Condoliren.

[80] Das Condoliren ist eine schwere und peinliche Pflicht, dafür ist aber auch weit weniger Gelegenheit dazu. Denn wollte man dem Vater condoliren, dessen Sohn im Examen durchgefallen ist, so würde er, obgleich gewiß der Theilnahme bedürftig, doch durch unser Verfahren sehr verletzt sein. Oder sollte ein Kaufmann Bankerott gemacht haben, ein Beamter aus dem Dienst entlassen sein (ja selbst wenn ein Mann freiwillig die bisherige Thätigkeit aufgiebt und sich in das Privatleben zurückzieht), so geht man nicht zu ihm, um sein Bedauern auszusprechen.

Selbst wenn durch schwere Krankheit, Irrsinn oder dergl. uns bekannte Menschen betroffen werden, sucht man Nachrichten von ihrem Ergehen einzuziehen, geht oder schickt vielleicht in das betreffende Haus, um Näheres zu erfahren, aber einen Condolenzbesuch macht man nicht. Dieses geschieht nur bei Todesfällen und zwar wird man die ersten acht Tage verstreichen lassen, und einen Tag innerhalb der nächsten vier Wochen dazu wählen.

Daß man dazu einen, wenn nicht schwarzen, doch möglichst dunklen Anzug trägt, ist selbstverständlich, ebenso wie man nicht mit lächelndem Antlitz dem Trauernden nahen soll.

Ich erwähne dieses noch ganz besonders, weil mir Fälle bekannt sind, wo die Condolirenden, in Verlegenheit, was sie sagen sollten, mit blödem Lächeln eintraten und die Anrede des Trauernden zuerst abwarteten. Dergleichen sollte nicht vorkommen.

Wirklich Trost zu bringen ist uns ja leider in den meisten Fällen versagt, so gern wir es oft möchten. Um ein herzliches, theilnehmendes Wort sollte Niemand verlegen sein.

Allerdings würde es sich nicht geziemen, in einen Schwall allgemeiner Phrasen auszubrechen, oder gar eine Trauer zu heucheln, die man nicht fühlen kann. Nein, gesammelt und ruhig, nicht laut sprechend und gesticulirend, betrete man ein Haus, aus dem man vor kurzer Zeit einen geliebten Todten fortgetragen, mit[80] einem warmen Händedruck, mit einer theilnehmenden Frage nach dem Ergehen der Hinterbliebenen, nahe man sich ihnen.

Dem Trauernden ist es meistens Bedürfniß, von dem Verstorbenen zu sprechen, seine guten Eigenschaften zu loben, oder uns die Geschichte seiner Krankheit, seines Sterbens zu erzählen. Solche Ergießungen eines betrübten Herzens haben wir aufmerksam anzuhören, und sollten uns die Verdienste des Todten auch sehr fragwürdig erscheinen, dürfen wir dennoch keinen Zweifel äußern, geschweige denn dieselben in Abrede stellen.

Das Wort: Von den Todten soll man nichts Böses reden, denn sie können sich nicht vertheidigen, ist wohl zu beherzigen.

Was aber die Berichte über die Leiden oder letzten Tage des Verstorbenen betrifft, so dürfen wir solche nicht von uns weisen, selbst wenn sie uns peinlich berühren. Wir müssen stets denken, daß mancher Trauernde in solchem Aussprechen eine Erleichterung findet und daß wir ja zu ihm kamen, um ihm durch unseren Besuch wohl zu thun.

Kommt die Anzeige eines Todesfalles aus einem anderen Orte zu uns, oder stehen wir dem Leidtragenden sehr fern, so genügt es, eine Visitenkarte mit den Worten: »spricht sein (ihr) herzliches Beileid aus«, oder »mit aufrichtiger Theilnahme« hinzusenden.

Wie man nicht anders erwarten kann, betreffen meine Rathschläge nur das, was gesellschaftlich Sitte und Form ist, sobald im Bekanntenkreise ein Trauerfall eingetreten ist. Fern sei es von mir, den Schwerbetroffenen, den Leidtragenden selbst irgend welche Vorschriften machen zu wollen. Nur eines will ich sagen: Nie dürfen wir, auch in schweren Tagen, die Herrschaft über uns selbst verlieren. Wir sind das unserer Umgebung, am meisten aber uns selbst schuldig. Wer durch lautes Schreien und Schluchzen seinen Schmerz kund thun will, läßt an der Größe desselben zweifeln und erregt höchstens das Mitleid der Ungebildeten, nie die Theilnahme edler Seelen.[81]

Ein wirklich tiefer Schmerz hat etwas heiliges, er wird stets still getragen, tausendfältige Erfahrungen bestätigen mir dieses. Wer stets in Jammern und Stöhnen ausbricht, vielleicht gar in theatralischen Phrasen von »nicht mehr leben können«, von »verzweifeln«, von »vernichtet sein«, gegen Hinz und Kunz sich ergeht, setzt sich selbst herab. Auch habe ich stets gefunden, daß solch' ein Gebahren, welches ganz besonders junge Wittwer zu zeigen pflegen, immer nur auf kurze Dauer der Trübsal schließen läßt, und ehe ein Jahr verstrichen, der Platz der »Unvergeßlichen, Heiligen, Ewiggeliebten« – bereits durch ein anderes, ebenso angebetetes weibliches Wesen ausgefüllt ist. Nun ich glaube, daß da der an die Oeffentlichkeit getragene Schmerz, so ehrlich er auch in der ersten Zeit war, doch wohl in ein schickliches Maß einzudämmen gewesen wäre.

Daran anknüpfend noch ein Wort über Todesanzeigen in den Zeitungen, bei denen man doch alles Bombastische, Phrasenhafte vermeiden sollte.

Ein Gleichgiltiger liest es und lacht darüber.

Sage ich nun noch, daß ein Trauernder nicht immerfort an sich und seinen Schmerz denken soll, sondern auch ihn zu heilen trachtet, in dem Aufnehmen der früheren Beschäftigungen, in dem Interesse für das Wohl Anderer, ja indem er versucht, wieder fröhlich mit den Fröhlichen zu werden, so habe ich wohl genug über dieses Thema gesagt. Für Manche vielleicht schon zu viel.

Quelle:
Kistner, A.: Schicklichkeitsregeln für das bürgerliche Leben. Guben 1886, S. 80-82.
Lizenz:
Kategorien: