Enthusiastische Naturen

[136] d.h. solche, deren Kopf und Herz überspannte,[136] romantische Ideen eingenommen haben. Dieser Zustand, der ihre ganze Seele erfüllt, rührt entweder von häufiger Lectüre überspannter, schwärmerischer Bücher her, oder die Erziehung des Kindes führt ihn herbei.

Wenn, wie es leider nur zu oft geschieht, das junge Mädchen, kaum den Kinderschuhen entwachsen, anstatt ihre Zeit zu häuslichen Arbeiten anzuwenden, lieber Romane lieset, anstatt eine gute Suppe kochen zu lernen empfindsame Scenen spielt oder in Gefühlen schwelgt, welche dem jungen Herzen noch lange verborgen bleiben sollten, dann ist die natürliche Folge davon, daß seine Phantasie von Bildern erfüllt wird, welche sich weder mit seiner Bestimmung noch mit dem Leben selbst irgend in Einklang bringen lassen.

Man findet besonders in höheren Ständen Beispiele genug zu dieser Bemerkung,[137] und zwar deßhalb, weil Langeweile das Kind, welches nach Entlassung aus der Schule fast den ganzen Tag zu seiner Disposition hat, plagt, und es fast zwingt, diese durch Lectüre zu vertreiben; die Seele des Kindes ist dann für jeden Eindruck empfänglich, und dieß um so mehr, je gebildeter es durch den Umgang mit den Seinigen schon ist.

Wie sehr ist nun das junge Mädchen zu bedauern, welches durch Zufall Bücher in die Hände bekommt, worin auf die Welt keine Rücksicht genommen, wo Ausbildung des Verstandes nicht beachtet, sondern nur leichte Unterhaltung bezweckt oder wohl gar Beifall durch zweideutigen Witz gesucht wird! Es ist unglaublich, wie leicht und schnell das süße Gift verschlungen ist, und wie traurig es auf das ganze Leben wirkt.

Unzählbar ist anderntheils die Menge[138] Romane, welche in so fern auf das Gemüth eines jungen Frauenzimmers entscheidenden Einfluß haben, als sie sich in rührenden Scenen erschöpfen, und in Gefühlen umhertaumeln, deren Schädlichkeit das unerfahrene Kind nicht berechnen kann.

Daß ein fühlendes Herz, und jedes junge Mädchen hat ein solches, durch, wenn auch reine, doch die Phantasie mit zu großem Uebergewicht erfüllende, reizende Bilder von Glück, Freundschaft und Liebe – von einem Himmel auf Erden; daß ein fühlendes Herz davon hingerissen werden kann, daß Entschlüsse dadurch in ihm reifen können, welche für das ganze Leben heilbringend und in seinen Stürmen kräftig erhebende Sterne werden – es ist nicht zu läugnen, ja diese Empfänglichkeit ist als eine freundliche Gabe der Vorsehung zu preisen. Dagegen ist es aber wiederum anerkannte Wahrheit, daß eine zu[139] frühe Lectüre, welche einzig das Herz in Anspruch nimmt, oft mehr verdirbt als in Jahren wieder gut gemacht werden kann, und häufig dem Verstande und Gemüth des jungen Mädchens eine falsche, nur zum Unglück führende Richtung giebt.

Es liegt in der weiblichen Natur, daß der Verstand dem Gefühle bei weitem untergeordnet ist, und daß also die Frauenzimmer selten nach geprüften Grundsätzen sondern fast immer den Eingebungen des Gefühls (auch wohl der Laune) folgend, handeln. Hat das Herz nun aber ein zu großes Uebergewicht, hat es unumschränkte Gewalt über den Kopf, dann entstehet der Zustand einer überreitzten Phantasie, und führt zu empfindsamer Ueberspannung. Dann wird die Welt, das Leben für nichts geachtet, eine andere Sonne ist der Schönen aufgegangen, eine andere Welt spukt in ihrem Haupte; ohne bestimmtes Bewußtseyn[140] tappt die Schwärmerin von Extremen zu Extremen, fühlt sich heute überglücklich, um Morgen betrübt und verzweifelnd zu seyn, und bringt sich so durch Schwärmerei um den wahren Lebensgenuß.

Den höchsten Grad dieser Ausschweifung des Geistes erhält ein Mädchen, wenn eine gleichschwache Freundin sich findet oder wenn es verliebt ist.

Im ersten Falle halten beide ihre Freundschaft für das Erhabenste, was je gedacht ward, und ihre thörichte Verblendung führt sie so weit, daß sie jedes andere vernünftige Menschenkind verachten, die conventionellen Verhältnisse dieses irdischen Daseyns für Fesseln ihres freien Geistes halten (sie aber dennoch fast immer aus angebornem Tact für das Schickliche streng beobachten) und mit dem treuen Monde, der melancholisch flötenden Nachtigall, oder dem Kosen des Zephyrs und dem sanften Rauschen des[141] Baches, dessen Ufer ja das liebe, bedeutungsvolle Vergißmeinnicht entspriesset, in süßer Harmonie, in unsichtbarer Geistesverwandschaft schwärmen.

O! Mondscheinnatur! wo führst du hin, zu welchen Abwegen leitest du das arme Kind? Nicht allein, daß du den Geist unfähig zum Denken machst, das Gemüth für wahres Gefühl verhärtest – sogar den Körper der doch bei ätherisch-schwärmenden Mädchen als nothwendige, drückende Zugabe betrachtet wird, sogar diesen machst du abgestumpft für Genuß, die rothe Wange bleicht, das glänzende Auge wird matt, die kräftige Spannkraft der Glieder erschlafft.

Diese Folge ist freilich meistentheils in Vernachlässigung des Aeußern zu suchen, hat aber doch ihren Hauptgrund gewiß in der anhaltenden, überspannten Beweglichkeit des Geistes, oder in überreizter und[142] darum ermattender Phantasie, in dem ewigen Sehnen, Schmachten, und in einem wirklich kranken Zustande des Gemüths.

Verliebte Mädchen haben immer einen Anstrich von Schwärmerei, welcher an sich nicht zu tadeln ist und in der Natur der Sache liegt, aber dann, wenn er in Ueberspannung ausartet, höchst tadelswerth ist.

Verliebtseyn ist nun freilich von Lieben weit verschieden und die wahre, ächte Liebe schwebt zwar auch in höhern Regionen und achtet der übrigen Welt wenig, sie ist aber selten eine Folge von überspannter Phantasie. Liebelei jedoch oder Verliebtseyn entstehet gewöhnlich, wenn sich die Schöne nicht etwa zur Frömmelei hinneigt, aus phantastischen Ansichten, indem das Herz in diesem Zustande sich nach einem Wesen sehnt, welches in erhabenen Ansichten mit ihm harmonirt, sich aber leider[143] auch in diesem Falle oft mit schwülstigen, eigentlich nichtssagenden Redefiguren gern begnügt.

Die Liebe bessert den Menschen, befestigt oder erweckt in ihm gute Vor- und Grundsätze und macht theilnehmend gegen Andere, herzlich und mitleidig – Liebelei nimmt aber meistens die Sinnlichkeit, wenn auch unbewußt, in Anspruch, ist nur tändelnd und besteht in Eitelkeit mit lebhafter Einbildungskraft vermischt, hat ihren Grund mehr im Kopfe als im Herzen, und macht mürrisch, mißtrauisch gegen sich und die Welt, wenn sie der Ruhe weichen muß. So lange letzteres aber noch nicht der Fall ist, hat man von Verliebten, besonders wenn sie schmachtender Natur sind, sehr viel zu erdulden, indem sie nur Augen für den geliebten Gegenstand, nur Sinn für dessen Verdienste haben, und so wie sie diese bei weitem[144] überschätzen, dagegen dieselben Vorzüge an andern Menschen ganz übersehen.

Nichts ist interessanter, als ein verliebtes Paar, das nur sich leben will, nichts ist anmuthiger als die zarten Neckereien und Liebkosungen unter ihnen, dagegen aber ist das Erwachen aus dem süßen Traume, den die Phantasie dem erhitzten Kopfe gespielt hat, desto grausamer, wenn eben nur Laune oder Sehnsucht nach Geliebtseyn, oder Sinnlichkeit und gereizte Eitelkeit das Band knüpften, dessen Kraft die Liebenden für ewig hielten, welches aber nur zu leicht durch Verhältnisse, ja oft durch ein einziges unbedachtes Wort gelöset wird.

Schwer ist es dann, den Knoten wieder zu schürzen, und nm so trauriger ist die Aussicht auf ein freudenloses Daseyn, je gespannter die Erwartungen, je übertriebener die Ausschmückungen einer Seeligkeit[145] waren, die wir armen Menschen doch nur jenseits hoffen können.

Wer nur wenig Ansprüche an das Leben macht, er wird mehr Glück finden und dieß desto inniger fühlen, je weniger er es erwartete – wer aber den Vorspiegelungen einer verblendenden Phantasie Glauben schenkt, wird nie seine Hoffnungen erfüllt, seine Wünsche wenigstens nie so realisirt finden, als sie die hochfliegende Einbildungskraft mit bunten Farben ausführte; er wird dem Unglücke nur ein verwöhntes Herz entgegen stellen können und ihm darum desto leichter erliegen, je weiter der Gedanke an dessen Möglichkeit von ihm entfernt lag.

Mit überspannten Damen ist sehr schwer umzugehen, besonders für junge Männer, welche mehr Verstand als Gefühl und dabei Offenheit genug haben, dieß gar nicht läugnen zu wollen. Diese müssen, obgleich sie[146] die thörichte Verblendung des schönen Kindes wohl einsehen, dennoch sich bestreben, ihm durch Nachgiebigkeit gefällig zu seyn.

Gefühle heucheln, welche nicht in unsrem Herzen liegen, ist des Mannes unwürdig, es giebt aber eine Mittelstraße zwischen dieser Heuchelei und dem offnen Tadel, oder Spott und Vernachlässigung. Diese Mittelstraße nun, ist in diesem Falle nothwendig, indem sie die einzige Hülfe ist, die Verirrte auf den rechten Weg zurückzuführen.

Es würde wenig Zartgefühl verrathen, wenn man jedes herzliche, oder auch wohl etwas von Ueberspannung zeugende Wort, jeden poetischen Gedanken lächerlich finden – dagegen würde es gegen den Ernst des jungen Mannes streiten, wenn er jeder phantastischen Idee irgend eines Frauenzimmers folgen und mit ihr schwärmen wollte.[147]

Es ist viel besser, ruhig zu hören, worauf die Schöne ihre Phantasieen gründet, und was sie denn eigentlich mit den gewöhnlich in reichem Maaße sich ergießenden poetischen Redefiguren sagen will, und ihr dann mit Gesetztheit zu antworten, ohne sie durch Spott zu verletzen.

Sie wird dann wenigstens sehen, daß hier nichts mit Schöngeisterei oder schmachtendem Wesen auszurichten sey, sie wird sich auch wohl etwas schämen, und dieß ist der erste Schritt zur Besserung. Um diese möglichst zu unterstützen, sey man consequent ernst gegen die Schöne, und lasse sich nie durch Momente der Begeisterung zu Ausbrüchen des Gefühls hinreissen; man handle offen gegen sie, zeige ihr Vertrauen, denn dieß erweckt und erhält ihr Vertrauen, ohne welches ein leidliches Verhältniß zu ihr unmöglich ist.

Sie von Grund aus zu bessern, überlasse[148] ein junger Mann der geprüften Erfahrung, welcher allein eine Radicalcur möglich ist.

Quelle:
Hoffmann, Karl August Heinrich: Unentbehrliches Galanterie-Büchlein für angehende Elegants. Mannheim 2[1827], S. 136-149.
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