Tagebuch


Tagebuch.

den 1ten Juni.


Er ist wieder fortgegangen der Mann, den ich verachten muß, da ihm doch mein erzwungenes Ja alle Rechte eingeräumt hat. Er geht ohne mich auch nur zu fragen, ob ich wohl mit ihm gehen wollte. Er fand mich heute beim Abschiede traurig. Was ist Dir? fragte er stürmisch. Nichts, antwortete ich mit bebenden Lippen, indem ich das Gesicht seitwärts drehete, um meine Thränen zu verbergen. Ich glaube Du weinst? Warum weinst du? – Ich war stumm und fürchtete mich zu sprechen. Willst du[77] gleich sagen, warum Du weinst? Hier setzte er Stock und Hut im Zorne weg, »sprich den Augenblick.« Jetzt droht er mit Thätlichkeiten. Zitternd nahm ich seine Hand, küßte sie, und sagte: »Weil Sie immer weggehen und mich nicht einmal mitgehen heißen.« Er stieß mich weg, und sagte: ein Weib gehöre in das Haus, und wenn ich ein andermal ausgehen wollte, so sollte ich es ihm eher sagen, als auf den letzten Augenblick. Ich schwieg, und seine zornigen Ausdrücke machten, daß ich glaubte er hätte Recht. Er gieng, ich weinte mich satt in meiner Einsamkeit, fühlte daß ich Unrecht litt, und empfieng ihn beim Wiederkommen mit heiterm Gesicht.


den 20ten Juni.


Ich konnte das Sitzen nicht mehr aushalten, da ich den ganzen Frühling nicht[78] einmal aus dem Hause gewesen. Ich klagte es meiner Mutter, sie muß meinem Mann zugeredet haben; er nahm mich mit sich auf den Spatziergang. Ich sah die Schaaren von Menschen, die mir alle bis auf den Bettler glücklicher dünkten als ich. Meine Brust fühlte ich von der freien Luft erheitert, und gieng an dem Arm meines Mannes, einer Seele gleich, welche schon durch eine glückliche Ohnmacht ihren leidenden Körper verlassen durfte, aber vom Verhängniß in ihrem Kerker wieder zurückgerufen wird.


den 31ten Juni Sonntag.


Heut war ich wieder so glücklich, einige Züge frische Luft zu schöpfen; ich war im königlichen Garten. Die Orangenallee blühete in voller Pracht; die freie Luft wurde von balsamischen Hauch der Orangenblüte wundersam durchwürzt, die Pracht[79] der Großen giebt der Empfindung einen Traum von Gottheit.


den 1ten Juli.


Ich kann kaum mehr im Zimmer umhergehen. Wie, wenn gestern mein letzter Ausgang gewesen wäre, wenn ich gebohren hätte, und stürbe. – Ich hätte Dich große, und herrliche Sonne zum letztenmal gesehen! Blauer Himmel der Du einen guten Gott trägst, ja einen guten Gott, wenn er es gleich zugelassen daß ich einem Tyrann in die Hände gegeben wurde! Du süße Luft des Himmels, der so heiter, so feierlich lächelt! in Deinen Wohnungen ist Ruhe, süßere Ruhe, als in der Blütentraube, wo nur Lüftchen säuseln, und der Mond seinen Frieden hineinblickt.


den 3ten Juli.


Ich danke Dir Gott! Es ist gebohren, nach langem schweren Kampf, aber es liegt[80] ja lebendig neben mir mit hellen Augen, mit Begierde nach Nahrung, das Kind, das Du mir aus den Händen der Natur geschenkt hast; Deiner ewigen Liebe holdes Pfand, welches allen meinen Gram wegweinen und weglächeln, welches meine Liebe haben wird.


den 5ten Juli.


Heut durfte ich mein Knäbchen zum erstenmal an die Brust legen, ach was hab' ich da empfunden! Wo warst Du denn bis jetzt mein Herz, daß ich dich dann erst in mir fühlte, da mein Knäbchen die erste Nahrung von mir nahm?


den 18ten August.


Heut gieng ich zum erstenmal aus, nach meiner Entbindung. Ich lebe also, und bin Mutter. Wie ist mir denn, bin ich denn mehr als sonst, seitdem ich Mutter[81] geworden bin? Ich sah die Menschen an, die mir heut begegneten, und ein unwillkürlicher Stolz in meinem Blick fragte sie, ob sie es auch wüßten, daß ich Mutter wäre. Die Häuser, die grünen Bäume, und selbst die Steine unter meinen Schritten sah ich mit lächelnder Neugier an, als hätte ich in ihnen Empfindung davon vermuthet, daß ich Mutter geworden bin.


den 1ten September.


Ich bin in der Kirche gewesen, um Gott für mein Leben und für mein Kind zu danken, sonst habe ich keinen Ausgang gemacht. Mein kleiner Säugling, mit seinen blühenden Farben und lieblichen kindischen Mienen, ersetzt mir das Bild der Natur, welche nun bald Abschied nehmen wird in ihrer Schönheit, indeß mein Wilhelm[82] jeden Tag mehr Leben entwickelt, und durch sein kluges Lächeln und Blicken verräth, daß er eine denkende Seele hat.


den 24ten September.


Mein Schicksal liegt immer noch mit eisernem Arm auf mir, und nur mein Wilhelm macht es mir leichter, indeß ich mich selbst in Betrachtungen über ihn verlierend, meinen Kummer vergesse. So ungern ich sonst leben würde, so gern lebe ich nun für ihn. Er fängt schon an Zähne zu bekommen, und so sehr ich auch seine Schmerzen mitempfinde, thut es mir doch wohl, wenn ich sie ihm wegschaukeln oder wegtändeln kann. Nein, das ist kein Leben, kein Daseyn, welches man für sich allein und nicht in dem Ich eines zweiten Selbst hat. – Und welches Selbst ist uns näher als ein Kind, dessen unschuldige Zärtlichkeit so süß[83] in uns würkt, daß wir alles, was wir für ihn thun müssen, lieber thun als für uns selbst, und das unsre Sorgfalt mit einem Zutrauen vergilt, welches jeden Augenblick uns sagt, daß wir dem lieben Geschöpfe Alles, Alles sind!


den 2ten November.


Die Fräulein M. hat uns besucht; sie klagt über die Laune der Gräfin, bei welcher sie Gesellschaftsdame ist. Die Gräfin, Lieblinginn einer Fürstin, deren vielfachen Launen sie gänzlich unterworfen ist, läßt ihren Verdruß an diejenigen aus, welche sie am nächsten umgeben. Man sollte meynen, die Günstlinge der Großen wären auch die Günstlinge des Glücks, aber meist sind sie nichts als Sklaven der Thorheiten ihrer Herrn, und haben vor den Niedern nichts[84] voraus, als den Glanz und die Zierlichkeit ihrer Ketten.

Der Bruder der Fräulein M. ein zwanzigjähriger Jüngling begleitete sie; er scheint noch keinen andern Witz als Lachen zu haben, doch läßt sein scharfer und heller Blick einen eigenen Charakter vermuthen, welchen weiß ich nicht. Er ist ganz das Gegenstück zu seiner sanften und traurigen Schwester.


den 12ten Dezember.


Wie wohl ist mir, wenn ich vor dem Einschlafen noch einen Blick auf den vergangenen Tag werfe, und mich immer schuldlos in innerm Frieden mit mir selbst finde; – ich schlafe ein, mit Dank zu dem, der das Herz prüft, mein Kind ist in meinen Armen, und am Morgen erwach' ich so heiter, wie der Vogel auf grünen Zweigen.


[85] den 3ten Januar.


