5.

[10] In meinem vierten Jahre fuhr meine Mutter mit mir und meiner Schwester Lotte zu einer Kindtaufe; der Wagen warf um, und ich brach den Arm. Ich fiel weit hin aufs freie Feld, vermuthlich mogte ich ohne Besinnung seyn, denn als ich um mich sah rieb mir der Kutscher die Stirn mit dem Staub vom Felde, vielleicht sollte mich dieses ins Leben zurückbringen. Ich bekam auch wirklich davon das Bewußtseyn wieder, aber nur um mich zu schämen, daß mich ein Mann im Arm hatte. Dieselbe Empfindung hatte ich wieder da der Wundarzt mich zu verbinden kam, und verlangte, ich sollte den Aermel des Hemdes ganz abziehen; ich widersetzte mich aus Schaam. Ein ganz besonders[10] Gefühl in einem vierjährigen Kinde, welches niemals Gelegenheit gehabt hatte, sich einen Begriff von Schaam oder Schaamlosigkeit zu machen: vielleicht war es blos die Gewohnheit der Verschämtheit, die mir durch die erste Erziehung eigen geworden. Wie dem auch sey, ich übte in diesem Gefühl den ersten Eigensinn aus, den ich mir bewußt bin, und gab nicht eher nach, bis – eine neue Erscheinung von wunderbarer Empfindung in dem Alter – mir von den Umstehenden gesagt wurde: der Wundarzt wäre mein Bräutigam, und dem müßte ich meinen bloßen Arm sehen lassen. Ich hörte sogar diesen Scherz gern, auch kam der Wundarzt öfters wieder, und ergötzte sich, mir im Buchstabiren Unterricht zu geben; ich nahm schnelle Fortschritte, und sah ihn immer mit Vergnügen. Nicht lange nach diesem Vorfalle wurde ich eines Morgens von[11] meinen Aeltern gerufen, da ich eben spielen saß; sie sagten mir, ich sollte mich anziehen zur Reise nach Glogau. Ich klatschte bei dem Worte Weise, aus Liebe zur Veränderung, fröhlich in die Hände, schlief aber während der Fahrt ein; ich erwachte vom Geräusch des Fahrens als wir auf der großen Oderbrücke ankamen. Um mich her sah ich das breite Wasser, die wenige Schutzwehr an den Seiten der Brücke setzte mich in Furcht; mir schwindelte; tief schmiegte ich mich in den Wagen hinein und wollte nicht wieder heraussehen. So langten wir in Glogau an, als ich noch nicht fünf Jahr alt war.

Quelle:
[Klencke, Karoline von]: Leben und Romantische Dichtungen der Tochter der Karschin. Als Denkmal kindlicher Liebe herausgegeben von Helmina, Frankfurt a. M. 1805, S. 10-12.
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