2.

[6] So unwillkommen ich meiner Mutter war, so lieb war ich meinem Vater. Sein Fehler, den ihm die Menschen genug büßen lassen, war der Trunk. Er trank oft, um sich von der Unannehmlichkeit und den Sorgen in seinem Hauswesen zu zerstreuen. Dieses ausgenommen, war er ein rechtschaffener Mann, der viel natürlichen Verstand besaß. Kurz nach meiner Geburt war er von einem Ausgang nach Hause gekommen ohne Rausch; er hörte mein kindisches Lallen und fühlte sich in diesem zum erstenmale Vater. Ihm wurde wohl dabei; er nahm sein Kind, sein Alles, weil ihm sonst alles auf der Erde mangelte, in seine Arme, weinte, hieß es: sein liebes, sein willkommnes Kind, und klagte blos darüber, daß es kein Sohn sey. Auf diese Weise wurde schon beim Anfang des Lebens das Loos der Partheilichkeit[7] geworfen über das neugeborne Geschöpf, und bestimmt, daß es ein Ball des Hasses und der Liebe seyn sollte.

Quelle:
[Klencke, Karoline von]: Leben und Romantische Dichtungen der Tochter der Karschin. Als Denkmal kindlicher Liebe herausgegeben von Helmina, Frankfurt a. M. 1805, S. 6-8.
Lizenz: