V. Zur Geschichte der Gesellschaft und des Conversationstones in Berlin

[116] Mit Moses Mendelssohn war das Streben, sich deutsche Bildung und Gesittung anzueignen, in den Juden Berlins, und namentlich in der jüngeren Generation, erwacht. Die Männer wendeten sich, durch ihn angeregt, philosophischen Studien zu. Aus diesen Bestrebungen gingen allerdings sowohl philosophisch gebildete Männer, wie z.B. David Friedländer, als tüchtige Philosophen von Fach, wie Salomon Maimon, Bendavid und Andere hervor. Da jedoch die Philosophie von ihren Jüngern wissenschaftliche Vorbildung, geistige Tiefe und bedeutende Opfer an Zeit fordert, die meisten damaligen Juden aber Kaufleute waren, und ihren Handelsgeschäften mit Eifer oblagen, so ist es begreiflich, daß ein Theil bald von diesem Studium gänzlich abließ, ein anderer es doch sehr dilettantisch betrieb. Die Frauen wendeten sich, theils durch Mendelssohn persönlich, theils durch seine Aufsätze in den »Briefen, die neueste Literatur betreffend«, und in der »allgemeinen deutschen Bibliothek« veranlaßt, mit dem Feuer, mit welchem lebhafte Naturen ihnen bis dahin gänzlich Unbekanntes[117] erfassen, der schönen Literatur zu. Ihnen standen natürlich in diesen Bestrebungen viel weniger Hindernisse entgegen, als den Männern in ihren philosophischen. Die größten waren diejenigen, welche Manchen von ihnen durch ihre Eltern entgegengesetzt wurden. Denn diese sahen nicht nur in einer deutschen Bildung zugleich eine auf christlichem Boden ruhende, sondern waren auch jeder Beschäftigung ihrer Kinder abhold, welche diese, ohne einem äußeren Berufe zu dienen, von dem Kreise und den Interessen der bis dahin patriarchalisch gestalteten Familie abziehen konnte. Aber der Widerstand wurde nur zu einer neuen Anregung. Die reicheren Juden, schon durch ausgebreitete Geschäftsbeziehungen in manchen Berührungen mit Christen, waren in dieser Hinsicht die läßlichsten. –

Zuerst war es die am drastischesten wirkende Poesie, die dramatische, mit welcher man sich vorzugsweise beschäftigte. In den Häusern der reicheren Juden wurden bereits in meiner Kindheit Schauspiele aufgeführt. Schon etwa in meinem neunten Jahre, also ungefähr um 1773, wohnte ich, wie ich früher erzählt habe, in dem Hause eines jüdischen Banquiers der Darstellung eines Trauerspiels bei. Es war dies »Richard der Dritte« – von welchem Verfasser weiß ich nicht mehr1 – und die Töchter des Hauses hatten in demselben die weiblichen Hauptrollen übernommen. Der Eindruck dieser ersten dramatischen Vorstellung[118] welche ich überhaupt sah wurde ein unauslöschlicher. Später war das Lesen mit vertheilten Rollen sehr an der Tagesordnung, und blieb es bis in das erste Jahrzehent dieses Jahrhunderts hinein. Aber man war bald nicht bei der dramatischen Literatur stehen geblieben. Man suchte sich mit der deutschen schönen Literatur in ihrem ganzen Umfange bekannt zu machen, und eine besondere Gunst des Geschickes wollte, daß die Blüthezeit derselben eben damals begann. Ihre Meisterwerke wurden mit uns, und es ist etwas Anderes, eine große Literaturepoche erleben, schon was das Interesse an ihren Erzeugnissen und das Verständniß derselben betrifft, und an dem ersten Urtheil über die Letzteren mitarbeiten, als sie als ein Abgeschlossenes nebst den fertigen Urtheilen über sie und ihre Werke überkommen.

