14.

[71] Nach einem fünfjahrelangen Aufenthalt wurde die Kleine der Pensionsanstalt entnommen, und zu ihrer Mutter zurückgebracht. Hier war ihr Onkel, der sie stets tiranisirt und verfolgt hatte, dem aber plötzlich ein andrer Gedanken ihretwegen aufstieg. Er sann nämlich darauf, wie er durch dies Kind, das ihm im Wege schien, seine Schwester nur noch unauflösbarer an sich ketten könnte. Eine Heyrath schien ihm dazu das beste Mittel. Er hielte mithin seine Nichte unter der strengsten Aufsicht, bis sie völlig heranwuchs, ließ sie die Arbeiten einer Magd verrichten; und[71] gestattete durchaus nicht, daß sie die mindeste Gesellschaft sah. Er irrte sich nicht in diesem Betragen. Seine Nichte wurde dadurch zu seiner Sklavin, und als er mit dem Heyrathsantrag zum Vorschein kam, gegen den sich ihr ganzes Herz empörte, da war kein Freund, kein Vorsprecher, der ihr beygestanden hätte, denn von allen Häusern hatte er sie entfernt gehalten, und in allem was er that, hatte ihn seine Schwester gewähren lassen. Dies sechzehnjährige Lamm wurde also zum Opfer bestimmt. Es wurde ihr einige Zeit vorausgesagt, daß sie die Frau des hartherzigen ungesitteten Menschen werden sollte, dessen Gemeinheit und Eigennutz ihr ganzes Gefühl empörten, vor dessen Blick sie zitterte ... Ach! und da sie nein sagte, schalt und drohte ihre Mutter; und wie ein Dolch fiel ein Blick ihres Tirannen auf sie nieder! Am Abend war[72] sie allein, das Haus leer; ihr Herz war zerrissen, sie konnte nicht weinen, nicht beten, keine Rettung als in der Flucht! Ach aber wohin soll sie fliehen! wohin, wo nicht der Arm einer Mutter sie erreicht? – In die Pensionsanstalt zurück, sie will ihr Brod mit Arbeit verdienen, sie ist die Geliebte, und wird nicht verstoßen werden! – Schon ist sie aus der Thür, der Schlüssel abgezogen – da tritt es wie ein strafender Engel vor sie. Ungehorsam, willkührliche Handlung! Sie darf es nicht wagen, sie darf ihr Schicksal nicht allein bilden – und sie geht zurück in den Kerker, stürzt auf die Kniee, weint und betet, vergiebt ihrem Unterdrücker, und fühlt sich heiter nach dem Gebet, selig in den strömenden Thränen, im Bewußtseyn der Unschuld gestärkt zu Leiden. Sie bleibt, die folgenden Tage gleiche Versuchung, gleiche Kämpfe, gleiche[73] Folge; Gebet und Thränen, sanfte Ergebung. Der Trauungstag rückt heran, mit blutenden Herzen schwört sie Treue und Liebe, und die Pflicht hilft ihr das unaussprechlich schwere Opfer ganz vollbringen, sich dem Mann hingeben, der so in der Blüte das Glück ihres Lebens mit Füßen trat und zerstörte.


Ich gebe hier zu Folge ihrer Geschichte was sich noch von ihrem Tagebuch gefunden. Diesem zur Folge einige Erinnerungen aus ihrer Jugend, und die Erziehung ihres zweiten Kindes.

Quelle:
[Klencke, Karoline von]: Leben und Romantische Dichtungen der Tochter der Karschin. Als Denkmal kindlicher Liebe herausgegeben von Helmina, Frankfurt a. M. 1805, S. 71-74.
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