288. Die beyden Menschengrößen.

[369] (Blumauer.)


Menschengrößen giebt es zwey hienieden,

Eine jede kleidet ihren Mann:

Das Verdienst webt beyde; doch verschieden

Sind die Fäden und die Farben dran.

Eine hüllet sich in eitel Licht,

Wo die andre sanfte Farben bricht.


Wie die Sonne glänzt und strahlt die eine

Welten wärmt und brennet ihre Glut;

Und die andre gleich dem Mondenscheine,

Der nur Nachts im Stillen Gutes thut:

Jene blendet mit zu vielem Licht;

Diese leuchtet, aber blendet nicht.
[369]

Wie ein Bergstrom über Felsenstücke

Rauschet jene laut und fürchterlich;

Diese windet unbemerkt dem Blicke,

Wie ein Bach durch die Gesträuche sich:

Jene brauset und verheert die Flur;

Diese tränket und erquickt sie nur.


Jene baut sich Ehren-Mausoläen

Aus den Trümmern einer halben Welt;

Diese fühlt sich reicher an Trophäen,

Wenn sie Thränen regen Dankes zählt:

Jene hauet ihren Ruhm in Stein;

Diese gräbt ihn in die Herzen ein.


Jene läßt mit lautem Ruhm sich lohnen,

Und ihr Aufenthalt sind Thronen nur,

Diese sieht man auch in Hütten wohnen,

Und ihr Lohn ist Segen der Natur:

Jene kann ein Kind des Glückes seyn;

Diese dankt ihr Daseyn sich allein.


Größe lauten Ruhmes! deiner Schwingen

Breite gleicht dem Himmels-Firmament;

Über deinen Standort zu erringen,

Ist nur wenig Sterblichen vergönnt;

Stille Größe! dich, dich bet' ich an,

Dich nur, denn du bist für jedermann.

Quelle:
Laukhard, Friedrich: Zuchtspiegel für Eroberungskrieger, Advokaten und Aerzte. In: Zuchtspiegel für Fürsten und Hofleute, Paris [i.e. Leipzig] 1799, S. 369-370.
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