Der daneben noch fortdauernde Einfluß der französischen Literatur auf einen Theil der deutschen führte bald auch auf sie hin. Noch lebte Voltaire im Anfange der Epoche, von welcher ich spreche, ja er schrieb noch2, und kein Name hatte einen Klang gleich dem seinen. Die französische Sprache war von den Töchtern der wohlhabenden Juden schon etwas früher, wie oberflächlich auch immer, getrieben worden. Die Alten hatten aus Gründen der Nützlichkeit nichts dagegen; sie war eine Sprache, durch welche man sich in allen civilisirten Ländern verständlich machen konnte. Die Töchter hatten freilich meist ganz andere Gründe. Sie bezweckten hauptsächlich ungenirt und in der Modesprache mit den Hofcavalieren und hübschen[119] jungen Officieren zu conversiren, die das Geld, welches sie von den Vätern erborgten, oft nur durch die Aufmerksamkeiten bezahlten, welche sie den Töchtern erwiesen. Jetzt aber wurde sie aus besseren Gründen mit Eifer studirt, man wollte sich befähigen, die älteren und neueren Schriftsteller Frankreichs in der Ursprache zu lesen.

Aber doch hatte damals schon Lessing die dramatische Poesie der Franzosen mit seiner hellen kritischen Leuchte beleuchtet, und zugleich die Aufmerksamkeit auf Shakespeare gelenkt. Die Uebersetzungen der Dramen des Letzteren, welche man vor der Schlegelschen besaß, waren weniger geeignet zu befriedigen, als auf die Quelle hinzuleiten, und dieser Weisung genügen zu können, suchte man sich Kenntniß der englischen Sprache zu erwerben. Sie eröffnete zugleich den Zugang zu manchen Romanen der Zeit, welche der Liebesschwärmerei der jugendlichen Mädchenherzen süße Kost boten. Und daß ich es gestehe, wir hatten Alle selbst einige Lust Romanheldinnen zu werden. Keine von uns, die nicht damals für irgend einen Helden oder eine Heldin aus den Romanen der Zeit schwärmte, und obenan stand darin die geistreiche, mit feuriger Einbildungskraft begabte Tochter Mendelssohns, Dorothee. Aber auch an Wissen und geistiger Fähigkeit stand sie obenan.

Auch die Kenntniß der italienischen Dichter in der Ursprache eröffneten sich Mehrere aus unserm Kreise, der allgemach um so mehr nun auch schon junge Ehefrauen enthielt, als die jüdischen Mädchen damals sehr früh heiratheten. Da nun manche der jungen Ehepaare ihr Haus den beiderseitigen Bekannten eröffneten, so wurde dies Gelegenheit, daß der Geist, welcher sich durch die Beschäftigung[120] der Frauen mit der Literatur, ihre Unterhaltung darüber, und die Ideen, welche sich durch Beide in ihnen erzeugten, gebildet hatte, zur Kunde und Theilnahme weiterer Kreise gelangte. Und dieser Geist war in der That ein eigenthümlicher. Er war allerdings einerseits aus der Literatur der neueren Völker hervorgegangen, aber die Saat war auf einen ganz ursprünglichen, jungfräulichen Boden gefallen. Hier fehlte jede Vermittelung durch eine Tradition, durch eine von Geschlecht zu Geschlecht sich fortpflanzende, mit dem Geist und dem Wissen der Zeit Schritt haltende Bildung; aber auch jedes aus einem solchen Bildungsgange erwachsene Vorurtheil.

Einer solchen Natur dieses Geistes und dem Bewußtsein derselben in seinen Trägerinnen ist die Ueppigkeit, der Uebermuth, ein sich Hinaussetzen über hergebrachte Formen in den Aeußerungen desselben zuzuschreiben; aber er war unläugbar sehr originell, sehr kräftig, sehr pikant, sehr anregend, und oft bei erstaunenswerther Beweglichkeit von großer Tiefe. Die höchste Blüthe dieses Geistes offenbarte sich etwas später in Rahel Levin. Sie war etwa sechs Jahre jünger als ich und die meisten meiner Freundinnen, aber die Wärme ihres Geistes und Herzens im Verein mit dem Unglück hatten sie früh gereift. Ich habe sie von ihrer ersten Kindheit an gekannt, und weiß wie früh sie die hohen Erwartungen rege machte welche sie später erfüllte.