Fräulein M. ist krank, sehr krank. Die Aerzte verschreiben ihr lindernde Mittel für die Brust. Sie hat von der Gräfin ihren Abschied genommen, die um ihren Verlust sehr bekümmert ist. Sie wohnt in einem Hause vor dem Thore in unsrer Nähe, sie hofft von der ländlichen Luft wieder hergestellt zu werden. Es ist mir verstattet worden, zu ihr zu gehen, und ich theile gern die Pflege für die Meinigen mit dieser sanften Kranken. Ihr Bruder wird von D. zurückkommen, um für sie bessere Pflege anzuordnen. Heute bei der Mahlzeit sprach mein Mann von ihm; meine Mutter sagte: daß dieser Jüngling das Lob und das Vertrauen des hiesigen Ministeriums so ganz verdiente, indem er bei seiner Jugend die Geschäfte eines Greises mit der genauesten Vorsicht und Klugheit ausübte.[86] Ich weiß es nicht, warum diese Nachricht mich aufmerksam gemacht, warum ich ein Verlangen in mir spürte, mehr von diesem jungen Mann zu hören, ja selbst ihn wieder zu sehen; da ich doch dem ersten Eindruck nach, den er auf mich gemacht, ihn für ganz allgemein hielt, und nie wieder an ihn gedacht habe.


den 10ten Januar.


Sonst gieng ich blos aus Mitleid und Theilnehmung zur Fräulein M., auch gestern dünkt' es mich noch dasselbe, aber auf dem kleinen Wege wurde mir sowohl, zog es mich so wunderbar und süß hin, wie ich mich noch niemals gefühlt habe. Soll ich mirs gestehen? der Gedanke: Sollte wohl schon der Bruder da seyn, durchfloß mich so angenehm, das Lob, welches von ihm herumdüftete, machte mir jeden Ort, wo er[87] wohl seyn könnte, zu einem Tempel in welchem etwas wohnt, welches der Verehrung würdig ist. Ich fühle mich hingezogen, wie die Blume vom Stral der Morgensonne – lobenswürdig und wohl verhält sich dieser Jüngling; Wohlverhalten ist Tugend, warum muß ich aber seine Tugend bewundern?


den 11ten Januar.


Heute konnte ich zu meiner Kranken erst gegen Abend kommen; der Mond schien auf dem knisternden Schnee, und alle Sterne funkelten, mir war so leicht, wie die freie Luft, nun aber mußte ich in das Zimmer der Kranken, und setzte mich zu ihrem Haupt. Sie reichte mir die Hand, die vom Fieber glühte. Willkommen! sagte sie mir lächelnd, heute will ich stark seyn, denn heut habe ich schöne Gesellschaft. Bei dieser Rede wurde[88] mir wieder so wunderbar; ich bückte mich über sie hin, und wollte meine Empfindung an ihren brennenden Lippen ersticken; in dem Augenblick öffnete sich die Thür und ihr Bruder trat herein. Bewillkommen Sie ihn, sagte Fräulein M. weil Sie doch von ohngefähr ihm zuvorkommen, er stutzte, da er niemanden vermuthet hatte, machte eine Vorbeugung, küßte ehrerbietig meine Hand, und sagte: Meine Entschuldigung, Ihnen heute nicht schon aufgewartet zu haben, ist meiner Schwester große Krankheit. Liebe Schwester, ist Dein trauriges Fieber schon wieder da? Sie seufzte, und kehrte ihr Gesicht zur Seite, wo ich bald ihre Thränen im Mondschein glänzen sah; ich umfaßte sie, und suchte ihre Thränen abzutrocknen. Hoffen Sie, Liebe, sagte ich, Hoffnung macht stark, es wir besser werden. Nein, nein, sagte sie, den Kopf bewegend, es wird[89] nicht besser, ich muß in die Erde; meine schönen jungen Tage; keinen habe ich genossen, keine Freude gehabt, weiß nicht wie es in der Welt thut, Freude zu haben ...... Wie mir dabei zu Muthe wurde; mein Herz vergaß alles, sogar meinen eignen traurigen Zustand; ich wurde unruhig, ich suchte – und was denn? Freude, für die, welche sie nicht genossen hatt – und welche Freuden hat die Welt, die ein junges sterbendes Mädchen bedauert, nicht genossen zu haben? Ach ich will sie nicht kennen lernen, denn ist es nicht besser die Freude zu klagen die man nur ahndet, als die, welche man schon verlohr?


den 18ten Januar.


Welch Vergnügen finde ich doch im Schreiben; seitdem mein Wilhelm gebohren ist scheint mein Hang zum Schreiben mit[90] ihm gebohren zu seyn, und auch das Vermögen dazu, denn in meiner Kindheit wollte es mir niemals gelingen, jetzt aber, sobald ich mich frey sehe, eile ich an das Schreibpult. Mit welcher Lust male ich mir dann die Empfindungen, welche ich den Tag übe verhelen mußte, auf das Papier! – Wem aber darf ich sie mittheilen, wem darf ich sie vertrauen? So rein und voller Unschuld sie auch sind, so könnten sie doch Sünde werden, durch das was daraus entstehen könnte, wenn ich diese Gedanken, diese meine mitleidswürdige Lage Andern vertraute. Auch fühle ich, ich könnte mich eher Männern vertrauen, von deren Einsicht und Klugheit ich eine so große Meynung habe, denn bei Frauen giebt es ja doch keinen andern Trost als Thränen. Dahingegen, Männern vertrauen, mir vorkömmt, als wäre es sie anlocken. So will ich es denn nur[91] für mich hinschreiben, was mich quält, und was mich ergötzt. Wie aber, muß ich denn durchaus schreiben? Könnte ich nicht diese Zeit zu etwas Besserm anwenden? Darf eine Frau denn schreiben?


Mein Gemüth sagt mir, daß alle Menschen, Mann oder Frau, gleiche Rechte an die Natur haben, und an die Ausübung ihrer Kräfte. Warum sollte ich nicht, nachdem ich den ganzen Tag die Sorgen und das Gewicht des Hauswesens treulich getragen, diese Ergötzung wählen, die mir die liebste ist, und mich in meinem Hause hält. Ich schärfe durch sie meinen Verstand, besser meinen Willen, stärke meine guten Vorsätze durch Prüfung meiner Gedanken, verfeinere die drückende Sphäre um mich her, durch die freien Ideen, welche mich in diesen Stunden beschäftigen, und freue[92] mich, wenn ich ein liebliches Bild gestalten kann.


den 30ten Januar.


In vielen Tagen bin ich nicht bei der Kranken gewesen, weil der Bruder jetzt bei ihr wohnt, weil es mir dünkt, daß es sich nun nicht schickt, ohne Begleitung hinzugehen. Selbst wenn Niemand darauf merken mögte, scheue ich doch die Blicke dessen, der mich doch so gern sieht; das sagt mir das schüchterne Wesen, das er in meiner Gegenwart annimt, und das ihm von Natur nicht eigen ist, das sagt mir sein Auge, fest auf meinem Munde geheftet, das sich niedersenkt, wenn ich ihn ansehe! Aber wie, ich erstaune! Wie habe ich denn gelernt, auf solche Blicke, auf solch ein Wesen zu achten, sie zu verstehen?


[93] den 1ten Februar.


Die Kranke hat zu mir geschickt; sie will mich sehen, sie glaubt zu sterben, heute noch zu sterben, weil sie schon in vergangner Nacht den Todeskampf gerungen hat.


den 2ten Februar.


Sie ist hingesunken, die schöne Blume einer bessern Welt! Noch schön, so bleich und still! Die Unschuld im Lilienkleide! Ein süßer ewiger Frieden schwebt in ihrem sanften Gesichte, welches der Todesschmerz selbst nicht entstellen konnte, und in der lächelnden Geberde, mit welcher sie einschlummerte, zeigt sich der Triumph ihrer Tugend.


den 30ten Oktober.


Heut war ein Fremder bei meiner Mutter. Ich vermeide gern die häufigen Besuche,[94] welche der Ruf meiner Mutter aus allen Ländern anzieht. Oft sogar, wenn man ihre Tochter zu sehen verlangt, laß ich mich verläugnen; dieser Fremde aber, von der guten Baronin S. empfohlen, wurde eingeladen zu Tisch zu bleiben, und so mußte ich ihn denn sehen. Es schien, als wollte er sich durchaus mit mir unterhalten, nur daß ich in meiner Einsamkeit ganz unbekannt mit den Anspielungen des Gesprächs auf gesellschaftliche Verhältnisse meistens ihn nicht verstand. Uebrigens hatt' er ein Paar der schönsten blauen oder schwarzen Augen, ich weiß nicht welche, auf mich geheftet, mit einem Ausdruck, der wohl Zärtlichkeit genannt seyn wollte, bei mir aber nicht angewandt war. Freundlichkeit schwebte auf seinen Lippen, deren Worte die Sprache des Herzens seyn sollten, die aber viel zu schnell und feurig redeten, um etwas vom Herzen[95] auszusprechen, denn das Herz pflegt nicht so leicht am Fenster zu stehen, wie ein Cokette. Uebrigens legte er sich beim Abschied über die Wiege meines Wilhelm, und küßte ihn, als wollte er ihm von seinem Feuer etwas mittheilen. Das werde ich ihm niemals vergessen, denn ich sehe, andere Männer machen sich nie mit Kindern zu schaffen, da doch Christus gesagt hat: »Laßt die Kindlein zu mir kommen.« So denk' ich denn, wer Kinder lieb hat, muß Menschen lieben.

Der Freund bat um die Erlaubniß, an mich schreiben zu dürfen, wenn er an meinen Mann schreibt; ich getrauete mir nicht, nein zu sagen, doch kam mir das Ja eben auch nicht vom Herzen.


den 30ten November.


Der Freund hat Wort gehalten! Sein Brief ist in dem nämlichen Ton, wie sein[96] Gespräch. Ich empfand nichts, was ich ihm wieder hätte antworten können, schrieb also der Baronin S. sie mögte mich bei ihm entschuldigen, ich könnte keine Zeit finden, ihm zu antworten. Zugleich schickte ich ihr ein kleines Gedicht. Der Fremde bat sich von der Baronin mein Gedicht aus, ließ es, ohne ihr etwas davon zu sagen, mit vielen Lobeserhebungen in die Zeitung setzen, schrieb einen Brief an meine Mutter, in welchem er meiner sonst nicht erwähnte, als mit diesen Worten: »Ich sehe wohl, daß Ihre Frau Tochter viel zu geistreich ist, als daß sie auf Briefe antworten sollte, wie ich sie schreibe.« Die Zeitung war diesem Briefe beigelegt. Dies Betragen würkte entgegengesetzt zu meiner ersten Meynung von diesem Manne; ich habe ihm geschrieben im ersten Gefühl meiner angenehmen Ueberraschung.


[97] den 12ten December.


Ich habe wieder Antwort von dem Fremden; soll ich ihn Freund nennen? Warum nicht? Vierzig Meilen weit ist ein junger Freund einer jungen Frau eben nicht gefährlich; aber vierzig Minuten weit, das mögt' ich nicht wagen. Ich bliebe so gern, wie ich bin, unschuldig und ruhig. Habe ich gleich einen Mann der mich quält, so ist ja doch mein Kind eine süße Beschäftigung für mein Herz. So sollen denn die Briefe des Freundes keine Seite in der Harmonie meines Innern verstimmen; aus der Ferne ist er mir ein Echo; die Ferne macht liebe Freunde zu Engeln.


den 24ten December.


Die Briefe meines Freundes sind schön, obgleich mein Charakter ihm noch unbekannt ist, so scheint er ihn doch zu ahnden, und[98] in seiner Seele den Wiederschein davon zu tragen. Doch kommt es mir oft bedenklich vor, so rein und anspruchlos seine Briefe auch sind, daß ich ihm überhaupt schreibe. Eine junge Frau sollte wohl nie an einen fremden Mann gleiches Alters schreiben, sie mag nun glücklich seyn oder unglücklich. Ist sie glücklich so wird aus dem Zeitvertreibe Scherz; der Scherz wird Witz, der Witz Feuer, und das Feuer haucht sich in Leidenschaft aus, oder doch in Coketterie. Ist sie aber unglücklich, wie weit mehr kann sie es dann werden, durch das Vertrauen zu einem fremden Mann; jeder Brief ist eine Ergießung des Herzens, eine Schilderung ihrer Leiden, ist nun die Antwort theilnehmend, so wird das Vertrauen größer, dankbarer, inniger, und wie weit ist es noch von da bis zur Liebe?


[99] den 12ten Januar.


