Die Blume im Knopfloch

[71] Mit den ersten Frühjahrstagen sind sie da – kaum der sonnendurchwärmten Erde entsprossen, finden sie den Weg in die Knopflöcher der hellen Sakkos, der ersten Frühjahrskostüme. Hier gibt es keine Mode, hier herrscht der rein, persönliche Geschmack. Der eine wählt die zartrosa Nelke, der andere die blutrote Rose. An und für sich ist gegen die Mode der Blume im Knopfloch nichts einzuwenden – allerdings unter zwei Voraussetzungen –, erstens nur bei Sonnenschein und zweitens in genauer Übereinstimmung (niemals im Kontrast) zu den sonstigen Farben der Toilette. Die beliebteste Knopflochblume am Tage ist die gefüllte weiße Nelke. Abends zum Frack hat sich von Urväterzeiten her bis noch vor ganz kurzem die Gardenie erhalten, die manchmal in der Größe einer Chrysantheme getragen wurde. An Stelle der Gardenie ist jetzt für den Abenddreß die Orchidee getreten. Zum Frack sind die großen Blüten der Cattleyen und Cypripedien. Erstere in blaßlila mit tiefvioletten Kelchen, letztere blaßgrün mit rostbraunen Aussatzfleckchen übersät und mit pantoffelartiger Krone. Zum Smoking sind natürlich die kleinen weißen oder gelben Zweigblüten im japanischen Charakter erforderlich. Außerordentlich apart wirken die schwarzen Orchideen (Odontoglossen-Abart), die nur englischen Treibhäusern entstammen und allerdings außerordentlich kostspielig sind. (Die Blüte kostet in Berlin etwa dreißig Mark.)


Die Blume im Knopfloch

Im Gegensatz zu früher trägt man heute die Blumen ohne Blätter. Die Nelke im Sakko oder Gehrock ist von aparteren Blumen abgelöst worden, Tuberosen, Narzissen, Wicken. Nachmittags zum Tee wirkt im Cut away sehr apart ein Tuff Veilchen – fünf bis sechs Stiele – natürlich immer ohne grüne Blätter. Für den Turf, auf dem Selbstfahrer, im Sattel, wirken außerordentlich die weißen Zwergchrysanthemen, Anemonen und die etwas in Verruf geratenen Margueriten. An schönen Sommertagen dürfte nichts geeigneter sein, die Farbenfreudigkeit und Lebenslust mehr zu beweisen, als eine unscheinbare kleine Blüte im linken Knopfloch, denn merkwürdigerweise hat man rechts keins.[72]

Quelle:
Koebner, F. W.: Der Gentleman. Berlin 1913, [Nachdruck München 1976], S. 71-73.
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