nicht für Österreich allein, sondern für ganz Deutschland, die dem Pariser Institute die Waage halten könnte? Ich hatte einst eine Idee eines solchen hohen Rates deutscher Wissenschaft und Kunst bearbeitet, das war im Jahre 1805. Aber wieviel ist seitdem geschehen, und auch mein Plan endete im Papierkorb.‹

Ich zeigte diesen Brief meinem Chef und dieser trug mir auf, in seinem Namen Muenther um Mitteilung des Planes zu bitten. Er schickte eine große und ausführliche Arbeit ein, aber der Plan war höchst unpraktisch und verfiel sogar vielfach ins Abenteuerliche und Lächerliche; so sollte der Präsident der Akademie durch die Würde gefürstet sein. Von dieser Ausarbeitung Muenthers war keine Rede mehr.1 Graf Metternich sprach oft mit mir über politische Fragen des Orients, und ich merkte bald, daß meine Ansichten nicht mit den seinen in Einklang standen. Gentz war damals der Ansicht – er gab sie erst in seinem letzten Lebensjahre auf –, daß dem Osmanischen Reiche noch aufgeholfen werden könne. Hudelist war gegen jede energische Maßregel, durch die den Einfällen der Bosniaken an der Grenze allein abgeholfen werden konnte. Rußland, England und Frankreich führten den Diwan nicht anders als mit aufgehobenem Stock; dieses wurde für Österreich nicht anwendbar gehalten. Meine abweichende Ansicht war die Hauptursache, warum ich im orientalischen Referate nie verwendet, ja nicht einmal um Rat gefragt wurde; Metternich liebte es nicht, Ansichten zu hören, die von seinen eigenen abwichen oder ihnen entgegengesetzt waren.[216]

Metternich stand in diesem Jahre mit seinem vollendeten vierzigsten auf dem Gipfelpunkt männlichen Alters und diplomatischer Tätigkeit. Keine späteren Verhandlungen waren für Österreich und für Europa so wichtig wie die in diesem Sommer in Prag, als Österreich sein Schwert in die schwebende Waage des Krieges warf.

Metternich selbst hat diese Verhandlungen als den Glanzpunkt seiner politischen Laufbahn gewertet, und, soviel ich weiß, ist die Geschichte eben dieser die einzige, die er selbst aufgezeichnet hat. Er las diese Erinnerungen in einem kleinen Kreise der ihm Nahestehenden vor, und da ich diesem Kreise nie angehörte, so habe ich auch diese Geschichte nie zu Gesicht bekommen und habe weder über ihre historische Treue noch über ihren Stil ein Urteil; dieses kann erst die Nachwelt fällen, der die Akten vorliegen werden. (Vgl. H.v. Srbik, Metternich 1, 160f.)

Das Urteil, das ich über Gang und Resultat dieser Verhandlungen von wohlunterrichteten Staatsmännern gehört, war, daß Metternich sich nicht von vornherein zum Anschlusse an die Verbündeten entschieden hatte und sich an Frankreich angeschlossen hätte, wenn Napoleon Illyrien, das lombardische Königreich und das Protektorat über den Rheinbund aufgegeben hätte. Metternich wurde erst während der vierzehntägigen Verhandlungen durch Rußland und Preußen bewogen, sich an ihre Seite zu stellen; er versäumte aber die Gelegenheit, für Österreich vorteilhaftere Bedingungen zu stellen, und ließ vieles, was damals ohne Schwierigkeiten zu erreichen gewesen wäre, offen.

Ich verwendete meine ländliche Muße in Weidling ausschließlich zu literarischer Arbeit, da ich ja allen politischen und kriegerischen Ereignissen fernstand. Es war für mich höchste Zeit – ich war vierzig Jahre alt –, mein Johannes von Müller gegebenes Versprechen einzulösen und mich mit voller Hingabe der Geschichtschreibung zu widmen. Damals begann ich meine ›Geschichte der Assassinen‹ und las die Geschichte Gibbons.

Mein Vater gab mir Nachricht, daß Erzherzog Johann an den Landeshauptmann der Steiermark ein für mich sehr ehrendes Schreiben gerichtet habe, in welchem er mich den[217] Ständen zur Verleihung der Landmannschaft empfahl. Der Erzherzog wußte damals ebensowenig wie ich, daß dem die Verordnung widersprach, nach der die Landmannschaft nur Rittern verliehen werden konnte, und daß das ›von‹ oder ›Edler von‹ dazu nicht hinreichte.

1

Über den Plan Muenthers vgl. Schlitter in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie der Wissenschaften, 197. Bd., 5. Abt.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Josef von: Erinnerungen aus meinem Leben. 1774–1852. Wien und Leipzig 1940, S. 218.
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