Die christlichen Häuser Berlins boten andererseits nichts, welches dem was jene jüdischen an geistiger Geselligkeit boten, gleichgekommen oder nur ähnlich gewesen wäre. Allerdings gab es auch schon damals hier Männer der Wissenschaft, wenngleich Berlin erst dreißig bis vierzig Jahre später eine[121] Universität erhielt. Aber diese blieben, nachdem sie den größten Theil des Tages ihren Studien und ihren Amtsgeschäften gewidmet hatten, entweder zurückgezogen im engsten Kreise ihrer Familie, oder trafen einander an irgend einem öffentlichen Orte, wo sie bei einem Glase Bier sehr ernst und sehr pedantisch über gelehrte Gegenstände discutirten, und ein sogenannter Montags-Club, dessenTheilnehmer aus den geistigen Notabilitäten der Stadt bestanden, brachte es damals selten nur auf zehn Mitglieder. Ihre Frauen hätten ihrer Eigenschaft als gute und ehrsame Hausfrauen Eintrag zu thun geglaubt, wenn sie geistigen Interessen irgend Raum in sich gegönnt hätten, und nächstdem wäre deren Gegenwart bei den gelehrten Gesprächen ihrer Eheherren diesen eine Störung geworden, hätte sie ihnen nicht gar eine Profanation ihres Heiligthums der Wissenschaft geschienen. – Zu den Wenigen, welche bisweilen geladene Gesellschaft bei sich sahen, gehörte Nicolai. Er war auch gastfreundlich gegen fremde Gelehrte, so wie er denn auch später an einem Kränzchen Theil nahm, welches sich abwechselnd bei dem Juristen Klein, dem General-Chirurgus Görcke, in unserem Hause und in dem einiger anderen Freunde versammelte, zu welchem auch jeder in das Haus des jedesmaligen Wirths eingeführte Fremde geladen wurde, und welches für die damalige höhere Geselligkeit Berlins nicht ohne Bedeutung war: aber ein eigentliches Haus machte auch Nicolai nicht, ungeachtet er die Mittel dazu besessen hätte. Nur von Einem Gelehrten Berlins läßt sich sagen, daß er ein Haus machte, wenn man es nämlich als ein Kennzeichen eines solchen betrachtet, daß Freunde und Eingeführte auch ungeladen guten Empfanges sicher[122] sind, und dieser Eine gehörte seinem äußeren Berufe nach dem Kaufmannsstande an. Es war Moses Mendelssohn. Das Haus dieses trefflichen Mannes, dessen Einkünfte als Disponent in einer Seidenwaarenhandlung im Verein mit dem Ertrage seiner schriftstellerischen Arbeiten immer noch wenig bedeutend waren, und welchem die Sorge für sechs Kinder oblag, war dennoch ein offenes. Selten berührte ein fremder Gelehrter Berlin, ohne sich bei ihm einführen zu lassen. Seine und der Seinigen Freunde kamen ungeladen, daher auch die geistreichen Freundinnen der Töchter des Hauses. Fehlten alte orthodoxe Juden ebenfalls nicht, gegen welche Mendelssohn sich stets als ein freundlichgesinnter Glaubensgenosse erwies, so waren es doch die intelligentesten der Stadt. Und Mendelssohn übte diese ausgedehnte Gastfreundschaft, ungeachtet die Familie sich ihrethalben große Beschränkungen auferlegen mußte, wobei dennoch die materiellen Genüsse, welche sein Haus den Gästen bot, die Gränzen strengster Mäßigkeit nicht überschreiten durften. Ich wußte, als genaue Freundin der Töchter, daß die würdige Hausfrau die Rosinen und Mandeln, damals ein Naschwerk de rigueur, in einem bestimmten Verhältniß je nach der Zahl der Gäste in die Präsentirteller hineinzählte bevor sie in das Gesellschaftszimmer gebracht wurden. – Aber Mendelssohns Haus war immer nur Eines, und konnte nicht das geistige Bedürfniß Vieler befriedigen.

