XIX. Aus der Zeit der französischen Occupation.

[214] An den Pallast der Herzogin von Kurland unter den Linden, welchen ich in Folge meiner Beziehung zu dieser Fürstin und ihren Kindern vor dem Kriege von 1806 oft besuchte, knüpft sich für mich die Erinnerung an ein Erlebniß unter Verhältnissen, welche nicht nur im Allgemeinen, sondern auch hinsichtlich der Bewohner dieses Gebäudes sehr veränderte waren. Ich achte es schon deshalb der Erzählung werth, weil es beweist, wie der Grund so mancher der Vorfälle während der französischen Occupation, welche als Folgen des Uebermuths und der Rücksichtlosigkeit der Sieger erschienen, in der gemeinen Gesinnung Einzelner unter den Besiegten zu suchen war.

Als die Herzogin von Kurland 1806 mit ihren Töchtern nach Rußland ging, blieb Göckingk im Pallast zurück. Er bewohnte einige Zimmer im Hofe, und ich besuchte ihn dort mitunter zu der Zeit als der französische General Hüllin, damals Kommandant von Berlin, den Pallast für sich und die Kommandantur in Besitz genommen hatte. Die Herzogin hatte in demselben nächstdem noch einen Kammerdiener, und zwar einen, der nicht zu den geringeren Klassen[215] ihrer Bedienung gehörte, und geläufig französisch sprach, als Organ zur Verständigung mit den Fremden zurückgelassen. Er war dadurch mit diesen näher bekannt geworden, und gab bald eine Art domestique de place bei dem General ab.

Eines Tages nun tritt dieser Mensch, der mich von der Herzogin her kannte, ziemlich cavalièrement, einen großen Hund hinter sich, in mein Zimmer, und fordert mich im Namen des Kommandanten auf, zu diesem zu kommen. Diese befremdende Aufforderung machte mich über alle Maßen betreten. Ich wußte zwar, daß man mir französischerseits nicht mit Fug und Recht etwas anhaben konnte, denn die Gefahr nur zu gut kennend, welche in jener Zeit mit dem Sprechen über politische Gegenstände verknüpft war, hatte ich mich außerhalb der zuverlässigen Kreise vertrautester Freunde begnügt, patriotisch zu denken und zu fühlen. Aber ein Nichts genügte auch, um den Franzosen verdächtig zu werden. Und nächstdem hatte ich viel mehr Ursach als die meisten anderen Einwohner Berlins selbst nur ein Mißfallen Hüllin's zu fürchten. Denn ich war, ohne mit einer Sylbe bei ihm darum angehalten zu haben, wahrscheinlich auf die ohne mein Wissen erfolgte Verwendung Seitens eines gemeinschaftlichen Bekannten, von Einquartirung frei, eine Vergünstigung, die nur von ihm ausgehn konnte, und die eben mir von dem höchsten Werthe war, weil ich, durch die Einstellung der Zahlung meiner Pensionen fast aller meiner Subsistenzmittel beraubt, die Last der Einquartirung nicht hätte tragen können, vielmehr unbedingt zur Auswanderung genöthigt gewesen wäre, während doch die Sorge für meine in Berlin lebende alte, beinah blinde Mutter großentheils mir oblag. Und in der That war ich zu diesem[216] betrübenden Schritte gezwungen, als unter Hüllin's Nachfolger, dem General St. Hilaire, jene Vergünstigung aufhörte. – Doch was half dies alles? – ich mußte dem Gebote folgen, und versprach zu kommen.

Meine innere Unruhe und der Wunsch, nur recht bald Gewißheit über das Geschick zu erlangen welches über mich verhängt war, ließen mich nicht lange zögern. Doch sprach ich, bevor ich zu dem General ging, bei Göckingk vor, der meine Besorgniß theilte, ohne mir jedoch irgend Auskunft geben zu können. Wenigstens aber konnte er mir sagen, in welcher Art die mir wohl bekannten Zimmer benutzt wurden. Und so faßte ich denn, um nur meine peinliche Ungewißheit nicht durch langes Antichambriren vermehrt zu sehen, den Muth, in das mir von ihm als das Adjudanturbüreau bezeichnete Zimmer zu treten, und dort um Anmeldung zu bitten. Diese erfolgte auch sogleich, und ich wurde augenblicklich vorgelassen.