Mein entfernter Freund scheint mich wie ein Buch zu verstehen, in welchem ihm nichts fremd ist; er giebt Winke, die auf meinen häuslichen Zustand zielen, und bemüht sich durch die feinsten und zartesten Akkorde mit meinem Wesen mein Herz dahin zu neigen, daß es sich ihm entdecke, und ihm ein gänzliches Vertrauen gewähre. Wie geht dies an? Wie kann ein entfernter Freund mir mehr Hülfe leisten, als ich mir selbst, und wie müßte er wohl von mir denken, wenn ich schwach genug wäre, ihm zu sagen, daß ich unglücklich verheirathet bin. Darf das eine Frau einem fremden Manne gestehen? Nein, nie! Mein Herz widerstehet, und dem will ich immer folgen. Sein Mitleid würde mir nichts fruchten; soll er mich zur Geduld verweisen? ach! die üb' ich ja täglich. Soll er mich[100] mit besser Zukunft trösten? Kennt er sie? Hat sie sich ihm enthüllt? Sollt er auch dem zürnen, der mich quält? Das kann er nicht, denn es ist ja mein Mann. So hat er denn weder Trost noch Linderung für mich, und wenn er mich mit Schmeicheleyen aufzuheitern suchte, so würden mich diese nur eitel und für mein Leiden weichlicher machen. So will ich denn immerhin dulden und schweigen, und ihm nur das mittheilen, was das Werk eines zufälligen Gedankens, eines unschädlichen Witzes ist.


den 14ten Januar.


Es ist würklich außerordentlich, daß er mein Mann den Briefwechsel mit Fremden verstattet, und es wäre noch wunderbarer, wenn er selbst auf diesen Zeitvertreib einigen Werth setzte; allein, da er die Bücher nicht achtet, und keine andre Briefe[101] schreibt, als in Geschäften, so glaub' ich, er sieht alle Briefe für Geschäftsbriefe an, und weil diese nichts auf seine Empfindung würken, so erwartet er auch nichts anders von den Briefen, welche ich erhalte und schreibe. Die ersten dieser Briefe mußte ich ihm lesen; ich hatte dafür gesorgt, daß seiner auf eine gute Weise darinn gedacht wurde, weil ich es mir zum Gesetz mache, meinen Mann so viel als möglich bei andern in Ehrfurcht zu setzen. Jetzt verlangt er gar nicht mehr, daß ich ihm welche von diesen Briefen vorlese, und er scheint gar kein Mißtrauen dabei zu haben. Er ist schlau und arg, und verhehlt vielleicht sein Mißtrauen, aber mag ers doch! so lange ich, auf mein eignes gutes Verhalten mich verlassend, keine Furcht habe, will ich ihm die Furcht allein überlassen.


[102] den 18ten Januar.


Wie hübsch ist es doch anzuschauen, ein zartes Kind, dessen Kräfte zum Leben sich täglich mehr und mehr entfalten, die ersten klugen Blicke, die ersten seidenen Löckchen um das kleine Gesicht, die erste Artikulation eines Wortes, wie ist alles so hold, so anmuthig; wie eine Mutter darauf lauscht!

Das ganze Wesen meines Kindes hängt an mir. Könnt' ich wohl glauben, unter den erwachsenen Wilhelms jemals einen gefunden zu haben, dem ich so unentbehrlich wäre, der so ganz mein wäre, seine Welt in mir fände, wenn er an meiner Brust einschlummern dürfte?

Der Gedanke an Lieben, und Wiedergeliebt werden, dehnt sich in die Ewigkeit aus – hätte ich wählen dürfen, wie würde ich geliebt haben! Mir schaudert, denn[103] ich wäre hintergangen worden; wer kann lieben, wie ich lieben würde? Mein Loos mag mir wohl besser seyn, als irgend ein anderes; lieber Kälte und Abneigung, als ein zurückgestoßenes Herz, gekränkt durch Untreue und Betrug.

Quelle:
[Klencke, Karoline von]: Leben und Romantische Dichtungen der Tochter der Karschin. Als Denkmal kindlicher Liebe herausgegeben von Helmina, Frankfurt a. M. 1805, S. 74-104.
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