Von einem christlichen bürgerlichen Mittelstande, welchem andere geistige Interessen ingewohnt hätten als diejenigen, welche der äußere Beruf etwa anregte, war damals hier noch nicht die Rede. Es gab da viele ehrenwerthe Familientugenden,[123] aber jedenfalls noch mehr geistige Beschränktheit und Unbildung. Der höhere christliche Kaufmannsstand zählte nur noch wenige Mitglieder, und es stand hier in geistiger Beziehung nicht viel anders. In den Häusern desselben wurden wohl große prächtige Gastmähler und Feste gegeben, die Töchter der Häuser wurden in dem verweichlichendsten Luxus erzogen, aber von Bildung ward nur der äußerlichste Firniß angestrebt. Von dem Beamtenstande war der niedere bei geringen Einkünften mit Amtsgeschäften überhäuft, die Noth in den Büreau's und die Noth im Hause, durch die oft zahlreiche Familie verursacht, drückte jede etwa erstrebte geistige Erhebung sofort nieder. – Die hohen Civil- und Militairbeamten theilten das Geschick des Hofes, welchem der bei weitem größte Theil durch adelige Geburt angehörte, und welchem eine geistreiche und anregende Geselligkeit gänzlich abging.

Das Letztere war erklärlich genug. In einem monarchischen Staate kann nur der gesellige Kreis des Herrschers den Mittelpunkt für die Geselligkeit des Hofes bilden. Und an einem solchen fehlte es eben unter der Regierung Friedrichs des Großen sowie unter der seines Nachfolgers. Den Umgang des Ersteren bildete nur eine kleine Anzahl von Freunden, meist Franzosen. Wenige andere Personen, selbst vom Hofe, wurden zugezogen, und von einer aus Herren und Damen gemischten Gesellschaft war da nicht die Rede. Die Königin aber lebte getrennt von ihm in fast gänzlicher Zurückgezogenheit im Schlosse zu Schönhausen, und kam nur mitunter zu Haupt- und Staatsactionen nach Berlin. Unter seinem Nachfolger konnten die anderweiten Verbindungen des Königs der Gemahlin desselben wenig Veranlassung[124] sein, ihren Sinn für ruhige Bequemlichkeit zu überwinden, die Kreise des Königs aber konnten eben jener Verbindungen halber nicht der Mittelpunkt einer höheren Geselligkeit werden. Da gab es hergebrachte große Hoffeste, Couren, vorschriftsmäßige Assembléen bei den hohen Civil-und Militairbeamten zur Carnevalszeit, und tödtliche Langeweile, namentlich für die jungen Edelleute.

Diesen wehte von Frankreich schon die revolutionaire Luft entgegen, welche die Schriften der Encyklopädisten angefacht hatten, in Deutschland hatte ihnen Göthe die Ahnung einer neuen geistigen Zukunft erschlossen, was konnten ihnen jene Gesellschaften bieten, was selbst das Haus, sogar wenn man in diesem nicht ohne geistige Interessen war! Hier waren Haller, Hagedorn, Gellert, Ewald von Kleist und die dramatischen Schriftsteller à la Gottsched und Bodmer noch die Heroen der deutschen schönen Literatur. Lessing war dort schon ein freigeistiger Neuerer. – Auch in den Familienkreisen Geistlosigkeit und Langeweile! – Wenn Alexander v. Humboldt in jenen Jahren einer gemeinschaftlichen Freundin und mir von dem seiner Familie gehörenden Schlosse Tegel aus schrieb, datirte er den Brief gewöhnlich von: Schloß Langeweile. Freilich that er dies meist nur in solchen Briefen, welche er in hebräischen Schriftzügen schrieb, denn in dieser Schrift hatte ich ihm und seinem Bruder Wilhelm den ersten Unterricht ertheilt, den später ein Anderer auf sehr erfolgreiche Weise fortsetzte, und sie schrieben sie trefflich. In Briefen, deren Inhalt Jedem zugänglich gewesen wäre, kund zu geben: man unterhalte sich besser in Gesellschaft jüdischer Frauenzimmer als auf dem Schlosse[125] der Väter, war damals für einen jungen Edelmann doch nicht ganz unbedenklich!

War es aber zu verwundern, daß, als inmitten solcher gesellschaftlichen Verhältnisse, oder eigentlicher Mißverhältnisse, eine geistreiche Geselligkeit sich bot, sie trotz der damals gegen die Juden herrschenden Vorurtheile begierig von Denjenigen ergriffen wurde, welche überhaupt auf dem Wege mündlichen Ideen-Austausches geistige Förderung suchten? Nicht minder begreiflich aber ist es, daß es unter den Männern die Jüngeren waren, welche sich zuerst diesen Kreisen näherten. Denn der Geist welcher in diesen waltete war der einer neuen Zeit, und nächstdem waren die Trägerinnen desselben durch eine Gunst des Zufalls zum Theil sehr schöne junge Mädchen und Frauen. Und ebenso lag es in den Verhältnissen, daß zuerst der strebende Theil der adelichen Jugend sich anschloß, denn der Adel stand in der bürgerlichen Gesellschaft den Juden zu fern, um selbst indem er sich unter sie mischte als ihres Gleichen zu erscheinen.