»Sie haben befohlen, General!«– sprach ich eintretend. »Ich befohlen?« – erwiderte er erstaunt, und doch, wie mir schien, nicht ohne einen Anflug von Verlegenheit. – »Der N.N. war ja in Ihrem Namen bei mir, General!« – »Ist der Mensch von Sinnen?« – Aber der Unsinnige wurde dennoch nicht von ihm vorgefordert um die Sache aufzuklären. – Ich sprach es nun aus, daß so wenig ich mir einer Handlung bewußt sei, die mir seine Unzufriedenheit hätte zuziehn können, die Einladung mich dennoch nicht ohne Besorgniß gelassen habe. – »Ich auf Sie zürnen?« – erwiderte er. »Mais je ne connais que Madame Herz!« – Als er eben im achtungsvollsten Tone noch einiges Schmeichelhafte hinzufügte, trat General Boyer ein. Ich blieb nur[217] eben noch so lange, um ein leises Lächeln auf den Lippen Beider zu bemerken, als ich mich mit erleichtertem Herzen empfahl, und zu Göckingk eilte, der in Unruhe meiner harrte. – Aber kaum war die Besorgniß gewichen, so kehrte die Neugierde ein. Gänzlich ohne Antheil an der Sache war Hüllin nicht. Aber was wollte er eigentlich? –

Ich traf bei einer Freundin zuweilen den Neffen des Schatzmeisters der Armee, Estève, welchen Letzteren ich in ziemlich genauer Beziehung zu dem General wußte. Ihm erzählte ich den Vorfall, und bat ihn, mir Aufklärung über denselben zu verschaffen. Als ich ihn nach einiger Zeit wiedersah, merkte ich wohl, daß er im Stande war sie mir zu ertheilen, aber er wollte mit der Sprache nicht heraus. Endlich, nach manchen Präliminarien, und sich wiederholt darauf berufend, daß ich die Erklärung der Sache durchaus provozire, kam er mit dieser hervor. Hüllin hatte mich mehremale gesehn wenn ich Göckingk besuchte, und da ich damals noch ganz stattlich aussah, sein Gefallen an mir geäußert. Jener Kammerdiener, in dem Augenblicke gegenwärtig, hatte dies aufgegriffen und gesagt: »Wenn Sie ihr einen Wink geben lassen, so kommt sie zu Ihnen.« – Hüllin hatte geschwiegen, und der dienstwillige Elende, der wohl wußte, wie er es zu machen habe damit ich unfehlbar käme, hatte nun freie Hand zu haben geglaubt, und dies mit der abscheulichen Bereitwilligkeit benutzt, deren Folgen mir so peinvolle Stunden verursacht hatten. Jedoch der Plan schlug fehl, und ich durfte von der Wirkung, welche mein persönliches Erscheinen gemacht hatte, sehr befriedigt sein. –

Mir ward übrigens bald ein Beweis von einem, bis in die intimsten Verhältnisse eindringenden Spioniersystem[218] während der französischen Occupation Berlins, welcher meine Befürchtungen in dem Augenblick als mir jene Botschaft des Kommandanten wurde vollständig rechtfertigte. Vor dem Kriege war mir durch Delbrück, dem Erzieher des Kronprinzen, der ehrende Vorschlag gemacht worden, die Erziehung der Prinzessin Charlotte, jetzigen Kaiserin von Rußland, zu übernehmen, und ich hatte seiner Zeit um so mehr nur mit einigen meiner genauesten Freunde von demselben gesprochen, als ich mich veranlaßt gefunden hatte ihn abzulehnen. Wie erstaunt mußte ich nun sein, als eines Tages ein französischer Beamter zu mir sagte: »Nun? ist's jetzt nicht besser, daß Sie die Erziehung der kleinen Prinzessin nicht übernommen haben? Jetzt müßten Sie nun wahrscheinlich mit einem fliehenden Hofe nach Rußland ziehn!« –

Quelle:
Herz, Henriette: Ihr Leben und ihre Erinnerungen.Berlin 1850, S. 214-219.
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