Freilich aber änderten sich innerhalb unseres Kreises die Verhältnisse früh genug. Der Geist ist ein gewaltiger Gleichmacher, und die Liebe, welche hin und wieder auch nicht unterließ sich einzumischen, wandelte oft den Stolz gar in Demuth. Höfisches Wesen vollends hätte sich hier, wo Zwanglosigkeit eine Lebensbedingung war, bald der Satire ausgesetzt gesehen. Sie richtete sich ohnedies schon gegen die ganze Klasse des Hofadels mit seinem kalten, steifen Formenwesen. Da der Hof damals aber viel um allerlei Prinzen und Prinzchen trauerte, die Niemand kannte, auch er selbst nicht, und man ihn daher kaum anders als[126] mit sogenannten Pleureusen sah so wurde der Hofadel in unserm Kreise gewöhnlich durch den Spitznamen »Pleureusenmenschen« bezeichnet.

In diesen Kreis war nach und nach wie durch einen Zauber Alles hineingezogen, was irgend Bedeutendes von Jünglingen und jungen Männern Berlin bewohnte oder auch nur besuchte. Denn Selbstbewußtsein und Lebensfrische duldeten nicht, daß das einmal aufgesteckte Licht unter den Scheffel gestellt würde, und schon leuchtete es daher in weitere Fernen. Auch geistesverwandte weibliche Angehörige und Freundinnen jener Jünglinge fanden sich allgemach ein. Bald folgten auch die freisinnigen unter den reiferen Männern nachdem die Kunde solcher Geselligkeit in ihre Kreise gedrungen war. Ich meine, pour comble wurden wir zuletzt Mode, denn auch die fremden Diplomaten verschmähten uns nicht. –

Und so glaube ich nicht zu viel zu behaupten, wenn ich sage, daß es damals in Berlin keinen Mann und keine Frau gab die sich später irgendwie auszeichneten, welche nicht längere oder kürzere Zeit, je nachdem es ihre Lebensstellung erlaubte, diesen Kreisen angehört hätten. Ja die Grenze ist kaum bei dem Königlichen Hause zu ziehen, denn auch der, jedenfalls geniale Prinz Louis Ferdinand bewegte sich später viel in denselben. Rahels Briefwechsel, so weit er erschienen ist, kann einigermaßen zum Belage meiner Behauptung dienen. Ich sage einigermaßen, denn waren gleich die Freunde und Freundinnen an welche ihre Briefe gerichtet, und die welche in denselben erwähnt sind, mehr oder minder auch die der Genossen dieser Gesellschaft, so würde doch die vollständige Veröffentlichung desselben gewiß noch mehr bedeutende, ihr[127] befreundete Persönlichkeiten vorführen; und nächstdem stand sie zu mehreren, einer etwas früheren Zeit angehörenden, nicht in Beziehung. Ja eben so wenig fürchte ich zu übertreiben, wenn ich ausspreche, daß der diesen Kreisen entsprossene Geist in die Gesellschaft selbst der höchsten Sphären Berlins eindrang, denn schon die äußere Stellung Vieler, welche ihm angehörten, macht dies erklärlich. Nächstdem aber fand dieser Geist fast überall leere Räume. –

Fußnoten

1 Wahrscheinlich von C.S. Weiße. Sein Richard III. war damals ein sehr beliebtes, und selbst von Lessing in seiner »Hamburgischen Dramaturgie« in vielen Beziehungen sehr belobtes Stück. Die Eschenburgsche Uebersetzung der Shakespeareschen Tragödie dieses Namens erschien erst etwas später.

Anmerk. des Herausgebers.


2 Er brachte seine »Irene« fünf Jahre später auf die Bühne, als Göthes »Götz« erschien.

Anmerk. des Herausgebers.


Quelle:
Herz, Henriette: Ihr Leben und ihre Erinnerungen.Berlin 1850, S. 128.
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